Würzburg, Eichstädt, Mergenthal.

[46] Nach einer glücklichen Reise kamen wir in Würzburg an. Mein Vater geht nach einer Barbierstube, um sich den Bart abscheren zu lassen, und findet dort einen Komödienzettel von der Brunianischen Gesellschaft. Dieser Brunian war auch in Regensburg und Nürnberg bei Schulz mit uns zugleich gewesen, und war so gut, wie wir, von ihm betrogen worden. Herr Brunian hatte in Nürnberg viele Scolairen im Tanzen, hatte sich also nach und nach eine kleine Garderobe angeschafft und spielte bloß Pantomimen. Verdiente auch gut Geld. Dieser Mann hatte überhaupt vom guten Schöpfer ein Wesen erhalten, das ihm jedermanns Liebe erwarb und erwerben mußte. Ja, wenn er nicht zu gut gewesen, zu viele Leute bei seinem Theater gehabt und zu viel Kosten darauf verwendet hätte, der Mann hätte müssen reich werden. Bei diesem Brunian und seiner Frau war auch meine Stiefschwester Marianne engagiert. Was war natürlicher, als daß, da mein Vater mit der Nachricht zu uns in das Wirtshaus kam, er mit mir und meinem Bruder nach dem Ballhaus gingen, wo Brunian logiert war. Sein Erstaunen war ebenso groß, wie seine Freude, uns zu sehen; meine Schwester fühlte anfänglich einen kleinen Schreck; doch auch der ging vorüber, da es mein Vater bei einem Verweis ließ, der mehr in Mienen, als im Ton lag.[46]

Brunian wünschte, daß wir bei seiner Gesellschaft bleiben möchten. Mein Vater stellte ihm das Unmögliche in seiner Bitte vor; doch ließ Brunian mit seiner Frau und meiner Schwester nicht eher mit Bitten nach, bis mein Vater das Wort von sich gab, wenigstens den einen Tag in Würzburg zuzubringen. Brunian lief selbst nach dem Wirtshaus und holte meine Mutter. Wir brachten den Mittag sehr vergnügt zu und gingen, als es Zeit war, in das Theater, um die Pantomime mit anzusehen.

Es setzte sich ein Herr zu meinen Eltern und ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein. Er erfuhr bald, wer wir waren, und da er hörte, daß wir nach Luxemburg zu Herrn Meyer wollten, so sagte er: »Mein Herr, ich bedaure Sie, dieser Meyer, zu dem Sie wollen, sitzt in Luxemburg in Arrest, Schulden halber, so daß er nicht weiß, wie er sich retten soll.« Schulden? Arrest? Unser neuer Prinzipal, zu dem wir wollten? Schöne, tröstliche Nachricht! Wie die Pantomime aus war und wir wieder zu Brunian in das Zimmer kamen, erzählten ihm meine Eltern, was sie gehört hätten. »Herr Brunian,« sagte mein Vater, »Sie trugen mir heute ein Engagement an, ich konnte nicht Ja sagen, doch wenn es an dem ist, daß Meyer sich in solchen schlechten Umständen befindet, wie kann ich weiter reisen? Stets habe ich gehandelt wie ein ehrlicher Mann. Hören Sie mich also, was ich gewillt bin, zu tun. Verschaffen Sie mir 50 Gulden, die will ich bei dem Kaufmann hier, wo ich noch 50 Gulden heben soll, niederlegen. Will an Meyer nach Luxemburg schreiben, was ich hier erfahren. Ist es Lüge, so nehme ich das Geld wieder auf und reise zu Meyer; ist es aber wahr sitzt er in Arrest, so mag er mit den 100 Gulden einen Teil seiner Schulden zahlen, und ich bleibe mit meiner Frau und Kindern bei Ihnen.« Brunian, voller Freude, machte Anstalt und verschaffte die verlangten 50 Gulden den andern Tag. Mein Vater trug solche zu dem Kaufmann nebst einem Brief. – Aber auf den Brief ist keine Antwort erfolgt. Der Kaufmann, von dem sowohl die 50 Gnaden kamen, die uns in Nürnberg ausgezahlt worden waren, wie die 50, die er uns in Würzburg geben sollte, sagte, er wüßte auch von nichts, bekümmere[47] sich auch nicht, da er sein Geld wieder hätte. Länger als vier Jahre darauf erfuhren wir, daß Brunian diesen Mann unterrichtet, was er meinen Eltern sagen sollte, um uns bei sich zu behalten. Und Meyer, der sich wirklich in Luxemburg sehr gut gestanden, hielt es für eine kahle Ausflucht, daß wir nicht zu ihm wollten, und antwortete meinem Vater nicht, hielt ihn keiner Antwort wert. Mein Vater aber hielt sein Stillschweigen als eine Bestätigung dessen, was er von ihm gehört.

Meine Eltern blieben bei Herrn von Brunian, und wir bekamen auch anfänglich richtige Gage. Herr von Brunian würde sich sowohl damals, wie lange Jahre darauf immer gut gestanden haben, wenn er nicht so viele unnütze Leute bei seiner Gesellschaft gehabt hätte. Eines brauchbaren Menschen wegen erhielt er oft ganze Familien. Unser Glück war, daß bei unserm Engagement bei ihm mit ausgemacht wurde, daß ich eine Abschiedsrede halten und zum Schluß der Schauspiele solche an jedem Ort austeilen sollte. Für das, was ich dann erhielt, konnte mein Vater immer sicher rechnen, daß er dann damit seinen Wirt und andere Schulden bezahlen konnte. Etwas vor dem Advent reisten wir nach Eichstädt; doch ehe ich mich ganz von Würzburg wende, muß ich das Haus des Hofmarschalls Baron von Greiffenklau erwähnen, wo ich viele Gnaden empfangen. Vier liebenswürdige Fräulein und zwei junge Barone waren damals in dem Greiffenklauischen Haus und noch unvermählt. Der Fürst und Bischof von Würzburg war ein Bruder des Hofmarschalls.

Auch in Eichstädt waren die Einnahmen gut, und Herr von Brunian spielte fort bis an die Fasten 1753. Ich kann wieder nicht umhin, von einer sehr gütigen Dame Erwähnung zu tun. Sie hieß de Molidor, und ihr Gemahl war Kapitelrichter. Sie hatte eine Tochter von 11 und einen Sohn von 7 Jahren. Alle Morgen um 9 Uhr ging ich zu der Dame, und des Abends 9 Uhr wurde ich wieder zu meinen Eltern gebracht, wenn ich nicht in der Komödie zu tun hatte. Diese Dame, die viel Lebensart hatte, gab mir mit ihrer[48] Tochter gleichen Unterricht, sowohl in Handarbeit als in übrigen Dingen, die ein Mädchen angenehm und beliebt machen müssen. Sie war mir eine zweite Mutter. Meine Mutter erlangte die Bekanntschaft einer alten, sehr würdigen Dame, einer verwitweten Baroneß von Münchhausen, geborenen von Adelshaim, die meine Mutter gern überredet hätte, mich ihr zu lassen. Aber wie konnten es meine Eltern, da ich ihnen das Brot mit verdienen half? Die Baroneß von Münchhausen war blind und hatte sich den Staar stechen lassen. Jeder in Eichstädt verehrte diese Dame und suchte ihr durch verschiedene Zeitvertreibe die Zeit zu verkürzen. Man hatte bei ihr von der Komödie und also auch von uns gesprochen, und da ersuchte sie die Stadtrichterin (der Name ist mir entfallen), sie sollte ihr meine Mutter hinbringen. Das geschah auch, und meine Mutter riet der Dame eine gewisse Salbe für ihre Augen an, die ihr solche guten Dienste leistete, daß sie sich ihrer Augen besser bedienen konnte, als eine lange Zeit vorher. Natürlich, daß sie meine Mutter lieb gewann und uns viele Wohltaten erzeigte. Noch ist ein Brief von ihr in meinen Händen, den sie an meine Mutter nach Würzburg geschickt, die übrigen sind verloren gegangen.

In den Fasten reisten wir wieder zurück nach Würzburg. Herr von Brunian hatte zwar die Erlaubnis erhalten, wieder herzukommen, doch mit dem Beding, keinen Sonntag oder Feiertag zu spielen. Brunian sah bald, daß das die besten Tage waren und er unmöglich bestehen konnte, wenn er nicht die Festtage spielen dürfte. Gab also acht Memoriale ein, – und auf jedes abschlägige Antwort! Endlich mußte ich das neunte überreichen. Ich wurde aufs Schloß geführt, und als der Fürst kam, bückte ich mich und legte ihm das Memorial in den Hut. Der Fürst lächelte und sagte zu mir: »Was enthält die Bittschrift?« »Um die Gnade, daß wir Sonn- und Feiertags auch spielen dürfen.« Dem Fürsten gefiel meine unerschrockene, freie Antwort, wollte weiter reden, aber die zwei Jesuiten, die ihn in ihrer Mitte hatten, zogen ihn augenscheinlich von mir weg. Den Mittag speiste ich im roten Bau bei dem Hofmarschall. Ich erzählte sogleich, wie ich hinkam, daß ich dem Fürsten ein Memorial[49] gegeben und was dabei vorgefallen. Des Nachmittags fuhren die jungen Nichten mit ihrem fürstlichen Onkel und ihren Eltern spazieren, und was ich vielleicht nicht über den Fürsten vermocht hätte, vermochten seine lieben Nichten. Kurz, den Tag darauf kam ein gnädiges Ja auf mein Memorial. Wer war fröhlicher wie ich und wohl wir alle. Brunian spielte bis nach Pfingsten weg; doch die Einnahmen blieben aus, und Brunian mußte sich nach einem andern Ort umsehen.

Er reiste mit der ganzen Gesellschaft nach Rothenburg ob der Tauber. Doch alles Ansuchen war vergebens, und Brunian erhielt keine Permission. Wir reisten also nach Mergenthal, wo Brunian die Freiheit bekam, spielen zu dürfen. Die Einnahmen waren auch gut, aber Brunian stak doch so tief in Schulden, daß das Geld bei weitem nicht zulangte. Als wir so 4 bis 6 Wochen mochten gespielt haben, bekam mein Vater Briefe aus Prag von Herrn Joseph Kurz, der ihm ein Engagement bis an die Fasten 1754 antrug. Meine Eltern, die bereits von Brunian 150 fl. zu fordern hatten und keine Hoffnung sahen, solche wiederzubekommen, im Gegenteil, eher immer tiefer mit ihm hineinzusinken, dankten ab. Brunian tat's weh, meinen Eltern selbst, sie schenkten ihm auch von Herzen ihre Forderung. Meine Schwester ließ mein Vater bei von Brunian, und in der Tat war sie nebst Brunian seiner Frau das einzige Frauenzimmer, die er hatte. Auch liebte sie einen jungen Schauspieler Namens Myone, den sie ehelichte.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 46-50.
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