Der Besuch

von Kirchen, Museen, Ausstellungen,

Konzerten und Restaurants.

[304] »Giebt es dafür denn auch noch besondere Regeln?« höre ich dich, verehrter Leser, ausrufen. »Nein, nur wenig Neues kann ich dir über diese Punkte sagen, ich möchte dir dagegen alles das ins Gedächtnis zurückrufen, was ich in den vorstehenden Kapiteln über Höflichkeit in der Oeffentlichkeit, auf der Straße, beim Grüßen, und was ich über Anzug und Aeußerlichkeiten bereits gesagt habe.«

Bei dem Kirchenbesuch befleißige man sich absoluter Ruhe. Gespräche mit Nachbarn sind unstatthaft. Einen Gruß tauscht man unauffällig nur in nächster Nähe aus. Auffallende bunte Toilette ist unangebracht.

Betritt man die Kirche nur, um die darin befindlichen Sehenswürdigkeiten zu betrachten, so darf man nicht vergessen, daß man sich an heiliger Stätte befindet. Man dämpfe die Stimme, unterdrücke das Lachen und Rufe des lauten Entzückens. Sehr viele[304] Touristen versäumen diese Rücksicht für den Ort, an dem sie sich befinden.

Civilpersonen pflegen beim Kirchenbesuch den hohen Hut dem runden Straßenhut vorzuziehen. Besucht der Offizier freiwillig die Kirche – die Anzugsbestimmungen bei dienstlichem Kirchgang gehören nicht hierher – so legt er kleinen Dienstanzug an, d.h. Waffen- oder Ueberrock, lange Hosen, Degen resp. Säbel und Helm.

Der Besuch von Bildergalerien, Skulptursammlungen und Museen verlangt ebenfalls Sammlung und Interesse. Ohne beides ist der Besuch leere Formalität und wirkt weder bildend noch belehrend. Wer sich nicht zutraut, an etwa Unpassendem mit kühlem Ignorieren vorbeigehen, Widerwärtiges übersehen zu können, wer nicht objektiv genug ist, mit der Lernbegier eines Unwissenden, mit Anteilnahme des Kenners an Kunstschöpfungen heranzutreten, sondern sein subjektives Empfinden durch unterdrücktes Kichern, auffälliges Abwenden, entrüstete Bemerkungen, spöttisches Flüstern, laute Ausrufe mitzuteilen liebt, der bleibe Galerien lieber fern.

Junge Mädchen werden nur in Begleitung ihrer Eltern in Ausstellungen gehen. Sache dieser wird es sein, ihnen das für sie Passende zu zeigen. Es ist daher ratsam, daß der betreffende Führer, seien es nun die Eltern oder der Bruder, sich die Sammlungen zuerst allein besieht. Er erspart sich selbst wie den seiner Führerschaft Vertrauenden peinliche Situationen.

Herren, welche in Damengesellschaft Kunstausstellungen besuchen oder dort mit Damen zusammentreffen,[305] werden sich selbstverständlich des größten Zartgefühls befleißigen und sich jedes Wortes zu enthalten haben, welches das empfindliche (hoffen wir, daß dem so ist) Ohr der Dame irgendwie verletzen könnte.

Damen werden ihrerseits jedes taktlos begonnene Gespräch über auffallende Bildwerke und dergl. kurz abbrechen oder geschickt zu wenden wissen.

Bei dem Besuch von Konzerten unterscheiden wir zwischen dem Konzert im geschlossenen Raum und dem Konzert im Freien. Beide kennen ihrerseits wieder Varianten.

Das Cykluskonzert in der Philharmonie, in welchem Sarasate spielt, besteht aus einer erlesenen Versammlung des kunstverständigen Publikums der besseren Kreise. Die Damen erscheinen in eleganter Besuchs- resp. einfacher Gesellschaftstoilette mit kleinem, sogenanntem Konzerthut, mittelfarbenen Handschuhen, Fächer, junge Mädchen ohne Kopfbedeckung, Herren im Gehrock oder Smoking, mittelfarbenen Handschuhen und Cylinder, Offiziere in Ueberrock und Mütze. Man befleißige sich größter Pünktlichkeit im Kommen und möglichster Ruhe beim Zuhören. Opernglas und Bonbonniere, im Theater geduldet, sind hier verpönt, Plaudern desgleichen, ebenso das Mitsummen der Melodien, Wiegen des Kopfes, der Hände oder Füße nach dem Takte der Musik. Ebensowenig gehört es zum guten Ton, sich vor Beendigung des Konzertes zu erheben.

