Madame Ackermann.

[151] Madame Ackermann hat sich in den Jahren sehr gebessert. Talente hat sie und verdirbt jetzt gewiß keine Rollen mehr ganz, die sie spielt. Auch hatte sie Gelegenheit, das werden zu können, weil in jedem Stück ihr die beste Rolle zu Befehl stand, sie gewiß keine Liebhaberin spielte, wenn das Kammermädchen besser war, auch neben ihr gewiß keine Schauspielerin duldete, die ihr die Wagschale gleich gehalten hätte. Doch das ist der Naturfehler der meisten, die erste Aktricen sein wollen. Aber ich habe vernommen, daß mich die gute Frau hat parodieren wollen. Ich habe sonst noch immer einen scharfen Blick und gutes Gehör gehabt. Aber ich habe es nicht bemerkt. Hätte ich's, so konnte doch wohl Madame Ackermann denken, daß ich sie nach Hause würde geschickt haben nach meiner Art.

Wo mich Madame Ackermann hatte verspotten, parodieren oder lächerlich machen wollen, soll in dem »Flatterhaften Ehemann« gewesen sein, als sie als Fräulein von Rosenhayn mit Neumann als Herrn von Ellborn die Komödie spielte. Der Herr v. Ellborn hatte [parodierend] den Herrn Kunst in der Mache, der nicht mehr hier in Weimar war.

Mad. Ackermann und Herr Neumann nahmen die Szene, wie in der »Komödie aus dem Stegreif« der Liebhaber mit seinem Diener. Hat Madame Ackermann nie Gelegenheit[151] gehabt, eine Komödie von Noblesse spielen zu sehen? Sind Adelige, wenn sie Komödie unter sich spielen, so unwissend, daß sie, wenn sie zu ihrem Vergnügen ein Schauspiel geben, aus ihrer Marquise eine Tollhäuslerin machen?

Sie sind kein Heringsweib in dem Stück, Sie sind ein Fräulein und Herrn Neumann gleich von Adel. Wenn Mad. Ackermann glaubt, keine adelige Dame könne eine Komödiantenrolle spielen und sie wäre nicht imstande, richtig zu treffen: so trifft diese gewiß, wenn sie eine Marquise spielt, den adeligen Anstand. Das bringt ihre Erziehung mit sich und ist ihr ganz Natur geworden, was bei Schauspielerinnen nicht immer in Erziehung der Fall ist.

Ich sah das Stück in Hamburg unter der Direktion des Herrn Schröder. Seine Frau spielte das Fräulein von Rosenhayn. Wissen Sie, wie sie den Auftritt nehmen mußte? Einen Ton sprach sie tiefer und mit allem Ernst und Anstand einer Dame. In den Zwischenreden: »Rosaura mag Ihre Gemahlin heißen« – »Halt, halt, Herr von Elborn, zu jedem Schwur muß gekniet werden« –, da sprach sie wieder in ihrem Fräulein von Rosenhayn-Ton, aber freilich nicht mit einem so vollen Maul und groben Ton wie eine Bauernmagd, in den sich Mad. Ackermann so schrecklich verliebt hat, wenn sie naiv sein will. Oder dachten Sie und Herr Neumann es besser zu verstehen wie Schröder? Auch in Gotha nahm man den Auftritt wie in Hamburg. Wen haben sie nun beide lächerlich machen wollen, mich und Herrn Kunst oder die Noblesse, wenn sie Komödie spielt? Manche vom Adel habe ich spielen sehen, wo Schauspieler hätten müssen in die Schule gehen. Gepfiffen und ausgepocht zu werden, hätten sie beide verdient.

Mad. Ackermann, die bei einer »Clavigo«-Probe mehrfach errinnert werden mußte, daß sie als Maria krank sei, die immer auftritt, als wenn sie auf dem Wasser schwimme, die der verspotteten Kummerfeld manche schlaflose Nacht gemacht, soll noch weitere Belehrungen erfahren.

In jeder ernsthaften Rolle, sogar in der Oper »Der Deserteur« ist Madame Ackermann als Louise nicht Louise, das zwar wohlerzogene, doch immer Bauernmädchen, nein,[152] eine Dame vom ersten Range. Und wenn sie immer Dame sein will, wie ist es möglich, daß sie sich in der »Gunst der Fürsten« als Königin so sehr vergessen kann, so oft in der Unterredung mit dem Grafen von Essex ihre Hand auf seine Schulter zu legen und ihn immer bei dem Arm anzupacken? Schickt sich nicht. Selbst wenn man Mann und Frau, Bruder und Schwester vorstellt, schickt es sich nicht immer. Können denn Schauspieler nie in einer kleinen Entfernung miteinander sprechen? Müssen sie sich immer aneinander stoßen und drängen?

Dann Madame Ackermanns immerwährendes Lächeln! Lächeln im Zorn, Lächeln im Weinen! O ja, es hat eine große Wirkung, wenn das Auge weint und der Mund zum Lächeln sich zu ziehen scheint. Aber da sind wenige Rollen, wo die Schauspielerin in sehr seltenen Stellen solch Mienenspiel anbringen kann. Es tut gewaltigen Effekt, eben, weil es so wenig anzubringen ist.

In der Elfriede im zweiten Aufzug des 6. Auftritts sagt Mad. Ackermann die Rede zu dem König: »Oh, Gnade, Sire, Gnade! Ich falle Ihnen zu Fuße als die Demütigste« usw. Vorzüglich schön! Hier war sie ganz Elfriede und nicht Ackermann. Also kann sie das Lächeln lassen. Aber der stumme Auftritt! War die Musik schuld oder was war es? Mad. Ackermann machte lauter parto pras und ging die ganze Tanzschule mit den Armen durch. Die erste Solotänzerin hätte in einem Grand-serieus-Solo nicht mehr machen können. Sie blieb meist immer auf einem Fleck stehen, mitten auf dem Theater und tanzte mit ihren Armen taktmäßig nach der Musik. Herr Neumann war auch ein sauberer Algat.

In der »Ines de Castro«: Welcher tote Mensch sitzt oder kann so steif sitzen und mit aufgestütztem Arm, wie sie dasaß nach der Ermordung? Nur bei Menschen, die, ohne vorher krank gewesen zu sein, plötzlich vom Schlage getroffen wurden, weiß ich solche Stellungen, in denen man sie gefunden, nicht aber von Ermordeten, aber es sollte wieder ein malerisch schönes Tableau von Mad. Ackermann sein.

Das Vervielfältigen versteht Mad. Ackermann auch nicht. Wer sie in sechs Rollen gesehen hat, sieht sie immer.[153]

Dann die Maria Stuart, Königin von Schottland! Wenn sie sich auch nie in der englischen Geschichte umzusehen die Zeit gehabt, nie von dieser Königin etwas gelesen, wie standhaft diese unglückliche Fürstin zu ihrem Tode sich vorbereitet und wie sie zu dem Schafott ging, so läßt es doch der Autor die Maria oft genug sagen: »Ich will als Königin sterben,« »als Königin zum Tode gehen« und so und dergleichen mehr. Ich glaube, der Autor ließ es aus Vorsicht deswegen die Königin Maria so oft wiederholen, daß sie, die die Königin Maria spielen, es sich merken und den Charakter nicht vergreifen sollen. Aber all das Sagen und alle Noten und Anmerkungen der Autoren halfen doch nichts, wenn der Schauspieler meint, er versteht das besser, und Freund vom Spektakelmachen ist. Die Königin Maria ging nur, wenn sie's sagte. Aber wie sie ging. Nein, keiner halbjährigen Schauspielerin wär's zu vergeben gewesen, wenn sie so abgegangen wäre. Schon der ganze schwarze Armesünderanzug war falsch, und Mad. Ackermann putzt sich doch so gern. Auch die wahre Maria Stuart, Königin von Schottland, war anständig und mit Fleiß gekleidet, so sagen ihre Geschichtsschreiber. Denn die Königin Elisabeth von England wollte Marias Leben, nicht ihre Garderobe. Die Königliche Standhaftigkeit von Madame Ackermanns Maria Stuart bestand darin, daß sie hin und her wankte, ob sie gehen sollte oder nicht. Nun streckte sie, so lang sie solche strecken konnte, die Arme in die Höhe über den Kopf, die Hände zum Gebet gefaltet. Das ist in der Verzweiflung die höchste Bewegung der Arme und Hände, die ich nie gemacht, weil mich weder in der Komödie noch im Ballett der Teufel geholt hat. Da kann diese Bewegung der Arme angebracht werden von einem Don Juan oder Doktor Faust. Auch noch von einem in der heftigsten Raserei und Verzweiflung, wenn ihn auch nicht der Teufel holt. – Nun den Kopf noch zurückgebogen, um sich, sträubend, wegführen zu lassen! Wie ich sie so dahingehen sah, war mein erster Gedanke: So stand das Mädchen in Hamburg an den Pfahl angebunden, die den Staubbesen bekam. So bog sie den Kopf ins Genick. – Himmel! Und so soll eine Königin von Schottland, Maria Stuart, zum[154] Tode gegangen sein, will eine Ackermann dem Publikum weismachen.

Es wurde auch applaudiert. Oh ja, mir ist auch oft applaudiert worden, wenn ich mich selbst hätte maulschellieren können. Solchen Unsinn habe ich freilich nie gemacht. Aber auch die beste Rolle spielt man nicht immer gut, weil der Schauspieler auch Mensch ist. Wenn mir aber oft gar nicht applaudiert wurde, wußte ich doch, heute hast du gut gespielt. Auch das Publikum ist oft Mensch.

Im Lustspiel habe ich Mad. Ackermann nicht so oft zu sehen Gelegenheit gehabt, nur in einigen Opern. In der Oper »Die Zauberflöte«, da die Ernsthaften lustig und die Lustigen ernsthaft werden, spielte Madame Bellomo die Ernsthafte. Man würde ungerecht sein, wollte man Madame Bellomo streng als Schauspielerin beurteilen. Sie ist Sängerin. Aber demungeachtet blieb sie doch ihrem Charakter treu. Sie war ernsthaft, wo sie ernsthaft sein mußte, und wurde nachher lustig, und sie machte es wirklich drollig und hübsch. Aber Madame Ackermann? Ihr Lustiges: ja, charmant! Aber nun das Ernsthafte! Sie war in der Art, wie sie spielte, komischer im Ernsthaften, als sie's wirklich vorher im Komischen war. Der maulvolle, grobe Ton war da, wo sie sich was Rechts darauf zugute tut. Sah Mad. Ackermann denn nicht, wie Herr Regglen, der doch gleichen Charakter mit ihr hat, die Rolle nahm? Blieb bei ihm ein Schatten von seiner vorhergegangenen Lustigkeit? Und machte er das Ernsthafte in einer anderen Art komisch?

Alsdann die Oper »Die Wahnsinnige aus Liebe« vergesse ich meiner Tage nicht, des Küssens wegen. Was wurde in der Oper geküßt! Alles küßte untereinander: Mad. Ackermann, Mad. Hahn, die Menge der Kinder, die alle der Mad. Ackermann die Hände zerküssen mußten, wie sie der Kinder Gesichter. Da das Mädchen durch den einen Kuß ihres Liebhabers wieder ihre Besinnungskraft bekommt, hätte sie gar nicht küssen sollen. Freilich ist's ein Unterschied zwischen dem Kuß eines Liebhabers und Kuß von Kindern oder einer treuen Wärterin. Aber da nun einmal ein Kuß die große Veränderung der Besinnungskräfte wieder[155] hervorbringen soll, dächte ich, man hätte es bei dem einzigen Kuß lassen müssen. Gelesen habe ich die Oper nie. Ob so viele Kussage vorgeschrieben steht, weiß ich nicht. Doch konnte ich's nicht denken. Hätte noch ich einen Mann oder einen Liebhaber gehabt, in den ersten drei Tagen, nachdem ich das Stück von ihnen zusammen sah, hätte ich ihn nicht küssen können. Gewiß ist's, daß meine Kinder in einer ganzen Woche kein Mäulchen von mir bekommen, solchen Ekel bekam ich vor der Küßoper. Ueberhaupt wünscht mit mir mancher, daß das viele Küssen an dem Theater abgeschafft würde. Besonders, wenn sich die alten Knaben alle Augenblicke auf der Straße oder im Zimmer, und wo sie beisammen sind, küssen. Geschieht es denn in Gesellschaft? Es müßte denn bei einem Pfänderspiel sein. Oder im gewöhnlichen Leben?

Zu ihrer Küßoper, glaube ich, oder war's bei einem anderen Stück, gaben sie ein Nachspiel von Herrn Schröder »Der Schulgelehrte«. Wer das Stück nach seiner ganzen Schöne beurteilen will und kann, muß Latein verstehen. Aber auch ohne Latein zu verstehen, so haben sie es bei Herrn Schröder gewiß nicht gegeben. Wenn doch die Schauspieler einen wahren Begriff von dem komischen Spiel hätten! Daß sie nicht komisch sein können, ohne Fratzen zu machen und von ihren eigenen Späßchen etwas anzuflicken. Um den Liebhaber vor dem Alten unkenntlich zu machen, kleiden ihn die Mädchen als Frauenzimmer an. Aber wie zogen sie ihn an? Den Rock verkehrt und das Hinterste nach vorn. Machten es so sichtlich, daß man es sah, sie tun es mit Willen. Was für ein Schöps mußte der Alte sein, wenn er das nicht merkte? Und ist es denn nicht ganz gegen den Wohlstand? Wenn männliche Bediente sich untereinander in weibliche Kleider verkleiden sollen, so mag so ein Späßchen noch hingehen. Die Rolle des Liebhabers als Französin wurde richtig und gut gespielt, daß ich auch einmal applaudieren konnte. Denn er übertrieb nicht, und sein Ernst machte das wahre Komische. Wäre Herr Schröder da gewesen, der Auftritt hätte ihn selbst »Bravo« sagen lassen.[156]

Aus diesen Anmerkungen mag man mich nun so obenhin beurteilen, ob ich trotz meiner eigenen Fehler imstande war, mein Spiel zu dirigieren und ob solches altmodisch geblieben, wenn es so 1777 in Hamburg war. Ich mußte als Kunstverständige sprechen, weil ich mich nicht, wie andere Künstler in den Werken ihrer Kunst, anschaulich in meinen Rollen auf die Nachwelt habe machen können. Ich habe mich also selbst in diesem Buch dargestellt, so lange, bis der barbarische, wütende Zahn der Zeit solches zerstört und es der Würz- und Käsekrämer zerreißt. Wäre doch schade um dieses, mein erstes, einziges Kind, zu dem ich so ganz Vater und Mutter bin. Habe die Regel nicht einen Augenblick außer acht gelassen, daß Wahrheit die Pflicht des Geschichtsschreibers sei, und wenn diese fehlt, solche gar nichts wert ist. Hier ist Wahrheit! Die fehlt denn endlich meinem Kinde nicht. Und so hoffe ich getrost, daß es einigen Wert haben wird.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 151-157.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon