Gotha.

[77] Den 18. kam ich nach Gotha. Den 22. erhielt ich die Gnade, der durchlauchtigsten Herzogin meine Aufwartung zu machen. Auch der gnädigste Herzog kamen in das Zimmer seiner Fürstlichen Gemahlin. Ich sprach wenig, aber fühlte ganz die Gnade, mit der man mich gewürdiget, mich aufzunehmen. Den 28. spielte ich zum ersten Male in den »Holländern« die Sara. Das Urteil, das der Durchlauchtigste Herzog nach meinem ersten Auftreten über mich fällte, war: »Die Frau ist auf dem Theater bekannt und wie zu Hause.[77] Sie spielt nur damit und ist ihr nichts in dem Wege.« Wie das Stück zu Ende ging, kamen Ihre Durchlaucht der Herzog in die linke Seitenloge nahe am Theater, und wie es aus war, nickte derselbe mir seinen hohen Beifall zu. »Das hat, so lange wir hier sind, unser gnädigster Herzog noch nicht getan«, sagten die Herren Schauspieler. Wer war glücklicher wie ich?

Meine zweite Rolle war die Roxelane, ein Stück, das nicht den Beifall des gnädigsten Herzogs gehabt der Roxelane wegen, die vor mir die Rolle gespielt und nicht mehr in Gotha war. Es wurde zum zweiten Male gegeben mit demselben Beifall, den es hatte, als ich das erstemal darinnen gespielt, und auf Befehl des gnädigsten Herrn zum dritten Male bei der Anwesenheit von hohen Herrschaften. – Die dritte Rolle, die ich spielte, war in Lessings »Freigeist« die Henriette. Ich spielte und hatte das Glück, zu gefallen. Ich spielte mit Lust, und wer hätte es nicht sollen? O mein Gott, wie glücklich schätzte ich mich! Hier lebst du, hier stirbst du.

Ich hatte mich von Hamburg aus in Gotha engagiert, ohne zu wissen, daß man einen Kontrakt haben müßte. Herr Boeck schrieb mir nichts davon, und ich dachte auch nicht daran; denn nie hatte ich noch einen Kontrakt gehabt, noch unterschrieben. H. Boeck sagte mir, als ich einige Wochen da war: »Sie müssen einen Kontrakt unterschreiben.« »Nur her damit, wenn es sein muß!« Nun dachte ich erst nach: Siehe, das hättest du schon in Hamburg tun müssen. Gesetzt, du hättest nicht gefallen! Aber freilich, so war ich. Mein Wort war mir immer Kontrakt.

Man erinnerte mich öfters an den Kontrakt, daß ich den Tag doch endlich bestimmen sollte, wenn es mir gefällig wäre, zu unterschreiben. Neuer Beweis, daß ich nicht mißfiel! Man müßte es doch nicht gern gesehen haben, wenn es mir nicht in Gotha gefallen und ich wieder weggereist wäre. Mich hätte man wieder fortschicken können; denn ohne Kontrakt war der Hof ja nicht gebunden, mich zu behalten. Doch auch das sollte so sein, so kommen, um mich zu rechtfertigen und meine Verleumder zu beschämen.[78]

Endlich redete mich der Herr Bibliothekar Reichard (er war damals noch nicht Rat) selbst in der Garderobe an, wenn ich den Kontrakt unterschreiben wollte. Ich: »Ich stehe zu Befehl jeden Tag. Wollen Sie so gütig sein und mir solchen zuschicken?« H.B. Reichard: »Nein, ich werde die Ehre haben, Ihnen solchen selbst zu bringen.« Und das geschah auch den 24. Februar 1779. Da hatte ich die Ehre, den Herrn Bibliothekar Reichard in meinem Zimmer zu sehen. Ich las den Kontrakt durch und stutzte, daß er nur auf zwei Jahre war. Denn ich hätte solchen gern auf die ganze übrige Zeit meines Lebens gemacht. Das war ein Punkt. Der zweite und noch härtere Punkt war der, daß, wenn der Hof in den zwei Jahren Ursache hätte, jemanden zu verabschieden, er solches tun könnte bei einer halbjährigen Vorheraufkündigung, der Schauspieler aber nicht.

Ich: »Hören Sie, Herr Bibliothekar, das sind zwei harte Punkte. Ich glaubte auf längere Zeit als auf zwei Jahre.« H. Bibl. Reichard: »Der ganzen Gesellschaft ihre Kontrakte sind nicht länger, als bis nach Verlauf von zwei Jahren. Dann werden wieder neue Kontrakte gemacht, wenn der Hof Theater behält. Selbst die Herren Boeck und Mayer, die Pensionen haben sollen zeitlebens, wenn sie hier bleiben, haben auch so einen Kontrakt noch, wie diesen, unterschrieben.« Ich: »Gut; denn sehen Sie, ich bin mit der vielen Fracht nicht hergekommen, um so bald wieder zu gehen. Ich dachte und wußte auch nur, daß, wenn man sich gut aufführe – und gefiele, versteht sich –, Hoffnung hätte, zeitlebens zu bleiben. Aber der zweite Punkt ist gar zu hart.« H. Bibl. Reichard: »Auch dazu war der Hof gezwungen, daß man solche Punkte hinsetzen mußte. Sie wissen, wie es oft geht.« Ich: »Jawohl! Dachten vielleicht manche: ›Habe ich meinen Kontrakt, so kann ich tun, was ich will. Will mich der Hof entlassen, nun, so bezahle er mir die Gage auf die ganze Zeit meines Kontrakts, und ich gehe.‹« H. Bibl. Reichard: »Ja, das war es eben und eben deswegen solchen Punkt! Aber eine Frau wie Sie, eine Kummerfeld, riskiert dabei nichts.« Ich: »Nun sehen Sie, lieber Herr Bibliothekar, auf Ihr Wort! Und daß ich noch einen Taler Zulage die Woche[79] bekomme, dafür, hoffe ich, werden Sie sorgen.« H. Bibl. Reichard: »Auch der wird Ihnen nicht entgehen, und Sie werden ihn bekommen.«

Mit Lächeln nahm ich die Feder, im Lächeln sagte ich: »Auf Ihr Wort! Mit dem Bedinge, daß ich noch einen Taler Zulage die Woche bekomme, mit dem Bedinge, daß man nicht in einigen Wochen sage: ›In einem halben Jahre kannst du wieder gehen‹, unterschreibe ich.« Ich unterschrieb, und der Herr Bibliothekar Reichard sagte, während ich schrieb: »Unterschreiben Sie nur! Sie haben das gewiß nicht zu befürchten.« Nun hatte ich unterschrieben und war vergnügt, ruhig und glaubte mich sicher. Der Herr Bibliothekar Reichard war so artig, so gefällig und freundschaftlich, daß der Mann meine ganze Hochachtung mit sich nahm.

Wie vergnügt lebte ich in meinem Gotha. Der Herr Geheime Legationssekretär Gotter – wer kennt den guten, freundschaftlichen Mann nicht – erneuerte die kurze Bekanntschaft, die ich in Hamburg mit ihm zu machen die Ehre hatte. Auch lernte ich den guten, lieben Herrn Ettinger kennen, und so manche gute, freundschaftliche Menschen hatte ich das Glück, daß sie mir gut waren und mich ihres Umganges nicht unwert schätzten. Kurz, ich lebte ganz wieder auf. Schuldig war ich noch 550 Taler. Aber ich dachte: Hast du Gottlob so viel bezahlt, die sollen auch noch zusammenkommen. Man mahnt dich nicht; man drückt dich nicht. Sparst, so gut du kannst, und trägst deinem Versprechen gemäß auf Neujahr wieder einen Posten ab.

Trotz hätte ich dem geboten, der gesagt, er wäre glücklicher wie ich – bis den 18. März. Den Morgen kommt ein Theaterbedienter und bringt auf einem offenen Bogen Papier den Abschied der ganzen Gesellschaft, daß sie auf Michaeli hingehen könnte, wohin sie wollte. Alle sollten den Bogen unterschreiben. Ich unterschrieb nicht; denn ich hatte ihn ja gesehen. – Dies die Hoffnung, zeitlebens hier zu bleiben! –

Nun reute es mich und reute mich von Herzen, daß ich mich hatte blenden lassen durch den Gedanken eines lebenslänglichen Brots, daß ich nicht zu den Herren Großmann[80] und Helmuth gegangen und es gemacht wie so viele, die den Direkteur wählen, der die meiste Gage gibt. In welche Kosten hatte ich mich gesteckt! Lauter neue Mobilien angeschafft, manches mitgenommen, das ich in Hamburg besser hätte verkaufen können, um meine Fracht zu erleichtern! Mein Quartier in Hamburg, weil ich nach Martini wegreiste, habe ich bis Himmelfahrt mit 20 Taler bezahlen müssen, in Gotha mein Quartier auf ein Jahr genommen, weil der Hauswirt unter keiner anderen Bedingung es wollte neu tapezieren und ganz nach meinem Verlangen einrichten lassen, folglich auch vom Michaeli bis Weihnachten eine Vierteljahresmiete, das waren 8 Taler 18 Groschen zum Fenster hinausgeworfen. Denn konnte ich meinem Wirt mein Wort brechen, weil ich abgedankt worden?

Ich, die ich gewiß von allen den meisten Schaden gehabt, ich, die ich noch wenig Gutes genossen – und von dem Hofe den Beifall, den man mir gab, meine 7 Taler die Woche Gage und 40 Taler Reisegeld, womit ich freilich nicht ausgekommen war, – sonst nichts gehabt, ich sage es gerade heraus: Verdenken konnte ich's dem Herzog nicht, daß er das Theater eingehen ließ. Leben hätten wir alle können wie in dem Himmel, aber da gab's doch immer was zu necken und zu klagen. Nun schlug H. Boeck mit seiner Forderung vollends dem Faß den Boden aus, und da mußte es nun der Unschuldige mit dem Schuldigen entgelten.

Wie gesagt, ich habe den größten Schaden gehabt, aber sagen muß ich's: Schwerlich bekommen es Schauspieler je wieder so gut, wie sie es in Gotha gehabt. Dreimal wurde nur in der Woche gespielt. Wenig zu studieren; denn wie oft wurde ein Stück, das gefiel, wiederholt! Zu Proben, wie zur Komödie wurden wir gefahren. Im Winter das warme Theater ohne Zugluft! Die prächtige Garderobe, in der alles, alles war bis auf die geringste Kleinigkeit eines Fächers! Denn alles, was die gnädigste Herzogin ablegten, kam in die Garderobe. Die Achtung, mit welcher jedem begegnet wurde! Nur ein Stück wurde an einem Abend gegeben. Wie oft fuhren wir im Sommer vom Theater, und die liebe Sonne stand noch am Himmel, daß wir nach einem[81] Garten gehen und fröhlich sein konnten. Dann die großen, ansehnlichen Präsente, die die Schauspieler bekommen haben! Und doch, doch konnten sie nicht zufrieden sein, machten so viel Verdruß dem Herrn, daß er es überdrüssig werden mußte. – Ich überlief nicht den Hof, nicht die Vorgesetzten, nicht den Herrn Baron von Lenthe, nicht den Herrn Bibliothekar Reichard. Ich klagte nicht, tat meine Schuldigkeit, war stille, forderte weder Präsente noch Schadloshaltung und und bekam auch nichts.

Den 27. September spielten wir zuletzt. War noch eine Benefiz-Komödie für uns. Da kamen auf meinen Teil 7 Taler, 17 Groschen, 6 Pfg. Wie ich Abschied nahm bei dem Herrn Baron von Lenthe, so sagte er: »Ihretwegen wäre gewiß das Theater nie abgedankt worden, wären von jeher alle so ruhig gewesen wie Sie. Ihretwegen hätte keiner eine Klage noch Verdruß gehabt.« Ich dankte. Hätte es mir nur auch was geholfen! Aber nicht um einen Groschen wurden meine 550 Taler Schulden weniger. Und wer wußte es, daß mich die Sorgen niederdrückten? Keiner! Aber dafür war ich auch die Kummerfeld!

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 77-82.
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