Cassel.

[150] Herr Ackermann nahm Extrapost und fuhr voraus, kam anderthalb Tage eher wie wir nach Cassel. Endlich kam die Reihe auch an uns. Nachdem wir von Frankfurt aus 10 Tage zugebracht, sahen wir Hessen-Cassel und ladeten uns ab vor das Prinz Maximiliansche Palais, das uns zur Wohnung angewiesen war. Wir kamen spät des Abends, also konnten wir, ohngeachtet wir nun an Ort und Stelle waren, auch nicht einen Bissen Brot bekommen. Keiner hatte mehr einen Bissen, bis auf Madame Ackermann, die sagte: »Da, Kinder, will ich mit euch den Rest teilen.« War noch so gegen ein Pfund Käse und Brot. Schmeckte uns gut. Nun wurden im Palais die Zimmer angewiesen an alle, die wir da einlogierten. Die Franzosen hatten's häßlich mitgenommen. Ich mit meiner Mutter und Bruder bekamen der Prinzeß Charlotte ihre Zimmer. Da standen zwei Bettstellen mit frischem Stroh und zwei grünen Fußdecken in jeder Ecke. Ach, du lieber Gott! Nach der harten Reise nicht einmal ein Bett! Denn eigene Betten, wo die hernehmen? Und den anderen Tag darauf mußte schon Komödie und Barett sein. Für Geld keine Betten in ganz Cassel zu haben. Und die man hätte haben können, wer hätte es gewagt, in solchen zu liegen? So brachten wir also lieber unsere müden Knochen in reines, gutes Stroh und lagen darauf vier Wochen. Viele haben, so lange wir in Cassel waren, auf Stroh kampieren müssen. Endlich, nach vier Wochen, lernte mein Bruder vom Hof jemand kennen, und wir bekamen treffliche Betten vom Hof aus. Wer nur immer warten kann.[150]

Für H. Ackermann war Cassel unglücklich ausgefallen. Er hatte den Fehler begangen, mit dem Durchl. H. Landgrafen keinen Akkord zu treffen. H. Ackermann kannte seine Gesellschaft und sagte zum Herrn: »Euer Durchlaucht sollen erst meine Komödie sehen, und dann weiß ich, was ich für einen Herrn vor mir habe.« Verspricht dem Fürsten, in Zeit von 8 oder 10 Tagen, daß wir da sein sollten. Laß es auch 14 Tage gewesen sein. H. Ackermann ritt den Fußsteig, und alles war steinhart gefroren, und wie er zu uns kam und wir reisen wollten, kam Tauwetter. Nun konnten wir nicht über den Rhein. Und wie wir nach acht und mehr Tagen später hinüberfuhren, hat uns der liebe Gott beschützt, daß uns die Eisschollen nicht um und um warfen. H. Ackermann schrieb an den Hofmarschall. Der aber war tödlich krank geworden und hatte es vergessen, dem Fürsten zu melden. Nun waren wir in allem 16 Tage auf der Reise. Der Fürst, der nichts von uns wußte, hielt H. Ackermann für einen Lügner und verschrieb sich Italienische Oper Comique.

Kurz, wenn ein Unglück einen ehrlichen Mann treffen soll, so trifft es ihn. Ackermann hatte seinen Brief vom Hofmarschall, der sich nur noch so eben besinnen konnte und auch den Tag darauf in die Ewigkeit ging. Dem H. Landgrafen war es leid; aber die Italiener waren verschrieben und akkordiert, Ackermann aber mit uns nicht.

Nun spielten wir. Gewiß mit Beifall; aber trotz das Haus immer gut besetzt war, so dauerte es nur wenige Wochen. Der Sommer kam; der Herr reiste fort, so auch der Adel. Von Militär waren auch viele beurlaubt. Und Bürger und Stadtleute brachten nicht das Salz aufs Brot ein. Da lagen wir still. Das war die Lage des Ganzen.

Bei diesem gleite ich bald weg. Denn ich will nun einmal, um mir die Grillen bei einstigen Stunden zu vertreiben, alles das Gute und Böse zusammentragen in eins, was der Himmel über mich verhängt hatte. Wir waren wenige Wochen da, als mein Bruder das Unglück hatte, zu fallen und sich den Fuß auszusetzen. Der lag da, und meine Mutter wurde auch krank. Magd hatte ich nicht. Keine würde ihren gewissen Dienst bei einer Herrschaft verlassen haben, um zu[151] uns auf einige Wochen oder Monate zu ziehen. Und die man hätte haben können, vor denen hatte man uns so Angst gemacht, wie vor den Betten. Mithin lag nun die ganze Last auf mir. Ich war auch alles: Köchin und Krankenwärterin, mein Friseur, meine Kammerjungfer. Ich trag's Wasser vom Brunnen zwei Treppen hoch, hackte Holz, tanzte und probierte im großen Saal, indem ich dazu in der Schürze das Suppenkraut und Gemüse putzte. Hatte alle Tage fast eine neue Rolle, denn ich mußte nunmehr ins Fach der ersten Liebhaberinnen, da Madame Hensel fort war und ich meist immer die Mädchen machte, und lieferte in Zeit von 14 Tagen bei all der Arbeit Herrn Ackermann die Sara aus »Miß Sara Sampson«, die Lindane aus der »Schottländerin« und die Pamela aus der »Pamela«. Die kleineren Rollen, als eine Mariane im »Geizigen«, Lieschen in den »Drei Brüder als Nebenbuhler« usw., die rechne ich gar nicht mit. Laß mir das jetzt noch eine von allen unsern Damen auf dem Theater nachtun. Und dabei war ich munter, lustig und fröhlich, denn ich hoffte auf Gott, daß Mutter und Bruder würden wieder gesund werden. Hätten sie mich beide traurig gesehen, so würden sie gedacht haben, ich tue es nicht gerne. Und Gott weiß es, daß ich's von Herzen tat. Sie wurden auch besser. –

