Rückreise nach Deutschland

[35] 1817


In Gesellschaft von zwei Stuttgartern und einem Münchener, mit dem wir gemeinschaftlich einen Vetturino gedungen hatten, machten wir diesesmal die weit interessantere Rückreise nach Florenz über Perugia in sechs Tagereisen. Den zweiten Abend kamen wir nach Terni und beeilten uns, noch vor Sonnenuntergang den berühmten Wasserfall zu besuchen, der zwei Stunden von da entfernt ist. Bis zum Fuße des Berges gingen wir zu Fuß, dann nahmen wir uns aber in dem daselbst sehr romantisch liegenden Dörfchen, zu dem bei dem milden Sonntagsabend halb Terni gelustwandelt war, gesattelte Esel, die uns schnell und sicher hinauf bis zum Wasserfalle trugen. Die Aussicht von der Höhe des Berges, ehe man sich in das Tal wendet, wo der Wasserfall herabstürzt, ist reich und lieblich. Dann wird die Gegend, je mehr man sich diesem nähert, immer wilder und romantischer. Da die Sonne eben untergehen wollte, so hielten wir uns nicht lange auf und eilten so schnell als möglich, den Wasserfall noch vor Nacht zu erreichen, teils um das imposante Schauspiel noch in gehöriger Beleuchtung zu sehen, teils aber auch unserer Sicherheit wegen, da die Gegend eben nicht im besten Rufe steht. Mit dem letzten Blick der Sonne erreichten wir den Felsen, der dem Sturz gegenüber aus der dunkeln, schäumenden Tiefe emporsteigt, und wohin man zur Bequemlichkeit der Besuchenden einen Pavillon mit Bänken erbauet hat. Der Anblick des majestätischen Schauspieles von diesem Standpunkte aus läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Wir waren alle wie versteinert! Wenigstens hat eine Naturschönheit früher niemals, selbst nicht der erste Anblick der Alpenkette, einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht. Nachdem wir wohl zehn Minuten hier verweilt und uns in dem Anblicke recht berauscht hatten, kehrten wir bei[36] dem mildesten, schönsten Frühlingsabende ohne Unfall und seelenvergnügt über den herrlichen Genuß nach Terni zurück.

Am vierten Tage der Reise wurde es auf einmal sehr kalt, so daß gegen Abend sogar Schnee fiel, der über Nacht liegen blieb. Wie wir aber in das tiefe Tal hineinfuhren, in welchem Florenz liegt, fanden wir alles in Blüte. Wir blieben nur einen Tag in Florenz, den wir aber recht benutzten. Vormittags besuchten wir den Dom, das Baptisterium und den Garten Boboli. Das Grabmal der Mediceer und den Palast Pitti konnten wir aber leider an dem Tage, da es Festtag war, nicht zu sehen bekommen. Nachmittags machten wir einen Spaziergang nach dem Cassino. Auch besuchten wir auf einen Augenblick Campagnolis, die immer noch da waren. Man sagte uns, daß die Töchter, besonders die älteste, nicht ohne Beifall im Carneval gesungen hatten, und daß sie jetzt ein Engagement für die Frühjahrssaison suchten. Am Abend im Theater tanzten Duport und seine Frau. Wir waren aber zu ermüdet, um hinzugehen.

Am andern Morgen, den 14. April, setzten wir die Reise nach Bologna ohne unsere bisherigen Reisegefährten, die noch länger in Florenz blieben, fort. Wir trafen auf den Apenninen sehr viel Schnee und kamen noch einmal ganz in den Winter. Im traurigen Bologna verweilten wir nur einen Tag. Der Wirt zum »Pellegrino« hatte uns eine etwas unverschämte Rechnung gemacht; ich applizierte daher ein Mittel, welches ich schon mehrmals erprobt hatte, ich zog ihm nämlich ein Drittel ab, was er sich nach einigem Hin- und Herreden auch gefallen lassen mußte. Ich habe dies nachher immer getan und es besser gefunden als das vorherige Akkordieren, bei dem man doch immer noch geprellt wird.

In Modena meldete ich mich als Künstler bei Hofe. Da man aber gerade die Niederkunft der Großherzogin erwartete, konnte oder wollte man uns nicht hören. Wir setzten daher unsre Reise nach zweitägigem Aufenthalt über Reggio, Parma, Piacenza nach Mailand fort. Da wir nirgends langen Aufenthalt machten, so weiß ich auch nichts von diesen Städten zu sagen, als daß wir allenthalben dasselbe Lumpen-und Bettlergesindel, dieselbe Prellerei der Wirte und dieselbe Unreinlichkeit fanden. In Piacenza bewunderten wir die zwei kolossalen Statuen von Bronze auf dem Marktplatz. Ob sie Kunstwert haben, getraue ich mir nicht zu beurteilen, da wir sie nur in der Abenddämmerung sahen.

In Mailand bezogen wir wieder die Pension Suisse, die wegen ihrer Reinlichkeit und Billigkeit allen Reisenden zu empfehlen ist. Beim[37] ersten Ausgange frappierte uns von neuem die Pracht und Schönheit des Äußeren des Domes. Es ist doch ohne Zweifel das schönste Gebäude, welches wir je sahen, edler und reicher wie die Fassade der Peterskirche!

Die berühmte Grassini, der Rode durch Nachahmen ihres Gesanges das ihm Eigentümliche seiner Spielart, was von der Viottischen Schule abweicht, zu danken haben soll, hatte sechs Vorstellungen im Theater della Scala angekündigt. Da sie aber nur wenig besucht wurden, kamen nur drei zustande; der letzten wohnten wir bei. Sie bestand aus abgerissenen Szenen aus den »Horatiern und Curiatiern« von Cimarosa und einigen anderen Arien, worunter auch »Ombra adorata« war. Die Grassini, die in der Blüte ihrer Jahre wohl sehr vorzüglich gewesen sein mag, ist jetzt schon ein wenig passiert. In dem, was ihr die Zeit nicht rauben konnte, ist sie indessen immer noch sehr vorzüglich, d.h. sie hat eine gute Schule und spielt und singt sehr leidenschaftlich, mit weit mehr Gefühl und Ausdruck als die Catalani, steht dieser jedoch an Geläufigkeit der Kehle und hinsichtlich der Stimme sehr nach. – Wo es daher bloß aufs Brillieren ankam, befriedigte sie nicht sehr. In leidenschaftlicher Rezitation aber riß sie durch Wahrheit des Ausdrucks hin.

Das Theater della Scala fand ich auch diesmal für den Effekt der Musik vortrefflich. Ich kenne kein Lokal, wo sowohl die Stimmen, als auch das Orchester so edel und dabei so deutlich klingen. In akustischer Hinsicht ist es daher dem S. Carlo-Theater unendlich vorzuziehen.

Da wir bei unserem frühern Auftreten im Theater so schlechte Geschäfte gemacht hatten, so probierten wir es dieses Mal im Saal des Konservatoriums, setzten den Eintrittspreis auf drei Franken und gaben es des Theaters wegen in der Mittagsstunde. Lag es an dieser ungewöhnlichen Zeit oder war die Jahreszeit schon zu weit vorgerückt, – genug, es war wieder sehr leer und warf nicht viel mehr als die Kosten ab.

In Gesellschaft von zwei Engländern, von denen der jüngste für einen Engländer ziemlich liebenswürdig war, reisten wir am 2. Mai von Mailand ab, übernachteten in Arona, ergötzten uns am andern Morgen von neuem an den himmlischen Umgebungen des Lago Maggiore, die wir nun auch im Schmuck des Frühlings sahen, und kamen gegen Abend im Dorfe Simpeln unter der Höhe des Simplon an. Hier wurden wir beim Abschiede aus Italien noch einmal auf gut Italienisch geprellt, indem wir z.B. für jede Tasse Kaffee zwei Franken bezahlen mußten. (Unser Nachtlager und Abendessen hatten wir dem Vetturino mit einakkordiert).[38]

