In der Schweiz

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Basel, den 2. April [1816]


Herr Tollmann, ein recht braver Geiger und Direktor und dabei der gefälligste und dienstfertigste Mensch, der mir je vorgekommen ist, hatte bereits mit Hilfe des hiesigen Musikvereins alles zu meinem Konzerte arrangiert. Es war nur noch vom regierenden Bürgermeister die Genehmigung einzuholen, daß ich den Eintrittspreis bis zu einem halben Laubtaler erhöhen dürfte. Diese wurde aber sogleich erteilt. Herr Tollmann führte mich zu den Vorstehern des Musikvereins, unter denen sehr artige und gebildete Leute waren. Sie widerlegten das Vorurteil, welches im Elsaß kursiert, der Baseler sei kalt und unhöflich, gewohnt, den Besuch Fremder vor der Türe abzufertigen. Ich wurde im Gegenteil fast von allen, die ich besuchte, mit Artigkeit und selbst mit Auszeichnung aufgenommen. – Da das Orchester mit Ausnahme von vier oder fünf Künstlern ganz aus Dilettanten besteht, so war das Akkompagnement meiner Solopiecen besonders von Seiten der Blasinstrumente fürchterlich! Wie ist der arme Tollmann zu beklagen, der solche Musik das ganze Jahr anhören muß! Und doch sollen, wie er behauptet, die Orchester in den übrigen Schweizer Städten noch schlechter sein. Ist dem so, so steht es um die Musik in der Schweiz noch erbärmlicher wie im Elsaß. Die guten Leute ergötzen sich noch an Kompostionen, die man in Deutschland schon zur Zeit der Pleyelschen Epoche ungenießbar fand. Mozart, Haydn und Beethoven kennen die meisten kaum dem Namen nach. Aber Freude haben sie an der Musik, und das Beste ist, sie sind leicht zu befriedigen. Denn so schlecht auch alle Orchestersätze in unserm Konzerte exekutiert wurden, die Leute waren doch sehr zufrieden und fanden, das Orchester habe sich diesmal besonders ausgezeichnet.[223]

Selbst eine Tenor-Bravourarie von Wenzel Müller, die ein Dilettant auf eine horrible Art herausbrüllte, fanden sie köstlich. Die Einnahme war bei wenigen Kosten sehr bedeutend.

Von der Umgebung Basels haben wir wegen der frühen Jahreszeit nur wenig sehen können. Die Lage der Stadt, von dem prächtigen Rhein in zwei Teile geteilt, ist sehr reizend (soll aber ungesund sein). Von der Bastei sieht man die gesprengten Festungswerke Hüningens im Schutt liegen. Die Basler sind über die Schleifung der Festung sehr froh, denn bei der letzten Belagerung flogen die Bomben bis mitten in ihre Stadt.


Zürich, den 10. April [1816]


Auf der Reise von Basel hierher haben wir wie jeder Reisende, der aus Deutschland kommt, nun hinlänglich die Erfahrung gemacht, daß man in der Schweiz zwar bequemer, aber auch fast noch einmal so teuer reist wie dort. Man findet hier in jedem Wirtshause, selbst in denen der kleinsten Dörfer, ein vollständiges und gut zubereitetes Mittags- oder Abendessen; der Preis dafür ist aber auch durch die ganze Schweiz ein halber Laubtaler für jede Person. Ebenso sind alle übrigen Bedürfnisse zwar gut, aber auch sehr teuer. Mit dem Fuhrwesen ist's fast noch schlimmer. Die Tour von Basel hierher abgerechnet, existiert in der Schweiz keine Extrapost, und man ist gezwungen, entweder mit der Diligence oder mit Mietpferden zu reisen. 2 Mietpferde kosten auf den Tag 3 Laubtaler, und man muß die Tage, wo sie zurückgehen, mitbezahlen. Da sie nun nie größere Tagereisen als von 12 Stunden machen, so kostet ein Weg von 12 Meilen 12 Laubtaler, die teuere Zehrung mittags und abends und das Trinkgeld für den Kutscher nicht einmal gerechnet. Die Extrapostpferde zwischen Basel und hier kosten auch beinah das Doppelte wie im Reich. Die Ursach, warum man durch die Schweiz keine Extraposten anlegt, liegt, wie man mir sagt, darin, daß die Privatpersonen, die die Diligencen haben, und die Wirte, die bei einer solchen Einrichtung, die das schnellere Reisen beförderte, sehr verlieren würden, es zu hintertreiben suchen und jedesmal, wenn davon die Rede war, protestierten, und so läßt man es bei dem Alten um so lieber bewenden, da dadurch den Reisenden recht viel Geld aus dem Beutel gelockt wird.

Auch hier existiert ein Musikverein. Diese Vereine in den Schweizer Städten sind eine wahre Wohltat für einen reisenden Künstler; sie übernehmen ganz allein das Arrangement des Konzerts. Das unserige fand schon den vierten Tag nach unsrer Ankunft statt, und wir hatten außer[224] unserm Spiele nichts dabei zu tun. Das Akkompagnement war freilich auch wieder sehr schlecht, und ich litt um so mehr dabei, da ich mich unglücklicherweise hatte bereden lassen, ein Konzert eigener Komposition zu wählen. Bei der Probe brachte ich es durch unzähliges Wiederholen der schwierigsten Stellen zwar dahin, daß es wie Musik klang; am Abend war das Orchester aber so konsterniert, daß es alles wieder über den Haufen warf! Zum Glück schien das Auditorium davon nichts zu merken, denn es äußerte seine große Zufriedenheit über alles, was es hörte.

Die Einnahme war noch brillanter als in Basel.

