[91] 1805–1810
In Gotha angekommen, wurde ich den Mitgliedern der Hofkapelle durch den Intendanten, Herrn Baron von Reibnitz, als ihr Konzertmeister vorgestellt und in meinen Wirkungskreis eingeführt. Dieser bestand sowohl im Winter wie im Sommer in dem Arrangement eines Hofkonzertes für jede Woche und in dem Einüben der dafür gewählten Musik. Da die Kapelle außer diesen Konzerten weiter keinen Dienst hatte, so konnte ich drei bis vier Proben zu jedem derselben abhalten und alles darin Aufzuführende mit größter Genauigkeit einüben. Bei meinem Eifer und dem guten Willen der Mitwirkenden gelang es denn auch bald, ein höchst genaues Ensemble herzustellen, was von der Frau Herzogin und einigen unter dem Hofzirkel befindlichen Musikkennern auch lobend anerkannt wurde.
Die Kapelle bestand zum Teil aus Kammermusikern, zum Teil aus Hofhoboisten. Letztere hatten nebenbei auch die Verpflichtung, bei Tafel und auf den Hofbällen zu spielen. Unter den Kammermusikern gab es eine ganze Reihe von Solospielern, die ich abwechselnd zu Solovorträgen in den Hofkonzerten aufforderte. Die vorzüglichsten waren: Für Violine Madame Schlick und die Herren Preysing und Bärwolf; für Violoncell die Herren Schlick, Preysing jun. und Rohde; für Klarinette, Bassetthorn und Harfe Herr Backofen; für Oboe Herr Hofmann und für Horn Herr Walch.
Für den Gesang in den Hofkonzerten waren zwei Hofsängerinnen engagiert, die Damen Scheidler und Reinhardt. Der Mann der letzteren saß bei den Vokalvorträgen der Sängerinnen am Pianoforte. Da er, der älteste unter den Orchestermitgliedern, sich sehr eifrig um die[92] erledigte Konzertmeisterstelle beworben hatte, und man ihm als Musiklehrer des Herzogs einige Rücksicht schuldig war, so hatte man ihm bei meiner Anstellung ebenfalls den Titel »Konzertmeister« verliehen, und sein Reskript war sogar von älterm Datum. Er machte daher anfangs einige schwache Versuche, sich bei den Vokalvorträgen als Dirigenten zu gerieren. Ich wußte ihm aber als Vorgeiger durch meine Entschiedenheit so zu imponieren, daß er sich meinen Anordnungen bald ebenso willig am Pianoforte fügte wie bei der Viola, an welcher er bei der Instrumentalmusik mitwirkte. Auch einige andre Widersetzlichkeiten, namentlich der Familie Schlick, die auf die Gunst des Prinzen August, Onkels des Herzogs, fußte, wußte ich bald zu beseitigen und mich dann in ungestörter Dirigentenautorität zu erhalten.
Bei den Antrittsvisiten, die ich den Mitgliedern der Hofkapelle machte, wurde ich besonders freundlich von der Hofsängerin Madame Scheidler empfangen. Sie stellte mir ihre achtzehnjährige Tochter Dorette vor, von deren Virtuosität auf Harfe und Pianoforte ich schon viel Rühmliches gehört hatte. Ich erkannte in dieser reizenden Blondine das Mädchen wieder, welches ich bei meinem ersten Aufenthalte in Gotha bereits gesehen und deren freundliche Gestalt mir seitdem oft in der Erinnerung vorgeschwebt hatte. Sie saß nämlich bei dem Konzerte, welches ich damals in der Stadt gab, in der ersten Zuhörerreihe neben einer Freundin, die bei meinem Auftreten, erstaunt über eine so lange und schlanke Gestalt, wohl lauter, als sie wollte, ausrief: »Sieh doch Dorette, welch eine lange Hopfenstange!« Da ich den Ausruf gehört hatte, warf ich einen Blick auf die Mädchen und sah Dorette verlegen erröten. Mit einem solchen holden Erröten stand sie jetzt abermals vor mir, sich jenes Vorfalls wahrscheinlich erinnernd. Um der auch für mich peinlichen Situation ein Ende zu machen, bat ich sie, mir etwas auf der Harfe vorzuspielen. Ohne Ziererei erfüllte sie meinen Wunsch.
Ich hatte als Knabe selbst einmal den Versuch gemacht, die Harfe zu erlernen, nahm auch Unterricht bei einem Herrn Hasenbalg in Braunschweig und brachte es bald so weit, daß ich mir meine Lieder begleiten konnte. Nachdem ich aber mutiert hatte und nun eine geraume Zeit ganz ohne Stimme war, wurde die Harfe vernachlässigt und endlich ganz bei Seite gesetzt. Meine Vorliebe für das Instrument war aber dieselbe geblieben; auch hatte ich mich lange genug damit beschäftigt, um zu wissen, wie schwer es ist, wenn man mehr als bloße Begleitung darauf spielen will. Man denke sich daher mein Erstaunen und Entzücken, als ich dieses noch so junge Mädchen eine schwere Phantasie ihres Lehrers[93] Backofen mit größter Sicherheit und feinster Nuancierung vortragen hörte. Ich war so ergriffen, daß ich kaum meine Tränen zurückhalten konnte. Mit einer stummen Verbeugung schied ich; mein Herz blieb aber zurück!
Es drängte mich nun oft hin, und immer freundlicher und bekannter wurde ich empfangen. Ich begleitete die Tochter am Piano, welches sie ebenso fertig wie die Harfe spielte, half der Mutter beim Einüben der Gesangstücke für die Hofkonzerte und machte mich so der Familie immer unentbehrlicher. Das erste, was ich in Gotha komponierte, war eine große Gesangszene für Sopran, die ich Dorettens Mutter widmete und die sie mit großem Beifall im Hofkonzerte vortrug. Für mich und die Tochter schrieb ich dann eine konzertierende Sonate für Violine und Harfe, die ich mit ihr auf das sorgfältigste einübte. Das waren glückliche Stunden!
So war ein Monat nach meiner Ankunft für mich höchst angenehm verflossen, als der Hof zum Landtag nach Altenburg zog und die Kapelle mitnahm. Auch Dorette begleitete ihre Mutter dahin. Ich trug mich ihnen als Reisegefährten an, hatte mich aber leider zu spät gemeldet; denn sie hatten bereits mit den Brüdern der Madame Scheidler, den Herren Preysing, eine gemeinschaftliche Fahrt verabredet. Ich mußte mir daher andre Reisegefährten suchen. Doch versäumte ich nicht, mich bei jeder Einkehr auf der Reise sogleich der Scheidlerschen Familie anzuschließen und wußte mir auch stets bei Tische den Platz neben Dorette zu verschaffen. Dieses Wiedersehen nach vier- bis fünfstündiger Trennung gab der übrigen so langen und langweiligen Reise doch einen eigentümlichen Reiz, so daß es mir fast zu früh kam, als wir endlich am dritten Tage abends in die Tore von Altenburg einzogen. Ich wurde beim Sekretär Brümmer einquartiert, der als großer Musikfreund mich als Gast für sich erbeten hatte. Ich fand die freundlichste Aufnahme und Verpflegung. Doch hatte ich mir den Mittagstisch bei Madame Scheidler ausgemacht, die als rüstige Hausfrau sogleich für sich und ihre Brüder eigne Küche etablierte. Von nun an fast wie ein Glied der Familie behandelt, fand ich Gelegenheit, meine geliebte Dorette immer näher kennen zu lernen. Ihr Vater, ein tüchtiger Musiker und wissenschaftlich gebildeter Mann, hatte sich bis zu seinem vor zwei Jahren erfolgten Tode ausschließlich mit der Erziehung und Ausbildung dieser Tochter beschäftigt. Mit einer fast zu großen Strenge hatte er sie nicht nur seit ihrer frühesten Kindheit angehalten, ihr Musiktalent auszubilden, sondern auch in allem für ein junges Mädchen[94] Wissenswerten teils selbst unterrichtet, teils von andern guten Lehrern unterrichten lassen. Sie sprach daher mit großer Geläufigkeit italienisch und französisch und schrieb ihre Muttersprache korrekt und gewandt. Ihre Virtuosität auf Harfe und Pianoforte war aber schon damals trotz ihrer großen Jugend eine wahrhaft ausgezeichnete! Ja, selbst im Violinspiel, worin sie ihr Onkel Preysing unterrichtete, hatte sie bereits so viel Fertigkeit erworben, daß sie mit mir Viottische Duetten spielen konnte. Da ich ihr aber riet, dieses für Frauenzimmer unpassende Instrument nicht weiter zu kultivieren und ihren Fleiß lieber ungeschmälert den beiden andern zu widmen, so befolgte sie diesen Rat und gab es von da an auf.
Die Hofkonzerte hatten unterdes begonnen. Sie fanden in einem großen, für Musik sehr günstigen Saale des Schlosses statt und wurden außer dem Hofe auch von den Landständen und Honoratioren der Stadt besucht. Das durch meine zahlreichen Proben zu immer höherer Genauigkeit gesteigerte Ensemble des Orchesters sowie meine und der übrigen Solospieler Konzertvorträge fanden bei den Musikkennern der Stadt großen Beifall. Auch Dorettens Solovorträge auf Harfe und Piano erregten große Sensation. So wurden die Konzerttage bald als wahre Festtage von den Altenburgern begrüßt und das Zuströmen der Zuhörer nahm immer mehr zu, so daß zuletzt kaum der Raum ausreichen wollte. Auch in Privatgesellschaften wurde häufig musiziert und ich nebst der Scheidlerschen Tischgesellschaft fehlten niemals dabei. Eines Tages wurde ich jedoch mit Doretten ohne ihre Mutter zu einem Feste eingeladen, welches der Minister von Thümmel dem Hofe und dessen nächster Umgebung gab. Wir waren gebeten worden, meine Sonate für Harfe und Violine, die wir bereits in Hofkonzerten mit großem Beifall vorgetragen hatten, hier zu wiederholen. Schüchtern wagte ich die Anfrage, ob ich Doretten im Wagen abholen dürfe, und fühlte mich hochbeglückt, als die Mutter ohne Bedenken ihre Einwilligung gab. So zum ersten Male allein mit dem geliebten Mädchen, drängte es mich, ihr meine Gefühle zu gestehen; doch fehlte mir der Mut und der Wagen hielt, bevor ich nur eine Silbe hatte über die Lippen bringen können. Als ich ihr beim Aussteigen die Hand reichte, fühlte ich an dem Beben der ihrigen, wie bewegt auch sie war. Dies gab mir neuen Mut, und fast wäre ich noch auf der Treppe mit meinem Liebesgeständnisse herausgeplatzt, hätte sich nicht soeben die Tür zum Gesellschaftssaale geöffnet.
Wir spielten an dem Abende mit einer Begeisterung und einem Einklange des Gefühles, der nicht nur uns selbst ganz hinriß, sondern[95] auch die Gesellschaft so elektrisierte, daß sie unwillkürlich aufsprang, uns umringte und mit Lobsprüchen überhäufte. Die Herzogin flüsterte dabei Doretten einige Worte ins Ohr, die diese erröten machten. Ich deutete auch dies zu meinen Gunsten und so gewann ich denn endlich auf der Rückfahrt den Mut zu fragen: »Wollen wir so fürs Leben miteinander musizieren?« Mit hervorbrechenden Tränen sank sie mir in die Arme; der Bund für das Leben war geschlossen! Ich führte sie zur Mutter hinauf, die segnend unsre Hände ineinander legte.
Am andern Morgen meldete ich den Eltern mein Glück. Bevor ich es jedoch ungetrübt genießen konnte, mußte ich noch einen andern Brief schreiben, der mir sehr sauer wurde. Ich fühlte mein Unrecht gegen Rosa, und es drängte mich, es ihr abzubitten. Ich hatte ihr zwar nie ein Geständnis meiner Liebe gemacht; es lag jedoch deutlich genug in meinem Benehmen gegen sie in der ersten Zeit unsrer Bekanntschaft. Dazu kam nun noch, daß die Eltern in Seesen sie als meine Braut begrüßt hatten! – In welchen Wendungen ich es versuchte, mein Unrecht zu beschönigen, ist mir nach so langer Zeit nicht mehr erinnerlich. Wahrscheinlich war es wieder der Unterschied der Religion, der als Vorwand meines Rücktrittes dienen mußte. Der Brief wurde endlich fertig, und mit erleichtertem Herzen trug ich ihn zur Post. Ich hoffte sehnlichst auf Antwort; es kam jedoch keine. Später erfuhr ich, daß Rosa mit ihren Eltern, die sich in Deutschland einiges Vermögen erworben hatten, nach Italien zurückgekehrt sei. In Dresden erzählte man mir dann einige Jahre später, Rosa sei, von ihrer Frömmigkeit getrieben, in ein Kloster gegangen und habe nach einem Novizenjahre das Gelübde abgelegt. Ich konnte nie ohne tiefe Wehmut an das Mädchen denken!
Am Mittagstische des folgenden Tages erschienen alle geputzt und festlich geschmückt, denn es wurde unsre Verlobung gefeiert. Bald drang die Kunde davon in die Stadt, und es erschienen nicht nur die Mitglieder der Hofkapelle, sondern auch viele Bewohner der Stadt, um dem Paare ihre Glückwünsche darzubringen. Ein Gleiches geschah beim nächsten Hofkonzerte von der Herzogin und dem Hofe.
Mit dem Jahre neigte sich auch der Landtag seinem Ende zu, und man sprach bereits von der Rückkehr des Hofes nach Gotha, als ich vorher noch einen achttägigen Urlaub zu einer Reise nach Leipzig nahm, um dort ein Konzert zu geben. Ich hatte deshalb bei meinen vorjährigen Freunden angefragt und die günstigsten Zusicherungen erhalten. Meine Braut und deren Mutter begleiteten mich, um in dem Konzerte eben falls aufzutreten. Es bot daher dieses des Anziehenden mancherlei dar und[96] war infolgedessen sehr zahlreich besucht. Ich spielte ein neues Violinkonzert in C-dur (als drittes bei Kühnel gestochen), welches ich in Gotha begonnen und in Altenburg vollendet hatte. Spiel und Komposition fanden ebenso glänzende Aufnahme wie im vorigen Jahre. Auch meine Braut hatte sich eines enthusiastischen Beifalles zu erfreuen. Sie spielte die Phantasie von Backofen und mit mir die neue Sonate. Auch hier war es wieder unser Zusammenspiel, was als Glanzpunkt des Abends gepriesen wurde. Die Mutter, eine Sängerin mit kräftiger, klingender Stimme und guter Schule, sang, von der Tochter begleitet, die Arie von Mozart mit obligatem Pianoforte sowie die neue Gesangsszene von mir, ebenfalls mit großem Beifalle.
Höchst zufrieden mit dem Erfolge unsres Unternehmens kehrten wir nach Altenburg und bald darauf mit dem Hofe nach Gotha zurück.