Am andern Morgen traten wir die in dieser Jahreszeit sehr beschwerliche Fahrt über die höchste Kuppe des Berges an. Eine Stunde hinter Simpeln kamen wir in die Schneeregion. Hier mußte der Wagen auseinander genommen werden; der Kasten wurde auf einen, die Räder auf einen zweiten und unser Gepäck auf einen dritten Schlitten gesetzt, und so ging der Zug mit vielen Vorspannpferden weiter. Auf der Höhe, solange der Schnee hart blieb, gab es nicht viel Aufenthalt, aber weiter unten, wo die Wärme schon beträchtlich war und der Schnee doch noch haushoch lag, kam der Zug jeden Augenblick ins Stocken. Bald sanken die Pferde bis an die Brust ein, bald klemmte sich der Wagen zwischen die haushohen Schneewände fest und mußte wieder losgearbeitet, und bald der von Lawinen verschüttete Weg wieder aufgeräumt werden. Wir gingen daher voraus und kamen, zwar bis an die Kniee durchnäßt, aber doch zwei Stunden früher im vierten Refuge, wo der Schnee aufhörte, an und erholten uns bei einem einfachen Frühstück von der beschwerlichen Promenade. Wir hörten viele Lawinen niederdonnern und waren in beständiger Besorgnis, daß es uns so gehen möchte wie den Reisenden, die tags vorher durchgekommen waren. Diese sahen in der Nähe eines Felsendurchganges eine fürchterliche Lawine auf sich losstürzen und hatten eben noch Zeit genug, sich in diesen zu flüchten. Zu ihrem Schrecken wurden beide Ausgänge verschüttet, so daß sie drei schrecklich lange Stunden eingesperrt blieben, bis sich die Wegaufseher zu ihnen hindurchgearbeitet hatten.

Nachdem der Wagen endlich angekommen war, fuhren wir noch bis Brig, wo wir das dritte Nachtlager machten und zum ersten Male wieder die deutsche Muttersprache reden hörten, was uns recht zur Freude stimmte. Unsere vierte Tagereise ging bis Sion, wo man schon Französisch redet. Mittags bei Turtmann sahen wir einen recht schönen Wasserfall, der nicht weiter als eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt ist. Das Frühjahr fanden wir in Wallis im Vergleich mit der andern Seite noch weit zurück. Hier blühten kaum die Kirschbäume, die in Mailand und am Lago Maggiore abgeblühet waren. So kamen wir von neuem ins Frühjahr, in welchem wir seit Anfang Februar beständig gelebt hatten. In Sion und der Umgebung ist das wahre Vaterland der Kretins. Wir waren aber nicht so glücklich (oder soll ich sagen unglücklich), einen vollkommen zu Gesicht zu bekommen. Alberne Fratzen, die kaum Menschengesichtern ähnlich waren, sahen wir aber genug am Wege stehen.

Auf der fünften Tagreise kamen wir zu der berühmten Pissevache, die hart am Wege ist. Unsere Erwartungen wurden aber nicht ganz befriedigt;[39] denn im Vergleiche zu dem Wasserfalle bei Terni kam uns dieser doch ziemlich kleinlich vor. Unser Nachtlager nahmen wir in Bex, einem reizend gelegenen Dörfchen, welches die Bewohner nicht ohne Grund un paradis terrestre nennen. Das Wirtshaus könnte mit den größten Hotels der Hauptstädte wetteifern.

Am sechsten Tage fuhren wir immer am See her über Vevey nach Lausanne. Diese gepriesene, im Sommer so häufig von Engländern besuchte und bewohnte Gegend habe ich wieder nicht so schön gefunden, als ich erwartete, sowie ich überhaupt den ganzen Genfer See etwas langweilig finde. Immer dieselben Ansichten von Bex bis Genf, auf dieser Seite Weinberge und auf der andern Waldungen. Die Ansichten beim Thuner und noch mehr beim Zürcher See sind viel mannigfaltiger; alle Schweizer Seen aber bleiben, meiner Meinung nach, weit hinter dem Lago Maggiore zurück. Am siebenten Tage kamen wir denn endlich in Genf an.


