[140] Im Oktober 1886 schied Possart aus dem Verband des Münchener Hoftheaters, und ich wurde eingeladen, für ihn an der Kgl. Bühne zu gastieren. Da ich heute noch in München (und zwar, wie's in einer Posse von Kotzebue heißt, »wie närrisch«) spiele, so kann ich natürlich nicht geschwätzig weiter berichten.[140] Ein altes Couplet hat den Refrain: »Wenn man nicht kann wie man will, so schweigt man lieber still.« Nur ein paar Haltestellen und Stationen! Als Debüt wurden mir drei Rollen bewilligt: Tartüffe, Narziß und Nathan. Ich hatte Glück: schon nach dem zweiten Akt des »Narziß« kam der Generalintendant von Perfall auf die Bühne und sagte mir: »Sie bleiben bei uns«. – Von Lebemännern heißt es, daß sie, nachdem sie sich ausgetobt, extrem solide werden; etwas ähnliches erlebten wir in der Kunst an Jocza Savits, dem Regisseur des Münchener Hoftheaters. Nachdem er Jahre Meiningen noch übermeiningert hatte, gründete er die Askese der »Shakespeare-Bühne«: ein Bühnenbauch, tief ins Parkett ragend, eine durch eine Stufe markierte »zweite« Bühne, um die Handlung ohne Pause vorwärts drängen zu lassen, dürftige Dekorationen und Kulissen und fast gar keine Möbel. Dafür aber durch die Zeit, die die vereinfachte Einrichtung einsparte, als Ersatz einen unverstümmelten Text! Weiters das Aviso an den Schauspieler: spanne deine Kräfte an, hier kommt dir nichts zu Hilfe, du mußt dir selbst helfen durch dein Können. Dem Münchener Regisseur erging's wie jedem Reformator: er wurde fanatisch angegriffen: das Publikum verlangte sein Bühnenbild, der Schauspieler seine kleinen Behelfe und Schminkkniffe, um die ihn die neue Bühne fast ganz brachte; den Text ohne jede Kürzung und Redaktion konnten beide nicht würgen. Von meinen Kollegen, glaube ich, war ich der einzige, der das magere Gerüst nicht unbedingt verneinte. Eindringlich aber redete ich Savits zu, Konzessionen zu machen: wenigstens einen hübschen Hintergrund, eine aus wenigen geschmackvollen Stücken bestehende Belebung des Bildes. Aber da kam ich schön an! Wer in Leidenschaft folgert, dem ist nicht zu helfen. »Im Gegenteil«, eiferte er: »noch viel zu viel, puritanisch, ganz puritanisch muß der Schauplatz werden; nichts[141] fürs Auge, damit das Wort, einzig das Wort zur Geltung komme«. Er sagte das Wort und meinte eigentlich mehr: die Seele! Denn ich muß sagen, er brachte auf den nüchternen Brettern Vorstellungen zustande, mit denen sich nichts vergleichen konnte, was damals »Klassisches« auf deutschen Bühnen geboten wurde. Der zweite Teil von »Heinrich IV.« z.B., mit den genialen Rekrutierungsszenen, die uns das damalige England durch frappanten Naturalismus zum Greifen lebendig vorführen – daran hätte der Schauspieler-Kollege Shakespeare, glaube ich, selber seine Freude gehabt. Das Stück wurde auch immer und immer wieder verlangt. Demungeachtet: das »Steiniget ihn« gegen Savits wurde lauter und allgemein. Und dennoch: mochte Savits' Sache auch nicht ohne eine gewisse Verbohrtheit sein, ein guter Kern mußte ihr doch innewohnen. Denn die mannigfachen Bühneneinrichtungen, die folgten, was sind sie anderes als Umbau, Ausbau der verpönten ersten Shakespeare-Bühne? Tragen diese Küchlein (die reizvolle »Künstlerbühne«, die in der Einrichtung von »Maß für Maß« durch Julius Diez ihr Zaubervollstes gab, inbegriffen) nicht alle deutlich die Eierschalen der geschmähten »Fetzenbühne«, aus der sie gekrochen, an sich? Sie haben nur mit mehr Schliff und Manier als Savits den in ganz Deutschland alpartig empfundenen, alles erdrückenden, ablenkenden, zeitraubenden Opernballast der alten Statistenbühne abgeschüttelt. Statistenbühne, ja! Denn ohne stehendes Heer war ja früher Schiller und Shakespeare gar nicht zu denken. Da kam sie aufmarschiert, die bewaffnete Macht, truppweise, vor der Vorstellung der »Jungfrau« oder »Julius Cäsar«, um sich zu verwandeln zum Troß der Edeln oder zu römischen Legionen. Kurz, was man auch sagen mag, die Shake speare-Bühne war jedenfalls die – geruchlosere! Mit ein Grund, weshalb Savits' Streben schließlich Recht behielt. Begeistert[142] waren die Lehrer der Münchener Universität. Ganz besonders Riehl feierte den »neuen Weg« als Erlösung und Zukunft und empfahl seinen Hörern den Besuch der Vorstellung. Auch Bernays war entzückt – freilich nur vom Hörensagen. Denn seit ihm die beiden Balkonsitze, die ihm Ludwig II. bewilligt hatte, beim Regierungswechsel durch den Sekretär des Prinzregenten, Hofrat Klug, gestrichen wurden, betrat der gekränkte Herr Professor nie wieder das Königliche Theater. Seine Theaterliebe war groß, seine Eitelkeit aber unmäßig. Bernays war auf alles eitel: auf seinen Geist, sein Wissen, seine Schriften (darunter besonders auf seinen zweifellos bedeutenden »Jungen Goethe«), seine Privatbibliothek, seine lattenhohe Gestalt, die in einem schwarzen Gehrock überbequem herumschlampte, ja ich glaube sogar, auf seine ungewöhnliche Häßlichkeit. Vereint mit dieser Eitelkeit war eine Grandezzapose, die ihn nie, ich möchte wetten, selbst bei den allernatürlichsten Lebensbedürfnissen, verließ. Ich war einmal bei ihm zu Besuch und werde es nie vergessen, wie der Überschlanke eine Gipsbüste Schillers auf hohem Sockel mit großartiger Theatralik umschlang, seinen Kopf mit den schrecklich schielenden Augen an den des Dichters lehnte und, mit der Linken über die hohe Stirn des Poeten streichend, pathetisch dozierte: »Mein Schiller – siehe deinen Diener!« Nicht selten hörte ich Bernays in der Universität. Er lehrte wohl, aber er belehrte nie! Nicht um alle Welt hielt er inne, um auf dies oder jenes besonders aufmerksam zu machen oder dem Hörer Zeit zu lassen, sich etwas zu notieren. Solches hätte ja die Rundheit des Vortrags, um die es ihm zu tun war, stören können. Die einzige Konzession, die er machte, war, Stellen von Wichtigkeit durch gesteigerten Ton zu unterstreichen – aber die rhetorische Plastik mußte unter allen Umständen unberührt bleiben. Bernays war ein ausgezeichneter Deklamator – und weil er das wußte, so[143] widmete er der Rezitation die Hälfte der Stunden. Einmal passierte ihm dabei eine niedliche Wilhelm Busch-Humoreske. Hoch aufgerichtet sprach er aus dem zweiten »Faust« die Szene, da Mephisto Faust zu den Müttern sendet. Im Eifer des Vortrags stieß er nun mit seiner Stirne an das Gasrohr oberhalb des Tisches; er prallt zurück, weiß sich aber geistesgegenwärtig zu fassen, ergreift – es brannte keine Flamme – damit ihm solches nicht wieder passieren könne, das abscheuliche Rohr mit der Linken und deklamiert in dieser Pose weiter bis zum Schlusse der Stunde.
Nächst Shakespeare war es Molière, mit dem Savits bemüht war, dem Repertoire Farbe zu verleihen. Mir war es vergönnt, u.a. den Harpagon, Tartüffe, Geront (les fauberies de Scapin), den Eingebildeten Kranken zu spielen. Bei Nennung des letztgenannten Stückes fällt mir ein lustiges Kuriosum ein, das ich erzählen will. In der hübschen Szene, da Argan sein Töchterchen Luise über das Verhalten der älteren Schwester aushorcht (Goethe gefiel die Szene so sehr, daß er sie – wie er erzählt – alljährlich einmal zu seinem Vergnügen las), spielte ein siebenjähriges Mädel aus dem Ballett den kleinen weiblichen Gamin. Luischen wuchs, wurde heiratsfähig, gebar ein Töchterlein – natürlich fürs Ballett wie Mama, das – wer lange lebt, kann viel erfahren, steht am Eingange dieses Buches – mit sieben Jahren, gleichsam traditionell, wieder mein Töchterchen in der genannten Komödie wurde. Die dritte Auflage, das Enkelchen, ist nicht ausgeschlossen! Und weil ich mich just darüber ertappe, wie ich Anekdoten plappere, so sei hier ein lustiges Bild, wie es nur das Theater zu erzeugen vermag, eingeflickt. Bei manchem Rokokostück im Residenztheater hatte in den Zwischenakten nicht selten technisches Personal auf der Szene zu arbeiten, das nebenbei an[144] demselben Abend in der Oper nebenan im Nationaltheater in stummen Rollen verwendet wurde. Nun war es ein verblüffender Karneval, wie sich Nibelungenrecken in Bärenfellen, Stierhörner am Kopf, oder ägyptische Priester mit stilisierten Bärten zwischen Darstellern in elegant gestickten Röcken aus der Zeit Ludwigs XIV. mischten – zumal wenn noch Arbeiter in ihren Blusen von heute dazwischen herumhantierten. Einmal fragte ich einen solchen Künstler von nebenan, der bis an den Hals in einem bräunlichen Leinwandsack stak, was er denn heute vorstelle. Worauf er nicht ohne Selbstgefühl zur Antwort gab: »Ich bin doch, drüben' in der »Zauberflöte« ein Hinterfuß vom Kamel!«
Sonst waren wir im Residenztheater ganz modern, zumal Ibsen gaben wir fleißig. Der Dichter lebte damals unter uns. München – das Genie unter den Städten Europas – hatte es auch ihm angetan mit seinem undefinierbaren Zauber. Durch diesen glücklichen Umstand war es uns sogar vergönnt, »Hedda Gabler«, die damals entstand, aus der Taufe zu heben. Ibsen wohnte den Proben bei, und ich entsinne mich, wie er einmal den Generalintendanten, der eine Stelle, die ihm zu »stark« erschien, gestrichen haben wollte, mit den Worten abwies: »Haben Sie das Stück geschrieben oder ich?« Der arme, gute Perfall verzog sich darauf umgehend in sein Exzellenzbüro. Noch einer anderen, köstlichen Antwort Ibsens entsinne ich mich. Nach einer Aufführung der »Gespenster« fragte ihn ein junger Literat: »Herr Doktor, ist es Engstrand, der das Asyl angezünder?« Darauf Ibsen, wie erwägend, bedächtig: »Es sähe ihm wohl ähnlich!« – Mit der Regelmäßigkeit einer aufgezogenen Uhr erschien Ibsen täglich nachmittags um drei Uhr im Café Maximilian und setzte sich an den für ihn reservierten kleinen Marmortisch. Sowie der »ausländische Herr« mit dem[145] eisgrauen, gepflegten Backenbart im langen, dunkeln Überrock, der schier die Erde streifte, die Tür öffnete, stand auch schon sein Glas Bier am Platze mit dem Gläschen Kognak daneben. Dafür bekam auch die Kellnerin täglich ihr Markstückchen als Trinkgeld. Ibsen sah mich gern auf der Bühne, und ich wurde gar viel beneidet vom ganzen Café, wenn er sich von seinem Sitz erhob, mit seinen gemessenen kurzen