[40] Das junge Mädchen, ins Elternhaus zurückgekehrt, gewöhne sich vor allem an eine geregelte Tätigkeit. Es ist nicht möglich, dieselbe für jede von euch zu bestimmen; sie ist oft von den Verhältnissen der einzelnen Familien bedingt.
In meinem Elternhause, wo der Töchtersegen ein gar reicher war, fiel es der ältesten Tochter, meiner Schwester Antonia, zu, unserer guten Mutter bei ihren häuslichen Arbeiten an die Hand zu gehen; ich selbst, als Examinierte, hatte meine kleinen Geschwister zu unterrichten und bei ihren Schulausgaben zu beaufsichtigen; Marga, die dritte, die eben siebzehn Jahre zählte, studierte für sich und mit mir in einzelnen Fächern weiter und ward sogar ab und zu Vaters Privatsekretär. Alle aber hatten wir unser kleines eigenstes Reich – unser Zimmer – in Ordnung zu halten und dazu beizutragen, daß im Hause in allen Räumen die peinlichste Sauberkeit und Akkuratesse herrschte. Und keine von uns hatte je über Langeweile zu klagen; keine legte die Hände müßig in den Schoß. Denn auch Handarbeit, Musik, Lektüre standen auf unserem Tagesplan, wenngleich[40] die beiden letzteren auch nur in sehr bescheidenem Maße.
Im Hause kann nicht ein Tag wie der andere dahin gehen; Besuche, Vergnügungen unterbrechen die Pflichten eines jungen Mädchens. Und doch möchte ich dir anraten, dich von einigen dieser letzteren nicht leicht zu dispensieren.
Sorge selbst für die Instandhaltungn des von dir bewohnten Raumes, und soviel wie möglich auch deiner Kleidung. Es ist nicht empfehlend, wenn ein junges Mädchen viel Bedienung nötig hat.
Laß es dir angelegen sein, jenen, mit denen du lebst, das Zusammmenleben so angenehm wie möglich zu gestalten. Dazu gehören vor allem deine Eltern, in denen du deine größten Wohltäter zu ehren hast.
Sei aufmerksam gegen sie bei jeder Gelegenheit; dulde z.B. nicht, daß sie selbst einen Gegenstand, Stuhl usw. selbst holen oder tragen; biete ihnen freundlich den Morgen- und Abendgruß, und grüße auch immer, wenn du das Zimmer betrittst.
Widersprich ihnen nicht; sollten sie jedoch offenbar im Unrecht sein, so ist eine bescheidene Berichtigung eher am Platze als ein gekränktes oder gar verächtliches Schweigen.
Es ist nichts häßlicher, als wenn ein junges Mädchen, eine sogenannte »höhere Tochter«, mit ihrer Schulweisheit vor den Eltern prunken wollte und sie sogar in unpassender Weise auf kleine Fehler aufmerksam macht.[41]
Durchaus undankbar und unkindlich wäre es auch, wollte man die kleinen Eigenheiten der Eltern bei sich oder anderen bespötteln.
Gegen Brüder und Schwestern benimm dich stets liebevoll und friedfertig. Bist du die ältere, so nimm dich ihrer in ihren kleinen Anliegen gern an; ich kann mir kaum etwas Schöneres denken, als wenn die jüngeren Familienmitglieder sich vertrauend an die »große« Schwester wenden, die für alle Fälle Hilfe und Rat in Bereitschaft hat.
Die Dienstboten behandle stets freundlich. Hast du ihnen einen Auftrag zu erteilen, so füge das Wörtchen »bitte« hinzu; für einen geleisteten Dienst danke ihnen. Sage auch nicht: »Tun Sie das,« sondern statt dessen das viel freundlichere: »Wollen Sie?« Hüte dich jedoch auch, dich mit den Dienstboten auf einen zu vertrauten Fuß zu stellen. Hierbei ist freilich ein Unterschied zu machen, indem alte, treue Personen, die lange Zeit in der Familie gedient, sich dir gegenüber schon eher etwas erlauben dürfen.
Auch im Familienkreise hast du pünktlich bei den Mahlzeiten zu erscheinen; lasse auch bei verabredeten Ausgängen nicht auf dich warten.
Erscheine vor sämtlichen Hausgenossen nur vollständig angekleidet.
Wenn Besuch für die Eltern eintrifft und diese können denselben nicht gleich empfangen, so sei gleich bereit, bis zu ihrem Erscheinen ihre Stelle einzunehmen.[42] Niemals darf man einen Besuchenden lange warten lassen.
Setze dich erst, wenn die Besuchenden sich niedergelassen haben.
Bei sehr kurzen Besuchen wird gewöhnlich nichts angeboten, anders ist es bei länger dauernden, die einen mehr freundschaftlichen Charakter tragen.
Wenn Besuche den Eltern gelten, soll ein junges Mädchen sich leicht grüßend entfernen, falls es nicht annehmen muß, daß sein Bleiben erwünscht sei, oder wenn es nicht ausdrücklich dazu aufgefordert wird.