Madame Scheidler bewohnte daselbst eine sehr geräumige, vollständig möblierte Wohnung, von der sie, ohne sich im geringsten beengt zu fühlen, leicht einige Zimmer an mich abgeben konnte. Da sie sich erbot, außer uns auch meinen Bruder Ferdinand, der als mein Schüler bei mir wohnte, in Kost zu nehmen, so stand meiner alsbaldigen Verheiratung nichts im Wege. Die Hochzeit wurde daher auf den 2. Februar 1806 angesetzt. Ich beeilte mich, die dazu erforderlichen Papiere, den Taufschein und die Einwilligung der Eltern herbeizuschaffen. Leider konnten sie mir diese nicht selbst überbringen, da der Vater damals seine Patienten, unter denen lebensgefährliche waren, nicht verlassen durfte, schickten mir jedoch meinen Bruder Wilhelm, um Zeuge meines Glückes zu sein. Einige Verwunderung erregte es, als ich meinen Taufschein produzierte und man nun sah, daß ich in Gotha, statt älter zu werden, mich um einige Jahre verjüngt hatte! Da ich indessen meine Autorität als Konzertmeister schon hinlänglich zu befestigen gewußt hatte, so brachte mir diese Entdeckung weiter keinen Nachteil.
Der ersehnte 2. Februar brach an. Die Trauung fand auf den Wunsch der Herzogin, die ihr beiwohnen wollte, in der Schloßkapelle statt. Nach beendigter Zeremonie empfingen die Neuvermählten die Glückwünsche und Hochzeitsgeschenke ihrer hohen Gönnerin. Zu Hause fanden wir die beiden Onkel Preysing und mehrere andre befreundete Mitglieder der Hofkapelle. Nachmittags kamen deren noch mehrere. Unter diesen die Gespielinnen und Schulgefährtinnen Dorettens, die ihr alle freundliche Gaben brachten. Auch die, welche mich in meinem Konzert mit einer Hopfenstange verglichen hatte, fehlte nicht und mußte sich zur Strafe für den ungebührlichen Vergleich manche Neckerei gefallen lassen. Da[97] das Wetter zu einem Ausfluge oder Spaziergange zu ungünstig war, so wurde bis zum späten Abende musiziert.
Unter Musik verlebte das glückliche Paar auch die Flitterwochen. Ich begann sogleich ein eifriges Studium der Harfe, um zu ergründen, was dem Charakter des Instrumentes am angemessensten sei. Da ich in meinen Kompositionen reich zu modulieren gewohnt war, so mußte ich besonders die Pedale der Harfe genau kennenlernen, um nichts für sie Unausführbares niederzuschreiben. Bei der großen Sicherheit, mit der meine Frau schon damals die ganze Technik des Instrumentes beherrschte, konnte dies freilich so leicht nicht geschehen. Ich überließ mich daher auch ganz dem freien Fluge der Phantasie, und es gelang mir bald, dem Instrument ganz neue Effekte abzugewinnen. Da die Harfe am vorteilhaftesten im Verein mit dem singenden Tone meiner Geige erklang, so schrieb ich vorzugsweise konzertierende Kompositionen für beide Instrumente allein. Später machte ich zwar auch Versuche mit zwei Konzertanten mit Orchesterbegleitung und einem Trio für Harfe, Violine und Violoncell; da ich aber fand, daß jede Begleitung unser einiges und inniges Zusammenwirken nur störe, so kam ich bald wieder davon zurück.
Ein andrer Versuch zur Steigerung des Effekts hatte aber einen günstigeren Erfolg. Ich kam auf die Idee, die Harfe einen halben Ton tiefer als die Violine zu stimmen. Dadurch gewann ich zweierlei. Da nämlich die Geige am brillantesten in den Kreuztönen klingt, die Harfe aber am besten in den B-Tönen, wenn möglichst wenig Pedale angetreten werden, so erhielt ich dadurch für beide Instrumente die günstigsten und effektvollsten Tonarten: für Geige nämlich D und G, für Harfe Es und As. Ein zweiter Gewinn war der, daß bei der tiefern Stimmung der Harfe nun nicht so leicht während des Spieles eine Saite riß, was bei öffentlichen Vorträgen in heißen Sälen dem Harfenisten so leicht geschieht und dem Zuhörer den Genuß verleidet. Ich schrieb daher von nun an alle meine Kompositionen für Harfe und Violine in solcher verschiedener Stimmung.
Dorette, von diesen neuen Kompositionen mächtig angezogen, widmete damals ihren Fleiß ausschließlich dem Studium der Harfe und erwarb sich daher bald eine so glänzende Virtuosität darauf, daß ich vor Eifer brannte, diese einem größern Publikum als dem der Gothaischen Hofkonzerte zu produzieren. Da ich mein eigenes Spiel nun auch in einer Weise ausgebildet zu haben glaubte, daß es mir so leicht kein andrer zuvortun würde, so beschloß ich, in nächstem Herbste eine Kunstreise[98] mit meiner Gattin anzutreten. Den Urlaub dazu hatte ich mir schon bei meiner Anstellung ausbedungen, und er war mir in Betracht meines da mals noch sehr geringen Gehaltes auch zugestanden worden.
Wie indessen der Herbst herannahte, trat der Ausführung des schönen Planes ein doppeltes Hindernis entgegen. Der Krieg zwischen Preußen und Frankreich drohte auszubrechen. Schon war in der Umgegend von Gotha das preußische Heer kampfbereit aufgestellt, und die Bewohner des Herzogtums hatten durch Einquartierung und den Übermut der Preußen viel zu erdulden.
Hätte ich nun auch meiner Reise eine Richtung geben können, die uns von dem Kriegslärme entfernt haben würde, so konnte ich doch die Heimat, die damals noch in Gefahr stand, der Kriegsschauplatz zu werden, in solcher Bedrängnis nicht gut verlassen. Ich hatte mich deshalb auch schon einigermaßen an den Gedanken gewöhnt, meine Reise noch ein Jahr verschieben zu müssen, als mir auch noch mein Weibchen eines Tages errötend, aber mit strahlendem Auge gestand, sie sehe zu Ende des Winters den Mutterfreuden entgegen! Nun war vollends an eine Reise nicht mehr zu denken und jeder Zweifel deshalb beseitigt.
Ich sann nun für den Winter auf eine anziehende Arbeit, die mich von den Sorgen der Zeit möglichst abziehen könne. Schon längst hatte ich gewünscht, mich einmal in einer dramatischen Komposition zu versuchen, doch hatte es bisher an jeder Veranlassung dazu gefehlt. Eine solche lag nun zwar auch jetzt nicht vor, denn Gotha besaß kein Theater. Doch dachte ich: Ist nur erst die Oper da, so findet sich wohl auch eine Gelegenheit sie zu hören.
Nun besuchte mich aber gerade ein Jugendgefährte, Eduard Henke, der jüngste Bruder meiner Mutter (jetzt Professor juris in Halle), der sich schon mit Glück in Liederdichtungen versucht hatte. Diesen beredete ich, mir ein Opernbuch zu schreiben. Wir ersannen gemeinschaftlich den Stoff und die Szenenfolge für eine einaktige Oper und nannten sie »die Prüfung«; Eduard begann sogleich die Dichtung der Gesangsnummern und vollendete sie auch noch vor seiner Abreise. Die Dialoge versprach er nachzuliefern.
Bevor ich jedoch meine Arbeit beginnen konnte, brach das Kriegsunwetter los. Die Schlacht bei Jena wurde geschlagen und mit ihr das Geschick des preußischen Staates entschieden. Die kurz vorher noch so übermütigen Preußen, die in und um Gotha gestanden hatten, sah man nun in größester Unordnung vorüberfliehen. Die Auflösung der Truppen war eine so vollständige, daß die weggeworfenen Gewehre zu Tausenden[99] auf den Feldern bei Gotha aufgesucht werden konnten. Bei einem Spaziergange, den ich einige Tage nachher machte, fand ich als Nachlese noch einen Ladestock, den ich zum Andenken an die verhängnisvolle Zeit mit zu Haus nahm. An einem Faden aufgehängt, gab derselbe im hellen Klange das einmal gestrichene B und diente daher lange Jahre statt Stimmgabel beim Einstimmen der Harfe.
Der Kriegsschauplatz entfernte sich nun zwar, nachdem das französische Heer nachgerückt war, sehr bald weit und immer weiter von Gotha, die Einquartierung hörte deshalb aber noch nicht auf. Immer rückten neue Zuzüge französischer und süddeutscher Truppen nach. Auch wurde ein großer Teil der bei Jena gefangenen Preußen über Gotha geführt. Diese kamen in Zügen von drei- bis viertausend von allen Waffengattungen, oft nur von vierzig bis fünfzig Voltigeurs eskortiert, und wurden in die große Marktkirche vis-à-vis von unsrer Wohnung eingesperrt, von wenigen Schildwachen vor den verschlossenen Türen bewacht. Da die Nächte schon sehr kalt waren, so mochten sie in ihren dünnen Uniformen wohl frieren und tobten und lärmten deshalb unaufhörlich. Die Umwohnenden, in der steten Besorgnis, daß sich die Gefangenen bei ihrer großen Überzahl befreien und dann arge Exzesse begehen würden, mußten fortwährend auf ihrer Hut sein und konnten manche Nacht nicht zur Ruhe gehen.
Dies war nun eben nicht die bestgewählte Zeit, um mich in einer für mich ganz neuen Kunstgattung zu versuchen. Doch da mein Arbeitszimmer vom Straßenlärm entfernt nach hinten hinaus lag, so gelang es mir bald, alles um mich her zu vergessen und mit ganzer Seele mich der Arbeit hinzugeben. So vollendete ich noch, bevor der Winter zur Hälfte verflossen war, die Komposition der acht Nummern der Oper nebst der Ouvertüre. Die vier Gesangpartien derselben ließen sich durch die beiden Hofsängerinnen und zwei Dilettanten, die ich zur Mitwirkung bei den Hofkonzerten bereits herangezogen hatte, ganz gut besetzen. Ich ließ daher die Oper eiligst ausschreiben, übte sie sorgfältig ein und führte sie dann als Konzertmusik in einem der Hofkonzerte auf.
So groß nun auch anfangs meine Freude über das neue Werk war, so fühlte ich doch bald dessen Mängel und Schwächen. Von Probe zu Probe wurden mir diese immer klarer, und noch ehe die Aufführung stattfand, war mir die Oper, die Ouvertüre und eine Tenorarie ausgenommen, zuwider geworden. Selbst der große Beifall, den sie sowohl bei den Ausübenden wie bei den Zuhörern fand, konnte mich nicht günstiger für sie stimmen, und so legte ich sie beiseite und gab, die beiden genannten Nummern abgerechnet, nie wieder etwas davon zu hören.[100]
Ich fühlte mich aber in der Unzufriedenheit mit meiner Arbeit recht unglücklich, denn ich glaubte nun zu erkennen, daß ich für Gesangskompositionen kein Talent besitze. Ich hatte dabei aber zweierlei zu erwägen vergessen, erstens, daß ich einen viel zu hohen Maßstab angelegt, indem ich meine Oper mit den Mozartschen verglichen hatte, und zweitens, daß es mir für diese Kompositionsgattung an der nötigen Übung und Erfahrung noch gänzlich fehlte. Dies fiel mir erst einige Jahre später ein und ermutigte mich dann zu einem neuen Versuche in der dramatischen Komposition.
Für jetzt widmete ich mich wieder ausschließlich der Instrumental-Komposition, schrieb die schon genannten Konzertanten für Harfe und Violine mit großem Orchester, eine Fantasie (Op. 35) und Variationen (Op. 36) für Harfe allein, und für mich mein fünftes Violinkonzert (Op. 17 bei Nägeli in Zürich) und den Potpourri (Op. 22 bei André).
Da Dorette im Frühjahre ihrer Niederkunft entgegensah, so konnten wir nicht länger in der beschränkten Wohnung bei der Schwiegermutter bleiben und mußten uns nun einen eignen Hausstand einrichten. Dies geschah Ostern 1807.
Bald nachher, am 27. Mai, wurden wir durch die Geburt eines Töchterchens erfreuet. Da Mutter und Kind sich wohl befanden, so war unser Glück ganz ungetrübt. Als Paten für die Neugeborne mußte ich den Herzog einladen, da er sich schon früher für dieses Ehrenamt angetragen hatte. Er erschien denn auch am Tage der Taufe in vollem Glänze seiner herzoglichen Würde, umgeben von seinen Hofherren und gefolgt von dem Janhagel der Stadt, der die Pracht der selten gebrauchten Galawagen und deren Inhalt anstaunte, vor meiner Wohnung und wurde von mir an der Haustüre empfangen und in die mit Blumenkränzen geschmückten Zimmer eingeführt. Die Zeremonie begann, und die Neugeborene wurde nach des Herzogs zweitem Namen Emilie getauft.
Zu meinem großen Leidwesen konnten meine Eltern auch diesem schönen Familienfeste nicht beiwohnen. Doch hatte ich ihnen schon im Sommer vorher bei einem Besuche in Seesen mein liebes Weibchen vorgeführt und nicht nur die Freude gehabt, daß sie sie bald sehr lieb gewannen, sondern auch die Genugtuung, daß mir der Vater nun zugestehen mußte, ich hätte mit Rosa nicht so glücklich werden können, auch wenn meine Liebe zu ihr dauernder gewesen wäre.
Sobald Dorette ihre volle Kraft wiedergewonnen hatte, begann sie von neuem das Einüben der neuen Harfen-Kompositionen, um sich für die[101] projektierte Kunstreise würdig vorzubereiten. Sie erkannte dabei immer mehr das Mangelhafte ihres bisherigen Instrumentes, einer Straßburger Pedalharfe, die sie von der Herzogin als Geschenk erhalten hatte. Es wurde daher im Familienrate beschlossen, ein kleines Kapital, das ihr als Erbteil angehörte, zur Anschaffung einer an dern, bessern Harfe zu verwenden. Herr Backofen besaß eine solche, recht vorzügliche von Nadermann in Paris und war geneigt, sie seiner Schülerin für einen mäßigen Preis zu überlassen. Diese wurde daher angekauft. Es blieben von dem kleinen Kapitale noch einige hundert Taler übrig, um noch ein zweites unerläßliches Reisebedürfnis anzuschaffen, einen Reisewagen nämlich, der für den Transport der Harfe eingerichtet war. Ich sann lange darüber nach, wie ein solcher am zweckmäßigsten zu konstruieren sei. Es war dabei besonders zweierlei zu bedenken, erstlich, daß er nicht zu viel koste, und zweitens, daß er leicht genug sei, um von zwei Postpferden gezogen zu werden. Endlich fiel mir das Rechte ein. Ich ließ einen langen, nicht zu schweren Korbwagen bauen, hinten mit einem Chaisenkasten für die Reisenden. Vor demselben lag zwischen den Korbwänden der Harfenkasten, schwebend auf Riemen und mit einem Leder bedeckt, das, mit einer Eisenstange eingefaßt, vor den Reisenden am Chaisenkasten eingehakt wurde. Unter demselben befand sich ein Sitzkasten, in welchem das Violin-Futteral Platz fand, und hinter ihm ein großer, für den Platz eingerichteter Koffer, in welchen alle übrigen Reisebedürfnisse gepackt werden sollten. Vorn über dem Harfenkasten befand sich der erhöhete Sitz für den Postillon. Eine Probefahrt, wobei der Wagen vollständig bepackt war, zeigte, daß er seinem Zwecke entspreche. So war denn alles für die Kunstreise gerüstet!
Nach einem schmerzlichen Abschiede von unserm Kinde, welches die Schwiegermutter in Pflege nahm, traten wir unsre Reise in der Mitte des Oktober an. Da ich auf dieser sowie den folgenden von Gotha aus unternommenen Reisen leider kein Tagebuch führte, so bin ich bei dem Bericht über dieselben ganz auf meine, für jene Zeit ziemlich verwischten Erinnerungen angewiesen, die durch einige Berichte in der Leipziger musikalischen Zeitung nur dürftig wieder aufgefrischt worden sind. Von einem Tagebuche meiner Frau aus jener Zeit, wovon sie aber nie etwas sehen ließ, habe ich nach ihrem Tode leider nichts auffinden können. Wahrscheinlich hat sie es in spätern Jahren vernichtet.
