Verbeugungen.

Compliments – Reverences.

[90] Unendlich vielfach ist die Veranlassung zur Verbeugung, und dementsprechend ist auch die Ausführung derselben mannigfaltig. Beim Kommen, Vorstellen, Fortgehen, Engagement zum Tanze, nach dem Tanz, als Beweis des Respekts, der Ehrfurcht, Dankbarkeit werden Verbeugungen ausgeführt. Wenn ein Bittsteller von seinem Gönner einen günstigen Bescheid erlangt, so ist die Verbeugung, welche den stummen Dank ausdrückt, eine andere, als wenn der Diplomat auf eine Frage nur durch eine stumme Verbeugung, die gleichzeitig von einem Achselzucken begleitet ist, antwortet und somit weder ja noch nein sagt. Der Advokat macht zum Schlusse seines Plädoyers, in welchem er für den Angeklagten von den Herren Geschworenen das Nichtschuldig ausgesprochen zu sehen wünscht, eine andere Verbeugung als der Schauspieler, der sich auf der Bühne für den gespendeten Beifall bedankt, und dennoch sind alles ja nur – Verbeugungen. Von der leichten Senkung des Kopfes, die unter Umständen auch schon einer Verbeugung gleichkommt, bis zur kurfähigen Verbeugung bei Hof ist ein gewaltiger Schritt. Es erscheint also selbstverständlich, daß für die richtige Ausführung der Verbeugung und der zugehörigen Mimik und Gesten die Kenntnis der Grundregeln notwendig sind. Der Ausdruck des Antlitzes bei einer stummen Verbeugung muß der Veranlassung entsprechen.

Vor allen Dingen ist zu beachten, daß die Verbeugung des Herrn eine andere ist als die, welche die Dame ausführt. Dem männlichen Charakter entsprechend darf die Verbeugung des Herrn nicht kriechende Unterwürfigkeit oder sklavische Herablassung zeigen; auch bei der Verbeugung soll Manneswürde nicht außer Acht gelassen werden.[90]

Hat man eine Verbeugung zu machen, so sei man der betreffenden Person nicht zu nahe. Die Entfernung hängt davon ab, ob man mit der zu begrüßenden Person bekannt und gleichstehend ist oder ob dieselbe einen höheren Rang einnimmt; die Entfernung betrage ungefähr 1 bis 2 Schritte. Als Haltung nehme man die Grundstellung, die Dame die 3. Position. Das Vorneigen des Oberkörpers geschieht so, daß man zuerst den Kopf, dann Nacken und Schultern und zuletzt den ganzen Oberkörper vorbeugt. Beim Aufrichten hebt man wieder zuerst den Kopf. Je nachdem die Verbeugung eine mehr oder minder zeremonielle ist, macht man jede Bewegung langsamer oder etwas schneller, verbeugt sich tiefer oder weniger tief. Hastig oder ruckweise darf keine Bewegung erscheinen; alles muß gebunden, leicht und gefällig aufeinander folgen. Das Verneigen und Wiedererheben hat mit der Bewegung der Füße gleiches Tempo zu halten.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 90-91.
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