Die Folgen einer Erkältung auf der Reise warfen mich für einige Tage aufs Bett. Während dieser Zeit waren Herr Dupan, Herr Pastor Gerlach und einige andere Musikfreunde bemüht, uns ein Konzert zu arrangieren. Es war aber schon voraus zu sehen, daß dies nicht sehr brillant ausfallen würde, denn teils war die Not und Teurung noch zu groß, teils hatten vor kurzem mehrere Konzerte zum Besten der Armen stattgefunden, sowie auch die Jahreszeit schon zu weit vorgerückt und die meisten reichen Familien bereits aufs Land gezogen waren. Wirklich warf es nicht viel mehr als die Unkosten ab. Wir hatten uns verleiten lassen, bei Herrn Pictet-Rochemont und bei Herrn Dupan Privatmusik zu machen; die an beiden Orten sehr zahlreich versammelte Teegesellschaft fand es hierauf denn nicht mehr der Mühe wert, unser Konzert zu besuchen. Den Gebrüdern Bohrer, die vier Wochen vor uns da waren, ist es nicht viel besser gegangen. Im ganzen genommen sollen die Genfer nicht viel Kunstsinn haben, sondern nur immer darauf spekulieren, wie sie die vielen Fremden, die sich im Sommer und Winter dort aufhalten, recht zwicken können. Wenigstens wissen sie von deutscher Kunst und von deutschen Künstlern sehr wenig und kennen unsere klassischen Kompositionen nicht einmal dem Namen nach. Die lange französische Herrschaft und die fremde Sprache sind eine leicht zu erklärende Ursache davon.

Genf besitzt von allen Schweizerstädten die meisten ausgezeichneten Künstler, die aber auch hier wie fast allenthalben in zwei oder mehrere Parteien geteilt sind und wie Hund und Katze untereinander leben.[40]

Die Gebrüder Hänsel und Wolff und Herr Berger (eigentlich Münzberger) sind die vorzüglichsten davon. Ich war so glücklich, diese Herren, die sonst nie zusammen spielen, in meinem Konzerte zu vereinigen, und hatte so ein für eine Schweizerstadt recht vorzügliches Orchester beisammen. Herr Pastor Gerlach nahm uns aufs freundschaftlichste auf und erzeigte uns gar manche Gefälligkeit; ja er räumte uns sogar zu unserm Konzerte die lutherische Kirche ein, in welcher die Musik einen sehr guten Effekt macht. Außerdem wären wir genötigt gewesen, dasselbe in dem finstern und unfreundlichen Theater zu geben, wo man überdies noch bedeutende Unkosten (300 Franken) hat.

Ich hatte in Genf die unerwartete Freude, meinen alten Lehrer Kunisch aus Braunschweig wiederzufinden. Dieser brave Mann hatte alle Tücken des Schicksals empfunden. In seiner Jugend war er ein vorzüglicher Hornist, bekam dann Blutspeien und mußte, um sich zu retten, diesem Instrumente ganz entsagen. Durch eisernen Fleiß brachte er es in drei Jahren zu ziemlicher Virtuosität auf der Violine und fand später eine Anstellung als Vorgeiger beim Nationaltheater in Berlin. Als nach der Schlacht bei Jena der preußische Hof flüchten mußte und die Kapelle auseinander ging, wurde er von Herrn Schick, der gern seinen Platz gehabt hätte, von Berlin wegkabaliert, ging dann anfangs nach der Schweiz, wo er in seinen alten Tagen das Französisch noch erlernte, und später nach Lyon, wo er wieder als Vorgeiger eine Anstellung beim Theater fand. Hier fing er eben an, sich zu gefallen, als er bei einem unglücklichen Fall die linke Hand verstauchte, die bald ganz steif wurde, so daß er gar nicht mehr Violinspielen konnte und folglich seinen Platz aufgeben mußte. Er war daher gezwungen, zum drittenmal ein neues Instrument zu erlernen, und verdient sich nun als Klavierlehrer sein kümmerliches Brot. Er hatte eine große Freude, mich wieder zu sehen, und schien recht stolz darauf, mich seinen Schüler nennen zu können.


Da ich beim Durchlesen des Tagebuches einiges vermisse, dessen ich mich lebhaft erinnere, so möge hier eine kleine Nachlese folgen.

