Braunschweig.

[51] Herr Quartal, der in Prag den Hanswurst spielte, erhielt aus Braunschweig Briefe von Herrn Nicolini, daß er eine deutsche Komödie hinbringen solle. Quartal engagierte uns nebst noch fünf Personen von der Gesellschaft, die übrigen verschrieb er aus Dresden, und so kamen wir glücklich in der Fasten 1755 in Braunschweig an. Sicher hätte es da länger als nur ein Jahr gedauert, wenn es Quartal nicht selbst verdorben hätte. Er hat nur für sich gesorgt, nicht aber für die Gesellschaft. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich alle die schlechten Streiche anführen wollte. Genug, sei es gesagt, daß wir wochenweis engagiert und monatweis ausgezahlt wurden, zweitens, daß Quartal Advent und Fasten halbe Gage ausgemacht, wir, ungeachtet wir den ganzen Advent gespielt, haben doch nur halbe Gage bekommen. Meine Eltern konnten also auch keine Seide spinnen, ungeachtet das ganze Jahr die Gage richtig ausgezahlt wurde, und ihr Schaden belief sich dadurch auf 70 fl., ohne die Fastengage zu rechnen.

In Braunschweig erhielt ich die Bekanntschaft einer rechtschaffenen Witwe, sie hieß Günther, wohnte mit ihrer einzigen Tochter Friederika, einem lieben Mädchen von 18 Jahren, bei ihrem Bruder, der die Aufsicht über die Domprobstei hatte. Die Tochter war versprochen mit Herrn Carl Fleischer, der nachher Hofbaumeister ward. Friederika und ich, wir wurden einander so notwendig, daß wir fast täglich, wenn ich in der Komödie nichts zu tun hatte, beisammen waren. Noch hatte von allen Bekanntschaften, die ich gemacht, keine einen solchen Einfluß auf mein Herz gemacht, und der Namen meiner Mamsell Günther schwebte mir immer so auf der Zunge wie in dem Herzen.

Endlich kam die Fasten heran 1756, und meine Eltern hatten in Magdeburg bei dem Herrn Schuch wieder Engagement gefunden. Noch war ich von keinem Ort gereist, den ich so ungern verließ wie Braunschweig. Bei meiner Günther hatte ich keine Worte, so bereit sonst immer mein Mund war, nur Tränen. Wir hielten uns den ganzen Nachmittag und[52] Abend in einem weg umschlungen und weinten. Die gute, alte Mutter Günther sah uns zu und weinte in unsere Tränen. Kaum, da es nachts um 1/211 Uhr war, ich mich von ihr losreißen konnte. Sie gab mir ihre Adresse und sagte. »Sie werden mir doch schreiben, liebes Karlinchen?« »Gewiß,« antwortete ich, und so brachte sie mich endlich mit ihrem Bräutigam nach dem Haus meiner Eltern, wo sie sich mit Gewalt aus meinem Arm riß. Dieses war der erste Bund der Freundschaft, den ich errichtete, der erste, der den stärksten Eindruck auf mein junges Herz gemacht hatte. Ich hatte an jedem Ort, wo ich gewesen, Wohltaten genossen und solche dankbar gefühlt; aber gegen das, was ich für Rikchen empfand, war es alles nichts. Auch natürlich, nun war ich zehn Jahre, und mein Charakter, mein Denken erhielt mehr Festigkeit, mehr Stärke.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 51-53.
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