Todesfälle.

[154] So wenig Neigung man auch haben mag, in dem tiefen Schmerze um den Verlust eines geliebten Angehörigen, den Ansprüchen der Welt gerecht zu werden, so treten sie dennoch gebieterisch an den Leidtragenden heran.

Meist wird sich ein bewährter Freund finden, der diese Sachen für die Hinterbliebenen erledigt. In größeren Städten giebt es Beerdigungsgesellschaften, die der Familie des Verstorbenen die unangenehme Notwendigkeit ersparen, im ersten Schmerze mit gleichgiltigen Geschäftsleuten zu verhandeln.

Den Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber kann sich jedoch niemand entziehen, und so unwichtig sie ihm in diesem ernsten Augenblicke erscheinen mögen, so gebieterisch verlangen sie ihr Recht.

Für den Kreis entfernter Bekannten genügt ein entsprechendes Inserat in den bekanntesten Zeitungen. Dabei sei man knapp mit Worten und hüte sich vor Gefühlsschwärmerei; denn diese gehört nicht ins Tageblatt. Am sichersten ist es, den Entwurf zu solcher Ankündigung durch einen Unbeteiligten machen zu lassen, um sinnstörende Fehler zu vermeiden.

Näheren Bekannten und dem größten Teile der Verwandten sendet man gedruckte Anzei gen, die in einfachen Worten den traurigen Vorfall melden und offen, mit einer Dreipfennigmarke, expediert werden. Ganz nahe Freunde und Verwandte müssen die trübe Nachricht brieflich erhalten, um einem plötzlichen Erschrecken vorzubeugen. In den Briefen und Anzeigen darf Tag und Stunde des Begräbnisses nicht vergessen werden.

Die Todesanzeige wird von dem nächsten Angehörigen des Verstorbenen unterzeichnet. Oft nennt man auch eine ganze Reihe von Namen der nächsten Anverwandten, doch halten wir dieses für durchaus überflüssig und möchten sogar behaupten, es mache einen wunderlichen Eindruck. Soll die Anzeige von mehreren ausgehen, so ist es angemessener, eine allgemeine Unterschrift zu wählen, wie z.B. die tiefbetrübten Hinterbliebenen od. dgl.

Ein Inserat verpflichtet zu keinem Kondolenzschreiben, doch wird es nie Anstoß erregen, wenn man trotzdem schriftlich sein Beileid ausspricht. Durch eine gedruckte Anzeige ist man dazu verpflichtet, und die briefliche Todesnachricht erfordert als Antwort ein herzliches Schreiben, in welchem man jeden phrasenhaften Schwulst vermeidet und in einfacher Wärme seinen Gefühlen Ausdruck giebt.[154]

Auswärtige wie einheimische Freunde senden Palmenzweige oder Kränze für den Begräbnistag. Werden diese Blumenspenden durch die Bediensteten ins Haus gebracht, so sind die Trauernden zu einem Trinkgelde verpflichtet. Wünschen die Geber, dieses zu vermeiden, so können die Kränze auch direkt vom Gärtner hingeschickt werden. Zu diesem Zwecke übergiebt man ihm eine Besuchskarte, welche mit den Blumen befördert wird.

Der Tag des Begräbnisses versammelt Freunde und Verwandte des Toten im Trauerhause. Die Herren erscheinen, je nach Art der Verhältnisse, im Frack und weißer Kravatte oder im Oberrock und schwarzer Kravatte. Schwarze Handschuhe und Cylinder sind unerläßlich. Die nächsten Leidtragenden, wie die Verwandten, haben einen Flor um den Hut und den Arm. Die Damen sind in schwarzen Wollkleidern, (Fernerstehende dürfen auch Seide tragen), schwarzen Hüten und schwarzen Handschuhen. Farbige Kleidung bei Begräbnissen verrät einen großen Mangel an guter Lebensart.

Beim Eintritte in die Versammlung begrüßt man den Hauptleidtragenden zuerst und spricht ihm mit wenigen, warmen Worten sein herzliches Mitgefühl aus. Langatmige Tröstungen sind nicht am Platze; denn ein stummer Händedruck zeugt oft deutlicher von Teilnahme als sie. Den übrigen Leidtragenden macht man eine Verbeugung oder drückt ihnen schweigend die Hand. Steht man ihnen persönlich sehr nahe, so wird das Herz leicht die Worte finden, die für die Gelegenheit passen.

Das Benehmen der Erschienenen sei ernst und geräuschlos. Lautes Reden und polternde Bewegungen zeugen von geringer Rücksicht gegen die vom Schmerze Niedergedrückten.

Die Anordnung des Leichenzuges unterliegt weniger dem guten Tone wie dem Ortsgebrauche, den man bei dieser Gelegenheit umso strenger ehren muß, weil es ganz unpassend wäre, durch einen Verstoß gegen denselben Aufsehen zu erregen.

In vielen kleineren Städten ist es Sitte, daß die Angehörigen und Freunde dem Leichenwagen zufuß folgen. In diesem Falle gehen die nächsten Familienmitglieder dicht hinter dem Sarge, dann kommen die Freunde und Bekannten, zuletzt die Wagen. In großen Städten fahren alle Teilnehmer, wobei jeder für seinen Wagen sorgt, während die Angehörigen nur sich und den Geistlichen zu bedenken haben. Wer selbst verhindert ist, zu erscheinen und doch gern seine lebhafte Teilnahmeausdrücken möchte, sendet seinen Wagen zum Trauerzug.