Erwähnt ist schon, daß ich es nur den Bemühungen des österreichischen Gesandten, Grafen Apponyi, zu verdanken hatte, daß ich in Rom in der Adventszeit, wo alle öffentliche Musik verboten ist, ein Konzert zustande bringen konnte. Graf Apponyi übernahm es, mein Gesuch um die Erlaubnis dazu dem Gouverneur von Rom zu übergeben, riet mir jedoch, die Antwort darauf nicht abzuwarten, sondern das Konzert so[41] schnell wie möglich zu arrangieren, währenddessen er mir dann die Subskribenten dazu werben werde. Ich ging sogleich ans Werk, allein die Sache hatte ihre großen Schwierigkeiten. Der Saal im Palast Ruspoli, den mir Graf Apponyi verschafft hatte, war wie das ganze unbewohnte Prachtgebäude sehr verfallen. Es mußten erst Glasscheiben in die Fenster eingesetzt, die Löcher in dem Marmorfußboden mit Backsteinen ausgefüllt und die nötigen Möbel, z.B. Kronleuchter, Stühle, Pulte usw., zusammengeborgt werden. Hauptsächlich aber war erst der Palast vom Eingange an bis zum Saale von Unrat zu reinigen, denn der Vorplatz und die prächtige, mit Statuen geschmückte Marmortreppe hatten seit Jahren als Abtritt gedient, und es gab ganze Karren voll Schmutz wegzuschaffen. Auch mußte ich erst Sänger und Musiker (dort Professoren genannt) in der großen Stadt einzeln aufsuchen und für mein Konzert engagieren. Dies nahm alles viel Zeit weg. Bis zum Tage des Konzertes und noch an diesem selbst bis zum Abend war ich daher in steter Angst, daß eine abschlägige Antwort auf mein Gesuch einlaufen und alles über den Haufen werfen werde. Doch die Polizei war so human, mir diese erst am Tage nach dem Konzert zuzusenden, wo ich bereits die ergiebige Einnahme in Händen hatte. Ich wurde durch sie von einer großen Sorge befreit, die mir den Aufenthalt in Rom bis dahin sehr verbittert hatte. Meine Reisekasse war nämlich bei den bisherigen schlechten Konzerteinnahmen in Italien so zusammengeschmolzen, daß ich mit Schrecken sah, sie werde zu einer Weiterreise nach Neapel gewiß nicht, wohl kaum zu einer direkten Rückkehr nach Deutschland ausreichen. So nahe vor Neapel, dem ersehntesten Punkte der ganzen Reise, umkehren zu müssen, war ein zu schrecklicher Gedanke, um sich an ihn gewöhnen zu können! Ich kam daher auf den Gedanken, die Familie Beer, die unterdessen von Venedig nachgekommen war, um ein Darlehn anzugehen, doch sosehr ich indessen auch mit Meyerbeer befreundet war, ich konnte es nicht über mich gewinnen, meinen Wunsch auszusprechen, und zog es daher vor, mich deshalb an einen reichen Freund im Elsaß zu wenden, der mich aber, wie es bei solchen Gesuchen wohl öfters geschehen mag, ohne Antwort ließ. Nun war nach der brillanten Konzerteinnahme alle Not vorüber, und ich durfte die Weiterreise nach Neapel ohne Bedenken wagen. Diese verzögerte sich aber wegen der Krankheit der Kinder noch bis in die zweite Hälfte des Januar. Dorette, die sie pflegte, konnte mich nun nicht mehr auf meinen Exkursionen begleiten; ich schloß mich daher häufig der Familie Beer an und konnte diesen später Angelangten nun schon als Cicerone dienen. Abends, wenn mit Anbruch der[42] Nacht es nichts mehr zu sehen gab (denn die Theater waren wegen der Adventszeit noch immer geschlossen), begleiteten mich die drei Söhne zuweilen in meine Wohnung, und wir verkürzten uns dann die langen Abende durch eine Partie Whist. Da es aber zu jener Zeit in Rom sehr kalt und mein Zimmer nicht zu heizen war, so legten wir uns, mit dem Rücken nach den vier Weltgegenden gerichtet, in mein kolossales Bett, eine Tischplatte zwischen uns, und endigten so in behaglicher Wärme und bester Laune unser Spiel.