Das Promenadenkonzert im Saale (Straßentoilette) gestattet das Sitzen an Tischen, das Aufstehen und Umhergehen während der Pausen, ja in manchen Sälen[306] auch das Rauchen. Die Handarbeit ist jedoch, selbst wenn der Herr die Cigarre bewilligt erhält, immer verboten. Bei Konzerten im Freien sitzt man an Tischen oder spaziert umher. Wer das erstere vorzieht, schuldet den übrigen, vielleicht später kommenden Besuchern die Rücksicht, nicht mehr Stühle zu belegen, als er dringend braucht, und durch seinen Stuhl nicht die Passage zu hemmen. Will man sich an einen Tisch setzen, der bereits besetzt ist, so lüftet man den Hut, tritt heran und fragt: »Gestatten Sie, daß ich hier Platz nehme?« Holt man sich Stühle von einem besetzten Tisch, so hat man ebenfalls um Erlaubnis zu bitten.

Die Unterhaltung ist auch während der Musikvorträge erlaubt, jedoch wird jeder Gebildete sich lauter Zurufe, des Auf- und Zuklappens des Bierglasdeckets, um den Kellner zu rufen, u.a. während der Ausführung eines Musikstückes enthalten. Wir wollen an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß die einzig richtige Art, den Kellner auf unsere Wünsche aufmerksam zu machen, in dem Rufe: »Kellner!« oder in einem Zeichen mit der Hand, dem Arm, eventuell im Erheben vom Sitz besteht. Im Restaurant bedient man sich der Schelle. Sieht man Bekannte, so erhebt sich der Herr beim Gruße, die Dame verneigt sich im Sitzen. Anhaltendes Winken, lebhaftes Gestikulieren oder gar Zurufe, um die Aufmerksamkeit vorbeigehender Bekannten zu erregen, ist unpassend. In diesem Falle steht ein männliches Mitglied der Familie, eventuell ein Kind, auf und geht auf den Betreffenden zu, ihn von der Anwesenheit der andern Familie zu benachrichtigen und die[307] Aufforderung, bei ihnen Platz zu nehmen, auszusprechen. Einer solchen Einladung ohne triftigen Grund nicht zu folgen, ist unartig. Wünscht man aber nicht lange in dem Kreise zu verweilen, so empfehle man sich mit der Entschuldigung, man wolle noch den oder jenen begrüßen.

Damen werden mit solcher Aufforderung sehr zurückhaltend sein müssen, wollen sie nicht in falschen Verdacht kommen. Eine Dame, die mit ihrer Tochter beim Konzert sitzt und einen jungen Herrn herbeiruft, würde mit Recht allseitig verurteilt werden.

Es ist Sache des Herrn, sich am dritten Ort Familien zu nähern. Hier soll wie schon an anderer Stelle darauf hingewiesen werden, daß junge Herren, welche in der betreffenden Familie verkehrt haben, die Verpflichtung haben, dieselbe auch in der Oeffentlichkeit zu beachten und nach der Begrüßung ein wenig an ihrem Tische zu verweilen. Sache der betreffenden Familie wird es sein, den Herrn nicht so arg in Fesseln zu schlagen und in Beschlag zu nehmen, daß er sein ritterliches Benehmen bereuen könnte.

Es ist heute allgemein Sitte, daß verheiratete Frauen mit ihren Gatten gemeinsam in ein Restaurant gehen, um ein Glas Bier zu trinken. Zwei Familien haben sich im Theater getroffen; beide wollen noch ein Butterbrot auswärts essen und verabreden sich, gemeinsam in dem und dem Restaurant – die Wahl muß natürlich eine gute sein – zu Abend zu essen.

Was bei unsern Müttern noch als unerhört verdammt wurde, ist heute gang und gäbe.[308]

Man vermeidet im Restaurant Namen zu nennen, wenn man Personen unserer Bekanntschaft zum Gegenstand des Gesprächs macht. Junge Herren sprechen nie von Damen, die man achtet, mit Namensnennung.

Bringst du, lieber Leser, deinen Freund mit an deinen Stammtisch, so stellst du ihn den andern Gästen der Tafelrunde vor.

Grüßt dich der Wirt, so erwidere seinen Gruß mit Höflichkeit. Manche glauben über diesen Gruß hinwegsehen zu können. Dies ist falsch; jeder Gruß ist eine Aufmerksamkeit und als solche einen Dank wert.

Sammle nicht alle Zeitungen, die du erreichen kannst, lege nicht stundenlang Beschlag auf die »Fliegenden Blätter«. Sie werden für alle Gäste gehalten. Trinkgeld mußt du im Restaurant wie im Hotel geben, aber wisse die richtige Mitte zwischen Knauserei und falscher Großmut zu halten.[309]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 304-310.
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