Unsre Reise begann gleich am ersten Tage sehr ominös mit einem Umwerfen des Wagens auf einer Strecke zwischen Erfurt und Weimar, wo damals noch keine Kunststraße war. Doch wurden zum Glück weder[102] die Reisenden noch ihre Instrumente beschädigt, und so konnten wir uns glücklich preisen, mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Ein ähnlicher Unfall ist uns auf keiner unsrer vielen Reisen wieder begegnet.
In Weimar, wohin wir durch die Herzogin von Gotha empfohlen waren, spielten wir mit großem Bei falle bei Hofe und wurden von der Erbgroßherzogin, der Großfürstin Maria, reich beschenkt. Unter den Zuhörern im Hofkonzerte befanden sich auch die beiden Dichterheroen Goethe und Wieland. Letzterer schien von den Vorträgen des Künstlerpaares ganz hingerissen zu sein und äußerte dies in seiner lebhaftfreundlichen Weise. Auch Goethe richtete mit vornehm-kalter Miene einige lobende Worte an uns.
In Leipzig gaben wir, wie ich aus einem Berichte der musikalischen Zeitung ersehe, am 27. Oktober 1807 Konzert. Auch dieses Mal wird über die darin aufgeführten Kompositionen, nämlich die Ouvertüre zur »Prüfung«, das Violinkonzert in Es, die erste Konzertante für Harfe und Violine, den Potpourri in B und die Harfenphantasie sehr günstig geurteilt. In bezug auf unser Spiel heißt es:
»Über Herrn Spohrs und seiner Gattin Spiel haben wir schon ausführlich gesprochen und setzen hier nur hinzu, daß er sich manchem Allzuwillkürlichen (im Takt u. dgl.), was er sonst angenommen hatte und worüber hin und wieder geklagt worden ist, jetzt ganz entwöhnt hat und nun ohne allen Zweifel im Ton und Ausdruck, in Sicherheit und Fertigkeit unter die ersten aller jetzt lebenden Violinisten, im Allegro wie im Adagio (ja unserem Urteil nach im letztern noch mehr) gehört; sie aber, Mad. Spohr, durch große Fertigkeit, Nettigkeit und Anmut des Spiels ganz gewiß überall ausgezeichneten Beifall finden wird.«
Von Dresden, wo wir ebenfalls Konzert gaben und auch – wenn ich dies nicht etwa mit einem spätern Male verwechsele – bei Hofe spielten (doch sicher nicht während der Tafel, wozu wir uns beide nicht verstanden haben würden), ist mir nichts Spezielles mehr erinnerlich. Wohl weiß ich aber noch manches von unserm Prager Aufenthalte. Dorthin war mein Ruf noch nicht gedrungen, und ich hatte deshalb anfangs mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Diese waren jedoch sogleich beseitigt, als ich mit meiner Frau in einer Soiree bei der Fürstin von Hohenzollern gespielt hatte und diese Dame sich darauf als unsre Beschützerin erklärte. Nun waren wir sogleich in der Mode, und die vornehme Welt strömte in Massen zu den beiden Konzerten herbei, die wir in der durch Kunstbildung so berühmten Stadt gaben. Wir hatten[103] daher volle Ursache, mit unserm Aufenthalte zufrieden zu sein. Dies bestätigt auch ein Bericht in der Musikzeitung, der folgendermaßen beginnt:
»Der dritte (unter den fremden Konzertgebenden) war der rühmlichst bekannte Herzoglich-Sachsen-Gothaische Konzertmeister, Herr Spohr, der sich auf der Violine sowie seine Frau auf der Pedalharfe hören ließ. Nicht sobald wird wieder ein Künstler Ursache haben, so vollkommen mit der Aufnahme zufrieden zu sein, die ihm hier zuteil ward, als H. Sp., und gewiß wird jeder Freund der Kunst laut eingestehen, daß er diese Auszeichnung reichlich verdiente.«
Im Verfolge des Berichtes hat aber der Verfasser doch mancherlei an meinem Spiel und meinen Kompositionen auszusetzen; mag mit diesem Urteil aber ziemlich isoliert gestanden haben, da er bei dem Berichte über das Konzert der Gebrüder Pixis, welches dem meinigen unmittelbar folgte, von dem Geiger selbst sagt: »man habe ihm seinen Platz weit unter Spohr angewiesen«, und dann fortfährt: »da man wenige Tage vorher durch des letzteren Spiel so entzückt war und das Urteil aus diesem Gesichtspunkt fällte, so ging es dabei nicht ohne Ungerechtigkeit ab.« Nachdem er dann ausgeführt hat, daß jeder Künstler nur nach seinen Eigenheiten beurteilt werden müsse, schließt er: »Pixis und Spohr können sehr gut miteinander wandeln, ohne daß das Lob des einen dem andern Eintrag tut.«
Ich lernte damals unter den Kunstfreunden Prags einen kennen, mit dem ich bis zu dessen Tode fortwährend in freundschaftlichster Verbindung geblieben bin. Es war dies Herr Kleinwächter, Chef des Handlungshauses Ballabene. Jeden Sonntag vormittags versammelte sich bei ihm ein kleiner, aber auserwählter Zirkel von Künstlern und Kunstfreunden, um Quartettmusik zu machen und anzuhören. Jeder fremde Künstler suchte dort eingeführt zu werden, und war er Geiger oder Violoncellist, so nahm er tätigen Anteil. Ich spielte dort sehr gern, denn meine Vortragsweise und mein Bestreben, jede Komposition in dem ihr angemessenen Stil wiederzugeben, wurden dort in vollem Umfange anerkannt. So trug ich eines Sonntags morgens ein Soloquartett von mir (D-moll, Op. 11, bei Simrock) vor, als der Hausherr plötzlich abgerufen wurde und, nach einiger Zeit zurückkehrend, der Gesellschaft verkündete, es sei ihm soeben während des Quartetts ein Sohn geboren worden! In die Glückwünsche der Anwesenden mischte sich auch der, daß diese harmonische Begrüßung des neuen Weltbürgers von der besten Vorbedeutung sein und ihm vor allem den Sinn für Musik[104] erschlossen haben möge! Letzteres traf denn auch in hohem Grade ein. Louis Kleinwächter (man hatte ihm mir zu Ehren meinen Taufnamen gegeben) bildete sich wirklich, obgleich nur Dilettant (er wurde Jurist), zu einem ausgezeichneten Künstler aus, wie dessen Kompositionen, von denen mehrere gestochen sind, genügend beweisen. War es nun, daß man ihm erzählt hatte, er sei während des Vortrages einer Spohrschen Komposition geboren, was seine Vorliebe für diese erweckte, oder war es das eifrige Studium derselben: genug, nie hat es einen enthusiastischeren Verehrer meiner Kompositionen gegeben als ihn! Galt es in den Prager musikalischen Vereinen eine Wahl der aufzuführenden Kompositionen zu treffen, so kämpfte er stets für die Spohrschen und ruhte nicht, bis seine Ansicht durchgedrungen war. Er hieß deshalb auch bald allgemein »Der enragierte Spohrianer«!
Leider ist dieser junge Mann, von dem in diesen Blättern noch öfter die Rede sein wird, den Seinigen früh durch den Tod entrissen worden, früher noch als sein Vater.
Von Prag ging das Künstlerpaar über Regensburg nach München. Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich in ersterer Stadt ein Konzert zustande brachte. Einen Bericht darüber habe ich nicht auffinden können. Auch von München aus wird in einem summarischen Berichte der Musikalischen Zeitung über die damalige Wintersaison nur kurz bemerkt: »Herr Spohr aus Gotha gab ein Konzert und fand auch hier vielen Beifall.« Des dortigen Aufenthaltes erinnere ich mich jedoch noch ziemlich genau. Bevor wir unser Konzert in der Stadt gaben, wurden wir bei Hofe gehört. Als wir vortraten, um unsre Konzertante für Harfe und Violine zu spielen, fehlte es an einem Stuhle für Dorette. Der König Max, der neben seiner Gemahlin in der ersten Reihe der Zuhörer saß, bemerkte es und brachte sogleich seinen eignen vergoldeten und mit der Königskrone geschmückten Lehnsessel, bevor noch ein Diener das Fehlende herbeischaffen konnte. In seiner freundlich-gutmütigen Weise bestand er dar auf, daß Dorette sich dessen bediene, und nur erst dann, als ich ihm bemerklich machte, daß die Armlehnen beim Spiel hinderlich sein würden, gestattete er, daß sie den vom Bedienten herbeigebrachten Stuhl annahm. Nach beendetem Spiele stellte er selbst uns der Königin und ihrer Umgebung vor, die sich auf das zuvorkommendste mit uns unterhielten. Tags darauf wurden uns die königlichen Geschenke eingehändigt, für mich ein Brillantring, für Dorette ein Diadem, beides sehr wertvoll.[105]
Bei unserm Konzerte in der Stadt wurden wir auf das willfährigste von der königlichen Kapelle unterstützt. Kapellmeister Winter dirigierte. Ich war entzückt über die präzise und feurige Ausführung meiner Kompositionen und fand es sehr natürlich, daß sie, so vorgetragen, gefielen. Eine besondere Genugtuung gewährte es mir aber, daß auch der Komponist des »Opferfestes« in seiner aufrichtig-derben Weise mich seines Beifalles versicherte. Ich war oft bei Winter und ergötzte mich an dessen originellem Wesen, das die sonderbarsten Widersprüche in sich vereinigte. Winter, von kolossalem Körperbau, begabt mit riesiger Kraft, war dabei furchtsam wie ein Hase. Bei geringfügiger Veranlassung leicht in Zorn aufbrausend, ließ er sich doch lenken wie ein Kind. Seine Köchin hatte das bald bemerkt und tyrannisierte ihn in arger Weise. Er hatte eine besondere Freude an dem Krippenspiel zu Weihnachten und ergötzte sich oft stundenlang mit dem Anputzen der kleinen Figuren. Aber wehe ihm, wenn die Köchin ihn dabei überraschte; sie jagte ihn sogleich davon und rief: »Müssen Sie denn ewig spielen? Setzen Sie sich sogleich ans Klavier und machen Sie Ihre Arie fertig!«
Die jüngern Mitglieder der Hofkapelle, die er gern um sich hatte und zuweilen zu Tische einlud, neckten ihn dafür unaufhörlich. Sie hatten bald entdeckt, daß er sich vor Geistern fürchte, und veranstalteten daher allerlei Spukgeschichten und Geistererscheinungen, um ihn zu ängstigen. Er besuchte im Sommer häufig einen öffentlichen Garten außerhalb der Stadt, kehrte aber, da er sich im Dunkeln fürchtete, stets vor anbrechender Nacht zurück. Eines Tags hatten ihn die jungen, mutwilligen Leute durch allerlei Künste länger wie gewöhnlich aufgehalten, und es war daher schon ganz dämmerig, als er den Rückweg antrat. Da die übrigen Gäste noch in guter Ruhe sitzen blieben, so fand er seinen Weg, der zwischen düstern Hecken hinlief, schauerlich einsam. Es überfiel ihn daher eine fürchterliche Angst, und unbewußt fing er an zu traben. Kaum war dies geschehen, so fühlte er eine schwere Last auf seinem Rücken und glaubte nun nicht anders, als es sei ein Kobold auf ihn herabgesprungen. Da er noch mehrere hinter sich hertraben hörte, so schien ihm die ganze Hölle auf den Fersen, und er rannte nun noch weit mehr. Schweißtriefend und keuchend kam er endlich am Tore an. Da sprang der Kobold von seinem Rücken herab und sprach mit bekannter Stimme: »Ich danke Ihnen, Herr Kapellmeister, daß sie mich getragen haben, denn ich war sehr müde!« Ein Kichern der andern folgte dieser Rede, während der Gefoppte in einen unbändigen Zorn ausbrach.[106]
Von München ging die Reise nach Stuttgart, wohin wir Empfehlungen an den Hof mitbrachten. Ich übergab diese dem Hofmarschall und erhielt von ihm schon am folgenden Tage die Zusicherung, daß wir bei Hofe gehört werden würden. Ich hatte aber unterdessen in Erfahrung gebracht, daß auch hier während der Hofkonzerte Karten gespielt und auf die Musik wenig gehört werde. Noch von Braunschweig her voller Abscheu gegen eine solche Entwürdigung der Kunst, nahm ich mir daher die Freiheit, dem Herrn Hofmarschall zu erklären, daß ich und meine Frau nur dann auftreten würden, wenn der König die Gnade habe, während unsres Spieles das Kartenspiel aufzuheben. Ganz erschrocken über eine solche Kühnheit trat der Hofmarschall einen Schritt zurück und rief: »Wie! Sie wollen meinem gnädigsten Herrn Vorschriften machen? – Nie werde ich es wagen, ihm das vorzutragen!« – »Dann muß ich auf die Ehre, bei Hofe gehört zu werden, verzichten«, war meine einfache Antwort, während ich mich empfahl.
Wie der Hofmarschall es anfing, seinem König so Unerhörtes vorzutragen, und wie dieser es über sich gewinnen konnte, darauf einzugehen, habe ich nicht erfahren. Das Resultat aber war, daß der Hofmarschall mir sagen ließ: »Se. Majestät wolle die Gnade haben, meinen Wunsch zu gewähren; nur werde die Bedingung daran geknüpft, daß die Musikstücke, die ich und meine Frau vortragen würden, sich sogleich folgen sollten, damit Se. Majestät nicht öfter inkommodiert würden.«
So war es denn auch. Nachdem der Hof an den Spieltischen Platz genommen hatte, begann das Konzert mit einer Ouvertüre, auf welche eine Arie folgte. Währenddem liefen die Bedienten geräuschvoll hin und her, um Erfrischungen anzubieten, und die Kartenspieler riefen ihr »ich spiele, ich passe« so laut, daß man von der Musik und dem Gesang nichts Zusammenhängendes hören konnte. Doch nun kam der Hofmarschall zu mir, um anzukündigen, daß ich mich bereithalten solle. Zugleich benachrichtigte er den König, daß die Vorträge der Fremden beginnen würden. Alsbald erhob sich dieser, mit ihm alle übrigen. Die Bedienten setzten vor dem Orchester zwei Stuhlreihen, auf welche sich der Hof niederließ. Unserm Spiel wurde in großer Stille und mit Teilnahme zugehört; doch wagte niemand ein Zeichen des Beifalles laut werden zu lassen, da der König damit nicht voranging. Seine Teilnahme an den Vorträgen zeigte sich nur am Schlusse derselben durch gnädiges Kopfnicken. Kaum waren sie vorbei, so eilte alles wieder zu den Spieltischen, und der frühre Lärm begann von neuem.[107]
Während des übrigen Konzertes hatte ich Muße, mich umzusehen. Meine Aufmerksamkeit wurde besonders auf den Spieltisch des Königs gelenkt, an welchem, um es der Majestät bei ihrer Korpulenz bequemer zu machen, ein halbrunder Ausschnitt angebracht war, in welchen der Bauch des Königs genau hineinpaßte. Der große Umfang desselben und der kleine des Königreiches haben bekanntlich zu der hübschen Karikatur Veranlassung gegeben, auf welcher der König, im Krönungsornat, mit der Landkarte seines Königreiches auf dem Hosenknopfe, in die Worte ausbricht: »Ich kann meine Staaten nicht überblicken!«
Sowie der König sein Spiel geendet hatte und den Stuhl rückte, wurde das Konzert mitten in einer Arie der Madame Graff abgebrochen, so daß ihr die letzten Töne einer Kadenz förmlich im Halse stecken blieben. Die Musiker, an solchen Vandalismus schon gewohnt, packten ruhig ihre Instrumente in die Kasten; ich aber war im Innersten empört über eine solche Entwürdigung der Kunst.
Stuttgart seufzte damals unter einer Despotie, wie sie das übrige Deutschtand wohl nie gekannt hat. So mußte, um nur einiges anzuführen, jeder, der den Schloßhof betrat, den Weg vom Gittertore bis zum Schloßportal mit entblößtem Haupte zurücklegen, es mochte regnen oder schneien, weil Se. Majestät auf dieser Seite wohnte. Ferner war jeder Zivilist auf allerhöchsten Befehl gehalten, vor den Schildwachen den Hut abzunehmen, ohne daß diese ihm die Honneurs gemacht hatten. Im Theater war es durch Anschlag streng verboten, Beifall zu klatschen, bevor nicht der König damit begonnen habe. Die Majestät steckte aber ihre Hände wegen der strengen Winterkälte in einen großen Muff und brachte sie nur heraus, wenn Höchstdieselben das Bedürfnis fühlten eine Prise zu nehmen. War dies geschehen, dann wurde, unbekümmert um das, was gerade auf dem Theater geschah, nun auch geklatscht. Der Kammerherr, welcher hinter dem Könige stand, fiel sogleich ein und gab dadurch dem loyalen Volke das Zeichen, nun auch seinerseits Beifall zu spenden. So wurden denn fast immer die interessantesten Szenen und besten Musikstücke der Oper durch einen heillosen Lärm gestört und unterbrochen.
Da die Stuttgarter schon längst gelernt hatten, sich den königlichen Launen willig zu fügen, so setzte sie es in nicht geringes Erstaunen, als sie erfuhren, was ich mir bei meinem Auftreten im Hofkonzerte ausbedungen und auch wirklich bewilligt erhalten hatte. Es lenkte dies die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich und hatte die Folge, daß mein Konzert in der Stadt außergewöhnlich zahlreich besucht war? Die[108] königliche Kapelle unterstützte mich dabei auf das willfährigste, und der Kapellmeister Danzi suchte mir das Arrangement desselben möglichst zu erleichtern.
Danzi war überhaupt ein liebenswürdiger Künstler, und ich fühlte mich schon deshalb zu ihm hingezogen, weil ich bei ihm dieselbe hohe Verehrung für Mozart fand, von der ich selbst durchglüht war. Mozart und seine Werke waren der unerschöpfliche Stoff unsrer Unterhaltung, und noch jetzt besitze ich ein mir teures Andenken aus jener Zeit, ein vierhändiges Arrangement der G-moll-Symphonie von Mozart, von Danzi gemacht und eigenhändig geschrieben.
In Stuttgart machte ich auch die erste Bekanntschaft mit Carl Maria von Weber, mit dem ich dann bis zu seinem Tode stets in freundschaftlicher Verbindung blieb. Weber war damals Sekretär bei einem Prinzen von Württemberg und trieb die Kunst nur als Dilettant. Dies hinderte ihn aber nicht, fleißig zu komponieren, und ich erinnere mich noch sehr gut, damals als Muster von Webers Arbeiten einige Nummern aus der Oper »der Beherrscher der Geister« bei ihm gehört zu haben. Diese kamen mir, da ich ge wohnt war, bei dramatischen Arbeiten stets Mozart als Maßstab anzulegen, aber so unbedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im entferntesten ahnte, es werde Weber einst gelingen, mit irgendeiner Oper Aufsehen zu erregen!
Von den Konzerten, welche wir vor unsrer Rückkehr in die Heimat nun noch in Heidelberg und Frankfurt a.M. gaben, weiß ich aus der Erinnerung nichts Genaues mehr zu sagen. Ich gebe daher einige Auszüge aus den Berichten der Musikalischen Zeitung, wo es von Heidelberg zuerst heißt: »Eisenmengers Geige würde unvergessen bleiben, hätten die Heidelberger nicht in dem letzten Konzert das Vergnügen gehabt, den Herzogl. Goth. C.M. Louis Spohr in seiner Rodeschen Manier mit dem festen, gehaltenen und sehr gewandten Bogenstriche spielen zu hören. Seine Gattin spielte Harfe, wie man sie in Deutschland selten zu hören bekommt, – mit einer Zartheit, Leichtigkeit und Anmut, mit einer Sicherheit und Stärke, mit einem Ausdrucke, der hinreißend ist« usw.
Auffallend ist es mir, daß man meine Spielweise hier noch immer als die Rodesche bezeichnet, da ich mich doch damals schon ganz davon losgemacht zu haben glaubte. Vielleicht geschah es nur, weil ich der leichtern Begleitung wegen auch ein Rodesches Konzert zum Vortrage gewählt hatte, wie ich aus dem weitern Bericht ersehe.[109]
Von Frankfurt wurde berichtet: »Von Konzerten fremder Virtuosen zeichneten sich vor allem zwei aus, die ich aber nur zu nennen habe, da der Ruf beider Virtuosen schon begründet ist und die Wirkung ihrer trefflichen Produktionen hier so glänzend war wie allerwärts. Ich meine zuerst Hrn. Konzertmeister Spohr aus Gotha und dessen kunstgebildete Gattin, welches treffliche Künstlerpaar am 28sten März auch bei uns den wohlverdienten, ausgezeichneten Beifall fand und mich an ein in gar manchem Betracht ähnliches Paar erinnerte, das vor 25 bis 30 Jahren in Mannheim und nachher in London glänzte – an Wilhelm Cramer, den großen Violinisten, und seine Gattin, die herrliche Harfenistin; ihre Harfe ist nicht groß genug für ihr volles und kräftiges Spiel und würde, wenn auch Spohr zuweilen mit seiner Violine sie meisterhaft unterstützte, das Ohr der viel verlangenden Zuhörer im großen Saale nicht befriedigt haben, hätte sie nicht durch ihr bezauberndes Spiel, durch den ätherischen Anhauch ihrer Töne, durch die geflügelte Hand, die im Arpeggio hundert Saiten auf einmal zum Tönen brachte, durch ihr tempo rubato, worin ihr Gatte nur eine Seele mit ihr auszuatmen schien, die Zuhörer zu einer Aufmerksamkeit gezwungen, die eine Stille hervorbrachte, worin man jeden Atemzug vernehmen konnte. Es war eine schwere Aufgabe, ohne alle Mithilfe zur Befriedigung der Laien und Musikverständigen ein ganzes Konzert mit ihrem Spiele auszufüllen. Nur ein Potpourri in variierten Themen von eigner Komposition brauchte Spohr zur Abwechslung und die Mozartsche Arie: Gedenke mein, von Hoffmann zur Harfe seiner Gattin gesungen, die außerdem meistens Kompositionen von ihrem Manne vorträgt. Ein unvergleichliches Konzert von Rode gab Spohr noch zur letzten und vollen Befriedigung der Zuhörer im letzten vollen Konzerte. Spohr macht sich übrigens noch durch seine Bereitwilligkeit verdient, talentvolle Männer aufzunehmen, die ihre letzte Ausbildung unter seiner Leitung suchen werden.«
Bei meiner Rückkehr nach Gotha wurde ich von meinen Schülern, deren einige während meiner Abwesenheit dort geblieben, andre kürzlich zurückgekehrt waren, einige Stunden vor der Stadt festlich eingeholt und von ihnen in meine sorgfältig geschmückte Wohnung geführt. Hier fanden wir Dorettens Verwandte versammelt, um uns zu begrüßen, und auch unser geliebtes, von der Großmutter gut gepflegtes Kind im blühendsten Wohlsein. Da wir auf unsrer Reise nicht nur reichlichen Beifall eingeerntet, sondern auch eine für unsre Verhältnisse nicht unbedeutende Summe erübrigt hatten, so fühlten wir uns, in unsre Häuslichkeit zurückgekehrt, nun recht sorgenfrei und glücklich.[110]
Sobald ich die Leitung der Hofkonzerte wieder übernommen hatte, drängte es mich zu neuen Kompositionsarbeiten. Zuerst schrieb ich einen Potpourri mit Orchesterbegleitung (op. 23 bei André in Offenbach) auf, den ich bereits während der Reise größtenteils im Wagen ersonnen hatte. Ich war sehr begierig, eine in demselben enthaltene und, wie es mir damals schien, sehr künstliche Kombination zweier Themen auf dem Papiere zu sehen, und noch begieriger, sie vom Orchester ausführen zu hören. Dieser Potpourri beginnt nämlich mit einem heitern, für die Solostimme brillanten Allegro in G-dur, woran sich das Thema aus der Entführung: »Wer ein Liebchen hat gefunden« in G-moll anschließt. Nachdem dieses fünfmal abwechselnd in Moll und Dur variiert worden ist, wird es als sechste Variation von den Blasinstrumenten aufgenommen und in freifugierten Eintritten eine Zeitlang durchgeführt. Bei der Rückkehr in die Haupttonart übernimmt dann das erste Horn die Melodie des Liedes in Dur und führt sie vollständig zu Ende. Hierzu ertönt nun sehr überraschend das Einleitungs-Allegro der Prinzipal-Stimme von neuem und umschlingt sie gleichsam als freie Phantasie, während es früher als selbständiges Musikstück erschien. Ich war mit der Wirkung dieser Kombination bei der Probe sehr zufrieden, mußte jedoch, als ich nun den Potpourri im Hofkonzerte vortrug, zu meinem Leidwesen erleben, daß meine sinnreiche Zusammenstellung der beiden Themen nur von einigen Musikern bemerkt wurde, an den übrigen Zuhörern aber spurlos vorüberging.
Das nächste, was ich nun schrieb, war die Konzertante für zwei Violinen (op. 48 bei Peters in Leipzig). Hierzu veranlaßte mich zunächst die Virtuosität einer meiner Schüler, eines Herrn Hildebrandt aus Rathenow, mit dem ich gern zusammen spielte. Dieser junge Mann hatte unter meiner Leitung binnen einem Jahre so bedeutende Fortschritte gemacht, daß er einer der ersten Geiger Deutschlands zu werden versprach. Leider trat später der völligen Ausbildung seines Talentes eine, ich weiß nicht mehr durch welchen Unfall herbeigeführte Verwundung der linken Hand entgegen, weshalb er in der musikalischen Welt nicht so bekannt geworden ist, als dieses damals zu erwarten stand. Dieser Schüler hatte sich die Vortragsweise seines Lehrers in allen Nuancen so zu eigen gemacht, daß er als ein treues Abbild desselben gelten konnte. Unser Zusammenspiel war daher auch ein so einiges, daß, ohne auf uns zu sehen, nicht herauszuhören war, wer von uns die obere, wer die untere Stimme spiele. In solcher Weise hatten wir nun auch die neue Konzertante eingeübt, bevor wir sie im Hofkonzerte vortrugen. Wir machten damit aber auch solches Glück, daß die Herzogin die Wiederholung[111] derselben schon im nächsten Konzerte verlangte und sie auch später, solange Hildebrandt noch in Gotha verweilte, immer wieder auf das Programm gesetzt haben wollte, wenn Fremde bei Hofe zu Besuch waren.
Da meine Schüler damals mit mir so ziemlich von gleichem Alter und wohlerzogene, gebildete und für ihre Kunst begeisterte junge Leute waren, so hatte ich sie gern um mich und liebte es, mich von ihnen auf meinen Spaziergängen und kleinen Exkursionen in die Umgebung begleiten zu lassen. Ich schloß mich dann ihrem Tun und Treiben in allem an, turnte und schlug Ball mit ihnen und lehrte sie schwimmen. Ja, ich war wohl etwas mehr en camerade mit ihnen, als es die Würde des Lehrers seinen Schülern gegenüber gestattet. Doch litt meine Autorität dadurch nicht; denn ich wußte sie nicht nur streng während der Unterrichtsstunden, sondern auch außerdem stets aufrecht zu erhalten.
So hatte ich bereits im Frühjahr einen größern Ausflug mit meinen Schülern nach Liebenstein und auf den Inselsberg gemacht und war so befriedigt von dieser Reise zurückgekehrt, daß ich mich nun sehnte, in gleicher Weise auch einmal meinen geliebten Harz mit ihnen besuchen zu können Ganz unverhofft verschaffte mir eine Abwesenheit der Herzogin, wodurch einige Hofkonzerte ausfielen, den nötigen Urlaub dazu. Ich schlug daher sogleich meinen Schülern eine Fußreise auf den Harz vor und erhielt ihre freudige Zustimmung. Da diesmal unsre Abwesenheit vierzehn Tage dauern sollte, so konnte der Unterricht ohne großen Nachteil für die Schüler auf so lange nicht ausgesetzt bleiben. Ich beschloß daher, ihn auf der Reise in der gewohnten Weise fortzusetzen. Zu diesem Behufe nahm ich zwei Geigen mit, womit der Orchesterdiener Schramm, ein noch junger, mir sehr zugetaner Mann, bepackt wurde, während wir selbst das übrige, in zwei Tornister verteilte Gepäck trugen.
Bevor sich die Karawane in Bewegung setzen konnte, hatte ich noch meine Frau zu trösten, die sich in eine so lange Trennung, die erste seit unserer Verheiratung, nicht zu finden wußte und in Strömen von Tränen zerfloß. Erst als ich versprochen hatte, ihr jeden zweiten Tag zu schreiben, vermochte sie sich etwas zu beruhigen, und doch dauerte es noch lange, bis sie mich aus ihren Armen ließ. Auch mir war diese erste Trennung eine höchst schmerzliche!
Wie weit wir am ersten Tage kamen, und wo wir die folgenden Nächte blieben, erinnere ich mich nicht mehr; doch weiß ich noch sehr gut, daß[112] ich bei jeder Mittagsrast zweien meiner Schüler regelmäßig Unterricht erteilte und streng darauf hielt, daß sie am Abend, sobald das Nachtquartier erreicht war, abwechselnd übten. So waren wir am dritten oder vierten Tage bei großer Hitze eine Stunde hinter Nordhausen angelangt und hatten uns ermüdet in den Schatten einer Eiche am Ufer eines großen Teiches zur Ruhe niedergesetzt, als durch einen unglücklichen Zufall einer von unsern Tornistern das abschüssige Ufer hinabrollte und in das Wasser fiel, und zwar so entfernt vom Ufer, daß wir ihn mit unsern Wanderstäben nicht erreichen konnten. Da das Wasser tief war, so mußte ich mich, als der einzige geübte Schwimmer, schon entschließen ihn wieder herauszuholen Doch ehe ich noch die Kleider abwerfen konnte, hatte der Tornister so viel Wasser eingesogen, daß er zu sinken begann. Ich mußte daher auf der Stelle, wo er verschwunden war, untertauchen, bis es mir gelang, ihn wieder aufzufinden. Nachdem er ans Ufer gebracht und geöffnet war, fand sich sein Inhalt so durchnäßt, daß man ihn auf einem sonnigen Rasenplatze zum Trocknen ausbreiten mußte. Da vorauszusehen war, daß dies mehrere Stunden aufhalten würde, der Mittag herannahete und mit ihm sich der Hunger einstellte, so beschloß ich, hier die gewöhnliche Mittagsrast zu halten und dazu Lebensmittel aus Nordhausen herbeischaffen zu lassen. Das Los bestimmte einen der Schüler, sie einzukaufen, und Schramm begleitete ihn, um sie herzutragen. Unterdessen gab ich unter der großen Eiche meine beiden Lektionen, und die dabei nicht beschäftigten Schüler badeten sich auf einer seichtern Stelle des Teiches. Nach zwei Stunden kehrten die Ausgesandten schwer bepackt zurück, und nun wurde im Schatten der lieben Eiche, die sich gleich willig zum Speise- wie zum Konzertsaale hergab, ein köstliches Diner serviert und in fröhlichster Laune und mit dem besten Appetit verzehrt. Dabei erschallten fröhliche vierstimmige Männergesänge, von denen wir eine ansehnliche Sammlung mit uns führten und auch bereits recht gut eingeübt hatten. Hierauf wurden die nun wieder getrockneten Effekten eingepackt, und der Zug setzte sich von neuem in Bewegung.
In solch lustiger Weise besuchten wir alle bemerkenswerten Punkte des Unterharzes und bestiegen dann den Brocken. Dort angelangt, erging es uns wie neun Zehnteilen aller Reisenden; wir fanden ihn in Nebel eingehüllt und warteten bis zum folgenden Mittage vergebens, daß er sich enthüllen und uns eine Aussicht in die Ferne gestatten werde. Wir suchten unsern Verdruß darüber, so gut es gehen wollte, durch Singen, Spielen und Durchblättern der zahlreichen Bände des Brockenalbums[113] niederzukämpfen, ja, einer brachte sogar unsre Jeremias-Klagelieder über dieses Mißgeschick in ganz leidliche Reime, die ich sogleich zu einem dreistimmigen Kanon verarbeitete. Dieser wurde eingeübt, im Brockenhause sowie auch außerhalb desselben im Nebel fleißig gesungen und dann endlich neben unsere Namen ins Brockenbuch eingeschrieben, immer noch in der Hoffnung, es werde sich endlich doch aufklären. Aber vergebens! So mußten wir uns entschließen, unsern Stab weiterzusetzen.
Wir nahmen nun die Richtung nach Clausthal und hatten noch den Ärger, daß wir, in der Ebene angelangt, nunmehr die Brockenspitze eine Stunde später, wie wir sie verlassen, im hellsten Sonnenlichte glänzen sahen! – In Clausthal angekommen, mußte es unsre erste Sorge sein, die auf der Reise ungebührlich angewachsnen Bärte abnehmen zu lassen, um wieder ein etwas zivilisiertes Ansehen zu gewinnen. Wir ließen daher einen Bartscherer kommen und lieferten uns ihm einer nach dem andern unter das Messer. Dabei ereignete sich etwas sehr Komisches! Wir hatten sämtlich mehr oder weniger vom Halten der Geige unter dem Kinn eine wunde Stelle, und ich, der sich zuerst niedersetzte, machte den Barbier auf diese aufmerksam und forderte ihn auf, mit dem Messer schonend darüber hinzugehen. Als dieser nun bei jedem Folgenden denselben wunden Fleck wiederfand, verzog sich sein Gesicht immer mehr in ein pfiffiges Lächeln, auch murmelte er wiederholt etwas in sich hinein. Darüber befragt, sagte er dann mit wichtiger Miene: »Meine Herren, ich merke, daß Sie sämtlich zu einem geheimen Bunde gehören und dessen Abzeichen an sich tragen. Wahrscheinlich sind Sie Freimaurer, und ich freue mich, endlich zu wissen, woran man diese erkennen kann!« Als hierauf alle in ein lautes Gelächter ausbrachen, war er anfangs verdutzt, ließ sich aber in seinem Glauben doch nicht irre machen.
Nachdem wir eine Grube befahren und die Pochwerke und Schmelzhütten besucht hatten, setzten wir unsern Weg über Wildemann nach Seesen fort. Dort wurden wir von meinen Eltern und Geschwistern sowie von den Musikfreunden des Städtchens mit Jubel empfangen. Nun wurde vom Morgen bis zum Abend musiziert, ja sogar ein öffentliches Konzert veranstaltet, in welchem wir alle unsre Künste im Spielen und Singen zum besten gaben. Den Ertrag desselben schenkten wir der Armenschule zur Anschaffung neuer Schulbücher.
Höchst befriedigt von unsrer Reise kehrten wir über Göttingen und Mühlhausen nach Gotha zurück. Noch gedenke ich mit Rührung der innigen Freude, mit der mich mein liebes Weibchen bewillkommnete,[114] und nie habe ich lebhafter empfunden, welch ein Glück es gewährt, geliebt zu sein!
In dieser Zeit trug mir ein junger Dichter, ein Kandidat der Theologie, der in Gotha seiner Anstellung harrte, eine von ihm gedichtete Oper zur Komposition an, und ich ergriff mit Freude diese Gelegenheit, mich nochmals, und wie ich hoffte, nun mit besserm Erfolge, in der dramatischen Komposition zu versuchen. Die Oper hieß »Alruna, die Eulenkönigin«, war nach einer alten Volkssage bearbeitet und hatte dem Stoffe nach viel Ähnlichkeit mit dem »Donauweibchen«, das damals so allgemeines Aufsehen erregte. Ich begann sogleich meine Arbeit mit großem Eifer und vollendete die drei Akte der Oper, noch ehe das Jahr zu Ende ging. Da einige Nummern daraus, die ich im Hofkonzerte zu hören gab, großen Beifall fanden, so ermutigte mich dies, mein Werk dem Hoftheater in Weimar zur Aufführung anzutragen. Ich reisete selbst hin, um Herrn von Goethe, den Intendanten des Theaters, und Frau von Heygendorff, die erste Sängerin und Geliebte des Herzogs, günstig dafür zu stimmen. Ersterm überreichte ich das Buch, der letztern die Partitur der Oper. Da sie darin für sich und ihren Günstling Strohmeyer brillante Partien fand, so versprach sie, die Annahme der Oper zu befürworten, und da ich wußte, daß diese nur von ihr abhing, kehrte ich mit den besten Hoffnungen nach Gotha zurück. Doch bedurfte es noch mancher Erinnerung von meiner Seite, und es vergingen Monate darüber, bis es endlich zum Einstudieren der Oper kam. Als dieses dann soweit gediehen war, daß eine große Orchesterprobe stattfinden konnte, lud Frau von Heygendorff mich ein, diese zu dirigieren. Ich reisete daher zum zweitenmal nach Weimar, diesmal in Begleitung des Dichters.
Da ich nach Vollendung der Oper schon wieder allerhand Neues geschrieben hatte, so war sie meinem Gedächtnis ziemlich entschwunden, und ich glaubte, sie deshalb nun um so unbefangener beurteilen zu können. – Die Probe fand in einem Saale bei Frau von Heygendorff statt. Es hatten sich außer dem Intendanten, dem Herrn von Goethe, auch die Musikfreunde der Stadt, unter diesen Wieland, zum Zuhören eingefunden. Die Sänger hatten ihre Partien gut studiert, auch das Orchester hatte bereits eine Vorprobe gehalten, es wurde daher die Oper unter meiner Leitung recht gut exekutiert. Sie gefiel allgemein, und man überhäufte den Komponisten mit Lobsprüchen. Auch Herr von Goethe sprach sich lobend darüber aus. Nicht so gut kam der Dichter weg. Goethe hatte allerlei an dem Buche auszusetzen und verlangte besonders, daß[115] die Dialoge, die in Jamben geschrieben waren, erst in schlichte Prosa umgesetzt und bedeutend abgekürzt werden müßten, bevor die Oper zur Aufführung kommen könne. Dies Verlangen war dem Dichter besonders schmerzlich, da er sich auf seine metrischen Dialoge viel einbildete. Er erklärte sich gegen mich demohngeachtet bereit, die verlangte Abänderung vorzunehmen, konnte aber wegen andrer dringender Arbeit nicht sogleich dazu kommen. Mir war dies lieb, denn mit Ausnahme weniger Nummern hatte mir meine Musik bei der Probe in Weimar nicht genügt, sosehr sie auch dort gefiel, und es quälte mich von neuem der Gedanke, daß ich für dramatische Musik kein Talent besitze. Die Oper wurde mir daher immer gleichgültiger, und ich sah es gern, daß sich die Aufführung verzögerte. Endlich wurde mir der Gedanke, sie aufgeführt und veröffentlicht zu sehen, so fatal, daß ich die Partitur zurücknahm. Es ist daher auch außer der Ouvertüre, die als op. 21 bei André in Offenbach erschienen ist, nie etwas daraus gestochen worden. Ich war übrigens ungerecht gegen diese Arbeit, denn sie zeigt, mit der ersten Oper verglichen, doch unverkennbar einen großen Fortschritt im dramatischen Stil.
Im Jahre 1808 war zu Erfurt der berühmte Fürstenkongreß, bei welchem Napoleon seinen Freund, den Kaiser Alexander, und die deutschen Könige und Fürsten bewirtete. Alle Neugierige der Umgegend strömten hin, um die Pracht anzustaunen, die sich dort entfaltete. Auch ich machte in Gesellschaft einiger meiner Schüler eine Fußpartie nach Erfurt, weniger um die Großen der Erde, als die Größen des Théâtre français, Talma und die Mars, zu sehen und zu bewundern. Der Kaiser hatte nämlich seine tragischen Schauspieler aus Paris kommen lassen und ließ jeden Abend eines der klassischen Werke von Corneille oder Raçine aufführen. Einer solchen Vorstellung hoffte ich nebst meinen Gefährten beiwohnen zu dürfen; leider erfuhr ich aber, daß sie nur für die Fürsten und ihr Gefolge stattfänden und jeder andre davon ausgeschlossen sei. Ich hoffte nun, durch Vermittlung der Musiker Plätze im Orchester zu finden, aber auch dieses schlug fehl, da denselben aufs strengste untersagt war, irgend jemand mit hineinzunehmen. Endlich fiel mir der Ausweg ein, daß ich und meine drei Schüler an der Stelle ebenso vieler Musiker die Zwischenakte mitspielen und so der Vorstellung beiwohnen könnten. Da wir es uns etwas kosten ließen und die Musiker wußten, daß die Stellvertreter ihre Plätze genügend ausfüllen würden, so gaben sie ihre Zustimmung. Nun zeigte sich aber eine neue Schwierigkeit: es konnten nur drei von uns bei den beiden Violinen und der Viola plaziert[116] werden, und da keiner von uns ein andres Orchesterinstrument außer jenen spielte, so hätte einer zurückbleiben müssen. Da kam ich auf den Gedanken zu versuchen, ob ich nicht bis zum Abend so viel auf dem Horn erlernen könne, daß ich imstande sei, die Partie des zweiten Horns zu übernehmen. Ich ließ mir sogleich von dem, dessen Stelle ich einnehmen wollte, das Horn geben und begann meine Studien. Anfangs kamen fürchterliche Töne zum Vorschein; doch nach einer Stunde gelang es mir schon, die natürlichen Töne des Horns zur Ansprache zu bringen. Nach Tische, während meine Schüler spazierengingen, erneuerte ich im Hause des Stadtmusikus meine Übungen, und obgleich mir die Lippen sehr wehe taten, so ruhete ich doch nicht eher, als bis ich meine Hornstimme der allerdings leichten Ouvertüre und der Zwischenakte, die am Abend gespielt werden sollten, fehlerlos herausbringen konnte.
So vorbereitet schloß ich mich nebst meinen Schülern den andern Musikern an, und da jeder sein Instrument unter dem Arme trug, so kamen wir auch unangefochten glücklich zu unsern Plätzen. Wir fanden den Saal, in welchem das Theater aufgeschlagen war, schon glänzend erleuchtet und mit dem zahlreichen Gefolge der Fürsten angefüllt. Dicht hinter dem Orchester befanden sich die Plätze für diese selbst. Bald nachdem der fähigste meiner Schüler, dem ich die Leitung der Musik übertragen und dessen Direktion ich mich selbst als neugebackner Hornist untergeordnet hatte, das Orchester hatte einstimmen lassen, erschien der Kaiser mit seinen Gästen, und die Ouvertüre begann. Das Orchester bildete, mit dem Gesicht nach dem Theater gekehrt, eine lange Reihe, und es war jedem Mitwirkenden streng untersagt, sich umzukehren und die Fürsten neugierig zu betrachten. Da ich davon im voraus unterrichtet war, hatte ich einen kleinen Spiegel zu mir gesteckt, mit dessen Hülfe ich, sobald die Musik geendet hatte, unbemerkt die Lenker der europäischen Geschicke, einen nach dem andern genau betrachten konnte. Bald zog mich indessen das vortreffliche Spiel der tragischen Künstler so ausschließlich an, daß ich den Spiegel meinen Schülern überließ und meine ganze Aufmerksamkeit dem Theater zuwandte. – Bei jedem der folgenden Zwischenakte mehrten sich aber die Schmerzen an meinen Lippen, und nach Beendigung der Vorstellung waren sie so angeschwollen und wund geworden, daß ich kaum zu Abend essen konnte. Selbst am andern Tage bei der Rückkehr nach Gotha sahen sie noch sehr negerartig aus, und meine Frau war daher nicht wenig erschrocken, als sie mich wiedersah; fast aber noch mehr stutzte sie, als ich ihr scherzend[117] sagte, es komme das vom vielen Küssen der Erfurterinnen! Nachdem ich ihr jedoch die Geschichte meiner Hornstudien mitgeteilt hatte, wurde ich tüchtig von ihr ausgelacht. In jener Zeit (ich erinnere mich jedoch nicht mehr, ob auf der Reise nach Erfurt oder auf einer früheren) übernachtete der Kaiser Napoleon auch einmal im Schlosse zu Gotha, und es wurde daher am Abend vorher ein Hofkonzert angesagt. Ich und meine Frau hatten die Ehre, vor dem Allgewaltigen zu spielen, und er richtete einige freundliche Worte an uns. Auch erhielten wir am folgenden Tage unsern Anteil an den 100 Napoleondors, die er als Geschenk für die Hofkapelle zurückgelassen hatte.
Damals stand der Herzog von Gotha sehr in Gunst bei ihm, und man hoffte davon viel Gutes für das Land. Später mußte er aber sie durch irgend etwas verscherzt haben, denn es ereignete sich bei einer spätern Durchreise des Kaisers eine Szene, welche die Bewohner Gothas mit Ingrimm gegen den Tyrannen erfüllte. – Man erwartete den Kaiser um elf Uhr. Es war daher im Schlosse Friedrichsthal, wo der Hof im Sommer wohnte, ein Frühstück vorbereitet und der Hofstaat in Gala versammelt. Die Gothaischen Postpferde warteten bereits angeschirrt im Schloßhofe, um den Kaiser sogleich nach eingenommenen Frühstück weiter zu befördern. Endlich ertönte oben am Friedenstein der erste Salutschuß, deren bei jeder Durchreise des Kaisers 101 abgefeuert wurden. Bald darauf rollte sein Wagen heran. Der Herzog, vom Hofstaat umgeben, stand entblößten Hauptes bereits am Gittertor, nahete sich demutsvoll dem Wagen und bat, daß Seine Kaiserl. Majestät geruhen wolle, ein Frühstück einzunehmen. Ein kurzes non! und der Befehl an seinen Mamelucken, die Pferde vorhängen zu lassen, war die Antwort. Ohne den Herzog weiter eines Wortes oder Blickes zu würdigen, lehnte er sich im Wagen zurück und ließ den Fürsten in der peinlichsten Verlegenheit am geschlossenen Schlage stehen. Der Herzog erblaßte vor innerm Grimme, sich so in Gegenwart seines Hofes und Volkes beschimpft zu sehen, und hatte doch nicht den Mut, sogleich ins Schloß zurückzukehren. So vergingen in lautloser Stille fünf bis sechs fürchterlich lange Minuten, bis endlich die Pferde angespannt waren. Beim ersten Anziehen derselben wurde der Kopf des Kaisers noch einmal sichtbar, und mit einem kalten Nicken fuhr er von dannen. Der Herzog kehrte wie vernichtet ins Schloß zurück, und die Bürger äußerten laut ihre Wut, daß der übermütige Korse ihren Fürsten so beschimpft hatte!
