Tägliche Mahlzeiten.

[121] Die Hausfrau halte mit der größten Strenge darauf, daß zur bestimmten Stunde aufgetragen wird, und jeder zur rechten Zeit erscheint. In größeren Haushaltungen wird durch eine Glocke ein kurzes Zeichen gegeben (Sturmläuten ist unschicklich), daß angerichtet ist, worauf alle Familienmitglieder sich in das Eß-resp. Wohnzimmer zu begeben haben. In kleineren Familien benachrichtigt das Mädchen, oder auch wohl ein Kind, jeden in seinem Zimmer.

Beim ersten Frühstücke ist für die Damen des Hauses ein Morgenanzug zulässig. Die Herren sind im Hausanzuge, nicht im Schlafrocke. Ungekämmt und ungewaschen erscheine niemand, selbst das Kleinste nicht. Die Herrichtung des Tisches sei zierlich und gefällig. Befleckte Tafeltücher, abgeschlagene Henkel und Schnauzen an Tassen und Krügen, zerbrochene Teller oder eingeplatzte Gläser dulde man nicht. Vor jedem Platze steht eine Tasse mit Untersatz, auf diesem liegt der Theelöffel. Links vor derselben befindet sich ein kleiner Teller, mit einem Messer, zum Gebäck. An der Butter liege stets ein besonderes Messer, dessen sich jeder beim Zulangen bedient, aufgestrichen wird dieselbe mit dem eigenen.

Der Morgengruß sei ein Händedruck; die Kinder küssen den Eltern die Hand. Beim Vorlesen des Morgensegens bewahre jeder eine aufmerksame, andächtige Haltung; auch die Kleinsten halte man mit der größten Strenge dazu an.

Das Einschenken des Frühtrunkes besorgt die Hausfrau oder eine der Töchter. Dieselbe übernimmt auch das Verteilen des Gebäcks an die Kinder, um Streitigkeiten zu vermeiden.[121]

Die Unterhaltung am Frühstückstische, wie bei allen anderen Mahlzeiten, sei eine allgemeine, und möglichst für Kinderohren berechnet. Mitreden dürfen die Kleinen natürlich nur, wenn sie gefragt werden. Auch erlaube man ihnen keine Unterhaltung untereinander, da dieses bald ausartet und dann sehr störend ist. Niemals aber dürfen sie sich beikommen lassen, einander zu necken oder gar zu zanken. Ist dieser Kapitalverstoß dennoch geschehen, so ist es am einfachsten, den Anstifter durch einen kurzen Wink zu entfernen; eine laute Szene würde gegen die gute Lebensart sein.

Die Haltung der Kinder sei stramm. Anlehnen, Aufstützen der Arme, Kippen mit dem Stuhle, Baumeln mit den Beinen, Klappern mit den Tischgeräten sind Dinge, die sich mit dem gutem Tone gar nicht vertragen. Je weniger bemerkbar sich die Kleinen machen, desto, »artiger« sind sie, d.h. desto besser ist die Art ihrer Gewöhnung.

Beim Essen selbst halte man darauf, daß alles recht zierlich und appetitlich zugeht. Die Tassen dürfen nur 3/4 voll sein Um zu trinken legt man den Theelöffel heraus und faßt sie am Henkel an. Eintauchen des Gebäcks in das Getränk oder Einbrocken desselben ist nur den alten, zahnlosen Großeltern gestattet. Alle anderen brechen dasselbe, wenn es trocken ist; bestrichene Schnitten klappt man am besten zusammen und schneidet sie. Abbeißen macht einen unschönen Eindruck; auch sehen die zurückbleibenden Spuren der Zähne nicht gerade appetitlich aus. Während des Kauens seien die Lippen fest geschlossen, um das schreckliche Schmatzen zu vermeiden. Ebenso streng hüte man sich beim Trinken vor jedem Geräusche; je leiser alles abgewickelt wird, desto schöner und seiner. Mit vollem Munde zu trinken oder zu sprechen, ist ganz gegen die Schicklichkeit und werde auch an der Familientafel nicht geduldet. Wird man während des Kauens angeredet, so beeilt man sich, schnell fertig zu werden und redet dann.