Auf jeden Fall bewahre immer eine bescheidene Zurückhaltung, ohne jedoch steif und teilnahmlos dazusitzen.
Mustere nie die Besuchenden mit neugierigen Blicken.
Als stellvertretende Hausfrau hat ein junges Mädchen auch deren Pflichten zu erfüllen; jedoch immer sei sein Auftreten, besonders älteren Damen gegenüber, bescheiden.
Es ist gestattet, in Anwesenheit freundschaftlicher Besuche sich mit einer Handarbeit zu beschäftigen, niemals jedoch bei Höherstehenden
Tritt noch ein anderer Besuch ein, so hast du die sich fremden Personen einander bekannt zu machen. Stelle stets die Herren den Damen, junge Mädchen den älteren Damen vor.
Man nennt also zuerst den Namen des Herrn oder der jüngeren Dame. Stellst du deine Freundinnen und Altersgenossen älteren und hochstehenden Personen vor, so bitte zuerst um die Erlaubnis: »Darf[43] ich Ihnen usw.« »Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Freundin vorstelle.«.
Ein junges Mädchen darf bei der Vorstellung von jungen Herren sitzen bleiben. Wenn du erwachsene Brüder hast, die ihre Freunde bei sich empfangen, so vermeide ungeziemende Vertraulichkeit; bedenke, daß du kein Kind mehr bist; im übrigen sei einfach und natürlich.
Bei jedem Besuch, den du im Hause empfängst, sei freundlich und höflich, auch wenn derselbe ungelegen oder sogar unangenehm sein sollte.
Einem Herrn biete einen Stuhl oder Sessel, einer Dame das Sofa zum Sitzen an.
Wenn mehrere Besuche im Zimmer sind, so begleite den sich Verabschiedenden bis zur Türe – wenn nicht bis zur Außentüre.
Du hast jetzt gesehen, wie du Besuche im Hause zu empfangen hast, und möchte ich, da wir einmal am Besuchsthema sind, hier auch noch einiges hinzufügen über die Besuche, welche ein junge, Mädchen zu machen hat. Dazu gehören vor allem die Antrittsbesuche. Das aus der Pension zurückgekehrte junge Mädchen macht dieselben, gewöhnlich in Begleitung der Mutter oder auch allein, in allen bekannten und befreundeten Familien, nicht nur dort, wo Töchter seines Alters sind.
Diese Besuche werden gewöhnlich innerhalb acht Tagen erwidert.[44]
Du darfst jedoch nicht erwarten, daß jeder deiner Antrittsbesuche einen Gegenbesuch findet. Es ist älteren Damen jungen Mädchen gegenüber gestattet, den schuldigen Gegenbesuch durch eine Einladung oder auch eine Aufforderung zu wiederholtem Besuche zu ersetzen. Ein junges Mädchen soll von älteren Damen keine großen Rücksichren beanspruchen.
Gratulationsbesuche werden am Morgen gemacht.
Bei etwaigen längeren Besuchen warte mit dem Ablegen von Hut und Mantel, bis du dazu aufgefordert wirst. Die Handschuhe werden im Salon nur ausgezogen, wenn eine Erfrischung gereicht wird.
Ein anderer Besuch ist der Kondolenzbesuch.
Berücksichtige stets, wem der Besuch gilt, und richte demnach dein Äußeres ein. Kondolenzbesuche dürfen nie in Kleidern von schreiend hellen Farben gemacht werden; man wähle dazu, wenn nicht ein schwarzes, so doch wenigstens ein dunkles Kleid. Sehr taktlos wäre es, bei solchen Besuchen über Vergnügen usw. zu reden, und doch kann dieses vorkommen. Ich erinnere mich selbst aus meiner Jugendzeit, daß ein junges Mädchen bei ihrem »Kondolenzbesuch« – beim Tode eines uns sehr lieben Verwandten, der in gleicher Stadt wohnte, – den sie pflichtschuldigst machen zu müssen glaubte, uns zugleich ihre Freundin mitbrachte, und hauptsächlich von den Plänen redete, die sie für diese in Aussicht genommen.
Ich glaube, ich selbst habe schweigend dagesessen; eine meiner Schwestern war empört über diese Rücksichtslosigkeit, eine andere weinte bitterlich ... Es[45] gibt leider Menschen, denen der wahre Takt des Herzens fehlt.
Ein anderer Besuch, den ein junges Mädchen zu machen hat, ist der Entschuldigungsbesuch, wenn es einer erhaltenen Einladung nicht Folge leisten konnte.
Junge Mädchen unter sich bedürfen, wenn sie schon näher bekannt sind, keiner besonderen Vorschriften; hier waltet das Gemüt, die Herzlichkeit vor.
Die Zeit des Besuches ist in den verschiedenen Ländern verschieden. In Deutschland gilt als Regel, daß man da, wo um 12 oder 1 Uhr zu Mittag gespeist wird, die Besuche zwischen 11–1 und um 5–6 Uhr macht; wo um 4 oder 5 Uhr gespeist wird, während der Zeit von 12–3 Uhr. Bei näher befreundeten Familien ist die Besuchszeit nicht allzu strenge einzuhalten.
