Erstes Auftreten bei Koch.

[258] Der 22. April war also für mich der große Tag. Das Haus war gedrängt voll. Im ersten Akt waren die Zuschauer unruhig, denn es schien, als ob sie nicht den ersten Auftritt des zweiten Aktes erwarten könnten, bis ich kam. Ich trat mit Madame Brückner auf. Eine allgemeine Stille herrschte. Den ganzen Auftritt aller Augen auf mich! Kein Wort, so wir beide sprachen, ging verloren, und als ich abging, so solide, wie es die Rolle erforderte, folgte ein lautes Händegeklatsche nach. Nun kam mein zweiter Akt. Jede neue Stelle wurde bewundert und mit Beifall belohnt, und mein dritter ebenso. Bei der Erkennungsszene wollte das Applaudieren und Bravo-, Bravo-Rufen fast nicht aufhören. Im fünften Akt, wo ich nicht viel mehr hatte und das Stück zu Ende war, belohnten sie uns alle mit lautem Beifall. Alle wünschten mir Glück. Madame Koch kam aus ihrer Loge zu mir aufs Theater mit offenen Armen. »Oh, meine Schulze, meine liebe, liebe Schulze, brav, brav! Alle Ihre Feinde und Neider haben Sie heute beschämt.« Die Tränen standen mir in den Augen. »Geduld, liebe Madame, sie sollen noch mehr beschämt werden. Aber nun lassen Sie mich zum Ballett umkleiden, ich laß die Zuschauer nicht gern warten.« Wie der Wind war ich fertig. Das Ballett hieß »Das Leben der Bauern.« Mein Bruder, der mit mir zu den Bauern gehörte, kam mit mir angewandert. Ich saß auf einem Esel, das war Löwe aus Hamburg, und hielt ihn bei den Ohren, hatte das Mädchen auf dem Schoß, und Karl führte den Esel. Hing ein Schild auf, wo Geschichten darauf gemalt waren, und teilten unsere Lieder aus. Es waren einige Verse, verfertigt von Herrn Schiebeler, zierlich in Kupfer gestochen. Sie sagten:


An das Publikum!

[258] Stadt, wo in ihrem Heiligtum

Geschmack und Einsicht glänzen!

Wen du erhebst, krönt wahrer Ruhm

Mit ewig grünen Kränzen.

Laß deines Lobes Melodie,

Laß sie auch uns erschallen,

Süß wird der Fleiß und leicht die Müh',

Befeuert ihn, belohnet sie

Das Glück, dir zu gefallen.

Karoline Schulze. Karl Schulze.


Wir wollten solche unter die Zuschauer auswerfen. Herr Koch aber fürchtete, es möchte zu Streit oder Händel Anlaß geben, also warteten wir, bis das Ballett aus war, und gaben denen, die uns nach Beendigtem Ballett alle begrüßten, solche erst hin. Aber nun vom Ballett und von meinem und Karls Tanzen! Wären wir nicht so fest im Takt gewesen, wir konnten vor all dem Applaudieren und Bravo-Rufen keine Musik hören. Keiner, auch die Aeltesten vom Theater, konnte sich erinnern, je in Leipzig so einen einstimmigen, lauten, allgemeinen Beifall gehört zu haben. Alles nahm Teil daran. Herr Koch und seine rechtschaffene Frau, Akteure und Aktricen, Tänzer und Tänzerinnen, ja, gar die Theaterleute, alles hatte uns lieb gewonnen. Da sah man keine Verstellung, es kam von Herzen, keinen Neid, kein Naserümpfen. Kurz, wir waren unter Menschen gekommen! Welch ein glorreicher Sieg über alle meine Feinde! Wenn Löwens Ohren gehört, was man laut über ihn geschimpft! »Wäre der Schurke doch in Leipzig,« hieß es, »daß wir ihn zeichnen könnten, damit er jedem gleich in die Augen fiele, welch eine Art von Kerl der ist! Das ist mehr wie Bosheit. Solche Leute haben wir in Leipzig noch nicht gehabt. Das Mädchen beides in eins, eins in beidem: gut und lieb.«

Schiebeler speiste den Abend mit uns. Nun fing der erst an: »Ach, Mademoiselle Schulze, wüßten Sie, wie ich für Sie gezittert habe. Nun gestehe ich Ihnen offenherzig, ich wollte Ihnen nicht Angst machen. Ich selbst habe gedacht,[259] Sie hätten sich verschlimmert, wären nicht mehr das, was Sie in Göttingen waren. Denken Sie selbst, was hat man nicht von Ihnen geschrieben! Keiner kannte Sie hier als bloß aus den Schriften. Durch die Ode, die ich auf Sie gemacht, beurteilte man mein Lob aus ganz anderen Absichten. Wissen Sie, daß heute unter der großen Menge von Menschen nicht fünf für Sie waren, alle gegen Sie? Nun haben Sie sich gar nirgends sehen lassen. Das bestärkte, daß Sie grundhäßlich sein müßten.« »Und nicht wahr, Schiebeler, wenn ich ausging, hatte das boshafte Mädchen eine dichte Florkappe vorm Gesicht hängen. War eingewickelt in Pelzmantel und lief so schlicht weg?« »Ja, wohl! – Vom ersten Akt konnte man kein Wort verstehen. Denn Sie waren der Inhalt von Parterre und Logen. Ich wußte gar nicht mehr, wo ich hin sollte. Wenn Sie alles gehört hätten! Sie kann nichts. Wenn sie was nütz wäre, man hätte sie gewiß nicht von Hamburg gelassen. Nun, weinen wir nicht, so haben wir doch was zu lachen. Wenn sie nur nicht gar zu häßlich ist! Aber häßlich und nichts können, das ist zu toll! Wenn doch der Akt aus wäre, daß wir Ihre besungene Aktrice sehen! Verstehen soll man sie auch nicht. Nun ist kein Sprachfehler mehr in der Welt, den Sie nicht haben sollten. Einige sagten wieder, was welche von der Gesellschaft zu Ihrem Lobe sollen gesagt haben, das hielten die anderen für Ironie. Kurz, ich schwitzte und ward bald wieder wie Eis. Wußte selbst nicht, was ich anfangen sollte. Endlich traten Sie auf. Noch hatten Sie kein Wort gesprochen, und alles zeigte Zufriedenheit in seinen Blicken. Sie gingen fort, und Lob und Beifall folgte Ihnen.« »Wäre sie nur schon wieder da,« hieß es, »fatal, daß das Stück so alt ist. Sie spielen zusammen heute sehr gut. Aber wir wollten, daß die Schulzen nur ihre Szenen allein mit ihnen spielte.« Nun kamen Sie wieder. Alle rissen Sie hin. Alle glaubten, zum ersten Male Cenie zu sehen. Alles fühlte mit Ihnen. Doch Sie sahen's, Sie hörten's. Nun wollte man mich fast ersticken mit Küssen und Umarmungen, daß ich Sie hierher gebracht, heißt es. Und auf meine Landsleute ist geschimpft worden, bis ich sagte: »›Löwe, der allein schuld ist, was man von[260] Mamsell Schulze zu ihrem Nachteil gesagt hat, ist ja nicht mein Landsmann.‹ Aber das half nichts: ›So hätten sie den Hundekerl krumm und lahm schlagen sollen.‹ ›Aber so bedenken Sie doch, daß Hamburg keine Universität ist, sondern meist Kaufleute hat.‹ ›Auch wahr!‹ ›Kurz‹, hieß es, ›Schiebeler, Sie allein machen das Unrecht Ihrer Landsleute wieder gut.‹« »Und das freut mich. Leipzig soll erfahren, ob mich ihr außerordentlicher Beifall verschlimmern wird. Ich hasse das Sprichwort: ›Neue Besen kehren gut.‹ Nein, lieber: ›Wie der Anfang, so das Ende,‹ und ›je länger, je lieber,‹ das wird mein Bestreben, mein Fleiß sein.«

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 258-261.
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