Das zweite Frühstück ist in den meisten Familien keine gemeinsame Mahlzeit, Dennoch muß alles sauber und appetitlich sein. Man lege die Speisereste auf frische Teller und ordne sie so gefällig, als irgend angängig, für das Auge. Befindet man sich allein am Frühstückstische, so achte man dennoch mit peinlichster Strenge auf die Anforderungen der guten Lebensart. Die eigenen Geräte dürfen sich nie in die Schüsseln und Teller mit den Eßwaren verirren. Um dieses unmöglich zu machen, sorge die Hausfrau dafür, daß auf denselben die erforderlichen Instrumente liegen. Auch trage man seinen Bedürfnissen in der Weise Rechnung, daß der ganze Tisch in größter Ordnung bleibt, und die Späterkommenden noch etwas Genießbares finden.[122]

Das Mittagsessen vereinigt wiederum die ganze Familie bei Tische, und ohne zwingenden Grund sollte niemand dabei fehlen. Die Damen sind im Hauskleide; in höheren Kreisen erscheinen sie in gewählter Toilette; der Morgenrock ist von der Mittagstafel ausgeschlossen. Die Herren sind im sorgfältigen Hausanzuge. Daß alle Erwachsenen vor der Mahlzeit ihren äußeren Menschen einer genauen Musterung unterwerfen, ist selbstverständlich. Die Kinder jedoch müssen dazu angehalten werden, Gesicht und Hände zu waschen, die Nägel zu reinigen, sowie Haare und Kleider zu bürsten. Auch erinnere man an ein reines Taschentuch.

Auf jedem Platze steht ein flacher Teller, rechts davon das Bänkchen mit Messer und Gabel, oben quer vor demselben liegt der Löffel. In manchen Gegenden ist es Sitte, das Messer rechts, die Gabel links, den Löffel oben an den Teller zu legen. Links steht ein kleiner Teller für Beisatz, mehr nach der Mitte zu ein Glas Wasser, in reicheren Häusern eine Flasche Bier oder Wein. Die Serviette befindet sich entweder links neben dem Teller oder auf demselben. Immer aber stecke sie in einem Ringe oder Bande, danit keine Verwechslung möglich ist. Neben jedem Gedeck liegt ein Stückchen trocknes Brot. Man ißt dasselbe teils zur Suppe, teils zu anderen Speisen und bricht zu diesem Zwecke mit den Fingern geschickt ein wenig davon ab; es zu schneiden gilt für unschicklich. Die Suppenteller stehen in einem Stoße vor dem Plaße der Hausfrau.

Vor Beginn der Mahlzeit wird in den meisten Häusern ein Gebet gesprochen. Geschieht dieses durch eines der Kinder, so halte man streng darauf, daß es kein gedankenloses Geplapper sei, Am hübschesten ist es, der Hausherr spricht einen kurzen Segen. Dann nehmen alle recht geräuschlos Platz. Die Hausfrau füllt die Suppe auf. Die Teller dürfen nur bis zum ersten Rande angefüllt sein und werden durch das aufwartende Mädchen herumgetragen. Ist kein dienstbarer Geist da, so besorgt es wohl die älteste Tochter oder die größeren Kinder, doch gestatte man dabei kein wildes, polterndes Gelaufe. Ruhe ist die erste Bedingung guter Lebensart. Sobald die Hausfrau den Löffel in ihre Suppe gelegt hat, beginnen auch die anderen zu essen. Der Löffel wird mit den drei ersten Fingern der rechten Hand erfaßt und zwar derart, daß er auf dem dritten Finger ruht, während der Daumen und Zeigefinger oben liegen der erste etwas höher als der letzte. Man nimmt den Löffel etwa halb voll, bringt ihn mit dem zugespitzten Ende an die Lippen und bemüht sich, die Flüssigkeit möglichst geräuschlos zwischen denselben hindurchzugießen. Mit der breiten Seite gelingt dieses weniger leicht, doch giebt es Personen, die es auch auf diese Weise ganz leise[123] und geschickt zu machen verstehen, dann läßt sich dagegen nicht viel sagen. Jedes Schlürfen und Schmatzen ist streng verpönt, ebenso das Umbiegen und Auskratzen des Tellers oder Ablecken des Löffels. Hat jeder abgegessen, so nimmt das Mädchen die Teller leise fort, wobei sie am rechten Arme der Sitzenden vorüberlangt; oder man reicht sie sich gegenseitig zu und stellt sie am unteren Ende der Tafel in einen Stoß zusammen; alle Löffel werden dabei geräuschlos in den obersten Teller gelegt.