Unterwegs bewahre jeder eine ernste, feierliche Haltung. Lebhaftes Sprechen und Gestikulieren, Umsehen oder gleichgiltiges Betragen darf keinen gesitteten Menschen in den Sinn kommen.

[155] Während der heiligen Handlung am Grabe bewahren alle ein feierliches Schweigen. Die Herren entblößen die ganze Zeit über das Haupt; in vielen Orten auch nur beim Gebete. Laute Scenen und Schmerzausbrüche sind thunlichst zu vermeiden.

Vom Kirchhofe aus begeben sich die Anwesenden direkt in ihre Wohnungen. Eine nochmalige Versammlung im Trauerhause zu einem Leichenschmause ist nicht mehr Sitte. Höchstens wird auf dem Lande, wo die Gäste oft einen meilenweiten Weg zurückzulegen haben, ein Mahl hergerichtet, oder doch wenigstens eine Erfrischung gereicht.

Über den Anzug der trauernden Damen geben die Modenblätter eingehenden Aufschluß. Die Trauerkleider seien von schwerem, stumpfen Wollstoffe und einfach in der Form. Glatte Röcke, auch wenn sie eben nicht in der Mode sind, werden am angemessensten sein. Man besetzt sie während der tiefen Trauer vom Saume aufwärts bis zum Knie mit Crêpe. An den Taillen vermeide man Besätze und präge dem ganzen Anzuge den Stempel schlichtester Anmut auf. Der Schleier sei dicht und lang und diene nicht zur Zierde, sondern zum Verhüllen des Gesichtes. Von Schmucksachen sehe man ganz ab oder nehme doch nur das Allernötigste, wie etwa eine Broche oder ein Armband aus Jet oder Haararbeit.

Die tiefe Trauer um den Gemahl oder die Eltern dauert ein Jahr, danach folgt ein halbes Jahr gewöhnlicher und ein halbes Jahr Halbtrauer; während letzterer ist Weiß, Grau und Lila erlaubt. Um Großeltern, Brüder oder Schwestern trauert man meist nur 6 Monate, um Onkel oder Tanten 3 Monate. Doch wird diese Dauer nicht stets gleich sein können; denn wo man zu diesen Anverwandten in sehr naher Beziehung gestanden, vielleicht an demselben Orte mit ihnen wohnte, wird das natürliche Gefühl sie von selbst verlängern. Jüngere Kinder läßt man nur um Vater oder Mutter trauern und auch dieses nicht gar zu tief und zu lange. Bei dem Tode kleiner Kinder giebt es keine Vorschrift für die Länge der Trauerzeit; der Mutter aber ist erlaubt, ihrem Schmerze durch eine beliebig lange Trauer Ausdruck zu geben.

Daß Trauernde sich aller öffentlichen Vergnügungen zu enthalten haben, ist vom natürlichen Gefühle vorgeschrieben und bedarf eigentlich keiner Erwähnung. Ebenso selbstverständlich ist es, daß eine Witwe nicht während der Trauer heiratet, und sollte sie auch wirklich keine Ursache haben, den erlittenen Verlust jahrelang zu beweinen.

Gegen einen Witwer ist man milder, und wenn er nach Ablauf eines halben Jahres die Trauer ablegt und wieder heiratet, so verstößt er dadurch keineswegs gegen die allgemeinen Ansichten von guter[156] Sitte. Wir, von unserem Standpunkte aus, meinen allerdings, daß es durchaus nicht zuviel verlangt ist, wenn ein Mann um das Weib, dem er vor dem Altare ewige Treue schwur, wenigstens ein Jahr lang trauert.

Bei unaufschiebbaren Freudenfesten in der Familie oder im Freundeskreise, wie Hochzeiten, Jubiläen u.a. pflegt man, wenn die Teilnahme durchaus nicht umgangen werden kann, die Trauer für einen Tag auszusetzen; denn das dunkle Gewand paßt schlecht zum Festestrouble. So wenig beanstandet dieses im allgemeinen wird, so finden wir es doch angemessener, die Beteiligung an solchen Festivitäten auf jeden Fall abzulehnen. Wer aber dennoch genötigt ist, unter den Feiernden zu sein, bleibe eingedenk, daß mit dem Kleide nicht auch die Trauer des Herzens ausgezogen werden darf, und daß die ganze Haltung eine ernste und ruhige bleiben muß. Selbstredend wird die Trauerkleidung nach dem Feste sofort wieder angelegt.

Freunde und Bekannte finden sich im Laufe der ersten vier Wochen nach dem Begräbnisse zur Besuchszeit im Trauerhause ein, um nochmals ihr herzliches Beileid auszusprechen. Bei diesen Besuchen legen die Damen schwarze Toilette an, die Herrn sind im Besuchsanzuge mit schwarzen Handschuhen. Der Gesprächsstoff ist durch den traurigen Vorfall gegeben, doch hüte sich der Besucher durch taktlose Fragen oder ungeschickte Trostesworte Anstoß zu erregen. Sein Benehmen sei ernst, einfach und herzlich. Allgemeine Redensarten von der Vergänglichkeit des Irdischen, vom Fügen in das Unvermeidliche u.a.m. haben wenig inneren Wert und sollten darum von denen, die über dem Niveau der Menge stehen, ganz vermieden werden. Es giebt kaum etwas Schwereres, als jemanden wahren Trost über den Verlust eines geliebten Menschen zuzusprechen. Der einzige stichhaltige Trostgrund ist die Religion, und wohl dem, der sich so fest in der Gottesgemeinschaft fühlt, daß er vertrauensvoll auch diesen bitteren Kelch aus der Hand des Allmächtigen hinnimmt.[157]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 154-158.
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