Von dem Aufenthalte in Neapel ist noch folgendes nachzutragen:

Den Tag nach meinem ersten Konzerte im Foyer des Theaters S. Carlo erhielt ich einen Besuch von dem berühmten Sänger Crescentini, den ich bereits in Rom hatte kennen lernen. Nachdem er mir viel Verbindliches über mein Spiel und meine Kompositionen gesagt hatte, machte er mir folgende Eröffnung: Der Minister des Innern gehe damit um, das Konservatorium der Musik neu zu organisieren, da es sehr in Verfall geraten sei. Der jetzige Direktor Zingarelli, der bei seiner frommen Richtung zwar fleißig mit den Schülern bete, aber wenig musiziere, solle in Ruhe gesetzt werden, und er, Crescentini, bewerbe sich nun um dessen Stelle. Da er aber von der Instrumentalmusik nichts verstehe, so beabsichtige der Minister, für diese noch einen zweiten Direktor anzustellen, und habe sein Auge auf mich geworfen, da ihn mein Spiel und meine Kompositionen im gestrigen Konzerte ganz entzückt hätten. Sollte ich nun geneigt sein, mich um die Stelle zu bewerben, so möge ich ihn sogleich zu demselben begleiten, wo mir weitere Eröffnungen gemacht werden sollten. Dies geschah. Ich kehrte sehr zufrieden mit den Propositionen des Ministers zu Dorette zurück, und wir gefielen uns nicht wenig in dem Gedanken, in dem paradiesischen Neapel unsere Heimat zu finden! Doch eine Woche nach der andern verging, ohne daß der Minister wieder etwas von sich hören ließ, und von Crescentini erfuhren wir, daß das Projekt an dem Kostenpunkte zu scheitern drohe. Wir durften daher, als die Zeit der Abreise herannahete, nicht länger zögern; denn ich bemerkte von neuem, daß meine Kasse durch die vielen Ausflüge in die Umgegend, die wir in Gesellschaft unserer schlesischen Freunde gemacht hatten, und bei denen ich stets die Hälfte der Kosten zu tragen hatte, so zusammengeschmolzen war, daß sie kaum zur Rückreise in die Schweiz ausreichen würde. Ich machte daher dem Minister meinen Abschiedsbesuch. Da dieser noch auf mich zu zählen schien, gab ich ihm meine Adresse in der Schweiz, wo mich eine Zuschrift treffen konnte. Ich habe indessen nie eine solche erhalten.[43]

Die Berechnung meiner Kasse war nur zu richtig gewesen, denn mit der Ankunft in Genf fand ich sie völlig geleert. Da nun mein Konzert dort auch nicht viel eintrug und ich im voraus wußte, daß bei der damals (im Frühjahr 1817) in der Schweiz herrschenden Hungersnot auch in den übrigen Schweizerstädten nicht viel zu gewinnen sein würde, so lernte ich zum ersten Male in meinem Leben das Bittere der Nahrungssorgen kennen. Zwar besaßen wir einige Pretiosen, die wir an den Höfen geschenkt bekommen hatten; doch war der Gedanke, diese verkaufen oder versetzen zu müssen, uns gar zu widerwärtig. Die Not zwang uns aber dazu. Schon war ich im Begriff, ein Leihhaus aufzusuchen, als Dorette den Vorschlag machte, sich lieber dem freundlichsten unsrer dortigen Bekannten, dem Pastor Gerlach, anzuvertrauen, und sich auch erbot, zu ihm zu gehen, wozu ich nicht den Mut gehabt hätte. Sie nahm ihren schönsten Schmuck, ein Diadem, das Geschenk der Königin von Bayern, und machte sich auf den Weg zum geistlichen Herrn. Nie im Leben habe ich so peinliche Minuten verlebt als die während ihrer Abwesenheit! Nach einer ewiglangen halben Stunde kehrte sie endlich wieder und brachte das Diadem zurück –, doch auch die zur Weiterreise erforderliche Summe. Sie war noch ganz in Aufregung von einem Schreck, den sie dort gehabt hatte. Als sie nämlich höchst verlegen und mit bebenden Lippen dem Herrn Pastor die augenblickliche Not und die Bitte um einen Geldvorschuß gegen Pfand vorgetragen hatte, war er plötzlich in ein schallendes Gelächter ausgebrochen und in einem Nebenzimmer verschwunden. Doch bevor sie Zeit gewann, über die Bedeutung dieses, wie ihr schien, sehr unzeitigen Ausbruches von Heiterkeit nachzudenken, kehrte er zurück und brachte die verlangte Summe, indem er freundlich sagte: »Ich freue mich, dem braven Künstlerpaare, das uns so vielen Genuß bereitet hat, gefällig sein zu können; aber wie konnten Sie nur glauben, ein Pfarrer werde wie ein Jude auf Pfänder borgen?!«