Das Zerschneiden des Bratens ist meist Sache des Hausherrn, und es ist gut so; denn es verstößt gegen das Schönheitsgefühl, eine Dame mit soviel Kraftaufwand hantieren zu sehen. Thut die Hausfrau es dennoch, so achte sie darauf, Messer und Gabel nicht nur geschickt, sondern auch schön zu handhaben. In vielen Familien werden alle Teller der Hausfrau gereicht, welche vorlegt. Wir lassen dieses nur für die Kinder bis zu zehn Jahren gelten. Von da an sollte man jeden selbst nehmen lassen, um ihn an ein schnelles und geschicktes Zulangen zu gewöhnen; denn auch das will erlernt sein. Zu diesem Zwecke reicht man die Gerichte einander zu, oder das Mädchen bietet sie jedem von links an, wobei die Familienmitglieder nach ihrem Alter und ihrer Stellung berücksichtigt werden Gesucht darf nicht werden; man wählt höchstens mit dem Auge und nimmt stets das Stück, welches die Gabel einmal berührt hat. Man thue nur wenig auf seinen Teller und esse ohne jede Hast. Während des Fleischessens bedient man sich des Messers und der Gabel zugleich, und zwar hält man ersteres in der rechten, letztere in der linken Hand. Man fasse die Werkzeuge von oben, d.h. am Heft so, daß die äußere Handfläche über denselben liegt; die beiden Zeigefinger ruhen ausgestreckt, der rechte auf dem Rücken des Messers, der linke auf der Gabel, die mit der Ausbiegung der Zinken nach oben gerichtet sein muß, nicht mit der Wölbung, da man in letzterem Falle nicht imstande ist, die Speisen leicht und ohne Ziererei daraufzulegen.

Man zerstückele nicht alles, was man auf dem Teller hat; denn solch ein Durcheinander ist unappetitlich. Nur das Stückchen, das man eben essen will, schneidet man ab und führt den (möglichst kleinen) Bissen mit der Gabel zum Munde. Die Speisen dürfen mit dem Messer auf die Gabel gelegt werden. Der Brauch, Spargel, Artischocken und Pasteten mit den Fingern zum Munde zu führen, ist uns sehr unsympathisch, und wir haben nie verstehen können, warum diese Art seiner sein soll, wie ein manierliches Vorgehen mit der Gabel oder dem kleinen Löffel. Geflügel mit den Händen zu zerpflücken kann nur Wilden erlaubt sein. Der Kulturmensch lerne Messer und Gabel so geläufig handhaben, daß er auch bei[124] dem kleinsten Vogel geschickt die Gelenke trifft nnd ohne viel Kraftaufwand eine Gänsekeule bearbeitet. Die Knochen werden nicht auf dem Rande des Tellers aufgepflanzt, sondern innerhalb desselben leise beiseite geschoben. In vielen Haushaltungen werden besondere Teller oder Körbchen für diese Abfälle hingestellt.

Die Steine von eingemachtem oder rohem Obste bringt man geschickt mit dem Kompotlöffel oder hinter der vorgehaltenen Hand aus dem Munde und legt sie zu den übrigen Abfällen.

An Hirsebrei, Reis, Grütze, Klöße, Eierkuchen, junge Gemüse u. dgl. bringt man, wenn sie als besonderer Gang aufgetragen werden, nie das Messer, sondern ißt sie mit einem Theelöffel, bezw. mit der Gabel. Fische werden nur mit der Gabel gegessen. Um dieses geschickt thun zu können, nimmt man in die linke Hand ein Stückchen trockenes Brot und bedient sich desselben zum Festhalten der Speise.

Alt und jung präge es sich aufs festeste ein, daß das Messer niemals die Lippen berühren darf. Das Aufnehmen der Sauce mit demselben ist ein widerwärtiger Anblick. Die Speisereste werden leise mit dem Messer zusammengenommen, auf die Gabel gelegt und mit dieser zum Munde befördert. Was sich nicht gutwillig auf diese expedieren läßt, muß eben liegenbleiben.

Niemand steige mit seinem Handwerkzeuge in die der Allgemeinheit bestimmten Schüsseln oder in den Salznapf.

Ist abgegessen, so wischt man noch einmal sorgfältig den Mund mit der Serviette, (Hände und Gesicht damit abzureiben, wäre sehr unschicklich), und steckt dieselbe in den Ring zurück. Die Hausfrau giebt durch Aufstehen das Zeichen zum allgemeinen Aufbruche, und alle erheben sich recht geräuschlos. Nach dem Gratias reichen sich die Familienmitglieder die Hand, wobei sie »Gesegnete Mahlzeit!« sagen. Die Kinder küssen auch wohl den Eltern bei dieser Gelegenheit die Hand, ebenso die jüngeren Leute den älteren Herrschaften. In vielen Häusern wird nur eine artige Verbeugung gemacht und dazu gesegnete Mahlzeit gewünscht.

Die Vesper wird ungefähr so verlaufen, wie das Frühstück, das Abendbrot ähnlich dem Mittagessen, wenn es aus warmen Speisen besteht oder wie das zweite Frühstück, wenn es sich nur aus einem Getränke und Zubrot mit kaltem Fleische zusammensetzt. Ist Thee der Abendtrunk, so wird die Theemaschine mit den Tassen vor den Platz der Hausfrau gestellt, und diese besorgt das Einschenken. Belegte Butterschnitten mit Messer und Gabel auf dem Teller zu schneiden, um sie mit der Gabel zu verspeisen, sieht sehr schlecht aus und widerspricht der guten Lebensart. Das Fleisch muß entweder[125] auf dem Teller zerschnitten und mit der Gabel zum Butterbrote gegessen werden, oder man legt es nach dem Zerkleinern, mit Messer und Gabel geschickt und schnell auf die Schnitte, schneidet diese in zwei oder vier Teile, und ißt jeden davon einzeln, indem man ihn mit der Hand zum Munde bringt, ohne die obere Seite zu berühren.

Schließlich bemerken wir noch, daß es ein grober Verstoß gegen das Schönheits- und Schicklichkeitsgefühl ist, sich die Zähne bei Tische auszustochern. Wahrhaft entsetzlich aber wird diese Gewohnheit, wenn dabei die Gabel als Zahnstocher fungiert.

In manchen Gegenden ist es Sitte, beim Schlusse der Mahlzeit kleine Gläser und Schüsseln mit lauwarmem Wasser zum Ausspülen des Mundes und Reinigen der Hände nebst einem Trockentuche herumzugeben. Schön ist dieser Brauch keineswegs, und mit dem guten Tone stimmt er schon lange nicht. Dgl. Dinge, die in das Schlafzimmer gehören, macht kein feinfühlender Mensch öffentlich ab Ist die Tafel aufgehoben, so kann jeder seinem Reinlichkeitstriebe in der Stille genügen, was am besten durch regelrechtes Putzen der Zähne und gründliches Reinigen der Hände und Nägel geschieht.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 121-126.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon