Die Tischordnung.

[130] »Wer wird mich heute abend zu Tisch führen, Mütterchen?« Zärtlich umfängt Käthes Arm die Schulter der Mutter.

»Ja, das möchtest Du wohl wissen, Wildfang, nicht wahr? Denn vom ›Nettsein‹ oder ›Nichtnettsein‹ des Tischherrn hängt ja wohl für Euch junge Mädchen das Amüsement des Abends ab?«

Käthe nickt ein wenig errötend. »Hast Du denn schon die Tischordnung fertig?« – »Im Entwurf ja, mein Kind, aber die leidigen Absagen im letzten Augenblick werden mir gewiß meine schönsten Kombinationen über den Haufen werfen. Schau, es ist gar nicht so einfach, eine Tischordnung zu machen, mit der jeder einverstanden ist. Hier gilt es, Gegensätze zu trennen. Der Gerichtsrat ist konservativ, der Landrichter Fortschrittler, die dürfen mir nicht gegenüber sitzen, denn sonst entbrennt während des Servierens der Gänseleber in Aspik. dem einzigen Punkt, über dessen Vortrefflichkeit[130] sie einig sind, ein lauter politischer Kampf. Frau S. und Frau A. waren früher intime Freundinnen. Sie sind aber durch Gott weiß welche bösen Zwischenträgereien geschworene Feindinnen geworden, haben leider nicht den Mut, sich auszusprechen, und nähren unter der oberflächlichen Höflichkeit ihres Hasses Flammen. Diese beiden nebeneinanderzusetzen verbietet mir die sonst vorhandene Explosionsgefahr. Ferner soll ich Ehepaare und Verwandte trennen – – Ja, so giebts eine Menge zu überlegen! Und doch setze ich heute bei dieser kleinen Gesellschaft mehr nach dem persönlichen Geschmack der Leute als nach Rang und Würden. Früher, als Papa noch lebte...«

»Gabt Ihr da auch Gesellschaften? Ich erinnere mich nicht daran, da ich ja damals in Pension war.«

»Ja, da mußten wir sogenannte offizielle Diners und Abendessen geben, wo Papas Vorgesetzte und eine Menge Respektspersonen kamen. Da galt es besonders vorsichtig sein, um niemanden zu verletzen. Papa führte die vornehmste Dame zu Tisch, und ich erbat mir, wenn die Meldung, daß angerichtet sei, erstattet war, den Arm des vornehmsten Herrn. Mein Mann eröffnete den Zug, und ich folgte mit meinem Tischherrn als zweites oder drittes Paar. Wir richteten es so ein, daß alle älteren Herren eine Tischdame bekamen, – jüngere Herren können schon eher einmal ungeleitet zu Tisch gehen – und suchten jeder Dame stets einen Herrn zu geben, der einen höheren Rang bekleidete als ihr Gatte oder, wenn sich dies nicht einrichten ließ, mindestens den gleichen.«[131]

»Ach, Mütterchen, war Dir das nicht schrecklich langweilig, als junge Frau immer bei dem vornehmsten, das heißt doch gewiß an Rang und Würde und demnach auch an Jahren ältesten Herrn zu sitzen?«

»Manchmal, in der ersten Zeit unserer Ehe gewiß, besonders da die Hausfrau gezwungen ist, wenn z.B. an zwei Tischen gegessen wird, dem Tisch der älteren Herrschaften zu präsidieren, während der Hausherr sich am Tisch der jüngeren Gäste amüsieren kann. Ganz junge Ehepaare richten es wohl auch so ein: Der vornehmste Herr führt die nächst seiner Frau vornehmste Dame. Seine Frau wird von dem zweitvornehmsten Herrn geführt u.s.w. Die Hausfrau wird von dem viert- oder fünftältesten Herrn geführt, und der Hausherr bleibt ohne Dame, tritt gewissermaßen bescheiden zurück und überläßt seinen Gästen die Tischdamen.

Speist die Gesellschaft aber an mehreren kleinen Tischen, z.B. beim Büffet, da fällt natürlich jede vorher bestimmte Tischordnung fort.«

»Warum machst Du sie aber überhaupt?«

»Denke Dir den unangenehmen Augenblick, wenn alle Paare um den Tisch drängen und niemand den Anfang mit dem Hinsetzen machen will und dem Wirt die Geistesgegenwart fehlt, mit einer einladenden Geste rasch und gewandt den einzelnen Paaren die Plätze anzuweisen, wie es neulich Assessor v. Mehren bei dem freundschaftlichen Abendbrot that!

Ist die Gesellschaft kleiner, so flüstert der Hausherr wohl dem Gaste zu, wen er zu Tisch führt, aber er muß es unbemerkt thun, nicht mit einem langen,[132] weißen Zettel in der Hand, den man nicht mit Unrecht, ›das Todesurteil‹ nennt. Bei uns, wo der Hausherr fehlt, benutzen wir die hübschen Tischführungskarten. Aber ich glaube gar, die habe ich einzukaufen vergessen!«


Die Tischordnung

»Soll ich Dir eine Ueberraschung verraten, Mama? Hiersieh dieneuesten Karten. Es sind etwa 4 Centimeter breite und 9 Centimeter lange Kartonstreifen. Damit nicht jeder des andern Urteil lese, werden sie so zusammengelegt, daß oben nur der Name des Herrn sichtbar ist.

Hier sind noch andere zur Wahl, ebenfalls schmale Streifen weißen Kartons, die in drei Teile zusammengebrochen werden in der Art, wie Du mir Briefchen Deiner Freundinnen aus Deiner Jugend zeigtest. Das Monogramm des Gastgebers steht auf der mittleren Seite – mein Pinsel hat's Dir gemalt. Im Innern stehen die gedruckten Worte: Herr... wird gebeten, Frau... zu Tisch zu führen. – Nun, Mütterchen, vollzieh mit einem Federstrich mein Urteil!«

»Wie reizend, mein Kind, ich danke Dir! Diese verschwiegenen Karten sind doch hübscher wie die ovalen[133] kleinen Kärtchen, die neulich Abend bei H.'s den Herren präsentiert wurden. Ich ließ sie mir zeigen, da es mir nach den Ausrufen der Herren eine Neuheit schien. Manche fanden sie sehr bequem, da sie sich rasch im Handschuh verbergen ließen, während das Wegstecken größerer Karten immer Zeit erfordert.«

»Aber, Mütterchen, da fällt mir ein, bei Assessor v. Mehren ist nächstens Ball. Da können doch unmöglich alle Plätze belegt sein. Wie verhält man sich denn da?«

»Der Hausherr wird immer die vornehmsten Gäste bitten, sich zu setzen und ihnen ihre Plätze in der Mitte der Tafel anweisen. Die übrigen gruppieren sich nach Belieben, wobei die Jugend wartet, bis das Alter Platz gefunden hat. Ein Drängen, um an die Seite einer bestimmten Persönlichkeit zu kommen, unterbleibt natürlich.«

»Und man muß sich die erste beste Nachbarschaft gefallen lassen? Das ist hart!«

»Liebenswürdiges Verbergen seiner Verstimmung aber ist in diesem Fall besondere Pflicht.«

»Und wenn ich nun nichts mit meinem Nachbar anzufangen weiß oder er mit mir?«

»Dann habt Ihr Euch beide Mühe zu geben. Jeder Mensch läßt sich, mit geringen Ausnahmen, zum Sprechen bringen, man muß nur den Versuch machen und nicht gleich mutlos werden!«[134]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 130-135.
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