Frankfurt.

[121] Gegenwärtig ist eine Lücke. Sie soll, wenn ich je die Zeit gewinne, ausgefüllt werden in der ganzen Geschichte meines Lebens. Es kommt ja auch nichts darin vor, das gesagt werden muß, wie damals, da ich mich verheiratet und Witwe ward. Genug, mein Liebslingsprojekt, ganz ein ruhiges Leben, fern vom Theater zu führen,[121] scheiterte in Sturm, Donner und Hagelwetter auf die allerschmerzlichste Art. Auch daran war eine Person schuld. Wäre die sieben Jahre eher gestorben, ich schriebe jetzt nicht an diesem Buch. Auch das sollte so sein. Ich mußte wieder aufs Theater.

Zu Herrn Großmann hatte ich zwar kein Vertrauen. Der Prozeß, womit er mir gedroht hatte, lag mir noch im Sinn. Aber ich war in einer Lage, daß ich mich in die Hölle, und wenn ein Teufel Direkteur gewesen wäre, engagiert hätte; so hätte ich doch nur mit einem zu tun gehabt; denn jetzt hatte ich hundert in einer einzigen vor mir. In der Situation, in prima furia, wie man zu sagen pflegt, schreibe ich an Herrn Großmann. Er stand auf dem Punkt, zwei Theater stellen zu müssen, eins in Frankfurt und Mainz, das andere in Bonn. Herr Großmann antwortete mir, er würde bald selbst nach Frankfurt kommen, und wenn ich's wagen wollte, eine Rolle zu spielen, dann ließe sich das weitere verabreden. Er kam, und ich besuchte ihn. Ich sollte eine Rolle spielen, und die sollte entscheiden, ob ich als Kummerfeld nicht vergessen, was die Schulze gewußt.

Die Kummerfeld konnte ohne Furcht sein. Ich schlug vor »Erwine von Steinheim«. Die ging nicht an, weil Herr Schimann, der eine Rolle darin hatte, jetzt krank war, und um des einen Mals wegen kein anderer die Rolle für ihn einstudieren könnte. Ich schlug die zweite vor, nämlich: »Die gute Tochter« und in derselben die Rolle der Therese. Die Antwort: Das Stück hätte nicht gefallen. Ich schlug die dritte vor in dem Stück: »Nicht alles Gold, was glänzt«, die Gräfin Altenstein. Das Stück wäre bei ihm nicht besetzt. Nun schlug ich nichts mehr vor und schwieg.

Es erweist sich nach Meinung der Verfasserin, daß Großmann seine Stücke nicht immer genau genug studiert und deshalb nicht so gründlich wie sie die Altersverhältnisse der Personen darin beherrscht.

Den 16. August wurde »Jeanette« gegeben. Wenn ich eine Beschreibung machen wollte von dem, was ich den Tag zuvor erleben mußte, welch eine Nacht das gewesen, mein ärgster Feind würde zu mir gesagt haben: Kummerfeld, spielt[122] nicht, laßt Euch krank melden und legt Euch zu Bette! Neues Theater, neues Publikum, neue Gesellschaft, wo ich noch mit keinem einzigen gespielt, in 5 Monaten kein Theater betreten, und das zerrissene blutende Herz, das in mir lag! Rotverweinte Augen; ich, die schuld an dem Kind meines Bruders wäre, daß es so krank sei. Da man mich bei der Probe frug, was mir wäre. Und ich spielte. Spielte mit Beifall. Denn sonst hätte mir Herr Großmann nicht nach der einen Rolle Engagement und 10 Taler Gage die Woche bewilligt. Mich dünkt, das ist Beweis genug, daß ich wieder Schauspielerin geworden, meine Kunst in den 9 Jahren nicht vergessen und mit dem Neueren auch fortgeschritten war.

Engagiert war ich für Bonn, nicht für Frankfurt. Wenn wir reisten, sollte meine Gage erst angehen. Ich war's zufrieden. Wenn es aber möglich wäre, wollte ich gern mitspielen, um in der Uebung zu bleiben, und wollte nichts dafür haben. Ich sprach mit Herrn Großmann davon, und unter anderm sagte ich auch: »Sie haben meist lauter junge schöne Frauenzimmer, ich verlange keine jugendliche Rollen. Lassen Sie mich nur anfänglich Rollen spielen, die sich für mein Aussehen und meine Figur schicken. Nur nicht gleich im Anfang komische Mütter! Nie habe ich noch in dem Fach gespielt. Ich muß jetzt nachgerade hinein; ich wünsche es selbst, mich nach und nach hineinzuarbeiten. Auch weigere ich mich nicht, solche zu spielen. Aber nur wünschte ich's dann erst, wenn ich einige andere Rollen gemacht, wodurch ich mir den Beifall des Publikums erworben. Mißlingt mir dann auch anfänglich so eine komische Alte, nun, so übersieht man es mir eher, wenn man weiß, ich habe vorher Rollen gespielt, in denen ich gefallen. Dieses ist mein Wunsch. Nur möchte ich mich nicht gern zu Anfang bei einem neuen Publikum, das mich gar nicht kennt, durch komische Mütterrollen schlagen. Die Schmerling hätte ich gespielt, und wenn er keine hätte, die mehr Französisch verstünde und spräche wie ich, wollte ich solche gern spielen. Für die ernsthaften Mütter bin ich weniger besorgt.«

Herr Großmann konnte mir nicht Unrecht geben, und ich hoffte das Beste. Auch schickte er und ließ mir sagen, das[123] »Loch in der Tür« sollte gemacht werden; er schickte mir das Buch und die Rolle der Louise. Ich schrieb ihm zurück, daß ich beides nicht brauchte, hätte die Rolle noch, weil ich sie schon gespielt, wäre eine von meinen Lieblingsrollen. Das hätte ich freilich nicht schreiben sollen, das war nicht politisch. Denn statt der Louise bekam ich die Regan in »König Lear« zu spielen. Doch nahm ich solche, sagte aber Herrn Großmann selbst, ich wäre heute so kalt, könnte bei meiner Rolle nicht warm werden. Er antwortete, ja, man müßte. Ich zuckte die Achsel und sagte: »Ich kann nicht.« Dies war den 12. September.

Ich lauerte tagtäglich auf das »Loch in der Tür«. Aber das Loch wurde zugedeckt. Man wußte mir bessere Löcher und Gruben zu graben. Hätte ich nur meine Freude unterdrücken können und nichts von Lieblingsrolle geschrieben! Das Stück wäre gegeben worden, und dann hätte es Herrn Großmann mit mir so gehen können, wie mit so vielen von seiner Gesellschaft, die die Herren Frankfurter durchaus nicht nach Bonn wollten geschickt wissen. Denn die Louise spielte ich mit demselben Beifall, wie die Cecilie im »Hausvater«. Und welch ein Unterschied ist nicht zwischen diesen zwei Rollen! Um wie vieles ist die Louise besser wie die Cecilie!

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 121-124.
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