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[125] Es war an einem Sonntagnachmittag, etwa 33/4 Uhr, als ein stellvertretender Beamter des Sekretariats in Begleitung des Oberaufsehers meine Zelle betrat, in der ich gedankenvoll auf und ab schritt. In der einen Hand hielt der Beamte meine Personalakten, daraufliegend ein kleines Papier.
Die Freude leuchtete beiden aus den Augen.
Es war ein ungewohnter Vorgang, zu ungewohnter Zeit, als der Beamte den Mund öffnete und mir sagte:
»Herr Voigt, ich habe Ihnen eine erfreuliche Nachricht mitzuteilen!«
Da fuhr es mir wie ein Blitz durchs Gehirn:
»Du wirst frei!«
Als er dann aber weiter fortfuhr, daß ich auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers sofort in Freiheit gesetzt würde, war ich vor Überraschung zunächst ganz sprachlos und auch die Herrschaft über meine Sinne und Glieder verließen mich – ich taumelte rückwärts gegen die Wand.
Mit Mühe ermunterte man mich so weit, daß ich dem Beamten wenigstens in die Freiheit folgen konnte. Er war mit beim Zusammenlegen der wenigen Sachen, die mein[126] persönliches Eigentum darstellten, behilflich und führte mich in die Räume der Hausväterei, damit ich mich dort umkleidete. Ich war in so großer Erregung, daß mir das ohne Beihilfe gar nicht gelingen wollte und die Beamten mich selbst beim Anlegen meiner Kleidungsstücke unterstützen mußten.
Der Kassenbeamte war nicht im Dienst. Andere Oberbeamte auch nicht. Deshalb schoß mir der stellvertretende Sekretär aus seinem eigenen Bestande eine Mark vor. Diese in der Tasche, eilte ich hinaus in die Freiheit. Es war ein wunderschöner, heller Tag, der erste regenlose Sonn- oder Feiertag des ganzen Jahres.
Ein Gefühl des Wohlbehagens durchströmte mir Leib und Seele.
So lange in der trostlosen Einsamkeit, in die kaum ein Ton menschlichen Lebens hineindringt! Ich glaube nicht, daß ich in der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Tegel fünfzig Menschen außerhalb der Gefängnismauern gesehen habe. Wenn auch mein Blick über die Mauern hinausreichte, so war doch die Gegend, die ich übersehen konnte, so abgelegen, daß selten ein menschlicher Fuß sie betrat.
Ich konnte nur Sand, Fichten und das Laub der Bäume sehen. Mit einem gewissen Wohlbehagen durchschritt ich die Straßen des Vorortes und freute mich an den wandernden, fröhlichen Menschen.
Ich wußte, mit welcher Teilnahme mein Ergehen in Tegel und meine Freilassung in der Welt verfolgt wurde.[127]
War es mir doch zu Ohren gekommen, daß viele meiner Freunde sich verabredet hatten, am Tage meiner Freilassung vor den Toren des Hauses auf mich zu warten und mich abzuholen.
Hatten sich doch schon einmal früher, als das Gerücht verbreitet wurde, ich würde freigelassen, Hunderte von Menschen eingefunden, die mich sehen wollten.
Und heute?
Keiner von diesen Menschen dachte daran, daß ich unter ihnen wandelte, und so konnte ich unbelästigt das heitere Leben, das an schönen Sonntagen die Vororte von Berlin durchflutete, genießen.
Die erste Stunde der Freiheit, die direkt der Gnade entflossen, unerwartet und doch so erwünscht kam, kann ich mit Worten nicht schildern! So etwas muß man erlebt haben! ...
Ich wollte zunächst meine Schwester in ihrer Wohnung aufsuchen, sie war aber leider nicht zu Hause. Deshalb besuchte ich erst einmal die nächsten Bekannten, unter ihnen auch die Frau Riemer, mit der die Presse sich späterhin so viel und in ganz unzutreffender Weise beschäftigt hat.
Um aber doch auch die, die sich durch Sammlungen usw. um mich bemüht hatten, von dem Gnadenakt Sr. Majestät in Kenntnis zu setzen, fuhr ich noch an demselben Abend zur Redaktion der Zeitschrift: »Die Welt am Montag«.
Auch da große Überraschung und die ersten Glückwünsche! Ich kehrte hierauf noch einmal zur Wohnung[128] meiner Schwester zurück, welche ich auch jetzt noch nicht antraf, und wartete in der Nähe, bis sie endlich von ihrem Ausgange heimkehrte. Am andern Morgen hatte ich zunächst viele geschäftliche Sachen zu besorgen und um schneller damit zustandezukommen, bediente ich mich einer Droschke.
Aber schon war Frau Fama geschäftig gewesen. Alle Welt wußte von meiner Befreiung. Und bald hatten sich denn auch die Pioniere der modernen Zivilisation, die Amateurphotographen und Photographen vom Fach eingestellt; und während ich den Fuß auf den Tritt der Droschke stellte, war bereits eine Anzahl von Objektiven auf mich gerichtet, um diesen denkwürdigen Moment zu verewigen.
Schon am frühen Morgen hatte die Post eine große Anzahl Briefe für mich gebracht, und ich wollte die Muße der Fahrt dazu benutzen, um sie auf dem Wege zur Stadt zu lesen.
Als ich aber einen Augenblick hinter mich schaute, sah ich, wie die Photographengesellschaft im Auto hinter mir herfuhr, an jedem Haltepunkt umstellten sie meine Droschke so, daß mein Kutscher nicht losfahren konnte, die Zwischenzeit benutzten sie, um mich in allen möglichen Stellungen aufzunehmen. Ich habe ziemlich drei Stunden gebraucht, bis es mir endlich gelang, ihren Glasaugen zu entkommen.
Notwendigerweise mußte ich auch noch einmal in die Gefangenenanstalt Tegel zurückkehren, um mich in ordnungsmäßiger Weise zu verabschieden.
Beim Verlassen der Anstalt fand ich vor den Toren des Hauses eine große Menschenmenge vor, auch hier wieder hatte sich der unvermeidliche Photograph eingefunden;[129] ferner eine Anzahl von anderen Herren, die aus der Situation Kapital schlagen wollten.
Es schwirrt mir heute noch in den Ohren, wenn ich daran denke, was für Anträge und Zumutungen mir damals gemacht worden sind.
Ich konnte mich unmöglich in diesem Augenblick schon zu irgendeiner geschäftlichen Abmachung verstehen, weil ich instinktiv fühlte, daß ich den meisten nur als Mittel zum Zweck dienen sollte.[130]
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