So war also die augenblickliche Not beseitigt, und die Reise konnte fortgesetzt werden. Wir gingen nun zuerst nach Thierachern, um unsern Wagen und die Harfe, die wir dort im vorigen Herbste zurückgelassen hatten, abzuholen. Da Dorette einiger Zeit bedurfte, um sich auf ihrem Instrument wieder einzuspielen, und wir überdies nicht zu eilen brauchten, indem die fürs Konzertgeben günstigste Zeit ohnehin schon vorüber war, so blieben wir vierzehn Tage dort, übten des Vormittags unsre Duetten für Harfe und Violine von neuem ein und besuchten nachmittags bei dem herrlichsten Frühlingswetter noch einmal alle unsre frühern Lieblingsplätze. Endlich mußten wir uns je doch entschließen,[44] das paradiesische Thierachern zu verlassen und unsere Kunstreise weiter fortzusetzen. Es ging uns aber in der Schweiz sehr übel, denn allenthalben wurde wegen der herrschenden Hungersnot die Erlaubnis, öffentliche Konzerte zu geben, verweigert, und nur in Zürich wurde es uns gestattet, weil wir uns erboten, einen Teil der Einnahme an die Armen abzugeben. Ich spielte dort zum ersten Male nach der Rückkehr nach Deutschland meine Gesangsszene und ein in Italien begonnenes und in Thierachern vollendetes Soloquartett (Op. 43), und beide Kompositionen erhielten außerordentlichen Beifall. Damit mußte ich mich aber auch begnügen, denn die Einnahme dieses Konzertes war bei weitem nicht so ergiebig als die des vorjährigen. Ich konnte daher den Termin zur Rückzahlung der in Genf geborgten Summe nicht einhalten, was mich sehr beunruhigte. Herr Pastor Gerlach gab mir jedoch auf die deshalb gemachte Entschuldigung die beruhigendste Antwort, und so konnte ich mit erleichtertem Herzen die Reise fortsetzen.

Der Konzertgewinn war aber auch in Deutschland, wo wir Freiburg, Karlsruhe, Wiesbaden, Ems und Aachen besuchten, wegen der allgemein herrschenden Not nur mittelmäßig, so daß kaum die Kosten der Reise gewonnen wurden, und erst in letzterer Stadt, wo unser Spiel große Sensation erregte und uns zu drei sehr besuchten Konzerten verhalf, erübrigten wir so viel, um die Schuld bei Gerlach tilgen zu können.

Wir waren nun seit vier Monaten von Neapel bis Aachen fortwährend in der Richtung von Süden nach Norden gereist, ohne uns irgendwo sehr lange aufzuhalten. Wir hatten daher sowohl jenseits als diesseits der Alpen allenthalben die Baumblüte getroffen und so das Frühjahr in einer Ausdehnung durchlebt, wie uns dies später nie wieder zuteil geworden ist. Nach Aachen kamen wir aber im hohen Sommer, mitten in die Badesaison. Da dies für die Weiterreise nach Holland die ungünstigste Periode zum Konzertgeben war, beschlossen wir daher, einige Zeit in Aachen zu verweilen. Wir hatten dort mehrere eifrige Musikfreunde kennen gelernt, bei denen wir gern musizierten. Auch hatte ich ein gutes Quartettakkompagnement gefunden, mit dem ich meine Wiener Quartetten und Quintetten einübte und, da sie bei den Zuhörern großen Anklang fanden, wiederholt zu hören gab.

So verlebten wir die Zeit unsres Aachener Aufenthaltes, zwischen Arbeit und Vergnügen geteilt, höchst angenehm. Der Unterricht der Kinder, der zwar auch auf der ganzen Reise nie ganz aufgehört hatte, indem wir selbst im Wagen während der Fahrt unterrichteten, wurde[45] nun wieder mit mehr Ernst und Regelmäßigkeit betrieben. Auch begann ich wieder zu komponieren und schrieb dort das erste Heft meiner vier stimmigen Männergesänge (Op. 44), von welchen das Goethesche: »Dem Schnee, dem Regen« später ein Lieblingslied der Liedertafeln geworden ist.

Gegen den Herbst hin wurde die Reise nach Holland fortgesetzt, und wir gaben zuerst in Köln und Düsseldorf sehr besuchte Konzerte. Dann gingen wir nach Kleve, wo wir in Herrn Notar Thomae einen eifrigen Kunstfreund und ausgezeichneten Dilettanten auf mehreren Instrumenten kennen lernten. Wir musizierten häufig in dessen Hause, und die beiderseitigen Familien, die Kinder miteingeschlossen, gewannen sich bald so lieb, daß sie ein Freundschaftsbündnis für das Leben schlossen. Dadurch wurde uns der Aufenthalt in Kleve so anziehend, daß wir das freundliche Städtchen mit seinen reizenden Umgebungen nur höchst ungern verließen.

Nach Holland aber war der Ruf des Spohrschen Künstlerpaars noch nicht gedrungen, und wir mußten uns daher erst Bahn brechen. Dies gelang jedoch sehr bald, und wir machten nun in dem reichen und für deutsche Kunst und Künstler günstig gestimmten Lande große Sensation und infolge davon brillante Geschäfte. Schon hatten wir in Rotterdam und im Haag gespielt und befanden uns eben in Amsterdam, wo wir bereits auch in Felix Meritis aufgetreten waren und darauf ein eigenes Konzert gegeben hatten, als ich einen Brief vom Theaterdirektor in Frankfurt am Main, Herrn Ihlée, erhielt, worin mir dieser im Namen der Aktionäre jenes Theaters die Stelle des Opern- und Musikdirektors antrug und im Fall der Annahme um schleunigste Überkunft bat. Die Bedingungen waren zwar nicht so glänzend als die meiner frühern Anstellung, aber doch genügend, um eine Familie ernähren zu können. Freilich hätte ich meine Kunstreise, auf der ich mir gefiel, gern noch wenigstens bis zum Frühjahre fortgesetzt; doch in Frankfurt drängte man, und Dorette sehnte sich nach häuslicher Ruhe. So sagte ich denn ohne weiteres Bedenken zu und machte mich sogleich auf die Rückreise. In Kleve, wo wir im befreundeten Hause der Familie Thomae abtraten, mußten wir, sosehr die Reise auch beeilt wurde, doch einige Tage verweilen. Obgleich es nun im hohen Winter war, wurde doch wieder von neuem alles aufgeboten, uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Musikpartien, Schlittenfahrten und anderes wechselten ab. Am Abend vor der Abreise, als wir beim Nachtisch saßen, Nüsse knackten und der nahen Trennung wehmütig gedachten, machte Freund Thomae den Vorschlag, die Familie Spohr solle als Erinnerung[46] an ihr Hiersein eine der Nüsse im Hofe einpflanzen, was mit Akklamation angenommen wurde. Nachdem ein Grabscheit herbeigeholt war, zogen beide Familien, in warme Mäntel gehüllt, in Prozession in den Hof, wo ich im Mittelpunkte desselben, nachdem ich die Schneedecke weggeräumt hatte, ein Loch grub, in welches die Kinder die Nuß versenkten. – Im folgenden Frühjahre wurde nach Frankfurt das Erscheinen des Keims gemeldet. Dieser, durch eine Umfriedigung sorgfältig geschützt, wuchs nach und nach zu einem stattlichen Baume heran, und noch jetzt (im Jahr 1852) gedenkt die Familie Thomae, (wie einer der Söhne mir unlängst erzählte), jenes Abends und ihrer entfernten Freunde.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 35-47.
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