Da in Cassel zuweilen einige Offiziere aufs Theater kamen, frugen sie mich einmal, warum man mich denn nirgends sehe? »Ja, wo soll ich hin? Kenne niemand.« »Ei, Sie müssen Cassel mehr kennen lernen.« »Das soll mir lieb sein, wenn es mit Anstand geschehen kann.« Herr Leutnant Wolf von den Husaren veranstaltete bald eine Spazierfahrt. Es wurden zwei Wagen geschickt. H. und Madame Kirchhoff, meine Mutter, Bruder und ich, wir fuhren fort. Wir kamen nach dem dort wohlbekannten Ort, wo der Fischfang ist. Herr Leutnant Wolf war da nebst einem Herrn Grafen von der Lippe und noch einem Herrn Offizier, dessen Name mir nicht mehr einfällt. Nachdem Kaffee getrunken war, gingen wir zusammen spazieren. Wie wir wieder nach dem Hause zurückkamen, siehe da, da waren einige Musikanten, und wir fingen an zu tanzen. Nachdem wir getanzt, wurde gefragt, ob's gefällig wär, daß die Tafel sollte gedeckt werden? »Ja.«[152] Wir setzten uns zu Tisch und ließen uns wohl sein. Wir mochten wohl eine Stunde gesessen haben, da kam ein Bedienter ins Zimmer und sprach sachte dem Herrn Leutnant Wolf ins Ohr. Der Leutnant Wolf sagte darauf laut: »Eben sagt mir mein Kerl, daß der Herr Baron von Dalwig unten ist. Er ist ein sehr artiger und rechtschaffener Kavalier und mein Major. Wenn Sie nichts dagegen hätten, wollte ich hinuntergehen und ihn bitten, ob er mit von unserer Gesellschaft sein wolle.« Wir alle sagten Ja, und der Herr Leutnant brachte den Herrn Major zu uns. Der Herr Major setzte sich mir zur linken Seite, war der, der den ganzen Tisch über am wenigsten sprach und in allem seinem Wesen eine außerordentliche Stille bezeugte – so still, daß ich mich ordentlich scheute, munter zu sein. Wir standen endlich alle auf, die Tische wurden weggeräumt, und nun tanzten wir wieder und tanzten die ganze Nacht durch bis zum hellen Morgen, da es sechs Uhr geschlagen hatte. Zu versäumen war nichts, denn es war Sonntag, wo doch nicht gespielt wurde.

Den Sonnabend darauf hatte uns der Major invitiert, nicht allein uns fünf, die wir vor acht Tagen beisammen waren, sondern auch Madame Ackermann, ihre älteste Demoiselle Tochter und noch eine Demoiselle Catharina, die nachher Herrn Courte, einen Tänzer, heiratete. Wir fuhren nach des Herrn Majors Haus, er war und lag mit seinen Husaren auf dem Lande. Aber wie stutzten wir; vor acht Tagen waren wir nur so wenige, und nun fanden wir in dem Saal alle hessischen Stabsoffiziere: nur der einzige Leutnant Wolf, die anderen alles Hauptleute, Majors, usw. So verlegen wir Frauenzimmer auch erst waren, so wurden wir bald munterer. Aber was machte es? Die Wohlerzogenheit und das edle Betragen, das jeder auf das strengste beobachtete, o, wüßten's die Herren, wie gut ihnen das läßt, wie unendlich mehr sie gewinnen, als wenn welche so ausgelassen und ungezogen wild sind. Musik war auch da, und nun ging's ans Tanzen. Ich war warm geworden und trat nun an ein Fenster, um mich abzukühlen. Der Major kam zu mir. »Nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht krank werden! Ich[153] würde es mir sonst niemals vergeben. Sie verzeihen doch auch, daß ich diese kleine Lustbarkeit veranstaltet? Nur allein Ihretwegen, – haben so viel Arbeit und gar keine Veränderung.« Ich antwortete dem Herrn Major auf dieses verbindliche Kompliment, wie ich glaubte, daß es sich schickte. Er senkte das Gespräch so gut wie möglich von allen Komplimenten ab und lenkte es bald auf andere Gegenstände. Wir sprachen von sehr gleichgültigen Dingen und fanden doch so viel Vergnügen, einander zu fragen und zu antworten, daß wir noch länger so fort geschwatzt hätten, wenn nicht der Bediente gesagt hätte: »Das Essen steht auf dem Tisch.« Er führte mich zur Tafel, so wie jeder ein Frauenzimmer zur Tafel führte, und die Mahlzeit ging so munter fort, daß es eine Lust war, zuzuhören. Wenn nur der Major mehr teil daran genommen, der der Stillste unter allen war. Nach der Tafel wurde wieder getanzt, bis des Morgens sechs Uhr. Nun wurden zum Frühstück eingemachte Hühner verzehrt, und alles freute sich, daß wir so gesund und wohl waren. Keiner müde oder schläfrig – und wer hätte da müde sein können? Um sieben Uhr fuhren wir alle nach Hause.

