[118] 1821
Nach Gandersheim zurückgekehrt, begann sogleich wieder das vergnügte und tätige Leben des vorigen Sommers. Eduard Grund stellte sich ebenfalls ein und widmete sich mit dem frühern Eifer sowohl seiner eigenen Ausbildung wie auch dem Unterricht meiner Kinder. Ich selbst begann zuerst mit der Komposition der bereits erwähnten zehnstimmigen Vokalmesse, und da dies eine Kunstgattung war, in der ich mich bis dahin noch nicht versucht hatte, so gewährte mir diese Arbeit ein ganz besonderes Interesse. Doch bald mußte ich sie wieder auf einige Zeit unterbrechen. Ich erhielt nämlich von meinem alten Freunde Hermstedt einen Brief, in welchem er mich namens der Badeverwaltung des Alexisbades im Harz aufforderte, im Laufe der bevorstehenden Saison ein Konzert daselbst zu geben, wobei er sich erbot, alles dazu Erforderliche im voraus zu besorgen, damit ich dort nicht länger als einige Tage zu verweilen brauchte. Auch bat er mich dringend, ihm ein neues Klarinettkonzert zu schreiben, und versprach, wenn er es früh genug erhalte, dasselbe im Konzerte zu Alexisbad zum ersten Male vorzutragen. Da ich gern für Hermstedt schrieb, der damals ohne Zweifel der vorzüglichste aller lebenden Klarinettvirtuosen war, so ging ich auf den Vorschlag ein und machte mich sogleich an die Arbeit. Nach Absendung des neuen Konzerts (des dritten für Klarinette) schrieb ich für mich und meine Frau auch noch einen Potpourri für Violine und Pianoforte, konzertiernd über zwei Themen aus dem »Opferfest«, später als Op. 56 gestochen, wozu ich eine frühere Komposition für Klarinette mit Orchesterbegleitung bearbeitete, die ich 1812 zur Napoleonsfeier in Erfurt für Hermstedt geschrieben hatte. Ich hielt diese frühere Komposition für eine meiner gelungensten und[119] wünschte, sie daher durch diese neue Überarbeitung bekannter zu machen. Daß bei dieser Übertragung von Klarinette und Orchester auf Violine und Pianoforte wesentliche Veränderungen stattfinden mußten und ich mich hauptsächlich nur an die Form und Modulationen der frühern Komposition halten konnte, versteht sich von selbst. Als nun auch diese Komposition von uns in gewohnter Weise auf das sorgfältigste eingeübt worden war, kam der verabredete Zeitpunkt zur Reise nach Alexisbad heran. Von dieser Ausflucht habe ich aber nur noch eine dunkle, halbverwischte Erinnerung. Ich weiß weder, was wir in dem Konzerte vortrugen, noch wie mir das neue Klarinettkonzert gefiel, und dies um so weniger, da ich dasselbe seit jener Zeit nicht wieder gehört habe, denn es ist, da Hermstedt im alleinigen Besitze war, nie veröffentlicht worden. Um so deutlicher erinnere ich mich aber eines Naturereignisses, wodurch das Konzert, ähnlich wie jenes in London durch das Einwerfen der Fenster, gestört und auf einige Zeit unterbrochen wurde. Wie nämlich eben mit der Musik begonnen werden sollte, brach ein Gewitter, welches schon seit Mittag gedrohet hatte, mit solcher Heftigkeit los, daß man vor dem Geprassel des Donners und dem Rauschen des in Strömen herabstürzenden Regens nichts von der Musik gehört haben würde. Das eng zusammengedrängte Auditorium mußte daher in dem überfüllten und zum Ersticken heißen Saale ruhig das Vorüberziehen des Gewitters abwarten, und das Konzert konnte dann erst beginnen, nachdem zuvor die Luft im Saale durch Öffnen der Türen und Fenster erneuert worden war. Es endete daher erst beim völligen Anbruch der Nacht. Nun wurde aber die Verwirrung und Verlegenheit erst recht groß, denn es fand sich, daß das sonst sehr bescheidene Flüßchen, welches das Tal von Alexisbad durchströmt, so angeschwollen war und die Wege dermaßen überschwemmt und verwüstet hatte, daß die zahlreichen Zuhörer aus der Umgegend in der finstern Nacht unmöglich nach Haus zurückkehren konnten. Es strömte daher alles fürs erste in den Speisesaal, wo aber für so viele Gäste nicht angerichtet war. Während nun die Badegäste erst auf ihre Zimmer gegangen waren, bemächtigten sich die Fremden der Plätze am Tische sowie der Speisen, und es blieb für jene, als sie zurückkehrten, nur das Nachsehen. Das gab dann natürlich viel böses Blut, und der Wirt hatte seine liebe Not, die Leute zu beschwichtigen. Nun fehlte es für das Übernachten aber auch an Zimmern und Betten, und es mußten sich die Fremden wohl oder übel bequemen, auf einer Streu bunt durcheinander Platz zu nehmen. Viele taten es mit Lachen, andere aber nur[120] mit schwer unterdrückten Flüchen. Es war für den unbeteiligten Zuschauer eine höchst komische und amüsante Szene.
Irre ich mich nicht, so war es in diesem selben Sommer, wo ich eine ähnliche Einladung nach Pyrmont erhielt, um dort Konzert zu geben. Ich folgte ihr, begleitet von meiner Frau und meinem Schüler Eduard Grund, der das Orchester anführte und mir meine Solovorträge dadurch sehr erleichterte, daß er die Begleitung im voraus mit demselben einübte, wodurch er es allein möglich machte, daß ich eigene Kompositionen vortragen konnte. Grund hatte sich überhaupt zu einem ganz ausgezeichneten Künstler herangebildet und begann nun mit vielen Erfolgen eigene Kunstreisen zu machen; auf einer derselben wurde er als Hofkapellmeister zu Meiningen angestellt, woselbst er sich auch noch jetzt (1853), von seinem Fürsten und der Kapelle geachtet und geliebt, in einer der Kunst fruchtbringenden Wirksamkeit befindet. Da Grund also im Herbst 1821 ganz abging, dadurch der Musikunterricht von Emilie und Ida ganz aufhörte, sich bei diesen aber Stimmen zu entwickeln begannen, die einer weitern, kunstgemäßen Ausbildung würdig schienen, so beschloß ich, mit meiner Familie nach Dresden zu ziehen, um den Kindern daselbst von einem damals berühmten Gesanglehrer, Herrn Miecksch, Unterricht geben zu lassen. Ich hatte bei Emilien zwar den Gesangunterricht schon selbst begonnen, fand aber bald, daß es mir dazu an der nötigen Ausdauer und Geduld fehle und ich dadurch auch zu sehr von meinen Kompositionsarbeiten abgezogen werde. Überdies hatte ich auch die Absicht, sobald meine Familie in Dresden sich eingewohnt habe, allein einige kleinere Kunstreisen in die Umgegend zu machen. Ich schrieb also an meinen frühern Schüler M. Hauptmann in Dresden, bat ihn, mit Herrn Miecksch zu reden und, sobald dieser zusage, mir eine Wohnung zu mieten. Bald erhielt ich auch die Antwort, daß alles meinen Wünschen gemäß besorgt sei.
Meine zehnstimmige Messe war unterdessen fertig geworden, und ich sehnte mich sehr, sie nun auch einmal zu hören. Da ich die Absicht hatte, auf der Reise nach Dresden in Leipzig ein Konzert zu geben, und deshalb dort einen längeren Aufenthalt machen mußte, so kam ich auf den Gedanken, sie von dem dortigen großen Gesangverein, dessen Direktor ich kannte, während meines Dortseins singen zu lassen. Ich schrieb daher sogleich an diesen und fragte an, ob er geneigt sei, das Werk im voraus einzuüben. Da die Antwort bejahend ausfiel, so sandte ich ihm sogleich die Partitur, um die Stimmen ausschreiben zu lassen.
Der Abschied von Gandersheim war diesmal ein besonders trauriger, da auch die Kinder, an deren Gesellschaft sich die Großeltern nun so[121] sehr gewöhnt hatten, mitschieden, und ich mußte daher versprechen, nächsten Sommer, wenn auch nur zu einem kurzen Besuche, wiederzukehren.
In Leipzig angekommen, war einer meiner ersten Wege zum Direktor des Gesangvereins, um mich nach meiner Messe zu erkundigen. Ich hörte aber nicht viel Tröstliches. Zwar hatten die Proben schon begonnen; man fand aber das Werk so enorm schwer und war damit so wenig ins Klare gekommen, daß der Direktor sich entschieden weigerte, eine Probe davon zu veranstalten. Nur auf mein inständiges Bitten wurde ein Versuch gemacht, der aber sehr schlecht ausfiel. Da ich nicht einmal annähernd die Wirkung hörte, die mir in der Begeisterung während der Arbeit vorgeschwebt hatte, so glaubte ich, ein völlig verfehltes Werk geschaffen zu haben, und mochte von da an nichts mehr davon hören. Ich hatte es auch wirklich fast ganz vergessen, als mir lange Zeit nachher einmal einige Sätze von der Berliner Singakademie unter Zelters Leitung daraus vorgesungen wurden. Diese waren so genau eingeübt, wurden so rein intoniert und machten daher in ihrer Vielstimmigkeit einen so imposanten Effekt, daß ich meiner bisherigen Ansicht von der Unausführbarkeit des Werkes entsagen mußte und nun Lust bekam, es auch einmal selbst mit meinem eigenen Gesangverein einzustudieren. Auch dies gelang, da ich die Geduld nicht verlor und die Sänger unermüdlich waren, und es wurde die ganze Messe ohne Auslassungen aufgeführt. Die Erfahrungen, die ich bei diesem Einüben machte, lehrten mich jedoch, bei künftigen Chorkompositionen ohne Begleitung die allzureichen Modulationen und schwierigen Akkordfolgen zu vermeiden.
In Dresden wurde die Familie von Herrn Hauptmann in die neue Wohnung eingeführt, die freundlich und in einer ruhigen Gegend der Stadt gelegen war. Ich ließ den Gesangunterricht meiner beiden ältesten Mädchen bei Herrn Miecksch sogleich beginnen und suchte dann meine frühern Bekannten unter den dortigen Künstlern und Kunstfreunden auf, vor allem den Kapellmeister Carl Maria von Weber. Dieser empfing mich auf das herzlichste und führte mich nach und nach in alle musikalischen Zirkel ein, wo ich nicht nur viel gute Musik zu hören bekam, sondern auch Gelegenheit fand, meine eigene Kammermusik zu hören zu geben. Da die mich begleitenden Musiker großes Interesse für mein Quartettspiel zeigten, so veranlaßte mich dies, mit ihrer Hilfe auch noch bei mir wöchentliche Quartettpartien zu veranstalten, zu welchen ich die eifrigsten Musikfreunde der Stadt einlud. In diesen führte ich, was mir in Paris nicht hatte gelingen wollen, alle bis dahin[122] geschriebenen Quartetten und Quintetten der Reihe nach vor, und da ich damit bald zu Ende kam und sie bei meinen Zuhörern großen Anklang gefunden hatten, so machte mir dies Lust, wieder neue zu schreiben. Ich vollendete auch in kurzer Zeit zwei neue Quartette (die beiden ersten von Op. 58) und gewann solches Interesse an dieser Arbeit sowie an dem ganzen Kunstleben Dresdens, daß ich vor der Hand die beabsichtigten Kunstreisen aufgab und sie für die zweite Hälfte des Winters verschob.
Unterdessen hatte Carl Maria von Weber es nun auch in Dresden durchgesetzt, daß seine Oper: »Der Freischütz«, nachdem sie in Wien und Berlin so glänzende Erfolge erlebt hatte, einstudiert werden durfte, und es hatten die Zimmerproben bereits begonnen. Da ich das Kompositionstalent Webers bis dahin nicht sehr hoch hatte stellen können, so war ich begreiflicherweise nicht wenig gespannt, diese Oper kennen zu lernen, um zu ergründen, wodurch sie in den beiden Hauptstädten Deutschlands einen so enthusiastischen Beifall gefunden habe. Dazu kam noch der Umstand, daß ich mir denselben Stoff nach dem Apelschen Gespensterbuche vor einigen Jahren in Frankfurt ebenfalls als Oper hatte bearbeiten lassen und die Komposition derselben nur aufgab, weil ich zufällig erfuhr, daß Weber schon damit beschäftigt sei. Ich bat daher, den Proben beiwohnen zu dürfen, was mir auch willfährig gestattet wurde. Die nähere Bekanntschaft mit der Oper löste mir das Rätsel ihres Ungeheuern Erfolges nun freilich nicht, es sei denn, daß ich ihn durch die Gabe Webers, für die Fassungskraft des großen Haufens schreiben zu können, erklärt finden wollte. Da mir nun, wie ich sehr gut wußte, diese Gabe von der Natur versagt war, so ist es schwer zu erklären, wie mich demohngeachtet eine unbezwingliche Lust anwandeln konnte, mich von neuem in einer dramatischen Komposition zu versuchen. Aber es war so. Kaum zu Hause angelangt, suchte ich daher aus meinem Koffer eine halbvergessene Arbeit, die ich bereits in Paris begonnen hatte, hervor. An einem langweiligen Regentage, der in dem kotigen Paris jedes Ausgehen unmöglich machte, bat ich meine Wirtin um Lektüre. Sie brachte mir einen schon ganz zerlesenen alten Roman: »La veuve de malabar«. Ich fand, daß der interessante Stoff desselben sich recht gut zu einer Oper eignen würde. Um damit einen Versuch machen zu können, erstand ich das Buch für wenige Sous. Schon in Paris und auf der Rückreise dachte ich über die für die Komposition günstigste Form der Oper nach und begann, nach Gandersheim zurückgekehrt, sogleich ein Szenarium für dieselbe zu entwerfen. Ich fuhr damit in Stunden, wo ich mich zur Komposition der Messe[123] nicht aufgelegt fühlte, fort und hatte daher dasselbe gegen die Zeit, wo ich mit meiner Familie nach Dresden zog, so gut wie vollendet. Jetzt überdachte und überarbeitete ich diesen Entwurf nochmals mit erneuetem Eifer, bestimmte auf das genaueste, was in jeder Szene geschehen sollte, und suchte dann nach einem Dichter, der geneigt sei, nach diesem Schema die Oper zu bearbeiteten. Ich fand ihn in Herrn Eduard Gehe, der bereitwillig auf meine Ideen einging. So entstand die Dichtung der Oper: »Jessonda«. Schon war ich im Begriff, die Komposition derselben zu beginnen, als ein Ereignis eintrat, das mich für einige Zeit wieder davon abhielt.
Eines Morgens zu Anfang des Dezember trat nämlich C.M. von Weber zum Besuch bei mir ein und erzählte: er habe soeben einen Ruf nach Kassel als Kapellmeister an das dort neu errichtete Hoftheater erhalten, sei aber gesonnen, ihn abzulehnen, da er mit seiner jetzigen Stellung vollkommen zufrieden sei. Im Falle, daß ich mich aber um diese Stelle zu bewerben gedenke, wolle er in seiner Rückantwort auf mich aufmerksam machen und erwähnen, daß ich mich jetzt in Dresden aufhalte. Ich hatte ohnlängst von einem durch Gandersheim reisenden Mitgliede der Kasseler Kapelle so viel von der Pracht des dortigen Hoftheaters und der Kunstliebe des soeben zur Regierung gelangten Kurfürsten erzählen hören, daß ich nicht zweifeln durfte, dort einen bedeutenden und angenehmen Wirkungskreis zu finden. Ich nahm daher das Anerbieten Webers dankbar an. Infolge davon erhielt ich auch schon vor Ablauf einer Woche ein Schreiben von Herrn C. Feige, Generaldirektor des Kasselschen Hoftheaters, in welchem mir im Auftrage des Kurfürsten die Stelle als Hofkapellmeister angetragen und ich aufgefordert wurde, meine Bedingungen für die Annahme derselben mit umgehender Post einzusenden. Nachdem ich mich mit Weber und meiner Frau beraten hatte, forderte ich: 1) Anstellung mit Reskript auf Lebenszeit mit 2000 Taler Gehalt; 2) einen alljährlichen Reiseurlaub von 6–8 Wochen; und 3) die Zusicherung, daß mir die artistische Leitung der Oper ausschließlich übertragen werde. Sämtliche Bedingungen wurden genehmigt, als Gegenbedingung aber verlangt, daß ich spätestens mit dem neuen Jahre meine Stellung antreten solle. So froh wir nun auch über die neue Anstellung waren, Dorette besonders, weil sie nun sicher gestellt war, ihre Kinder nicht mehr auf lange Zeit verlassen zu müssen, so war es uns doch gar nicht recht, unsern jetzigen Aufenthalt, wo die Kinder besonders im Gesange sichtliche Fortschritte machten, schon jetzt wieder zu verlassen. Überdies hatten wir unsere Dresdener Wohnung bis Ostern gemietet, und ein Umzug[124] mitten im Winter war jedenfalls sehr unangenehm. Ich schlug daher vor, daß ich zum Antritte meiner Stelle allein nach Kassel gehe, und daß Dorette mit den Kindern aber noch bis zum Frühjahr in Dresden verweile. Ich könne daher dann in Kassel im voraus eine Wohnung suchen und sie auch noch vor Ankunft meiner Familie möblieren und vollständig einrichten. Dorette mußte die Zweckmäßigkeit dieses Vorschlages zugeben und ihn billigen, so schwer es ihr auch wurde, sich auf so lange Zeit von mir zu trennen. Ich traf daher, da Neujahr nicht mehr fern war, die Anstalten zu meiner Abreise, packte den ersten Akt der Jessonda-Dichirung ein, um in Kassel mit der Komposition sogleich beginnen zu können, und besprach mit Hrn. Gehe den Inhalt des zweiten und dritten Aktes nochmals auf das ausführlichste.
Unterdessen lief ein neuer, überraschender Antrag ein. Graf Salisch, mein alter Gönner in Gotha, schrieb mir nämlich, die Herzogin habe in Erfahrung gebracht, daß ich jetzt in Dresden privatisiere, und sie lasse daher bei mir anfragen, ob ich nicht geneigt sei, in mein altes Engagement, das durch Andreas Rombergs ohnlängst erfolgten Tod von neuem erledigt sei, wieder einzutreten? Man werde mir, fügte Graf Salisch hinzu, eine bedeutende Steigerung meines frühern Gehaltes bewilligen können. – Hätte ich nicht bereits in Kassel zugesagt gehabt, so würde ich vielleicht, um meiner Frau die Freude der Wiedervereinigung mit ihrer Mutter und der Rückkehr in ihr Vaterhaus bereiten zu können, diesen Antrag dem frühern vorgezogen haben. So war mir aber die Wahl erspart, und ich konnte dies als ein Glück betrachten, da mein Wirkungskreis in Gotha im Vergleich mit dem in Kassel doch ein sehr unbedeutender gewesen sein würde. Auch wäre ich bald wieder heimatlos geworden, da der Herzog und auch sein Nachfolger Prinz Friedrich, der letzte Erbe, schnell nacheinander starben und das Land unter die übrigen sächsischen Herzogtümer verteilt wurde. Die Kapelle wurde nun pensioniert, und da ich die gänzliche Geschäftslosigkeit nicht hätte ertragen können, so wäre ich doch bald wieder ausgewandert.
Der Abschied von Frau und Kindern, obwohl nur auf ein Vierteljahr, war doch ein sehr wehmütiger. Doretten, die ganz in Tränen zerfloß, konnte ich nur dadurch einigermaßen trösten, daß ich ihr wöchentliche Berichte über alles, was ich beginnen werde, versprach. Diese Zusage hielt ich getreulich, muß aber auch meiner Frau das Zeugnis geben, daß sie mir an Schreiblust nicht nachstand. – In Gotha, wo ich meine Schwiegermutter besuchte, wurde ich von dieser, den übrigen Verwandten meiner Frau und den Mitgliedern der Kapelle noch arg bestürmt, doch dort zu bleiben. Auch die Herzogin, die ich nicht unbesucht lassen[125] konnte, da sie sich mir immer sehr wohlwollend und freundlich bewiesen hatte, machte noch einen letzten Versuch, mich Kassel abspenstig zu machen, indem sie sich erbot, ihren Bruder, den Kurfürsten von Hessen, zu bewegen, mich meiner Zusage zu entbinden. Da mir aber die Verhältnisse in Gotha, seit ich es verlassen und die Welt gesehen hatte, sehr kleinlich und beschränkt vorkamen, widerstand ich allen Versuchungen und entzog mich ihnen durch beschleunigte Weiterreise.
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