Am 6. November 1808 wurde ich von meiner Gattin mit einem zweiten Töchterchen beschenkt, das, von der Stiefschwester meiner Frau, Madame[118] Hildt, über die Taufe gehalten, den Namen »Ida« bekam. Die Niederkunft ging ebenso leicht und glücklich wie die frühre vonstatten, und das Befinden der Wöchnerin war in den ersten Tagen vortrefflich. Hierdurch verleitet, hatte sie aber zu früh das Bett verlassen, sich erkältet und die traurige Folge davon war, daß sie von einem heftigen Nervenfieber ergriffen wurde. Mehrere Tage schwebte ihr Leben in großer Gefahr! Ich verließ sie weder Tag noch Nacht, da sie nur von mir gern Pflege annahm. Was ich an ihrem Krankenlager litt, läßt sich nicht beschreiben! Geängstigt von ihren Fieberphantasien, von der bedenklichen Miene des Arztes, der meinen Fragen auswich, gepeinigt von innern Vorwürfen, sie nicht besser gehütet zu haben, fand ich während der Krisis der Krankheit auch nicht einen Augenblick Ruhe. Endlich verkündete die wieder heiter gewordne Miene des Arztes, daß die Gefahr vorüber sei, und ich, dem in den letzten Tagen erst recht klar geworden war, was ich an meiner Frau besitze und wie unendlich ich sie liebe, fühlte mich nun unaussprechlich glücklich. Die Genesung machte rasche Fortschritte; doch blieb eine große Schwäche zurück, von der Dorette erst im Frühjahr völlig befreit wurde, als ich auf den Rat des Arztes eine Gartenwohnung mietete und ihr dadurch den fortwährenden Genuß der frischen Luft verschaffte. Hierdurch gestärkt, begann sie dann nach und nach auch wieder ihre musikalischen Studien, die sie fast ein halbes Jahr lang hatte aussetzen müssen.
In dem Verzeichnisse meiner sämtlichen Kompositionen, das ich bald nach meiner Anstellung in Gotha begann und bis in die neueste Zeit fortführte, sind vom Jahr 1808 außer den bereits genannten Kompositionen noch folgende verzeichnet: Zwei Violinduetten (Op. 9) und eines für Violine und Viola (Op. 13), Variationen für die Harfe und zwei Quartetten für Streichinstrumente. In Quartetten, wohl der schwierigsten aller Kompositionsgattungen, hatte ich mich schon ein Jahr früher versucht. Es ging mir aber damit wie mit den Gesangskompositionen. Bald nach ihrer Vollendung gefielen sie mir nicht mehr. Ich würde sie deshalb auch nie veröffentlicht haben, hätte sie mir nicht mein Verleger in Leipzig, Herr Kühnel, bei dem ich sie im Herbst 1807 spielte, fast mit Gewalt zurückbehalten und bald darauf als Op. 4 herausgegeben. Die beiden neuen Quartetten (Op. 15, ebenfalls bei Kühnel) gefielen mir nun zwar etwas länger; doch habe ich es später, als ich im Quartettstil Bessres zu leisten erlernt hatte, ebenfalls bereut, sie herausgegeben zu haben. Die beiden ersten Quartetten dedizierte ich dem Herzoge von Gotha, doch nur, weil dieser es selbst verlangte.[119] Denn so gern ich meine Arbeiten Künstlern und Kunstfreunden als ein Zeichen meiner Achtung und Freundschaft widmete, so konnte ich es doch in meinem Künstlerstolz nie über mich gewinnen, sie des Gewinnes wegen den Fürsten zuzueignen, es sei denn, daß diese es ausdrücklich begehrten.
In jener Zeit, wo der Herzog mich aufforderte, ihm meine Kompositionen zu dedizieren, ließ er mich auch öfters zu sich rufen, um sich mit mir über seine Kunstliebhabereien zu unterhalten. Er war bekanntlich trotz seiner Sonderbarkeiten ein Mann von Geist und Bildung, wie seine im Druck erschienenen Dichtungen und sein Briefwechsel mit Jean Paul hinlänglich dartun. Um die Regierungsgeschäfte bekümmerte er sich jedoch nicht im mindesten und überließ sie ausschließlich dem Geheimerate von Frankenberg, der daher der eigentliche Regent des Landes war. Genötigt, pro forma den Sitzungen des Geheimen-Rates beizuwohnen, langweilte er sich bei dem dort Verhandelten fortwährend und suchte es daher möglichst abzukürzen, indem er seine Teilnahmslosigkeit selbst persiflierend sagte: »Wollen die Herren Geheimeräte nun nicht bald die Gnade haben, zu befehlen, was ich befehlen soll?«
Damals hatte er, vielleicht durch meine Gesangskompositionen angeregt, Lust bekommen, eines seiner größern Gedichte, eine Art von Kantate in Musik zu setzen. Er erzeigte mir die Ehre, mich darüber zu Rate zu ziehen. Da der Herzog es aber wahrscheinlich nicht über sich gewinnen konnte, mich seine Unwissenheit in der Musik merken zu lassen, so wandte er sich wegen der Ausführung an seinen alten Musiklehrer, den Konzertmeister Reinhardt. Von diesem habe ich dann später einmal in einer unbewachten, vertraulichen Stunde erzählen hören, wie die Komposition der Kantate zustande kam. Der Herzog las seinem am Klavier sitzenden Lehrer einen Satz des Textes vor und setzte ihm seine Ansichten über die Art, wie er komponiert werden müsse, auseinander. Reinhardt mußte ihm dann, weil der Herzog einmal von der Charakteristik der Tonarten gehört oder gelesen hatte, verschiedene derselben in Akkordfolgen anschlagen, damit er die richtigen für seinen Text herausfinde. War dieser heiter, so wurde eine Tonart in Dur, war er traurig, eine in Moll gewählt. Nun geschah es aber eines Tages, daß dem Herzog für seinen Text das Dur zu heiter und das Moll zu traurig war; und er verlangte daher von dem armen Reinhardt, er solle ihm die Tonart in halb Moll anschlagen! – Waren sie nun über diesen Punkt einig, dann mußte die für den Text passende Melodie gefunden[120] werden. Der Herzog pfiff also alles, was ihm von Melodien einfallen wollte, und überließ es dann dem Lehrer, diejenige herauszufinden, welcher sich der Text am bequemsten unterlegen ließ. Waren so einige Zeilen des Gedichtes erledigt, so ging man zu den folgenden über. Der solcher Weise in den Weihestunden des Herzogs zustande gebrachte Entwurf wurde nun, da Reinhardt nicht komponieren, wenigstens nicht instrumentieren konnte, dem Kammermusikus Backofen übergeben, um daraus die Partitur zu machen. Dieser konnte von den ihm überlieferten Materialien begreiflicherweise nur sehr wenig gebrauchen und mußte daher die Kantate so gut wie ganz neu komponieren. Da er aber viel Kompositionstalent besaß, so entstand unter seinen Händen eine Musik, die sich recht gut anhören ließ. Das so vollendete Werk wurde nun ausgeschrieben, unter meiner Leitung sorgfältig eingeübt und dann im Hofkonzerte aufgeführt. Der Herzog, der doch wohl ein wenig verwundert sein mochte, wie gut seine Musik klang, nahm mit zufriedner Miene die Glückwünsche und Huldigungen des Hofes entgegen, belobte mich, daß ich bei dem Einüben so gut in seine Intentionen einzugehen gewußt habe, und ließ seinen beiden Mitarbeitern heimlich ihr Honorar auszahlen. So war alle Welt zufrieden gestellt!
Im Winter 1808 bis 9 veranstaltete ich zum Besten des Hoforchesters Abonnementskonzerte in der Stadt. Da diese aber nichts Beßres bieten konnten, als was die Hofkonzerte ebenfalls brachten, und letztere von den Musikfreunden der Stadt, für die im Konzertsaale hinter dem Orchester ein geräumiger Platz vorbehalten war, sehr zahlreich besucht wurden, so fanden sie nur wenig Teilnahme. Der Ertrag war daher nach Abzug der Kosten ein so geringer, daß man es nicht der Mühe wert fand, das Unternehmen zu wiederholen.
In einem dieser Konzerte trat Herr Hermstedt, Direktor der Harmoniemusik des Fürsten von Sondershausen, als Klarinettist auf und erregte durch seine schon damals ausgezeichnete Virtuosität großes Aufsehen. Er war nach Gotha gekommen, um mich zu bitten, ihm ein Klarinettkonzert zu schreiben, wofür sein Fürst unter der Bedingung, daß Hermstedt es als Manuskript besitze, ein nicht unbedeutendes Honorar zu zahlen sich erbot. Ich ging gern auf den Vorschlag ein, da mir die immense Fertigkeit, welche Hermstedt neben schönem Ton und reiner Intoniation besaß, volle Freiheit gewährte, mich ganz meiner Phantasie zu überlassen. Nachdem ich mit Hermstedts Hilfe mich ein wenig mit der Technik des Instrumentes bekannt gemacht hatte, ging ich rasch an die Arbeit und vollendete sie in wenigen Wochen. So[121] entstand das C-moll-Konzert, (einige Jahre später als Op. 26 bei Kühnel gestochen), mit welchem Hermstedt auf seinen Kunstreisen so großes Glück machte, daß man wohl behaupten kann, er verdanke ihm hauptsächlich seinen Ruf. Ich überbrachte es ihm selbst bei einem Besuch in Sondershausen zu Ende des Januars 1809 und weihete ihn in die Vortragsweise desselben ein. Bei dieser Gelegenheit trat ich in einem von Hermstedt veranstalteten Konzert auch als Geiger auf und spielte zum erstenmal mein Konzert in G-moll (Op. 28), welches erst einige Tage vorher fertig geworden war, und einen ebenfalls neuen Potpourri (Op. 24). Der Hofsekretär Gerber, Verfasser des Tonkünstler-Lexikons, berichtet darüber sowohl in dem genannten Werke unter dem Artikel Spohr, als auch in einem mit Begeisterung geschriebenen Aufsatze der Musikalischen Zeitung, welcher in Nummer 26 des elften Jahrganges abgedruckt ist. Der dritte Satz dieses Konzertes ist ein spanisches Rondo, dessen Melodien nicht von mir erfunden, sondern echt spanische sind. Ich erhorchte sie von einem bei mir einquartierten spanischen Soldaten, der zur Guitarre sang. Ich notierte, was mir gefiel, und verwebte es in mein Rondo. Um diesem dann noch mehr den spanischen Charakter zu geben, kopierte ich auch in der Orchesterpartie die Guitarrebegleitung, wie ich sie von dem Spanier gehört hatte.
Zu Anfang desselben Winters erhielt ich auch einen Besuch vom Kapellmeister Reichardt aus Kassel und machte so zuerst dessen persönliche Bekanntschaft. Reichardt erzählte, er reise im Auftrag seines Hofes nach Wien, um Sänger für ein in Kassel zu errichtendes deutsches Theater zu engagieren. Diese Angabe erwies sich später als falsch, da Reichardt schon damals aus westfälischen Diensten entlassen war. Ich hatte mich durch Reichardts herbe Kritik meines Spiels bei meinem ersten Auftreten in Berlin anfangs sehr verletzt gefühlt; da ich aber bald zu der Erkenntnis kam, daß sie manches Wahre und Begründete enthalte, und dies mir Veranlassung wurde, mich von den gerügten Mängeln meines Vortrags frei zu machen, so war an die Stelle der frühern Empfindlichkeit nun längst ein Gefühl der Dankbarkeit getreten. Ich empfing daher meinen Gast mit großer Herzlichkeit und veranstaltete ihm zu Ehren sogleich eine Musikpartie bei mir, in welcher ich ihm meine beiden neuen, eben vollendeten Violinquartetten zu hören gab. Da ich in jener Zeit von Reichardts Kompositionen noch nichts als ein paar gelungene Lieder kannte und daher den berühmten Verfasser der »Vertrauten Briefe aus Paris« und den gefürchteten Kritiker noch für einen großen Komponisten hielt, so legte ich Wert auf[122] dessen Urteil und sah ihm mit Spannung entgegen. Ich fühlte mich daher nun von neuem unangenehm berührt, als Reichardt auch an diesen Quartetten allerhand auszusetzen hatte und dies sans gêne aussprach. Vielleicht war es aber nur die selbstgefällige Miene der Unfehlbarkeit, mit der dieser seine Urteile verkündete, von der ich mich verletzt fühlte; denn später mußte ich mir abermals gestehen, daß in Reichardts Ausstellungen manches Begründete enthalten sei. Besonders war es eine Bemerkung, derer ich mich bei spätern Arbeiten noch oft erinnerte. Ich hatte nämlich in einem Adagio von Anfang bis zu Ende nach Mozartscher Weise eine Figur bald in der einen, bald in der andern Stimme durchgeführt und in meiner Freude über die künstlichen Verschlingungen nicht bemerkt, daß dies zuletzt monoton wurde. Reichardt aber, obwohl er die Durchführung lobte, sprach dies schonungslos aus und setzte noch boshaft hinzu: »Sie ruheten nicht eher, als bis sie die Figur zu Tode gehetzt hatten!«
Im Frühjahr 1809 sah ich mich durch die außergewöhnlichen Ausgaben, die die Niederkunft und die darauffolgende Krankheit meiner Frau wie der dadurch nötig gewordene Umzug in eine zweite Wohnung außerhalb der Stadt verursacht hatten, so in meinen Finanzen bedrängt, daß ich ernstlich wünschen mußte, die Zusage baldiger Gehaltserhöhung, die mir bei meiner Anstellung gemacht worden war, zur Wahrheit werden zu sehen. Ich wandte mich daher mit einem Gesuche an den Herzog, welches aber, da dieser sich um Verwaltungsangelegenheiten nicht bekümmerte, ganz ohne Erfolg blieb und wahrscheinlich ungelesen bei Seite gelegt war. Der Intendant, Baron von Reibnitz, riet mir daher, mich nun an den Geheimerat von Frankenberg zu wenden und diesem persönlich mein Gesuch um Gehaltszulage zu überreichen. Ich befolgte den Rat und pilgerte an einem schönen Frühlingsnachmittag nach dem Gute des Geheimerats, welches, eine halbe Stunde von Gotha entfernt, an der Erfurter Straße lag. Ich traf ihn in seinem Garten unter einer großen Linde sitzend und mit seiner Tochter Schach spielend. Da ich dieses Spiel seit meiner frühesten Jugend kannte, übte und leidenschaftlich liebte, so wandte ich nach kurzer Begrüßung der Spielenden sogleich meine ganze Aufmerksamkeit der eben gespielten Partie zu. Als dies der Geheimerat bemerkte, ließ er für mich neben den Spieltisch einen Stuhl setzen und spielte ruhig weiter. Das Spiel stand bei meiner Ankunft schon sehr schlecht für die Tochter, und es dauerte daher auch nicht lange, so wurde sie vom Vater mattgesetzt. Ich hatte mir den Stand der Figuren wohl gemerkt, und es war mir dabei ein Ausweg eingefallen,[123] wie dem Matt noch vorgebeugt werden konnte. Ich äußerte dies, und sogleich wurde ich vom Geheimerat, der seines Sieges gewiß zu sein glaubte, aufgefordert, einen Versuch zu machen. Die Figuren wurden wieder so aufgesetzt, wie sie bei meiner Ankunft standen, und ich übernahm nun das Spiel der Tochter. Nach einigen gut kombinierten Zügen gelang es mir, meinen König aus aller Gefahr zu befreien, und ich operierte nun mit solchem Erfolg gegen meinen Gegner, daß dieser sich bald für besiegt erklären mußte. Der Geheimerat, obgleich ein wenig empfindlich über seine Niederlage, war doch auch sehr frappiert über den unerwarteten Ausgang des Spiels. Er reichte mir mit Freundlichkeit die Hand und sagte: »Sie sind ein tüchtiger Schachspieler und müssen mir öfter das Vergnügen machen, mit mir zu spielen.« Dies geschah, und da ich weltklug genug war, nicht zu viele Partien zu gewinnen, so setzte ich mich bei meinem neuen Gönner bald in große Gunst, und die Folge davon war, daß das Reskript über eine Zulage von zweihundert Talern sehr bald ausgefertigt wurde.