Den Montagmorgen ließ er sich nach meinem Befinden erkundigen. »Von Herzen wohl,« war die Antwort. Den Abend kam er aufs Theater; er bedankte sich bei uns, wir uns bei ihm, und indem er weggehen wollte, wendete er sich wieder um und sagte: »Bald hätte ich was vergessen. Einer meiner Freunde, der mit in der Gesellschaft war, ist verreist und hat mir für Sie ein Andenken dagelassen, weiß wahrhaftig nicht, was es ist, will's Ihnen aber morgen zuschicken.« Und damit ging er fort. Den andern Tag des Mittags bringt ein Bedienter einen großen Pack, legte solchen auf den Tisch und lief die Treppe hinunter. Ich sprang die Treppe hinunter zu Madame Ackermann und sagte: »O kommen Sie doch geschwind zu mir herauf!« »Was gibt's?« »Ach kommen Sie doch nur, ich habe ein Präsent bekommen.« »Was ist's?« »Ja, das weiß ich selbst noch nicht. So kommen Sie doch nur!« Sie ging mit mir, und nun packte ich aus. Zu drei Kleidern Taft und Stoff, Brabanter Spitzen, gestickte[154] Manschetten, Band, Handschuhe und Gott weiß was alles. Die Ackermann freute sich mit mir. »Gönne es Ihnen; denn Sie verdienen es.«

Den Tag darauf kam er wieder auf's Theater, ich wollte ihm mein Kompliment machen, er aber sagte: »Mir ja nicht! Ich weiß von nichts, was mein Freund getan hat.« Einige Tage gingen vorbei, und wir sahen niemand. Darauf schickte er und ließ sich melden, ob wir ihm erlauben wollten, uns seine Aufwartung zu machen. Ich sagte: ja. Er kam, doch sprach er wenig oder nichts. Sah mich nur zuweilen an, – aber mit Blicken, daß mir angst und bange wurde. Oft stand er in tiefen Gedanken versunken, wischte sich eine Träne aus dem Auge, ergriff meine Hand, wollte sie küssen, ließ sie wieder fallen, bat um Vergebung und eilte fort. Solche Visiten bekam ich fast täglich von ihm, ich wußte oft nicht vor Angst, was ich anfangen sollte. Ich machte oft einen Spaß daraus, ob's mir gleich selbst nach und nach nicht spaßlich war, und sagte: »Nun, schwärmen Sie einmal wieder?« Da wurde er böse, fing an, sich mit mir zu zanken und sagte: »Sie spotten meines Elends,« schwur, mich nie wiederzusehen, und war den andern Tag wieder da. Und dieselben Auftritte! Nur Furcht, Furcht für Liebe, als wenn's mir mein Herz zum voraus gesagt hätte: »Hüte dich für Liebe, sie macht dich unglücklich, wirst ihr Opfer,« die hielt mich. Der Major war liebenswürdig, ohne schön zu sein. Aber seine Bescheidenheit – und das hatte auf mich den einzigen Eindruck, wo man mein Herz hätte fesseln können. Doch war ich auf meiner Hut und traute nicht. Will dich verführen, dich unglücklich machen. Ich verbarg auch den kleinsten Funken von Zuneigung und scherzte, und machte Scherz aus allem, was er mir sagte. Aber eines Morgens schickte er mir ein Billett, der Inhalt war ernsthaft. Mit dürren Worten sagte er mir: »Sie hassen mich, hassen mich und haben mich dadurch zu dem unglücklichsten Menschen gemacht. Nur aus Höflichkeit erlauben Sie mir den Zutritt zu Ihnen; Gott vergebe es Ihnen, aber er kann nicht.« Gott weiß es, wie mir war. Hassen? Ich? Dich? – Ach Gott, könntest du mein Herz sehen, wie es bebt zwischen Liebe und Furcht! Ich antwortete dem Major nicht.[155]

Den anderen Tag kam er selbst. Da die Sache anfing, so ernsthaft zu werden, hörte ich auf zu scherzen; denn es tat ihm zu weh. »Herr Major, was wollen, was denken Sie von mir? Und wenn ich Sie liebte, darf ich Sie lieben? Wo sind Sie? Und wo bin ich? Ich arm, nicht vom Stande, aber ehrlich, das einzige, was ich habe. Sie reich, von Adel, haben eine Mutter, die –« »Meine Mutter, o, die beste Frau. Nur lieben, lieben Sie mich, einzige Karoline!« Seele und Seligkeit setzte er zum Pfande, mich nicht zu hintergehen. »Sollen mein Weib, mein liebes Weib werden, nur jetzt noch nicht, nicht meiner Mutter wegen, nein, aber meiner Tante; von ihr hängt der größte Teil meines zeitlichen Glückes ab; sie ist in allem das Gegenteil meiner Mutter. Nie würde sie in unsere Verbindung willigen. Und gesetzt, ich wollte mich heimlich mit Ihnen trauen lassen, das darf ich nicht ohne Vorwissen des Landgrafen. Ein gemeiner Soldat, der es tut, – steht die Kugel vor den Kopf darauf, und bei einem Offizier, daß er vorher infam kassiert wird.« Ist das nun alles wahr, was der Major zu mir gesagt, so hatte er recht, doch ich nicht weniger. So sehr ich ihn von Herzen liebte, so sehr schauderte ich zurück vor dem Wort Mätresse. Nie haben wohl je ein paar Verliebte ihre Stunden, die sie sich sahen, so in einem immerwährenden Gezänke hingebracht, wie wir beide. Da saßen wir beide wieder da, sahen einander an und weinten.

In diesen mehr traurigen wie vergnügten Tagen mußte sich eine neue Zwischenszene zutragen. Ich saß so in tiefen Gedanken da, die alle meinem lieben, teuren D. gehörten, als mit einmal unser Zimmer aufgerissen wurde und Madame Ackermann mit Schreien und Weinen zu uns hineinstürzte, die Haare flogen ihr um den Kopf herum. Kurz, nie hatten wir sie so gesehen. Ihre Anrede war: »Wollt Ihr mich auch unglücklich machen, nun, so sagt's mir heraus! Alles vereinigt sich hier, um mich zu stürzen, ich armes, unglückliches Weib! Mein Mann ist nicht hier, auf mir liegt alles, alles verfolgt mich hier.« »Aber so sagen Sie doch nur, was Sie von uns wollen! Verfolgen wir Sie denn auch? Womit?« Sie weinte gewaltig und frug uns, ob wir denn von nichts wissen,[156] was in dem Hause vorgeht. »Ich glaube, Madame es ist Ihnen bewußt, daß wir uns um nichts bekümmern, was andere tun und lassen.« »Also wissen Sie nicht, daß die meisten fort wollen? Kirchhoff und seine Frau, Garbrecht und seine Frau, Wolfram, Koch, Curioni und Frau wollen fort, haben aufgesagt. Geht Ihr nun auch und mein Mann kommt zurück und hat wieder einen neuen Ort, so haben wir doch keine Leute. Meine Tochter ist ein Kind, ich bin allein, und die Doebbelin, was kann die? Also, sagt's nur, wollt Ihr mich ganz ruinieren, wenn auch Ihr geht?« »Madame, ich sehe, Sie sind außer sich, setzen Sie sich! Ackermann, Ackermann, wann werden wir uns kennen lernen? Wenn wir Lust gehabt hätten, Sie zu ruinieren, so hätten wir es in Mainz gekonnt, da aufgesagt. Da, Madame, lesen Sie.« Ich gab ihr die Nota zum Durchlesen. – »Nun, Madame, haben wir was davon gesagt? Nur einen Groschen Zulage verlangt zu unsern 12 Gulden? Haben wir Ihnen hier noch eine verdrießliche Miene gemacht? Quälen wir Sie um Geld? Nehmen wir nicht ohne Widerreden das, was Sie uns geben können? Und so kommen Sie zu uns, mit dem Ungestüm! Ob wir Sie mit ruinieren wollen?« Die Ackermann fiel mir um den Hals und sagte unter vielen Tränen: »Mädchen, das vergesse ich dir nie. Das hätte ich nie gedacht!« – »Madame, Sie rissen uns aus der Not in Cöln. Das war die Vergeltung dafür. Auch gestehe ich Ihnen, wir hätten Wien nicht ausgeschlagen, wenn nicht so viele abgedankt hätten. Dann hätten Sie uns müssen kennen. Nun seien Sie meinetwegen ruhig. Glauben keinem, der Ihnen sagt: ›Schulzes gehn fort‹, bis wir's Ihnen selbst sagen! Wir bleiben, und wenn noch mehr gehen, und wenn ich mit meinem Bruder zusammen in einem Stück vier Rollen liefern sollten, wollen wir's tun, bis Sie wieder mehr Leute haben, oder Sie müßten sagen: ›Ich kann mein Werk nicht länger mehr fortsetzen, seht Euch um ein anderes Brot um.‹«

Gewiß sehr getröstet ging Madame Ackermann von uns, wie glücklich wär ich gewesen, wenn ich nicht geliebt hätte! Kaum war das vorbei, kam mein D. Nun gingen neue[157] Szenen an. »Aber,« sagte er zu mir, »wollen Sie denn allein für mich nichts, gar nichts tun?« »Ja, liebster D., hören Sie zu, was ich mich entschließen will. Lassen Sie mich reisen, verlassen Sie sich auf meine Treue, nie, nie, will ich sie brechen! Und sobald Sie möglich machen können, daß ich, ohne strafbar zu werden, ganz die Ihre werden kann, will ich kommen.« Dieses ging ihm nicht in den Kopf, denn er war eifersüchtig im höchsten Grade. »Nun, wohlan, wer weiß, was noch kommt! Schicken Sie mich in ein Kloster, wo ich niemand als Frauenzimmer zu sprechen bekomme. Können Sie es aber niemals möglich machen, mich zu besitzen, oder sollten Sie wankelmütig werden und sich mit einer andern verbinden müssen, so soll das Kloster mein ewiger Aufenthalt sein, und ich nehme den Schleier an.« Auch das wollte er nicht. »Ich Sie in einem Kloster zu wissen? Eingesperrt zu sein, ich Sie vor einem eisernen Gitter sprechen! Nein, das kann ich nicht tun; ich will Sie nach Minden bringen, dort sollen Sie alles haben. Ich schwöre Ihnen, so wahr Gott mir helfen soll, ich will nicht aus meinen Grenzen schreiten, nicht einen Kuß, wenn Sie ihn mir nicht selbst geben wollen.« Vielleicht sagte er in diesem Augenblick die Wahrheit, aber konnte ich dieses auch für die Zukunft einem jungen Mann von 24 Jahren glauben? Meine Mutter wußte von allem. Sie hatte zu mir gesagt: »Du bist vernünftig und wirst wissen, was du zu tun hast. Sie haßte ihn so wenig, als ich gewiß war, daß ich ihn liebe.« Doch er warf einen Haß auf meine Mutter und glaubte, sie gäbe mir die Ratschläge. Denn ein Mädchen von noch nicht achtzehn Jahren, die ihm sagte, daß sie ihn liebte, konnte nach seiner Meinung keine solche ernsthafte Sprache führen. Nun sagte ich: »Wohlan, ich will nach Minden, aber meine Mutter muß bei mir sein.« Das wollte er durchaus nicht. Nun kamen wir wieder in einen heftigen Wortwechsel. Ich sagte ihm: »Ihren Rang, Ihr Vermögen liebe ich nicht, noch viel weniger den Titel, eine gnädige Frau zu heißen. Genug, daß Sie mir meine Ruhe geraubt; wollen Sie machen, daß ich die Pflichten einer Tochter vergessen soll? Vor der Leiche meines Vaters schwur ich ihr, daß sie, so lange Gott ihre[158] Jahre fristen würde, nicht von mir kommen sollte. Wenn Sie mir auch so viel geben, daß meine Mutter im Ueberfluß lebte, so könnte ich sie nimmermehr so kränken, daß sie beständig vor der Schande ihrer Tochter zittern sollte. Doch Sie wollen sie nur deswegen von mir entfernen, weil Sie glauben, daß, wenn ich allein, ohne Schutz wäre, Sie desto leichter Ihren Sieg über meine Tugend erhalten würden.« Er fiel mir ins Wort: »O Himmel, was für ein verfluchter Mensch bin ich in Ihren Augen. Gut, ich will Ihnen meinen verhaßten Anblick entziehen. Nun muß ich mich glücklich schätzen, daß ich Sie aufgebracht gesehen; nun weiß ich doch, vor was Sie mich halten. Leben Sie wohl, ewig wohl! Geht es Ihnen nicht nach Wunsch, so denken Sie, Sie haben es an Ihrem unglücklichen Dalwig verdient. Quälen und plagen Sie sich immerfort; Sie wollen es nicht besser haben. Gott weiß es, ich bin redlich, oder –« Hier tat er einen schrecklichen Schwur; mich schaudert, solchen niederzuschreiben. Darauf weinte er, Verzweiflung war in allen seinen Mienen und Gebärden, eilte aus meinem Zimmer, und so, so verließ er mich.

Nun war ich allein! Gott, welche Augenblicke! O Dalwig, Dalwig, welch eine Vorhersehung gab dir die Worte ein, die du mir damals sagtest! An dir habe ich mich versündigt, meine Begriffe von Tugend waren zu strenge. Auch als deine Geliebte, selbst als deine Mätresse wär' ich glücklicher gewesen, als ich nach Jahren wurde, ich wär' nicht weniger tugendhaft geblieben. Wehe der Tugend, die nie einem Mann gelächelt, nie lächeln konnte. Doch es sollte wieder so sein. Doch weiter in meiner Geschichte! Den Tag darauf kam wieder ein Brief von ihm. Mit zitternden Händen erbrach ich solchen und fand darin folgenden Inhalt: »Harte Karoline, hier in diesem Blatt nehme ich von Ihnen auf ewig Abschied. Weil Sie mich doch nicht lieben können, oh, so hassen Sie mich wenigstens nur nicht! Kann ich Ihnen jemals dienen, so werde ich bereit sein, werde nie aufhören, Ihr Freund zu sein. Sie sehen klar, daß ich mich jetzt nicht mit Ihnen verheiraten konnte; sonst hätte ich's wahrlich getan. Allein, ohne des Regiments Wissen darf ich es nicht tun oder[159] ich würde für infam erklärt. Und so wie Ihnen Ihre Ehre über alles ist, so geht sie auch mir über alles. Meinen Abschied bei dem Fürsten kann ich fordern. Der Erbschaft, die ich zu hoffen habe, würde ich Ihretwegen gern entsagt haben. Ja, selbst des Vermögens von meiner Mutter. Da mir also alles, Sie zu besitzen, fehlgeschlagen, kann ich Sie, darf ich Sie nicht wiedersehen. Leben Sie wohl und vergessen Sie Ihren durch Sie unglücklichen Dalwig!«