Mache jedoch nie zu einer unpassenden Zeit Besuche; z.B. nicht gleich nach Tisch, oder wenn jene, die du aufsuchst, voraussichtlich der Ruhe pflegen. Auch nicht an Vortagen von hohen Festen; einige wollen auch die hohen Festtage selbst ausgeschlossen wissen.
Eine Visitenkarte gib nur ab, wenn du bei deinem ersten Besuch die bisher wenig bekannte Familie nicht antriffst.
Man biegt dabei die Karte am linken Rande etwas um. Dieses Abgeben der Karte gilt jedoch nur, wenn du allein bist; ist die Mutter bei dir, so fügt sie ihrer Karte den Zusatz »und Tochter« bei.[46]
Nun haben wir Besuche empfangen und gemacht und möchte ich noch einmal »ins Haus« zurückkehren, nicht, um wieder neue Vorschriften hinzuzufügen, sondern um mit euch über etwas zu sprechen, was ich gar gerne aus eurem Leben verbannt sehen möchte:
»Tändelei im engsten Sinne des Wortes ist die Beschäftigung mit Tand. Aber nicht alle kleinen Dinge nennen wir Tand; im Gegenteil, das ganze schöne und in seiner Gesamtheit so rasche Leben besteht zumeist aus lauter kleinen Dingen, die alle zusammen erst dieses Ganze bilden. Sie sind nicht wertlos, aber man kann sie entwerten. Ein kleines Werk mit Ernst betrieben, erhebt dieses über ein großes, womit getändelt wird. Daran liegt eben, daß so vielen Menschen der rechte Ernst abgeht. Das Leben ist für jeden, auch für ein junges Mädchen, eine Arbeit die getan sein will, und je nach dem Sinne, in dem sie getan wird, zum Genuß werden kann oder zur Last, zu heiliger schöner Pflichterfüllung oder zu wertloser Tändelei. Es ist nicht nötig, daß man alles und jedes, was man tut, mit übergroßer Wichtigkeit behandle; man soll den Wert seiner Tätigkeit nicht überschätzen. Aber Ernst soll die Grundlage all unseres Tuns sein.
Nur wer mit dem rechten Ernst an das Leben und seine kleinen Forderungen herantritt, nur der lernt auch die leichte, gefällige Art des Seins und Wirkens, die der schönste Schmuck der Frauen ist.[47]
Edle Frauen kennen keinen Tand und dulden keinen, weder an ihrer Person noch in ihrem Hause, weder in ihrem Sinne, noch in ihrem Leben. Sie tändeln weder bei der Pflichterfüllung noch beim Genuß. Und auch die Tochter einer solchen Mutter wird keine Freude an Tändeleien haben.
Leider fehlt manchem Frauensinn dieser Ernst, und so kommt es, daß auch die Tochter ihn nicht kennen lernt. Ein solches Mädchen aber wird, wenn der Ernst des Lebens mit gebieterischer Macht an sie herantritt, mutlos und ratlos dastehen ... Die ernste und wohlerzogene Frau geht durch den Schmutz des Lebens, ohne ihn mit dem Saum des Kleides zu streifen; sie schreitet durch die Dornen- und Steinpfade des Lebens, ohne zu murren und zu straucheln.
Wie anders eine Frau, die in ihrer Jugend nur mit dem Leben spielen gelernt hat! Wenn es gilt, Schwierigkeiten zu überwinden, durch Bedrängnisse sich zu arbeiten, dann fehlt ihr Mut und Geschick. An Äußerlichkeiten bleibt der Sinn hängen; achtlos wird sie die edelsten Güter des Lebens wegwerfen und nach wertlosem Tand greifen.«
Keine Arbeit, sei es eine nutzbringende Beschäftigung im Hause, sei es ein Studium, sei es die Übung in irgendeiner Fertigkeit oder Kunst, werde ohne Ernst betrieben. Jede Arbeit habe einen Zweck; dadurch wird sie erst wertvoll, sie hebt euch und lehrt euch den Wert des Lebens und eurer Tätigkeit erkennen. Den Wert einer Sache erkennen heißt aber,[48] sie würdigen, und mit dem, was man würdigt, spielt man nicht.
Ich möchte hier noch auf eines aufmerksam machen. Es kommt zuweilen vor, daß die Eltern – vielleicht ist es verzeihliche Eitelkeit – wünschen, euch in irgendeiner Kunst bewandert zu sehen, z.B. in der Musik. Längst nicht immer jedoch ist Anlage vorhanden, sich auch nur bis zum Mittelmaß zu erheben. Da würde ich euch dann anraten, dieses den Eltern vorzustellen, und sie werden euch gewiß von einrm zwecklosen Abmühen dispensieren. Wenn es auch recht angenehm ist, in Gesellschaft etwas vortragen zu können, so gehört dies doch keineswegs zu den unbedingten Anforderungen des guten Tons.[49]
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