Es leben hier zwei Künstler, die auch in Deutschland bekannt sind. Der eine, Herr Nägeli, Besitzer einer Musikhandlung, die früher bedeutenden Verlag, seit einigen Jahren aber nur Kommissionshandel besitzt, (Komponist des in ganz Deutschland gesungenen Liedes: »Freut Euch des Lebens!«) hat sich neuerer Zeit durch seine »Gesanglehre nach Pestalozzischen Grundsätzen« einen Namen gemacht. Er mag als Theoretiker und musikalischer Schriftsteller große Verdienste besitzen, im praktischen Teile der Tonkunst und in der Geschmacksbildung scheint er es aber nicht weit gebracht zu haben; denn drei seiner Schülerinnen (er hat ein Singeinstitut errichtet und gibt 6 bis 7 jungen Damen im Harfenspiel Unterricht), die er uns als seine besten bezeichnete, von denen die eine eine Arie, die beiden andern ein Duett in unserm Konzerte vortrugen, sangen mit schlechter Methode und sehr geschmacklos. Der andere Künstler ist Herr Liste, ein Hildesheimer, der hier für einen vorzüglichen Klavierspieler und Lehrer gilt. Er ist durch Klavierkompositionen bekannt. Er brachte mir drei- und vierstimmige Männergesänge zur Ansicht, die mir in Melodie, Harmonie und Stimmführung sehr gefielen.

Zürich hat eine reizende Lage. Aus unserm Zimmer im Gasthofe »Zum Raben« können wir einen großen Teil des Sees übersehen. Das Ankommen und Abgehen der Schiffe gibt diesem Teile der Stadt sehr viel Leben. Die Ufer des Sees sind ringsum sehr bebauet, und besonders scheint uns zur rechten die Stadt wegen der vielen Landhäuser noch stundenweit fortzulaufen. Zürich ist auch reich an schönen Spaziergängen. Auf einem derselben am Ufer der Limmat steht Geßners Denkmal, ein einfaches Piedestal mit seiner Büste und einer deutschen Inschrift. Auf einer hohen Bastei übersieht man sowohl den See wie die Stadt. Wie sehr wird diese herrliche Aussicht noch an Reiz gewinnen, wenn es erst grün ist!
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Bern, den 20. April [1816]


Wir haben bei sehr schönem Wetter eine äußerst angenehme Reise hierher gemacht. Auf einem Berge, eine Stunde von hier, erblickten wir zum ersten Male, seit wir in der Schweiz sind, die ganze herrliche Alpenkette völlig rein und in ihrer ganzen Majestät. Wir begrüßten sie mit Jubel! Wie sehnen wir uns, diesen Gebirgen noch näher zu kommen!

Die Berner Musikgesellschaft nahm sich ebenfalls des Arrangements unseres Konzertes sehr tätig an und überhob mich aller lästigen Geschäfte. Der Besuch des Konzerts war wieder zahlreicher, als er hier je bei einem Konzerte eines fremden Künstlers war; die Einnahmen wegen des geringern Eintrittspreises aber nicht so bedeutend wie in Zürich. Das Orchester ist hier noch schlechter wie in Basel und Zürich und das Publikum noch ungebildeter mit Ausnahme sehr weniger. An der Spitze des Orchesters steht ein Bruder von Carl Maria von Weber, der, wie man mir sagt, ein guter Theoretiker sein soll. Als Geiger und Direktor ist er sehr schwach. Unter den Dilettanten und Mitgliedern der Musikgesellschaft zeichnen sich durch ihre Liebe und ihren Sinn für Tonkunst besonders aus: die Professoren Meißner und Jahn und der Statthalter Hermann. Ersterer ist Kapellmeister der Gesellschaft und ein recht guter Violoncellist.

Da die Jahreszeit schon zu weit vorgerückt ist, um noch in Lausanne und Genf Konzert geben zu können, so werden wir die Reise dahin für jetzt aufgeben und uns gleich in einer schönen Gegend des Berner Oberlandes zur langersehnten Ruhe begeben, deren Dorette zu völliger Wiederherstellung ihrer Gesundheit so dringend bedarf. Unsre hiesigen Bekannten empfahlen uns dazu ein Dorf in der Nähe von Thun. Wir machten gestern in Eduards Gesellschaft eine Fahrt dahin und fanden alles unsern Wünschen so angemessen, daß wir schon übermorgen ganz hinziehen werden. Das Dorf heißt Thierachern und liegt auf dem schönsten Punkt der Erde, den wir bisher sahen. Da wir in keinem Hause so viele Bequemlichkeiten zusammen fanden als im Wirtshause, so haben wir dort uns ein Zimmer gemietet. Für dieses, Frühstück und Mittagessen zahlen wir wöchentlich vermöge eines mit dem Wirt geschlossenen Kontrakts 2 Carolin. Wir sind alle voller Sehnsucht nach diesem Asyl und freuen uns auf die dortige ländliche Ruhe. Ich denke sie hauptsächlich dazu zu benutzen, um mir neue Violinkompositionen[226] mit recht einfachem, leichtem Akkompagnement für Italien zu schreiben, weil dort die Orchester nach allen Nachrichten reisender Künstler noch erbärmlicher sein sollen wie die in den Provinzialstädten Frankreichs. Eduard hat versprochen, uns öfter zu besuchen und mit uns dann Partien in die umliegenden himmlischen Gegenden zu machen.

Bern, die schönste der Schweizer Städte von denen, die wir bis jetzt sahen, liegt auf einer kleinen Anhöhe, im Mittelpunkte eines länglichen, engen Tales. Die Aare, ein reißender, klarer Gebirgsstrom, umfließt sie auf drei Seiten. Die Berge, die sie umgeben, sind nicht so hoch, daß man nicht eine Aussicht nach den Alpen hätte. Besonders ausgedehnt und hinreißend schön ist diese von der Platteform, einem geräumigen, viereckigen, mit Kastanien und Ruhebänken besetzten Platze neben der Hauptkirche. Sowie man sich auf die Mauer lehnt, die ihn auf der Südseite einfaßt, erblickt man tief unter sich zwischen Felsen die schäumende Aare, über ihr im Mittelgrunde lachende Wiesen, mit Gebüsch bewachsene Anhöhen und reiche, mit Obstbäumen umgebene Dörfer und im Hintergrunde die majestätische Alpenkette mit ihren ewig beschneieten Gipfeln! Die Berner sind aber auch nicht wenig stolz auf diesen Platz, und es ist gewöhnlich ihre erste Frage an die Fremden: »Waren Sie schon auf der Platteform?«

Die Häuser der Stadt sind sämtlich massiv gebaut und haben nach der Straße offene Bogengänge, unter denen man die ganze Stadt trockenen Fußes durchwandern kann. Unter diesen Bogengängen befinden sich die Gewölbe der Kaufleute und Handwerker.


Thierachern, den 26. April [1816]


Seit drei Tagen sind wir hier in unserm herrlichen Thierachern und genießen so recht in vollem Entzücken die ersten Frühlingstage in dieser einzigen, über alle Beschreibung himmlischen Gegend. An Arbeit wird noch nicht gedacht und vom frühen Morgen an drängt es uns ins Freie. Wir haben schon wohl eine Meile im Umfange unsere Wohnung umkreiset und immer neue Schönheiten entdeckt. Als Führer dient uns eine Spezialkarte der Schweiz, die ich in Bern kaufte und auf welcher sich alles Merkwürdige aufgezeichnet findet. Die Lage unserer Wohnung ist über alle Begriffe schön! Sie liegt auf einer Anhöhe, von der man die Gegend nach allen Seiten überblicken kann. Unsre Zimmer führen auf einen langen offenen Altan, der die ganze Breite des Hauses einnimmt und vom Hauptdache überdeckt ist. Man nennt hier diese offenen Gänge, die sich fast an allen Häusern befinden, Lauben. Auf dieser Laube, wo[227] wir bei den bisherigen schönen Tagen jeden Morgen unser Frühstück einnahmen, haben wir die ausgedehnteste Aussicht über Wiesen und Gebüsch nach Thun und seinem altertümlichen Schlosse; dann rechts über den See bis zur Alpenkette mit den weißen Spitzen der Jungfrau, des Eiger und Schreckhorn. Noch weiter rechts grün bebuschte Anhöhen mit von Fruchtbäumen umgebenen Dörfern und dahinter die furchtbare Felsenkette vom Niesen bis zum Stockhorn. Und fast jeden Tag bieten diese Gebirge neue, von den frühern verschiedene Ansichten dar! Bald sind die vordern Berge von einer schweren Wolkenmasse bedeckt und die hintern schauen in einer Höhe, wo man sich gar nichts Festes mehr denken kann, majestätisch darüber her; bald stehen die vordern in Klarheit da und nur die höchsten Spitzen sind in Wolken eingehüllt. Ganz entzückend ist aber der Anblick dieser mit Schnee bedeckten Berge am Abende, kurz nach Untergang der Sonne. Wenn das Tal schon ganz in Dunkel gehüllt ist und die Lichter von Thun über den See herüberschimmern, glänzen sie noch immer im schönsten Rosenlichte, das sich, wenn die Dunkelheit zunimmt, in ebenso schönes Blau verwandelt. Es ist ein Anblick, von dem man sich gar nicht losreißen kann!


den 16. Mai [1816]


Wir haben nun angefangen, unsere Zeit zwischen Vergnügen und Arbeit zu teilen. Vormittags, während ich komponiere, gibt Dorette den Kindern Unterricht im Rechnen, Schreiben, Geographie usw.; nachmittags unterrichte ich dieselben im Klavierspiel und Gesange. Dann geht es rasch hinaus ins Freie. Erlaubt das Wetter einen weiten Ausflug, so nehmen wir unser frugales Abendessen in irgend einem Dorfwirtshause oder bei einem Küher (so nennt man hier die Hirten) ein und kehren erst spät am Abende zurück. Ist das Wetter nicht zuverlässig, so gehen wir mit Schirmen bewaffnet wenigstens bis Thun, erkundigen uns auf der Post nach Briefen aus der Heimat, holen uns für Regentage Unterhaltung aus der Leihbibliothek und kaufen unsere kleinen Bedürfnisse ein. Die tägliche Bewegung in der herrlichen, reinen, balsamischen Luft stärkt unsern Körper, erheitert unsern Geist und macht uns froh und glücklich. In solcher Stimmung arbeitet es sich auch leicht und schnell und schon liegen mehrere Arbeiten vollendet vor mir, nämlich ein neues Violinkonzert in Form einer Gesangsszene und ein Duett für zwei Violinen.

Einer musikalischen Naturmerkwürdigkeit, die wir auf unsern Spaziergängen bemerkten, muß ich doch erwähnen. Es gibt hier Kukuks, die nicht wie alle andern, die ich bis jetzt hörte, ihren Namen in einem[228] Terzenfall absingen, sondern noch ein drittes »kuk« dazwischen flicken und sich folgendermaßen vernehmen lassen:


In der Schweiz

Ob dies eine von der unsrigen verschiedene Art ist, habe ich nicht erfahren können, wohl aber, daß es jedes Jahr hier solcher Kukukuk gebe.

Noch etwas anderes, was mich als Musiker noch mehr interessiert, habe ich hier wahrgenommen. Der Knecht aus unserm Hause und einige Mägde aus der Nachbarschaft, die jeden Sonntag Abend vor unserm Fenster ihre Singakademie halten, intonieren in ihren Liedern ganz so, wie ein Blechinstrument die Töne gibt, wenn die stopfende Hand nicht nachhilft, nämlich die Terze ein wenig zu hoch, die Quarte noch höher und die kleine Septime bedeutend zu tief. Es ergibt sich daraus, daß diese Intonation dem menschlichen Ohr natürlich ist, wenn es nicht von Jugend auf an das temperierte Tonsystem gewöhnt ist. Diesen Natursängern würde unsre Tonleiter ebenso falsch klingen wie uns die ihrige. Es ist aber doch höchst merkwürdig und fast beunruhigend, daß wir von der uns von der Natur gegebenen Tonleiter abweichen mußten, um unsern jetzigen Reichtum der Harmonie zu gewinnen! Denn ohne unser temperiertes Tonsystem würden wir auf die nächsten Tonarten beschränkt sein und den enharmonischen Verwechselungen (dem haut-goût der modernen Harmonie) ganz entsagen müssen. Und doch scheint sich mir die Musik durch dies Abweichen von der Natur erst zur eigentlichen Kunst zu erheben, während alle andern Künste sich begnügen müssen, die Natur zu kopieren, und selbst dann, wenn sie idealisieren, der Natur doch alles Einzelne nachbilden müssen. Die Lieder dieser Natursänger haben manches Eigentümliche, und wenn ich erst den hiesigen Dialekt, der viel Ähnlichkeit mit dem Alemannischen hat, besser verstehen lerne, werde ich versuchen, einige davon aufzuschreiben.


den 4. Juni [1816]


Gestern sind wir von dem ersten größern Ausfluge, auf dem wir, von schönem Wetter begünstigt, recht viel Genuß hatten, vergnügt zurückgekehrt. Wir waren in Kandersteg, einem hoch im Gebirge gelegenen kleinen Dorfe, sieben bis acht Stunden von hier entfernt. Ich hatte dazu unsres Wirtes einspänniges Rietwägeli gemietet und machte selbst den[229] Kutscher. Die Karte war wieder unser Führer. Unser Weg ging zuerst am rechten Ufer des Thuner Sees entlang bis Spiez. Hinter Gwatt überschritten wir die Kander auf einer überbauten hölzernen Brücke, die sich hoch und kühn über den breiten reißenden Strom in einem einzigen Bogen höchst kunstreich wölbt. Man hat vor etwa hundert Jahren die Kander in den See geleitet und dadurch das schöne Tal von Glütsch bis Thierachern, welches wegen der Überschwemmungen in jedem Frühjahre wüst und unbebaut lag, in herrliche Wiesen und fruchtbare Felder umgestaltet. Es war dies aber eine Riesenarbeit, da man einen hohen Berg durchstechen mußte. Von der Mitte der Brücke sieht man aus schwindelnder Höhe hinab auf die über Felsen schäumende Kander und zugleich an turmhohen Ufern hinauf. Von Spiez dreht sich der Weg rechts um den majestätischen Niesen und führt durch ein fruchtbares und reich angebautes Tal nach Frutigen, einem lebhaften Flecken. Hier öffnet sich ein zweites Tal, aus welchem die Kander hervorbricht. In diesem düstern furchtbaren Felsentale, das oft kaum breit genug für das Bett des Flusses und den Weg ist, beginnt nun das Steigen. Auf beiden Seiten himmelanstrebende Felsen, die an vielen Stellen so über den Weg hängen, daß es ganz finster und schaurig wird. Dazu das Gebrause der über Felsen herabrauschenden Kander und der vielen Wasserfälle, die sich auf beiden Seiten des Tales oft von einer Höhe von mehr als hundert Fuß herabstürzen. Sobald wir nach und nach höher kamen, kehrten wir auch immer mehr in den Frühling zurück. Die Kirschbäume, die bei Thierachern schon vor vier Wochen blühten, standen jetzt hier in der ersten Blüte. Weiter hinauf hörten aber alle Fruchtbäume auf, und nachdem wir den letzten steilen Berg vor Kandersteg überschritten hatten, sahen wir nur noch verkümmerte Tannen. Das Dorf, aus kleinen hölzernen Hütten bestehend, die, ohne von Gärten und Bäumen umgeben zu sein, weit voneinander zwischen den Felsenblöcken liegen, gewährt einen traurigen Anblick. Der Schnee, der hier neun Monate liegt, war kaum geschmolzen, und die Wiesen, auf denen mageres Vieh nach Futter suchte, hatten noch die traurig-gelbe Farbe des Winters. Auf allen den himmelanstrebenden Felsen, die das Tal von Kandersteg umgeben, lag noch hoher Schnee, aus welchem unzählige kleine Bäche hervorquollen und schäumend herabstürzten. Von hier aus steigt der Weg nun noch drei Stunden bis zur Gemmi und führt dann steil hinab zum Leukerbad, dessen heiße Quellen im Spätsommer sehr besucht sind. Da in Kandersteg die Fahrstraße aufhört, so müssen sich die Badegäste, die nicht gut zu Fuß sind, von Trägern oder auf Maultieren hinüberschaffen lassen, und mit diesem mühevollen[230] Geschäft ernähren sich auf kümmerliche Weise die meisten Bewohner des Dörfchens. Lobenswert ist es, daß die Berner Regierung durch bestimmte Taxen, die deutsch und italienisch im Wirtshaus angeschlagen sind, dem Überteuern der Reisenden zuvorgekommen ist, sowie sich denn überhaupt nicht leugnen läßt, daß sie für die Bequemlichkeit der Fremden durch zweckmäßige Einrichtungen besorgt gewesen ist. So findet man z.B. auch in jedem Wirtshause einen Kurszettel angeheftet, worin der Wert der gangbarsten auswärtigen Gold- und Silbermünzen nach Schweizergeld bestimmt ist. Eine solche Sorgfalt ist hier aber auch doppelt geboten, da manche Gegenden der Schweiz fast nur von den Fremden leben.

Wir übernachteten in Kandersteg und kehrten am folgenden Tage zurück. Eine angenehme Empfindung war es, so nach und nach aus dem Winter in den Frühling und Sommer zurückzukehren.


den 1. Juli [1816]


Vor einigen Tagen habe ich fünf neue Werke zum Stich an Herrn Peters nach Leipzig geschickt. Es sind zwei Sammlungen Lieder, drei Duetten für zwei Violinen, das siebente Violinkonzert und eine große Polonaise für Violine mit Orchester, 37.–41. Werk. Die Duette und ein Lied habe ich hier neu geschrieben; die andern Lieder und die Polonaise, die ich vorigen Sommer in Carolath komponiert hatte, nach meiner erweiterten Einsicht umgearbeitet.

Nach reiflicher Überlegung haben wir beschlossen, die Reise in Italien ohne unsern Wagen zu machen, da man dort ohnehin am wohlfeilsten und sichersten mit einem Vetturino fährt. Die nächste Veranlassung zu diesem Entschlusse war die Besorgnis, daß die erneuete Anstrengung auf dem nervenangreifenden Instrumente die Gesundheit meiner guten Dorette von neuem zerrütten könnte und ihr und uns dadurch der langersehnte Genuß der herrlichen Reise verbittert werden würde. Da wir also die Harfe und einen Teil unsres Gepäckes hier bis zu unsrer Wiederkehr in Verwahrung bei unserm Wirte zurücklassen werden, so bedürfen wir auch des Wagens nicht und ersparen zugleich den weiten Umweg auf der Fahrstraße bis zum Genfer See und durch die ganze Länge des Wallistales. Damit Dorette aber als Künstlerin nicht ganz in Untätigkeit versinke, werde ich mehreres für Violine und Pianoforte teils neu schreiben, teils aus ältern Sachen arrangieren, was wir dann in Italien, wo es sogar an einem guten Quartettakkompagnement fehlen soll, sowohl in Privatzirkeln wie auch öffentlich vortragen können. Als Vorbereitung zur nächsten Winterreise kann ich auch noch einer[231] Verbesserung an meiner neu erworbenen Geige erwähnen. Durch vielfältige Versuche mit Stimme und Steg habe ich es endlich dahin gebracht, daß sie auf der Quinte, wo sie bisher hart und spröde war, nun ebenso zart anspricht wie auf den andern Saiten. Diese Veränderung des Instrumentes ist nicht ohne Einfluß auf den Stil der neuen Violinkompositionen sowie auf meine Vortragsweise geblieben! So gewiß ist, daß das Instrument auf die Methode des Spielers in gleicher Weise Einfluß übt wie die Stimme auf die des Sängers. Indem man sich bemüht, die Schwächen des Instrumentes zu verdecken und seine Vorzüge hervorzuheben, wird man vorzugsweise das ausführen, was das Instrument am leichtesten hergibt, und so wird sich die ganze Spielweise nach und nach der Eigentümlichkeit des Instrumentes unterordnen und anpassen. Man kann daher aus den Kompositionen eines Virtuosen nicht bloß die Eigenheiten seines Spieles, sondern auch die seines Instrumentes erkennen!


Thierachern, den 1. August [1816]


Wir haben wieder einige weitere Exkursionen in die Umgegend gemacht. Zuerst waren wir vor vierzehn Tagen in Bern, um beim Professor Jahn, der uns in Gesellschaft seiner Frau und Eduards einigemal hier besucht hat, den erbetenen Gegenbesuch zu machen. Wir verlebten einen höchst vergnügten Tag mit unsern Berner Freunden. – Schon seit einem Monat hofften wir auf beständiges Wetter, um einen Ausflug über den See zu machen; bei der naßkalten Witterung dieses Sommers gab es aber bisher nicht drei völlig helle Tage hintereinander. Endlich schien es sich bessern zu wollen! Die Berge, die wir seit langer Zeit nicht mehr ganz unverhüllt gesehen hatten, traten am Freitag abend in majestätischer Klarheit hervor. Da nun auch der hohe Stand des Barometers auf dauernd gutes Wetter schließen ließ, so wurde beschlossen, am folgenden Morgen früh die Reise anzutreten. Ein heiterer Himmel erfüllte uns beim Erwachen mit den schönsten Erwartungen, und unter dem Jubel der Kinder bestiegen wir unser Rietwägeli. In Thun mietete ich bis Neuhaus ein Extraschiff, welches uns über die ganze Länge des Sees führte. Diese Fahrt an dem schönen stillen Sonntagsmorgen gewährte unendlichen Genuß. So auf dem grünen durchsichtigen Wasserspiegel dahin zu schweben, an den üppig bewachsenen Ufern entlang, im Hintergrund die majestätische Alpenkette, deren beschneiete Gipfel in unergründlicher Tiefe des Sees erzitterten, das feierliche Geläute der Glocken, die zum Gottesdienste riefen, alles entzückend und stimmte uns zur reinsten Freude! – In Neuhaus, wo wir nach dreistündiger Fahrt landeten, nahm[232] uns sogleich einer der dort haltenden Mietkutscher in Beschlag. Wir ließen uns von ihm nach Lauterbrunnen fahren. Der Weg führt über das kleine, ärmliche Städtchen Unterseen, um einen vorspringenden Berg in ein tiefes Tal, dem von Frutigen nach Kandersteg ähnlich, doch nicht völlig so wild und öde. Fast am Ende dieses Tales, nachdem es sich nach und nach ziemlich hoch erhoben hat, liegt Lauterbrunnen. Sobald wir uns um die letzte vorspringende Felsenwand herumgebogen hatten, lag der Staubbach in seiner ganzen Herrlichkeit vor uns. Das Wasser stürzt von einer ungeheuren Höhe an einer senkrechten Felsenwand herab und zerstiebt so ganz in Staub, daß man eher eine Masse feinen Schuttes als Wasser zu sehen glaubt. Die Umgebung dieses Naturwunders ist seiner würdig. Im Hintergrunde des Tales Felsenwände, über die ebenfalls kleine Wasserbäche herabstürzen; über ihnen ein grünlicher Gletscher, und neben diesem lang hingestreckt die Wengernalp, über welche die Jungfrau majestätisch herüberragt. Wir waren so glücklich, dies ganze, herrliche, erhabene Bild bei unsrer Ankunft noch bei heiterm Himmel überschauen zu können. Bald nachher aber trübte sich zu unserm Leidwesen der Himmel, und schon während wir im Wirtshause unser Mittagsessen einnahmen, fiel Hagel und Regen in Strömen herab. Gegen Abend klärte es sich wieder etwas auf. Wir beeilten uns daher, einen Spaziergang durch das Dorf nach dem Wasserfalle zu machen, fanden aber, daß unser früherer Standpunkt zur Seite günstiger war als der dicht vor ihm. Lästig war uns das viele Betteln unter allerlei Vorwand. Der eine bot kleine Erz- und Quarzstücke, der andere Kristalle zum Verkauf an. Zwei erwachsene Mädchen hatten sich an den Weg gestellt und heulten ein Duett, wofür sie ein Geschenk in Anspruch nahmen. Bald trieb uns der wieder beginnende Regen ins Wirtshaus zurück, aus dessen Fenstern wir den Wasserfall noch in einer dritten Ansicht genossen.


Thierachern, den 12. August [1816]


Soeben kehren wir von Freiburg zurück, wo wir dem Schweizer Musikfeste beiwohnten. Herr Nägeli, der Präsident der Schweizer Musikgesellschaft, lud uns schon in Zürich dazu ein und trug mir die Direktion desselben an, die ich auch gern akzeptierte. Er hatte aber damals nicht bedacht, daß die Statuten der Gesellschaft ausdrücklich verbieten, daß ein Fremder und Nichtmitglied des Vereins die Direktion führe. Wir erhielten daher von dem Kapellmeister der Gesellschaft (das ist hier in der Schweiz nicht der, der die Musik leitet, sondern der, welcher die Korrespondenz führt, die Logis besorgt, die Orchestererhöhung aufschlagen[233] und die Eintrittskarten drucken läßt) zwar eine freundliche Einladung, dem Feste beizuwohnen, von der Direktion war aber nicht die Rede. Stattdessen bat er mich bei der Violine mitzuwirken. Da ich aber auf mündliche und schriftliche Anfragen, ob ich das diesjährige Musikfest dirigieren werde, immer mit ja geantwortet und dies sich weiter verbreitet hatte, so konnte ich nun nicht gut eine untergeordnete Rolle bei dem Feste übernehmen. Ich lehnte daher die Mitwirkung ab, schrieb aber, daß wir als Zuhörer dem Feste beiwohnen würden. Am 6. fuhren wir auf unserm Rietwägeli bei hellem, freundlichem Wetter hinüber. Bei unsrer Ankunft in Freiburg wurden wir, obgleich ich die Mitwirkung abgelehnt hatte, doch ebenso wie die Mitglieder der Gesellschaft in einem Privathause einlogiert und fanden dort Eintrittskarten zu allen Proben und Aufführungen sowie zu einem bal paré, auch Textbücher zur »Schöpfung« französisch und deutsch und für mich eine Einladung zu den Sitzungen der Gesellschaft.

Am 7ten früh um 8 Uhr war die erste dieser Sitzungen, die von dem Präsidenten, Herrn Nägeli, mit einer langen, im Zürcher Dialekt gesprochenen Rede eröffnet wurde. Der Inhalt war ungefähr folgender: Zuerst sprach er sein Bedauern aus, daß die diesjährige Versammlung im Vergleich mit frühern so wenig besucht sei; klagte über die Lauigkeit so vieler Mitglieder, die ihm auf seine diesjährige Einladung geantwortet hätten: Das Brot sei zu teuer, um Feste feiern zu können; auch sei es unpolitisch, die Nachbarn merken zu lassen, daß die Schweizer noch die Mittel besäßen, Feste zu veranstalten u.d. mehr. – Hieraus ergäbe sich nun für ihn und die übrigen Beamten die Notwendigkeit, ihre Aufforderung zur diesjährigen Zusammenkunft zu rechtfertigen. Dies versuchte er nun, indem er recht viel Schönes über den Nutzen der Künste zur Bildung und Veredlung des Menschen sagte; indem er sich über den Einfluß aussprach, den namentlich ihr Verein zur Verbreitung eines guten Geschmacks in der Musik haben könne und werde; eiferte gegen solche prosaische Menschen, die nur das für nützlich erkennen wollten, was die physischen Bedürfnisse befriedige und nicht auch das, was zur Bildung des Geistes und Herzens beitrage. Dann schweifte er etwas weit von seinem Thema ab, indem er allerlei von der Erfindung der Instrumente erzählte; ja zuletzt regalierte er seine Zuhörer sogar mit einer Legende vom heiligen Franziskus, auf den er zu sprechen kam, als er des diesjährigen Lokales der Aufführungen, der Franziskanerkirche, erwähnte. Dann beschloß er seine Rede mit einer artigen Wendung gegen die Freiburger, indem er ihre wundervolle Stadt pries, die in ihren Ringmauern alle Schönheiten der Schweiz, Felsen, Wiesen,[234] einen reißenden Strom mit Wasserfällen und schöne Architektur vereinige. Die Rede, obgleich etwas verworren wie der ganze Nägeli, enthielt viel Wahres und Beherzigenswertes und wurde mit großem Beifall aufgenommen. – Die Nichtmitglieder der Gesellschaft wurden nun gebeten, abzutreten, weil Rechnungsangelegenheiten verhandelt werden sollten.

Da das Wetter sehr schön war, so beschlossen wir, mit den Kindern einen Spaziergang nach der berühmten Eremitage zu machen, die eine Stunde von Freiburg entfernt in einem engen, wilden Felsentale an der Saane liegt. Es war dies die Wohnung eines frommen Klausners, die er sich vor vielen Jahren in dieser einsamen Gegend in den Sandsteinfelsen gehauen hatte. Sie besteht jetzt, nachdem sie sein Sohn und Nachfolger erweitert hat, aus einer Kapelle mit einem Glockenturme, der 86 Fuß hoch durch den Felsen gehauen ist, fünf oder sechs Zimmern, einer Küche mit einem Rauchfang, der dieselbe Höhe wie der Turm hat, und mehreren Verbindungsgängen. Sämtliche Räume in recht gefälligen architektonischen Verhältnissen sind durch Aushöhlen des kolossalen senkrechten Felsens gewonnen und haben nirgends, selbst nicht in den Fensteröffnungen, Stützen von Mauerwerk. Man muß nicht nur die enorme Geduld und Ausdauer der beiden Erbauer, sondern auch ihre Geschicklichkeit und ihren Sinn für schöne Verhältnisse bewundern.

Die Kapelle ist noch jetzt recht hübsch verziert, und in dem Turme ertönen noch zuweilen die Glocken, um die Frommen der Umgegend zur Messe zu rufen. Die übrigen Räume hat sich nach dem Tode des letzten Klausners eine arme Bauernfamilie zugeeignet, die in ihnen zu allen Jahreszeiten eine gesunde und bequeme Wohnung besitzt.

Wir aßen in einem nah gelegenen Wirtshause zu Mittag und kehrten gegen Abend zur Stadt zurück. Hier erfuhren wir, daß während unsrer Abwesenheit eine Deputation der Musikgesellschaft in unserer Wohnung war, um mir anzukündigen, daß ich am andern Morgen in der zweiten Sitzung zum Ehrenmitgliede aufgenommen werden würde. Zugleich hatten die Herren nochmals gebeten, daß ich bei der Violine vorspielen möchte. Ich war froh, daß meine Abwesenheit mich der Unannehmlichkeit überhoben hatte, abschlägig antworten zu müssen. Um nicht von neuem bestürmt zu werden, schlich ich mich heimlich in die Kirche und hörte hinter einem Pfeiler versteckt der Probe zu. Es ging sehr schlecht, und ich freute mich daher, nicht dabei zu sein. Schon nach der ersten Abteilung mußte ich mich, um nicht gesehen zu werden, entfernen.[235]

Als ich am andern Morgen in der Sitzung erschien, wurde ich mit Beifall empfangen. Der Präsident kündigte mir an, daß die Anwesenden mich einstimmig zum Ehrenmitgliede ihrer Gesellschaft ernannt hätten, fügte manches Schmeichelhafte für mich hinzu und erwähnte auch auf ehrende Art unsrer Musikfeste in Frankenhausen. Ich dankte ihm und der Gesellschaft mit einigen Worten und nahm dann den mir angewiesenen Platz ein. Man war eben in der Wahl des Präsidenten und der übrigen Beamten für nächstes Jahr begriffen und bestimmte dann nach einigen Debatten Zürich zum Versammlungsort der nächsten Zusammenkunft.

Nachmittags drei Uhr fand die Aufführung der »Schöpfung« statt. Das Lokal war für die Wirkung der Musik überaus günstig, auch das Orchester sehr gut aufgestellt, doch leider auf der der Orgel entgegen gesetzten Seite, so daß diese nicht benutzt werden konnte. Das mitwirkende Personal, das bei frühern Zusammenkünften aus mindestens dreihundertfünfzig Personen zusammengesetzt war, zählte diesmal kaum zweihundert, und da die größere Hälfte den Chor bildete, so war das Orchester, namentlich bei den Chören, viel zu schwach, so daß man es öfter gar nicht hörte. Da es überdies nun recht schlecht war, so gingen besonders das Chaos und die akkompagnierten Rezitative höchst erbärmlich. Die Geiger intonierten unerträglich falsch, und die Bläser, besonders die Hörner und Trompeten, brachten zuweilen Töne hervor, die allgemeines Gelächter erregten. Tollmann dirigierte mit Festigkeit und Umsicht, nahm aber leider viele Tempi total falsch, fast alle Arien zu langsam und die Chöre zu schnell. Am meisten vergriff er die Stelle nach dem Chaos: »Und der Geist Gottes usw.«, die er völlig wie ein Allegro nahm. Der Chor war gut eingeübt und sang kräftig und rein. Er bestand ausschließlich aus deutsch Singenden. Unter den Solosängern waren aber zwei aus der französischen Schweiz, die in ihrer Muttersprache sangen, was sich komisch genug ausnahm, besonders im Duett zwischen Adam und Eva, wo letztere die Zärtlichkeiten ihres deutschen Adams französisch erwiderte. Den Zuhörern aus Freiburg fiel dies aber gar nicht auf, da in ihrer Stadt sich die Grenzscheide beider Sprachen befindet und auf der einen Seite der Saane französisch, auf der andern deutsch gepredigt wird. Sämtliche Einwohner verstehen und sprechen daher auch beide Sprachen. – Die Eva wurde von Madame Segni aus Lausanne gesungen, die eine sehr schöne Stimme besitzt, leider aber auch die für ein deutsches Ohr so unerträgliche französische Vortragsweise. Unter den deutschen Sängern waren auch einige gute Stimmen. Das zahlreich versammelte Publikum nahm die Musik ziemlich lau auf,[236] und es war von dem Enthusiasmus, der uns in Frankenhausen so belebte, hier keine Spur zu erblicken.

Am neunten war Probe zum Konzert. Da man es früher in einem kleinern Saale hatte geben wollen, diesen aber für die anwesenden Zuhörer unzureichend fand, so fehlte es nun an ausgeschriebenen Stimmen für das ganze Orchester. Es war daher bedeutend schwächer besetzt als tags zuvor, und man hörte die Unreinheit und die Stümperhaftigkeit desselben noch viel mehr. Wie konnte es bei einem ganz aus Dilettanten und besonders Schweizer Dilettanten zusammengesetzten Orchester aber auch anders sein? Die leichtesten Sätze mußten sechs- bis achtmal wiederholt werden, bis sie nur erträglich gingen. Ich bewunderte fortwährend die unermüdliche Geduld des guten Tollmann, der aber auch, man muß es gestehen, ganz zum Direktor eines Schweizer Dilettantenorchesters geboren ist!

Um drei Uhr begann das merkwürdige Konzert sogleich auf eine ohrzerreißende Weise mit der Ouvertüre aus »Iphigenie« von Gluck. Die Trompeten stimmten einen Viertelton zu hoch und wurden demohngeachtet zu dem mageren Orchester aus Leibeskräften geblasen. Hätte die Ouvertüre noch etwas länger gedauert, so wäre jetzt schon ein großer Teil der Zuhörer zur Kirche hinausgelaufen. Nun folgte eine lange Reihe von Dilettanten, teils Sänger, teils Instrumentisten mit ihren Solovorträgen. Einige darunter waren recht gut, namentlich zeichnete sich ein Herr aus Yverdon aus, der ein Harfenkonzert von Bochsa mit Fertigkeit und Geschmack vortrug. Auch Madame Segni, die Eva des vorigen Tages, sang diesmal, und zwar italienisch, recht gut. Ein Herr, dessen Namen ich ebensowenig weiß, wie die der übrigen Auftretenden, weil kein Programm ausgegeben wurde, blies auf einer G-Klarinette, die in Ton und Gestalt dem Bassetthorn ähnlich ist, Variationen mit schönem Ton und vieler Fertigkeit. Im zweiten Teile des Konzertes, den wir nicht abwarteten, da wir schon jetzt bis zum Ekel übersättigt waren, sollen sich noch ein Prediger aus Luzern in einem Flötenkonzert und der gute Tollmann in einem Violinrondo ausgezeichnet haben. Leider wußten wir nicht, daß letzterer spielen würde, sonst hätten wir doch das Ende abgewartet. – Dies waren also die Produktionen des in Deutschland so berühmten Schweizer Musikvereins. Kapellmeister Conradin Kreutzer aus Stuttgart und seine Frau, eine Züricherin, deren Bekanntschaft wir hier gemacht hatten, saßen bei den Aufführungen neben uns, und es war uns angenehm, mit ihnen unsre Urteile über das Gehörte austauschen zu können. Doch mußten wir dabei sehr über unsre Mienen wachen; denn wir wurden fortwährend von[237] den Umsitzendens beobachtet, die den Eindruck, den ihre Musik auf uns mache, in unsern Zügen lesen wollten. Wurden wir nun um unser Urteil befragt, was nicht selten und immer mit hervorbrechendem Nationalstolze geschah, so hielten wir uns vorsichtig in der Mitte zwischen Wahrheit und Schmeichelei und kamen so, ohne Anstoß zu geben, glücklich durch.

Kreutzer vertraute mir, daß er nicht nach Stuttgart zurückkehren werde, weil ihm die dortige Despotie völlig unerträglich geworden sei. In gleicher Lage befänden sich dort meine frühern Bekannten aus Wien, Romberg und Kraft; auch sie sehnten sich weg und bewürben sich um andre Anstellungen. – Mit Kreutzer und seiner Frau verlebten wir die meiste Zeit unsres Aufenthaltes in Freiburg. Wir aßen mittags und abends zusammen und machten bei dem fortwährend schönen Wetter häufige Spaziergänge in die reizende Umgegend. Zwar hatte die Gesellschaft auch einen Vereinigungspunkt im Schützenhause, wo die meisten Mitglieder aßen; da aber die Frauenzimmer ausgeschlossen waren, weil die Gesellschaft unverheiratete geistliche Herren unter sich hatte, so besuchten wir diesen Ort nicht ein einziges Mal. Es soll dort aber auch ganz an der Geselligkeit und Heiterkeit gefehlt haben, die unsre Frankenhäuser Mahlzeiten so würzten. – Der Ball, der am 8. in demselben Lokale stattfand, hatte auch nichts Anziehendes für uns, da wir sämtlich nicht tanzen. Wir saßen unterdessen traulich zusammen beim Teetisch und unterhielten uns über früher Erlebtes. Kreutzer war eigentlich nur in der Absicht gekommen, um zum Schluß des Musikfestes ein Konzert für seine Rechnung zu geben, da man ihm in Zürich gesagt hatte, die Gesellschaft werde in diesem Jahre nur eine Aufführung veranstalten. Er schien bei mir eine gleiche Absicht vorauszusetzen, denn er schlug mir vor, gemeinsame Sache zu machen. Ich hatte aber nicht daran gedacht, hier zu konzertieren, und nicht einmal meine Geige mitgebracht. Aber auch sein Konzert kam nicht zustande, da die Gesellschaft selbst ein zweites gab, und so hatten wir keine Gelegenheit, das Spiel und die Kompositionen dieses berühmten Künstlers zu hören.

Am 10. [August 1816] früh reisten wir ab, brachten den Nachmittag und Abend sehr vergnügt in Bern in Eduards und Jahns Gesellschaft zu und kehrten am 11. vormittags hierher zurück.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 222-238.
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