Mein Glück war, da ich dieses las, daß ich ganz allein war und den Bedienten vor der Tür warten ließ. Ich fiel auf meine Knie. Gott, Gott, ich soll ihn nicht mehr sehen. Das gestrige Gespräch sollte mein Abschied von ihm gewesen sein? Was soll, was kann ich tun? Oh, Dalwig! Oh, Tugend, oh Ehre! Ich raffte mich zusammen und ging zu dem Bedienten hinaus und fragte ihn: »Wo ist der Herr Major?« »Ich weiß es nicht, er gab mir den Brief an Sie und sagte, er wolle verreisen. Ob er noch da oder schon fort ist, weiß ich nicht.« Ich dachte, unsinnig zu werden über die Nachricht, lief ins Zimmer und schrieb ihm. Was ich schrieb, weiß ich selbst nicht mehr; doch so viel erinnere ich mich vom Hauptinhalt, daß ich ihn bat, er möchte wieder zurückkommen, ich hätte mich entschlossen, alles, was ich könnte, für ihn zu tun. Meine Ehre, Namen, alles schlüge ich für ihn in die Luft. Er sollte mich nur noch ein einziges Mal sprechen. Ich hätte ihm noch etwas zu sagen, und dieses würde er billigen. Dieses war mein Brief.

Den andern Tag zog ich von ihm Erkundigungen ein; oder wollte vielmehr Nachricht von ihm einziehen. Denn der Ungestüm war bei mir über, ich dachte nach. Dalwig weiß, daß du ihn liebst, hat er dich auch nur erschrecken wollen? Ich schickte mit einem Vorwand nach dem Leutnant Wolf. Daß ich hoffte, ihn vor meiner Abreise noch einmal zu sehen, denn Herr Ackermann hätte geschrieben, daß er bald kommen würde, um mit uns nach Braunschweig zu reisen. Der Leutnant Wolf wußte kein Wort, was zwischen dem Major und mir vorgefallen. Bald, als er kam, wußte ich das Gespräch auf den Major zu lenken, indem ich zu Wolf sagte: »Wo mag er denn sein? Ich wünschte doch so gern, auch von ihm noch[160] Abschied zu nehmen.« »Ja, das mag Gott wissen, was dem Major jetzt fehlt, keiner von uns allen kennt den mehr. So war er noch nie! Heute Morgen erfuhr ich, daß er gestern wie unsinnig von seinem Dorf fortgeritten. Er ritt bei dem Gute (den Namen habe ich vergessen) vorbei. Der Besitzer davon lag an dem Fenster, rief ihn an und bat ihn, heraufzukommen. Er ließ sich bereden, es war große Gesellschaft da, sie spielten, und der Major verlor 100 Dukaten. Soll wie ein toller Mensch gespielt haben. Wie wir weg waren, ist er wieder fortgeritten, und gesagt, er hätte eine kleine Reise vor, aber notwendig, und weg war er.« – Ich saß bei dem Gespräch wie im Feuer, nahm zum Husten meine Zuflucht, denn ich fühlte die Glut in meinem Gesicht.