Dorette hatte gegen die Mitte des Sommers durch den fortwährenden Genuß der freien Luft und durch häufige Spaziergänge, die nach und nach bis zu kleinen Exkursionen in die Umgegend ausgedehnt wurden, ihre frühre Kraft und Gesundheit wiedergewonnen und widmete sich nun mit erneuetem Eifer dem Studium ihres Instruments, um sich für die beabsichtigte zweite große Kunstreise würdig vorzubereiten. Da ich die Eigentümlichkeit der Harfe, ihre Effekte und das, was meine Frau insbesondere darauf zu leisten vermochte, nun immer genauer kennen lernte, schrieb ich in jener Zeit wieder eine große Sonate für Harfe und Violine (op. 115 bei Schuberth in Hamburg) und bemühete mich, das Ergebnis meiner Erfahrungen dabei in Anwendung zu bringen. Es gelang mir; die Harfenpartie dieser Sonate war bequemer zu spielen und zugleich brillanter wie die der frühern. Dorette übte sie daher mit besondrer Vorliebe ein und spielte dieses neue Werk bald mit derselben Sicherheit wie die vorhergehenden.
So nun von neuem zu einer Kunstreise gerüstet, fingen wir an zu überlegen, welche Richtung für dieselbe wohl die vorteilhafteste sein werde. Ich hatte von einem Reisenden, der eben aus Rußland zurückkehrte, erfahren, daß mein und meiner Frau Künstlerruf auch schon bis dahin gedrungen sei, und daß man unserm Besuche in Petersburg bereits vergangenen Winter entgegen gesehen habe. Da ich überdies hoffen durfte, vom Hofe zu Weimar gewichtige Empfehlungen an den kaiserlichen Hof zu Petersburg zu erhalten, so schien mir eine Reise nach Rußland den[124] meisten Erfolg zu versprechen. In eine so weite Entfernung von der Heimat wollte aber Dorette nicht einwilligen, weil sie die Trennung von ihren Kindern auf so lange Zeit nicht glaubte ertragen zu können. Als ich ihr aber vorstellte, daß, wenn wir überhaupt nach Rußland reisen wollten, dies jetzt, wo unsre Kinder in der sorgsamen Pflege der Großmutter uns noch wenig vermissen würden, leichter auszuführen sein werde als später, so gab sie, wiewohl mit blutendem Herzen, endlich ihre Zustimmung. Da ich voraus wußte, daß auch die Herzogin in eine so lange Entfernung, als zu einer Reise nach Rußland erforderlich war, nicht einwilligen werde, so verschwieg ich für jetzt das Ziel unsrer Reise und nannte als solches Breslau, wozu ich einen dreimonatlichen Urlaub erbat und erhielt. Von dort aus wollte ich dann um Verlängerung desselben zur Weiterreise nachsollizitieren.
Wir traten unsre Reise im Oktober 1809 an, spielten zuerst in Weimar und erhielten von der Großfürstin die gewünschte Empfehlung an ihren Bruder, den Kaiser Alexander, sowie noch andre an russische Große. Dann gaben wir in Leipzig Konzert, worüber die Musikalische Zeitung folgenden kurzen Bericht enthält: »Herr Konzertmeister Spohr mit seiner Gattin machte uns das Vergnügen, einen ganzen Abend mehrere seiner neuesten Kompositionen und ihn auf der Violin sowie seine Gattin auf der Harfe zu hören. Wir haben über diesen wahren Künstler und seine treffliche Gefährtin schon früher ausführlich und bestimmt gesprochen und können hier kurz sein. Beide haben während der Zeit, da wir sie nicht gehört, noch zum Bewundern große Fortschritte gemacht, sowohl in der Fähigkeit, noch mehrere Mittel ihrer Kunst in die Gewalt zu bekommen, als auch dieselben zu den würdigsten, schönsten Zwecken zu verwenden. Und haben die Kompositionen dieses Meisters sonst hier und allerwärts ungeteilten Beifall gefunden: so kann es den neuesten, welche wir jetzt hörten, noch weniger daran fehlen. In das Einzelne derselben einzugehen, wollen wir diesmal andern überlassen, welche hierzu um so leichter Gelegenheit finden werden, da das treffliche Paar auf einer Reise nach St. Petersburg begriffen ist.«
Von unsern Konzerten in Dresden und Bautzen weiß ich, da ich vergebens nach einem Berichte darüber gesucht habe, nichts weiter zu melden, als daß sie stattfanden, und zwar am 1. und 7. November, wie ich aus einem Verzeichnis der Einnahmen auf dieser Reise, das sich zufällig erhalten hat, ersehe. Von den drei Konzerten aber, welche wir am 18. November, 2. und 9. Dezember in Breslau gaben, findet sich ein Bericht in der Musikalischen Zeitung, der von unserm Spiele sehr lobend[125] spricht, an den Kompositionen aber einiges zu tadeln findet. Es heißt: »Das Urteil unserer Kunstfreunde über Herrn Spohr als Komponist stimmt ganz mit dem überein, das sie selbst früher über ihn gefällt haben? Er ist wirklich ein hochachtungswürdiger Tonsetzer. Eigen ist es aber doch, daß seine neueren Kompositionen, soweit sie uns bekannt geworden sind, sämtlich einen schwermütigen Charakter haben. Selbst der Potpourri, welchen er zum Schluß des Konzertes spielte, hatte etwas davon.«
Diese Bemerkung über die Melancholie meiner Kompositionen, die hier zuerst auftaucht und bei Beurteilung meiner Werke später so oft wiederholt worden ist, daß sie förmlich stereotyp wurde, ist für mich stets ein Rätsel geblieben, da mir meine Kompositionen in ihrer großen Mehrzahl vollkommen ebenso heiter zu sein schienen wie die irgend eines andern Komponisten. Besonders sind die, welche ich damals in Breslau zu hören gab, mit Ausnahme zweier Sätze, sämtlich so heitern Charakters, daß ich mir die Veranlassung zu der obigen Bemerkung noch immer nicht zu erklären weiß. Denn nur die beiden ersten Allegrosätze der Konzertante in H- und G-moll sind ernst (ersteres vielleicht auch etwas schwermütig), die andern Sätze aber sämtlich heiter. Dieses gilt auch von der Konzertante für zwei Violinen in A-dur, die ich mit Herrn Luge spielte, vom Anfang bis zu Ende; ja der dritte Satz ist sogar mutwillig scherzhaft. Auch die Harfenkompositionen sowie die Ouvertüre zu »Alruna« tragen keine Spur von Schwermut an sich; wie kommt also der Berichterstatter zu seiner Bemerkung? – Da indessen ähnliches bis in die neueste Zeit von meinen Kompositionen behauptet worden ist (so daß Leute, denen ich nicht persönlich bekannt war, mich für einen Misanthropen oder Kandidaten des Spleens hielten, während ich mich doch eines stets heitern Sinnes zu erfreuen hatte), so muß wohl etwas Wahres daran sein, und ich glaube dies nun darin zu finden, daß man das vorherrschende Schwärmerische und Gefühlaufregende in meinen Kompositionen sowie meine Vorliebe für die Molltonarten als Ausbrüche von Melancholie genommen hat. Ist dem so, so kann ich es mir schon gefallen lassen, obgleich es mich früher stets ärgerte.
Von der Ouvertüre zu »Alruna« sagt jener Breslauer Berichterstatter, sie sei »nicht frei von Reminiszenzen«. Er hätte geradezu sagen können, sie sei der Ouvertüre der »Zauberflöte« ganz und gar nachgebildet, denn dies war die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte. Bei meiner Verehrung für Mozart und der Bewunderung, die ich dieser Ouvertüre zollte, schien mir eine Nachbildung derselben etwas sehr Natürliches und Lobenswertes,[126] und ich hatte in jener Zeit der Entwickelung meines Kompositionstalentes schon mehrere ähnliche Nachbildungen Mozartscher Meisterwerke versucht, unter andern eine Arie voller Liebesklagen in »Alruna« nach der wundervollen Arie der Pamina: »Ach, ich fühl's, es ist verschwunden«. Obwohl ich nun bald nach jener Zeit zu der Einsicht kam, daß der Komponist auch in der Form seiner Musikstücke sowie in der Entwicklung seiner musikalischen Ideen originell zu sein sich bestreben müsse, so hat sich doch eine Vorliebe für jene Nachbildung der Zauberflöten-Ouvertüre noch bis in die neueste Zeit bewahrt, und noch jetzt halte ich sie für eine meiner besten und wirksamsten Instrumentalkompositionen. Sie ist auch nicht so sklavisch nachgeahmt, daß sie nicht auch einiges von eigner Erfindung enthielte, wie z.B. die auffallenden Modulationen in dem Einleitungs-Adagio und das zweite Fugenthema, womit die zweite Hälfte des Allegros beginnt und das dann mit dem Hauptthema recht glücklich verbunden ist! Auch die Instrumentierung, obwohl noch ganz in Mozartscher Weise, hat doch schon einiges Eigentümliches.
In Breslau fanden wir einen alten Bekannten aus Gotha, den bisherigen Intendanten der Kapelle, Herrn Baron von Reibnitz, der seinen Abschied genommen und sich auf sein Gut in Schlesien zurückgezogen hatte. Für die Wintermonate war er zur Stadt gekommen; bekannt mit allem, was in Breslau Musik trieb und liebte, führte er mich in die dortigen musikalischen Zirkel ein und war mir auch zu meinen Konzerten sehr behilflich. Breslau, von jeher eine der musikalischsten Städte Deutschlands, hatte damals so viele stehende Konzerte, daß fast an jedem Wochentage eines stattfand. Da nun auch noch täglich Theater war, so hielt es sehr schwer, einen passenden Tag für ein Extrakonzert zu finden, und fast noch schwerer, ein zahlreiches und gutes Orchester zusammen zu bringen. Dieser Schwierigkeit wurde ich jedoch durch die Gefälligkeit des Domkapellmeisters Schnabel überhoben, der mir nicht nur zu jedem meiner drei Konzerte ein gutes Orchester verschaffte, sondern auch jedesmal die Leitung übernahm. Unter der umsichtigen Leitung dieses erfahrnen Dirigenten wurden meine Kompositionen denn auch ganz zu meiner Zufriedenheit ausgeführt. Schnabel widmete ihnen eine besondere Teilnahme, die er bald auch auf den Komponisten übertrug, und die von diesem auf das herzlichste erwidert wurde. Wir gewannen uns sehr lieb und blieben bis zu Schnabels frühem Tode in freundschaftlicher Verbindung.[127]
Bald nach meiner Ankunft in Breslau, als ich mich eben anschickte, in Gotha die Verlängerung des Urlaubs zur Reise nach Rußland zu erwirken, erhielt ich durch Baron von Reibnitz ein Schreiben des Hofmarschalls Grafen Salisch in Gotha, der mir folgendes mitteilte:
Die Herzogin habe zu ihrem großen Leidwesen aus Weimar die Nachricht erhalten, daß ich eine Reise nach Rußland beabsichtige und erst nach Jahresfrist zurückzukehren gedenke. Da sie mich sowie meine Frau höchst ungern so lange bei den Hofkonzerten vermissen werde, so erbiete sie sich, wenn ich die Reise aufgeben und baldigst nach Gotha zurückkehren wolle, meiner Frau als Entschädigung dafür eine Anstellung als Solospielerin bei den Hofkonzerten und als Musiklehrerin der Prinzessin zu verschaffen. – Kaum hatte ich meiner Frau den Inhalt dieses Briefes mitgeteilt, so sah ich, wie die Hoffnung, ihre Kinder nun früher wiederzusehen, ihren Augen Freudentränen entlockte. Dies rührte mich so sehr, daß mein Entschluß, die Reise aufzugeben, sogleich feststand. Ich knüpfte daher mit dem Grafen Salisch, dem nunmehrigen Intendanten der Gothaer Kapelle, Unterhandlungen an, und als diese die Anstellung meiner Frau mit einem angemessnen Gehalt vom 1. Januar 1810 an sichergestellt hatten, versprach ich meinerseits, nun möglichst bald nach Gotha zurückzukehren. Wir beeilten daher unsre Abreise von Breslau und gingen über Liegnitz nach Glogau, wo wir am 13. und 18. Dezember sehr besuchte, von den dortigen Musikfreunden im voraus veranstaltete Konzerte gaben, nach Berlin.
Von dem Konzerte in Glogau erinnere ich mich noch eines höchst komischen Vorfalls. Es fand in einem Gebäude statt, das wohl einzig in seiner Art sein mochte; denn es enthielt im untern Stock die Fleischscharren, in der ersten Etage den Konzertsaal und darüber endlich das Theater der Stadt. Da der Saal sehr niedrig und mit Menschen überfüllt war, so wurde es bald unerträglich heiß. Das Publikum verlangte daher das Öffnen einer Falltür, die sich an der Decke des Saales befand und im Parterre des Theaters aufgezogen werden konnte. Nun war aber der Schlüssel zum Theater, das den Winter über unbenutzt geblieben war, durchaus nicht aufzufinden, und man brachte daher eine Stange herbei, um die Falltür aufzustoßen Anfangs wollte sie nicht weichen; als jedoch mehrere Männer ihre Anstrengungen vereinten, sprang sie plötzlich auf, überschüttete aber in demselben Augenblick die darunter sitzenden Damen mit einer solchen Masse Staub, Kirschkernen, Apfelschalen und[128] dergleichen, was sich seit Jahren im Parterre angehäuft hatte, daß diese nicht nur ganz damit bedeckt, sondern auch Orchester und Auditorium in eine solche Staubwolke eingehüllt wurden, daß im ersten Augenblick niemand erkennen konnte, was denn eigentlich geschehen sei. Nachdem es wieder hell geworden war, suchten die Damen, so gut es gehen wollte, ihre Hälse und Kleider von dem Schmutze zu befreien; die Musiker putzten ihre Instrumente ab, und das Konzert nahm seinen Fortgang.
