[60] Noch gestern war ich im Zweifel, ob ich dieses Kapitel in mein Büchlein aufnehmen sollte, weil ich der Meinung bin, daß Herz und Gewissen einem jeden sagen, was er im Haus des Herrn zu tun und zu lassen hat. Dennoch glaube ich, es wird nicht überflüssig sein, wenn ich die Grundregeln über das Verhalten in der Kirche hier kurz zusammenfasse.
Die äußere Haltung in der Kirche muß stets ehrfurchtsvoll sein und von der inneren Sammlung Zeugnis geben. Finde dich stets rechtzeitig ein; es erregt unwillkürlich den Gedanken in anderen, man wolle sich auffällig und bemerkbar machen, wenn man, womöglich in großer Toilette, zu spät kommt und sich durch die andächtige Menge drängt.
Deine Kleidung sei einfach aber sorgfältig, selbstredend mit Berücksichtigung etwaiger Feste.
Dränge dich nicht in ungebührlicher Weise vor.
Bleibe jedoch auch nicht an der Kirchentüre stehen.
Hast du einen bestimmten Platz und findest denselben durch eine ältere oder gebrechliche Person besetzt, so mache dich nicht bemerkbar; ebenso überlasse auch solchen Personen einen andern Platz oder Stuhl.
Wende deine ganze Aufmerksamkeit dem Altare, der Kanzel oder deinem Gebetbuche zu, nicht aber[60] deinem Nachbarn oder anderen Anwesenden. Wende auch nicht bei jedem kleinen Geräusch den Kopf um. Etwas anderes wäre es freilich, wenn jemand in unserer Nähe von einem Unwohlsein befallen würde; zeige dich alsdann sehr dienstbereit und teilnehmend.
Beim Betreten und Verlassen der Kirche nimm andächtig Weihwasser, reiche es älteren Damen und Herren mit den Fingerspitzen freundlich an.
Gehst du an einem Altare vorüber, auf dem das hochwürdigste Gut ausgesetzt ist, so knie auf beiden Knien nieder; wird die heilige Messe gelesen, so findet die vollständige Kniebeugung nur in der Zeit zwischen Wandlung und Kommunion statt. In allen anderen Fällen kniet man mit einem Knie nieder, und zwar vor den Altären, welche Tabernakel enthalten, gewöhnlich also vor dem Hochaltar.
Beim Grüßen in der Kirche beschränke dich auf ein flüchtiges Kopfnicken; wünscht man sich zu sprechen, so warte man bis nach dem Gottesdienste, und zwar vor der Kirche. Es macht einen sehr peinlichen Eindruck, wenn junge Mädchen den Schluß der heiligen Messe oder der Andacht fast nicht abwarten können und nach allen Bekanten hin und her schauen. Bescheidenheit ist vor allem in der Kirche am Platze.
Lege auch nicht die Arme breit auf die Bänke; sitze nicht aus Bequemlichkeit und in nachlässiger Weise. Womöglich soll man der heiligen Messe von der Wandlung an bis zum letzten Evangelium kniend beiwohnen; selbstredend während der heiligen Wandlung und Kommunion. Trittst du zur Kommunionbank, so ziehe die Handschuhe aus, auch Buch und[61] Schirm wird zurückgelassen. Die Hände hebe andächtig gefaltet empor, nicht zu Boden gesenkt; die Augen halte niedergeschlagen. An der Kommunionbank knie vor und nach dem Empfang der heiligen Hostie nieder; kehre langsam aber nicht schneckenhaft an deinen Platz zurück. Greise dort nicht sogleich nach deinem Buch; verlasse auch die Kirche nicht schon nach wenigen Minuten. Die Danksagung soll wenigstens eine Viertelstunde oder 20 Minuten dauern.
Wenn du eine Kirche besuchst im Interesse der Kunst, ihrer Bauart, Statuen oder Bilder usw. wegen, so verliere doch nie aus dem Auge, daß du in einem Hause des Herrn verweilst. Bei solchen Gelegenheiten ist alles laute und auffallende, geschweige denn lärmende Wesen zu vermeiden. Auch sollen während des Gottesdienstes keine Kirchen besichtigt werden. Erklärungen und Belehrungen werden stets in leisem und gedämpftem Tone gegeben.
Solltest du einmal in die Notwendigkeit kommen, bei dem Gottesdienste einer anderen Konfession zugegen sein zu müssen, so sollst du natürlich keine der Zeremonien mitmachen, jedoch eine höfliche und ehrerbietige Haltung bewahren, vor allem über nichts spötteln und lachen.
Es hieße dieses eine gewisse Roheit des Herzens verraten, die einem gebildeten jungen Mädchen wohl kaum zuzutrauen ist.
Dasselbe taktvolle Benehmen lege an den Tag, wenn du in der Kirche von Andersgläubigen einem[62] religiösen Akte, z.B. einer Taufe oder Trauung, beizuwohnen hast.
Wenn du einem Priester begegnest, der das hochwürdigste Gut zu einem Kranken trägt, so knie nieder, auch auf offener Straße.
In der Person eines jeden Priesters ehre seine Würde, sein göttliches Amt. Der Priesterstand nimmt unter allen Gesellschaftsklassen eine Sonderstellung ein, und zwar mit vollem Rechte.
Deshalb hat er an allen Orten Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit. Auch junge Mädchen sollen einen Geistlichen stets zuerst grüßen.
Hüte dich vor allem, einen Priester je lächerlich zu machen oder leichtfertig und voreilig seine Handlungen zu beurteilen. Ein solches Thema sollte nie den Stoff der Unterhaltung bei euren Zusammenkünften bilden.
Priester werden entweder mit Hochwürden oder auch ihrem Titel angeredet: Herr Pfarrer, Herr Domkapitular usw. Einen Bischof tituliert man: Hochwürdigster Herr oder auch Bischöfliche Gnaden. Wirst du zu einem solchen zugelassen, so knie nieder, um seinen Segen zu empfangen, und küsse den dargebotenen Ring.[63]