Polka.

[222] Die Polka, früher auch Schottisch genannt, ist nächst dem Walzer der beliebteste Tanz, weil jeder, sei er auch ein noch so mittelmäßiger Tänzer, immer noch eine ganz leidliche Polka zustande bringt.

Die Polka soll von einem böhmischen Bauernmädchen aus der Gegend bei Gitschin im Jahre 1835 erdacht, und die Melodie, die sie dabei sang, von dem dortigen Schullehrer aufgeschrieben worden sein. Die Polka kam dann nach Prag, von wo aus sie durch eine Abteilung des Musikchors der Prager Scharfschützen unter Leitung des Musikdirektors Pergler 1839 nach Wien gebracht wurde. Hier fand der Tanz allgemeinen Beifall. Ein Jahr später wurde die Polka auch in Paris bekannt, wo ein Tanzlehrer aus Prag sie im Odeontheater tanzte und wodurch sie bald Eingang in alle Ballsäle fand. Wie alle Dinge der Mode, so verbreitete sich auch die Polka von Paris, wenn auch mit manchen Modifikationen, nach allen Ländern der zivilisierten Welt und kam auch 1841 nach Deutschland. Hier war man garnicht so sehr erstaunt über den neuen Tanz, weil derselbe nichts anderes war als ein hier bereits seit 1820 bekannte Tour des Eccosaise-Walzers.

Die Eccosaise ist schottischen Ursprungs. Sie ist ein Reihentanz, der schon 1760 in Frankreich bekannt war und um 1800 Eingang in Deutschland fand, wo der Tanz bis 1830 in den Städten zu den Modetänzen gehörte (auf dem Lande erhielt er sich noch länger).

Die Tänzer stellten sich in 2 Reihen, wie beim Kontertanz, auf. An der einen Seite standen die Damen, ihnen gegenüber die Herren. Es gab viele Eccosaises; die meisten hatten 3, 4 und 6 Touren. Jede Tour bestand aber nur aus einer Figur. Das erste Paar begann die Tour und tanzte durch die Reihe hindurch. Die übrigen Paare folgten in gleicher Weise der Reihe nach. Eine Tour der Eccosaise war der Eccosaise- oder Schottisch-Walzer. Die Musik stand im 3/4 Takt, wurde aber später in den 2/4 Takt gesetzt. Demzufolge[223] wurden die Schritte verändert und der Musik angepaßt. Der Eccosaise-Walzer bestand aus einem gesprungenen Jeté und 3 Walzerschritten, ersteres mit dem rechten und die Walzerschritte mit dem linken Fuß beginnend. Nach Umwandlung des Taktes in den 2/4 Takt blieb von dem Jeté nur der Aufschwung, es wurde also mit dem rechten Fuß uur eine Bewegung und dann 3 Schritte, nämlich ein pas de bourrée ausgeführt. Dies war die über Paris aus Böhmen gekommene Polka. Es ist also leicht ersichtlich, daß man heute dem Märchen von der Erfindung der Polka durch das böhmische Bauernmädchen nicht mehr Glauben schenkt, und es bleibt jedem überlassen, die Erzählung von dem erfinderischen Bauernmädchen für echt zu halten oder nicht. Die Polka wird verschieden getanzt. Einige führen die Polkaschritte mit einem Aufschwung aus, andere mehr schleifend. Es fragt sich nun, wie muß die Normalpolka beschaffen sein? Schritte und Musik müssen miteinander im Einklang stehen, sie müssen einander angepaßt sein. Die Polkamusik soll heiter und fröhlich sein; sie soll etwas Leichtes, Hebendes, Prickelndes und Hinreißendes in ihrer Melodie haben. Diesem Charakter der Musik müssen auch die Schritte angepaßt sein, sie müssen leichte, freudige Bewegungen sein.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 222-224.
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