Berlin fanden wir von Fremden sehr belebt und in festlicher Aufregung, weil man die Rückkehr des Hofes erwartete, der seit der unglücklichen Schlacht bei Jena fortwährend in Königsberg residiert hatte. Der Moment war daher zum Konzertgeben günstig; auch hatten wir schon im ersten Konzert noch vor Ankunft des Hofes ein zahlreiches Auditorium. Über unsre Leistungen sagt der Berichterstatter der M.Z.: »Gestern [4. Januar 1810] gab der Gothaer Konzertmeister, Herr Spohr, Konzert im Theatersaal. Er spielte das von ihm komponierte Violinkonzert in G-moll mit spanischem Rondo, ein Potpourri für die Violine und mit seiner fertig und ausdrucksvoll spielenden Frau eine Sonate für Pedalharfe und Violin, auch von seiner Komposition. Die Mus. Zeitung hat schon mehreremal dieses talentvollen Virtuosen und neulich auch dieser Kompositionen mit Ruhm gedacht. Auch hier lobte man Kompositionen und Spiel. Besonders bewunderte man die Doppelgriffe, die Sprünge und Triller, welche Hr. Sp. mit größter Fertigkeit ausführte, und durch den seelenvollen Ausdruck seines Spiels, besonders auch im Adagio, nahm er alle Herzen für sich ein. Wir haben Hoffnung, dies ehrenwerte Künstlerpaar künftige Woche noch einmal zu hören.«
Am 10. [Januar 1810] fand der festliche Einzug des in seine Residenz zurückkehrenden Herrscherpaares statt. Es war in der Tat eine ergreifende Szene, als der König an der Seite seiner Gemahlin im offnen Wagen langsam durch die vollgedrängten Straßen fuhr und von tausendstimmigem Zurufe und dem Wehen der Tücher aus allen Fenstern begrüßt wurde. Die Königin schien tief gerührt: denn es stahl sich eine Träne nach der andern aus ihren schönen Augen. Abends war die Stadt glänzend erleuchtet.
Am folgenden Tage, den 11., gaben wir unser zweites Konzert. Schon am frühen Morgen wurden wir mit Anfragen bestürmt, ob der Hof es besuchen werde. Wir konnten darüber noch keine Auskunft geben. Doch als die Königin gegen Mittag Billette holen ließ, verbreitete sich dies wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und die Zuhörer strömten nun in solcher[129] Menge herbei, daß sie der weite Saal kaum fassen konnte. Ich spielte, wie ich aus dem Bericht der Musikal. Zeitung ersehe, mein drittes Konzert in C-dur und mit meinem Schüler Hildebrandt, der bei einem Verwandten in Berlin zu Besuch anwesend war, meine Konzertante in A-dur. Die Genauigkeit unsres Zusammenspiels war noch die frühere und gewann uns auch hier wie damals in Gotha den lebhaftesten Beifall.
Der Berichterstatter ist jedoch damit nicht ganz einverstanden, indem er sich, wie folgt, darüber äußert: »Beide Spieler waren in der Konzertante nicht bloß einig, sondern wie Einer; und wenn das von der einen Seite Lob und sogar Bewunderung verdient, so wurde es doch auch etwas einförmig und einfarbig; man vermißte, und nicht gern, das Anziehende, welches aus der Vereinigung des Verschiedenen entspringt, wenn man durch die Vereinigung doch die Verschiedenheit noch hindurchblicken sieht, – statt eins zu werden, ward es einerlei.« – Das klingt sinnreich und hat doch wenig Sinn! Die beiden Solostimmen dieser Konzertante sind in einer Weise geschrieben, daß ihre volle Wirkung nur durch das genaueste Zusammenspiel zu erreichen ist. Dies ist aber in höchster Potenz nur dann möglich, wenn beide Spieler dieselbe Schule und dieselbe Vortragsweise haben. Ja, es ist sogar erforderlich, daß ihre Instrumente gleiche Stärke und möglichst gleiche Klangfarbe besitzen. Dies alles fand sich bei mir und meinem Schüler vereinigt; daher die große Wirkung unsres Zusammenspiels. Später habe ich auf meinen Reisen innerhalb und außerhalb Deutschlands diese Konzertante mit mehreren der berühmtesten Geiger meiner Zeit gespielt, die sämtlich als Virtuosen höher standen als mein Schüler Hildebrandt; eine gleiche Wirkung wie bei meinem Zusammenspiel mit diesem habe ich aber nie wieder erreichen können, da deren Schule und Vortragsweise von der meinigen zu verschieden waren.
Ich hatte anfangs die Absicht, von Berlin aus direkt nach Gotha zurückzukehren, um meiner Zusage nachzukommen. Da ich aber von einem Hamburger Musikfreunde erfuhr, daß dort jetzt ein sehr günstiger Zeitpunkt sei, um Konzerte zu geben, so bat ich in Gotha noch um einige Wochen Frist, um auch Hamburg vor meiner Rückkehr noch besuchen zu können. Sie wurde mir gewährt.
Hamburg war in jener Zeit von den Franzosen besetzt, die eine strenge Handelssperre gegen England verfügt hatten. Die dortigen, damals noch sehr reichen Kaufleute hatten daher wenig zu tun und um so mehr Muße, sich mit Musik zu beschäftigen und Konzerte zu besuchen. Da[130] uns nun ein guter Künstlerruf voranging, so war schon unser erstes Konzert, welches wir am 8. Februar 1810 im Apollosaal gaben, ein zahlreich besuchtes, das uns bei dem hohen Eintrittspreise von einem Hamburger Spezies beinahe 400 Taler eintrug. Da unser Spiel in diesem Konzerte große Sensation machte, so steigerte sich die Einnahme beim zweiten am 21. Februar zu der großen Summe von 1015 Taler. Zwischen beiden Konzerten gaben wir am 17. auch eines in Lübeck, wohin wir von den dortigen Musikfreunden eingeladen waren, und spielten dann zuletzt noch gegen ein angemessenes Honorar im Museum zu Altona.
Höchst zufrieden mit unsern Geschäften wollten wir nun abreisen. Da erschien der Sekretär des französischen Gouverneurs bei uns und forderte uns im Namen desselben auf, noch ein drittes Konzert zu geben, weil er und seine Gesellschaft es versäumt hätten, uns zu hören. Da ich, in der Besorgnis, daß ein solches nicht sehr besucht sein werde, mit der Antwort zögerte, so setzte der Herr noch hinzu, er habe den Auftrag, für den Gouverneur und dessen Gesellschaft zweihundert Billette zu nehmen. Dadurch waren alle Bedenken beseitigt, und wir gaben am 5. März noch ein drittes Konzert, welches abermals eine Einnahme von 510 Taler abwarf.
In Hamburg machte ich damals zuerst die persönliche Bekanntschaft von Andreas Romberg und dem Musikdirektor Schwencke. Beide berühmte Künstler nahmen mich auf das freundlichste auf und waren mir beim Arrangement meiner Konzerte möglichst behilflich. Romberg sorgte für ein gutes Orchester und übernahm die Direktion desselben, und Schwencke, der gefürchtete Kritiker, besorgte die Ankündigungen der Konzerte in den Zeitungen. Da sein Ausspruch als die höchste Autorität galt, so trug die günstige Weise, auf welche er das Künstlerpaar beim Publikum einführte, nicht wenig zu dem großen Erfolge bei, den wir in Hamburg fanden. Beide Künstler lebten in angenehmen Familienkreisen und hatten es gern, wenn ich und meine Frau zur Teestunde zu ihnen kamen. Dann wurde nur von Musik geplaudert und manches Belehrende und Ergötzliche vorgebracht. Romberg erzählte gern von seinem frühern Aufenthalte in Paris und wußte manches Pikante von den dortigen musikalischen Berühmtheiten zu berichten. Schwencke ergötzte durch seine geistreiche, aber beißende Kritik, von der fast nichts verschont blieb. Ich konnte es mir daher hoch anrechnen, daß meine Kompositionen wie mein Spiel günstig von ihm beurteilt wurden. Die Details, in die Schwencke dabei einging, waren für[131] mich sehr belehrend, und ich freute mich daher jedesmal, wenn ich ihn bei den Musikpartien als Zuhörer fand. Man machte damals viel Quartettmusik in Hamburg, und Romberg hatte sein Quartett, dessen Zierde der Violoncellist Prell war, vortrefflich eingeübt. Es war daher ein Vergnügen, sich ihnen anzuschließen. Romberg spielte nur eigne Quartetten und trug sie, obwohl kein großer Virtuos auf seinem Instrumente, doch fertig und mit Geschmack vor. Nur wurde er nie recht warm dabei, was schon daraus hervorging, daß er während des Quartettspieles seine Pfeife rauchen konnte. Ich spielte seine Lieblinge unter den Mozartschen und Beethovenschen Quartetten und erregte auch hier durch meine sich dem jedesmaligen Charakter der Komposition treu anschmiegende Vortragsweise große Sensation. Schwencke sprach sich geistreich darüber aus. Auf seinen Wunsch mußte ich auch zwei meiner eignen Quartetten spielen. Ich tat es ungern, da sie den Ansprüchen, die ich jetzt an diese Kompositionsgattung machte, nicht mehr entsprachen. Ich äußerte dies auch unverhohlen. Doch gefielen sie und fanden sogar vor Schwenckes scharfer Kritik Gnade. Nur Romberg war andrer Ansicht. Er sagte zu mir mit naiver Offenherzigkeit: »Mit Ihren Quartetten ist es noch nichts! Sie stehen den Orchestersachen weit nach!« So einverstanden ich damit war, so kränkte es mich doch, dieses Urteil von einem andern aussprechen zu hören. Als ich daher einige Jahre nachher in Wien Quartetten geschrieben hatte, die mir meiner übrigen Kompositionen würdig schienen, so widmete ich sie Romberg, um ihm zu zeigen, daß ich nun Quartetten schreiben könne, »mit denen es etwas sei!«
Bei einer der Musikpartien, denen ich und meine Frau beiwohnten, gab ein komisches Mißverständnis viel zu lachen. Ein reicher jüdischer Bankier, der mein Quartettspiel hatte rühmen hören, wollte seine Gesellschaft auch damit regalieren und lud mich also ein. Obgleich ich wußte, daß ich dort eine für solch edle Musik wenig empfängliche Gesellschaft finden würde, so durfte ich doch nicht ablehnen, da der reiche Mann zu jedem meiner Konzerte vierzig Billette genommen hatte. Ich sagte also zu, jedoch unter der Bedingung, daß zu meiner Begleitung die besten Künstler Hamburgs eingeladen werden müßten. Dies wurde versprochen, und wirklich fand ich auch, als ich in die glänzende Gesellschaft eintrat, nicht nur Romberg anwesend, sondern sah auch noch einen andern ausgezeichneten Geiger. Ich war daher der Begleitung wegen ganz beruhigt. Als aber die Quartettmusik beginnen sollte, kam[132] noch ein vierter Geiger mit seinem Instrumente herbei, und wir sahen nun mit Erstaunen, daß der Hausherr nur Geiger eingeladen hatte. Als guter Rechner wußte er nämlich, daß zu einem Quartett viere gehören, aber nicht, daß unter diesen auch ein Bratschist und ein Violoncellist sein müssen. Man riet dem in seiner Verlegenheit Ratlosen, schnell zu Herrn Prell ins Theater zu schicken. Da dieses aber schon beendet war, so konnte nun trotz allen Schickens weder dieser noch irgend ein andrer Violoncellist mehr aufgetrieben werden, und die Gesellschaft hätte ganz ohne Musik auseinandergehen müssen, wenn ich und meine Frau nicht eine unsrer Sonaten vorgetragen hätten. War nun schon die Musikkenntnis dieses Mäzens der Kunst nicht sehr groß, so war es seine Delikatesse noch viel weniger. Denn als ich an diesem Abend Abschied von ihm nahm, holte er aus seinem Schreibtische vierzig Spezies und sagte, indem er sie mir hinreichte: »Ich höre, Sie geben ein drittes Konzert; schicken Sie mir wieder vierzig Billetts; ich habe zwar die andern noch fast alle, will aber doch wieder neue nehmen.« Empört über die Unverschämtheit des reichen Juden, wies ich das Geld zurück und sagte: »Die frühern Billette gelten zwar im nächsten Konzerte nicht; die Ihrigen sollen es aber doch. Sie brauchen also keine neuen.« Und so ließ ich ihn abermals verlegen und beschämt vor seiner Gesellschaft stehen und wandte ihm den Rücken. Am Tage des Konzerts kam aber doch ein Diener des Krösus und holte die vierzig Billette.
Bevor ich Hamburg verließ, wurde mir noch ein Antrag gemacht, der mir viele Freude gewährte. Der berühmte Schauspieldirektor, Schauspieler und Schauspieldichter Schröder, der sich vor beinahe zehn Jahren in Ruhe gesetzt und damals sein Theater an andre Unternehmer verpachtet hatte, bekam plötzlich Lust, dasselbe nach Ablauf der Pachtzeit wieder selbst zu übernehmen. Die Hamburger Theaterfreunde jubelten, denn sie hofften davon ein neues Aufblühen ihrer ehemals unter Schröders Leitung so ausgezeichneten Bühne. Das neue Unternehmen sollte mit Anfang des Jahres 1811 beginnen und zuerst lauter Neues an Schauspielen und Opern bringen. Schröder selbst hatte dazu eine ganze Reihe von Schau- und Lustspielen gedichtet und auch vier Opernbücher erworben, die nun komponiert werden sollten. Drei davon waren bereits an Winter in München, Andreas Romberg und den Musiklehrer Clasing in Hamburg vergeben; das vierte aber, »Der Zweikampf mit der Geliebten« von Schink, wurde mir zur Komposition angetragen. Den Unterhändler machte ein früherer Bekannter von mir,[133] der Schauspieler Schmidt, ehemals bei der Magdeburger, jetzt bei der Hamburger Bühne angestellt.
So wenig ich bisher mit meinen dramatischen Arbeiten zufrieden gewesen war, so hatte doch die Lust, mich an solchen zu versuchen, nicht abgenommen. Ich nahm daher den Antrag an, ohne erst viel nach den Bedingungen zu fragen und ohne das mir bestimmte Opernbuch einer Prüfung zu unterwerfen. Die Bedingungen waren jedoch ganz annehmbar. Es wurde ein schriftlicher Vertrag darüber aufgenommen und von beiden Teilen unterzeichnet. Ich machte mich verbindlich, im Frühjahr 1811 meine Komposition abzuliefern und im Laufe des Sommers dann nach Hamburg zu kommen, um die drei ersten Aufführungen der Oper zu dirigieren.
So mit der Aussicht auf eine interessante Arbeit kehrte ich gern nach dem stillen Gotha zurück. Nur quälte mich noch die Besorgnis, daß die Herzogin unser langes Ausbleiben übel vermerkt haben werde, und ich wurde darin noch mehr bestärkt, als wir bei unserm Antrittsbesuch von der Herzogin nicht angenommen wurden. Wir sahen sie daher erst im Hofkonzerte wieder. Da ich wohl wußte, daß sie am sichersten zu versöhnen sei, wenn wir sogleich in diesem aufträten, so spielte ich mit meiner Frau eine meiner Sonaten und nach dieser die Lieblingsvariationen der Herzogin, die Rodeschen in G-dur. Dies verfehlte seine Wirkung nicht, denn nach beendetem Konzerte trat die Herzogin zu uns, begrüßte uns auf das freundlichste und ließ uns unsre Entschuldigungen nicht einmal beendigen. Beruhigt konnten wir nun das Glück, mit unsern Kindern wieder vereinigt zu sein, im ganzen Umfange genießen.
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