Der Leutnant ging bald fort und sagte: »Sollte ich erfahren, wo der Herr Major ist, will ich ihm Ihre Abreise zu wissen tun.« – Mein Brief war ihm mit der Post nachgeschickt worden. Noch drei, drei lange Tage gingen hin. Ackermann kam auch, und wir sollten reisen. Wer je geliebt hat, so geliebt wie ich, kann sich meinen Zustand denken. Endlich, nachdem ich ihn in vier Tagen nicht gesehen hatte, tritt er in mein Zimmer. Nur halbfröhlich und furchtsam war sein Blick. In mir war Freude – Angst, doch eilte ich ihm mit offenen Armen entgegen. Ohne es wehren zu können, lag er vor mir auf den Knien. »Hier bin ich,« sagte er, »um Leben oder Tod aus Ihrem Munde zu hören.« Ich hob ihn auf und schloß ihn in meine Arme. »Oh, mein Dalwig, mein wilder, wilder Dalwig, und so leicht können Sie Ihre Karoline verlassen!« Wir weinten beide, ich küßte seine Tränen, er die meinigen von den Wangen. Wir waren Kinder, Kinder der Liebe, der zärtlichsten Liebe. Er wollte sich anklagen, ich fiel ihm ins Wort: »Hören Sie mich, seien Sie ruhig! Sie haben meine beiden Vorschläge verworfen, nun will ich Ihnen den dritten tun. Ich spreche jetzt vor Ihnen, als ob ich vor Gott stünde. Ich liebe Sie, dies wissen Sie; doch machen Sie, daß ich Sie ohne Gewissensbisse lieben und mit Ihnen leben kann. Jetzt, wenn ich hier bliebe, würde es zu viel Aufsehen machen – will mit Ackermann bleiben, aber nicht länger, als bis die Messe in Braunschweig währt; denn er[161] selbst will nicht länger dableiben. Unter der Zeit bekommt er leicht jemand an meiner Stelle. Sie machen Anstalt, daß wir, es sei, wo es sei, in der Stille zusammengegeben werden. Nur meine Mutter soll es wissen, daß ich Ihre Gattin bin, sonst niemand. Mag mich alle Welt halten, für was sie will. Wenn ich nur vor Gott, vor meinem Gewissen rein bin, und, Dalwig, sollte sich je Ihr Herz ändern oder ich Ihrem Glück im Wege stehen, Sie mich nicht mehr lieben, oh, so will ich Ihnen an dem Tage, da Sie ganz der Meinige werden, durch den feierlichsten Eid zuschwören, mich nie der Rechte einer Gattin gegen Sie zu bedienen.« – Ich schwieg, er sah mich an und sagte endlich: »Und dies ist alles, was Sie noch tun können? Und glauben Sie, daß es so verschwiegen bleiben wird? Nein, das wird es nicht!« Wir stritten wieder gegeneinander; doch nicht so heftig wie vor vier Tagen. Was soll ich sagen? Ich las ja den Gedanken seiner Seele, ich sagte es ihm auch. »Wohlan, weil Sie dieses auch verwerfen, so weiß ich, ohne daß Sie mir es eingestehen dürfen, alles, was Sie befürchten. Sie glauben, daß, wenn ich mit Ihnen verbunden wäre, ich den Namen einer ... nicht würde ertragen können, ich vielleicht meinen Rang würde suchen zu behaupten, ich vielleicht auf Torheiten fallen würde. Wenn Sie das meinen, so können Sie auch nicht glauben, daß ich Sie liebe, sondern sehn mich für ein einbilderisches Mädchen an, die nur wünscht, gnädige Frau zu heißen. Nein, solche eigennützigen Absichten sind der Schulzen nicht würdig. Ich sehe also klar, wir müssen uns trennen. Doch denken Sie einmal, wenn Sie Ihre Augen auf eine eitle Puppe werfen, an die redliche und uneigennützige Schulze!«

Der Rest des übrigen Tages war nichts weniger wie vergnügt. Es wurde Abend, er wollte fort, und frug mich: »Wie lange werden Sie wohl noch hierbleiben?« »Ich weiß es nicht recht, Herr Major, noch drei oder vier Tage.« »Ich werde Sie noch jeden Tag sehen.« – »Das hoffe ich, das wünsche ich.« Er ging fort und kam den andern Tag auch wieder. Nicht lange war er da, als er anfing: »Nun, liebe Karoline, ich bin entschlossen! Doch etwas müssen Sie mir versprechen.« »Lassen Sie hören!« »Sie müssen mich noch einmal[162] besuchen.« »Ja, wie kommen Sie doch darauf? Von Herzen gern.« – »Ja, aber allein! – Ganz allein.« »Ich allein? Und warum, Herr Major?« »Daraus will ich schließen, ob Sie mich für redlich halten, denn noch weiß ich, gewiß trauen Sie mir nicht. Dieses soll der Beweis sein, ob Sie mich so sehr lieben, wie Sie sagen.« »Nein, Herr Major, das geschieht nicht, das wär wider allen Verstand.« Er schwur, doch alles half nichts. »Und wenn Sie sich Hände und Füße binden ließen, so geschähe es doch nicht. Denken Sie, was würden Ihre Bedienten denken? Und wenn Sie auch nicht aus den Schranken der Tugend wichen, so könnten doch die Leute sprechen, was sie wollten.« »Ich will alles entfernen.« »Desto schlimmer.« Nun war's wieder nicht recht, und war wieder ein Nachmittag, wie so viele andere, von Klagen, von Beschwerden.

Den Tag darauf kam er wieder, nach wenigen gewechselten Worten frug er mich: »Nun, wie lange bleiben Sie wohl noch hier?« »Ich weiß es nicht recht.« Denn ich war seit jenem Verlangen von ihm, daß er mir den Antrag machen konnte, zu ihm allein hinauszukommen, sehr ernsthaft geworden. Er hatte es gemerkt und schien Reue zu fühlen. »O Gott, ist es denn nicht möglich, daß Sie hier bleiben können?« »Nein!« »O Karoline, nicht so ernsthaft! Liebe, nur noch eine Bitte gewähren Sie mir, oh, schlagen Sie mir solche nicht ab, einziges Geschöpf. Hier sind zwei Goldbörsen, wählen Sie sie, damit Sie an nichts Mangel leiden, und wenn Sie nicht genug haben, lassen Sie mich's wissen!« »Herr Major, Sie beleidigen mich, wem habe ich geklagt über Mangel? Ich bedarf nicht viel, drum brauch ich auch nicht viel. Sie wissen, daß ich Ihr Geld nicht achte, und haben schon Beweise. Behalten Sie alles! Wollte Gott, ich wär reich und Sie arm. Nichts habe ich von Ihnen genommen seit der Zeit, da ich wußte, daß Sie mich liebten, wie Sie mich glauben machen wollen. Ohne Sie zu beleidigen, kann ich Ihnen das, was ich von Ihnen habe, nicht zurückgeben. Sie wissen die Art, mit der Sie's mir zuschickten. Doch das ist vorbei! Behalten Sie das Ihrige, damit Sie nicht einmal sagen können oder nur denken können, ich war nur eine Buhlerin, die versucht[163] hat, Sie zu schnellen, zu betrügen.« »Gott! Gott! Was sagen Sie, lassen Sie mir Gerechtigkeit widerfahren! Ich will ja nur, daß es Ihnen an nichts mangele. O meine Karoline, meine –« Er sank zu meinen Füßen, sein Kopf lag auf meinem Schoß, meine beiden Hände benetzte er mit seinen Tränen. »O lassen Sie mich sterben, zu Ihren Füßen sterben! Sonst kann ich Sie nicht überzeugen. – Welch ein elender Mensch bin ich geworden! Bin ich noch Soldat? Da lieg' ich zu den Füßen eines Mädchens, die kein Mitleid, kein Erbarmen mit mir hat. Mich wie einen bösen Hund von sich stößt. Wer von meinen Kameraden würde den Major Dalwig noch kennen.« O Gott, den Mann meines Herzens in dem Zustand zu sehen! Um Gottes willen bat ich ihn, aufzustehen, sich zu fassen. »Leide ich weniger wie Sie?« Mit all meinen Kräften half ich ihm, daß er aufstand. »Meine Karoline, o Gott, wie ist mir!« Ich sah ihn an, und kein Wunder wäre es gewesen, wenn ich von Sinnen gekommen wäre. Er war blaß wie der Tod, die Augen starr im Kopf, ich warf ihn auf mein Bett. »O Gott, Dalwig, Dalwig, was ist Ihnen?« Er hörte nicht, sah nicht. Ein kalter Todesschweiß, wie Perlen, stand auf seinem Gesicht und Händen. Ich war außer mir, meine Mutter kam auf mein Geschrei. Ihr Schreck war nicht gering. »Oh, daß ich stürbe hier, hier, an der Seite des einzigen Mannes, den ich geliebt – meine erste, einzige Liebe, wahre Liebe, wie elend hat sie mich gemacht!« Mein Geliebter kam nach vieler Mühe, die wir angewandt, nach einer langen Stunde erst wieder zu sich. »Soll ich Ihnen danken oder nicht; warum ließen Sie mich nicht in den Armen des Todes? Mir war wohl, und das wünschen Sie ja.« »Nicht so, Lieber!« Er sprach und ich den Nachmittag wenig. Darauf ging er fort.

Es war an einem Donnerstag, und meine Mutter hatte gehört, daß wir den Sonnabend fortreisen würden. Dieses hatte der Major noch nicht gehört. Ich wagte nicht, es ihm zu sagen. »Sehe ich Sie noch wieder?« Nur meine Augen sahen ihm nach, so weit ich ihn sehen konnte.

Freitag und Sonnabend hörte ich nichts von ihm. Den Sonnabend, noch spät des Abends, kam der Herr Leutnant[164] Wolf vor unserm Haus vorbei. Er sah mich am Fenster und frug mich, wann wir reisten. »Morgen mit dem Frühsten. Haben Sie den Herrn Major nicht gesehen?« »Ja, ich ließ ihm gestern keine Ruhe, und da mußte er mit mir meiner Schwester (die sich erst verheiratet hat und mich hier besuchen will mit ihrem Mann) entgegenreiten. Sie kam erst heute morgen. Wir baten ihn, er sollte heute noch bei uns bleiben, er schlug es aber wegen wichtiger Verrichtungen aus.« Ich bat den Leutnant, mich dem Herrn Major zu empfehlen, und das sagte er zu, und so nahmen wir Abschied. Im Herzen hatte ich gewünscht, daß Wolf seiner Schwester allein entgegengeritten wäre, und wie gut wär's gewesen! Denn was tat mein Dalwig? Er wußte nicht anders, als daß wir den Sonnabend reisen würden, weil er mich also den Freitag nicht gesprochen, so ritt er den Sonnabend auf der Landstraße herum, mich einzuholen und noch ein Stück Wegs zu begleiten. Wir reisten den Sonntag früh, mußten fort ohne Abschied. Wie mir war? Wie mir wurde, als ich sein Haus in der Ferne liegen sah? – So war ich noch nie gereist.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 150-165.
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Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

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