Schritten ans andere Ende zu meinem Platze gravitierte, um mir etwas Liebes zu sagen. Viel Lob trug mir von ihm die kleine Rolle des Foldal in seinem »John Gabriel Borkman« ein. Auch zu sich lud er mich. Ich klingle, er öffnet selbst, und zwar in Hemdsärmeln und genau so wie der beschäftigte Handwerksmann, wenn er mitten in seiner Arbeit für einen Augenblick abberufen wird, mit dem Zeichen seiner Zunft in der Hand: mit der eingetauchten Feder. Er wohnte in der Kanalstraße. Das gegenüberliegende Haus war ein nüchternes Zinshaus. Auf meine Bemerkung, daß ihm diese baumlose Aussicht keine Anregung bieten könne, antwortete er: »Oh, noch viel zu ablenkend; das Idealste für mich wäre eine graue Wand.«
Es war damals eine Lust, in München zu leben: ein guter Teil des literarischen Jung-Deutschlands, von hier nahm er seinen Ausgang, in Schwabing war seine Geburtsstätte. In dieser Vorstadt, ganz draußen, besaß Dr. Albert, der erfolgreiche Erfinder auf dem Gebiet der Bilderreproduktion und großzügige Kaufmann, seine Werkstätten und Druckereien. Hier ließ Wedekind sein »Frühlingserwachen« erscheinen, Panizza sein »Liebeskonzil«, O. I. Bierbaum seine »Studentenbeichte«, Schaumberg, Schaumberger ihre Novellen usw. usw. Hier vor allen Dingen lebte und wirkte M. G. Conrad, der Herausgeber der berühmten Monatsschrift »Die Gesellschaft«, die den Mut wie keine besaß, Fragen[146] auf allen Gebieten, sozialen wie politischen, die Spalten zu öffnen, sofern der Beitrag nur literarischen Goldgehalt besaß. Und sie bot allen Gastrecht: den bereits anerkannten und den jungen, die sich erst die Sporen verdienen sollten. In hervorragender Weise schrieb der Herausgeber selbst für die Hefte und außer ihm gar viele aus ganz Deutschland, die später ein so lautes Wort in der Literatur mitreden sollten. Conrad und Dr. Albert dürfen darum als die Geburtshelfer jener großen Sturm- und Drangzeit genannt werden. Zuerst im Café Heck, dann im Café Noris fanden die Zusammenkünfte statt. Conrad, der germanische Recke, so recht das Idealbild Hermann des Cheruskers, aber ohne die Legierung napoleonischer Verschlagenheit, die Kleist ihm gibt, trat ein und brachte Stimmung mit; er zählt zu den seltenen Menschen, in deren Nähe es einem sofort wohl wird. An seiner Seite ragte nicht selten ein älterer Poet, der hünenhafte Oberst von Reder, wie das Urbild von Goethes Hans von Selbitz oder wie eine Haudegengestalt aus dem Dreißigjährigen Krieg. Da saß Bierbaum, der schon in seiner Jugend Schwabblig-Quabbilge mit dem zirkelrunden, unsicher gezeichneten Gesicht, in dem ein ungewöhnlich schönes, großes Auge laut spektakelte. Dann Hans von Gumppenberg mit seiner jugendlichen Denkerglatze, am Finger den eisernen Wappenring, der liebenswürdige, windhundgeschmeidige Schaumberger, Schaumberg, Scharff, nicht selten auch Dehmel und Hartleben, und der weltmännische Dr. Parnizza, der seine unartige »Himmelstragödie« mit einem Jahr Gefängnis büßen mußte, das er sich, ohne der dichterischen Absicht Abbruch zu tun, hätte ersparen können, wenn er statt »Gott Vater« »Gott Jupiter« gesetzt hätte. Am Kampfplatze des Café Noris ging's oft heiß her. Im Tabaksqualm, dem Pulverdampfe der Literaten, wurde nicht um Haupt- und Staatsaktionen, wohl aber[147] um Neuerscheinungen in der Literatur mit Epigrammen, geschliffenen Argumenten und Wortgeschossen gekämpft bis zum Hahnschrei. – Ein Ereignis bewegte seit Wochen das Café: Liliencron sollte kommen. Man kannte in München seine Werke – nicht den Mann. Groß war die freudige Erregung, unmäßig die Neugierde. Das literarische Café sendet eine Abordnung zur Bahn, sie zu empfangen, »die eiserne Nachtigall«, »die deutsche Eiche«. Der Zug hält, und der »robuste Urmensch« entsteigt dem Kupee – respektive hüpft mit leichter Gefälligkeit zur Erde. Er ist klein, zierlich und hat ein blondgescheiteltes Köpfchen. Der Gang ist wie eine Blume auf Draht; das Wesen Rokokogeschnörkel! – Unbeschreiblichen Respekt besaß der Dichter der »Adjutantenritte« vor allem, was sich »königlich« nennen oder gar die Silbe »Hof« voransetzen durfte. Mich z.B. redete er zu meiner Qual nie anders an als »Herr kgl. Hofschauspieler«. Daß der Dichter nach München gekommen, um sich auszuschwelgen, darin hatte das Café Noris recht; nur nicht, wie man es dort annahm, literarisch, sondern in ganz anderer Weise: was das Ewig-Buibliche anbelangt! Sehr wählerisch war er dabei nicht: was er just fand, griff er auf, und wenn's auf der Stiege beim Treppescheuern war. Füße, wie breite Holzflöße aus Tölz, besang er in graziösen Liedern. Mir schickte er einmal ein entenwatschelndes Geschöpf mit viereckigem Kopf, aber sehr runden Hüften, ob ich nicht ein »Gretchen« oder »Klärchen« aus ihr machen könnte. Als ich es seinem innigsten Bruder Otto Julius er staunt mitteilte, sagte Bierbaum mit Überzeugung: »Das ist die Rückkehr zur Natur«.
Auch bei der großen Bewegung jener Tage in der Malerei, dem Losringen aus kitschigen Traditionen, nahm München die Führung. Als der Kühnste an der Front stand Fritz von [148] Uhde. Oberländer hat einmal in den »Fliegenden Blättern« ein famoses Blatt gebracht: »Einer, der gegen den Strom schwimmt«. An diesen Zähen, der hundert ihm entgegenarbeitende Ellenbogen durchbricht, erinnerte Uhdes kraftvolles Sichdurchsetzen. Als er sein erschütternd schlichtes Abendmahl ausstellte, was wurde da nicht gewettert, geeifert, gespottet: Jünger? Nein, das sind Ausgeher, Dienstmänner, Hausknechte. Uhde aber dachte: »weil ich Protestant bin, so will ich protestieren« – und protestierte in seinen Gemälden, nicht allein gegen die hergebrachten bildschönen Oberammergauer Apostel, sondern auch gegen das alte Ateliervorhanglicht und seine braunsoßige Technik. Begeistert eilte ich zu ihm. Er aber, ohne lange Überlegung, malte mich frischweg. Ich knöpfte den Kragen weg, nahm ein Heft zur Hand, gab mir die Haltung, machte die Bewegung, als ob ich eine Rolle einstudiere – Uhde überließ mir ohne Einrede das Arrangement – und so entstand das Bild »Der Schauspieler«. Es zählt zu Uhdes besten Gemälden, ja zu den besten, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in München entstanden. Ungewöhnlich gefiel »Der Schauspieler« auch dem alten Prinzregenten. Er hatte das Bild bei Uhde im Atelier gesehen, und eines Abends, ich war von einer meiner endlosen Streifereien durch Moos und Heide zurückgekehrt, will eben in die Königinstraße nach meiner Wohnung einbiegen, da kommt er mit seinem Adjutanten aus dem Englischen Garten. Ich, von oben bis unten staubbedeckt, möchte mich eiligst drücken, aber er winkt von ferne und hält. In seiner herzlichen Weise sagte er: »Was ist denn mit Ihrem Bild von Uhde? Es ist ausgezeichnet; wenn es nach mir ginge, so hinge es schon in der Pinakothek.« Es ging aber nicht nach ihm und wurde für einen geringen Preis[149] (ich glaube 2–3000 Mark) von der Nationalgalerie in Christiania angekauft, die es zwischen Bilder alter Meister hing, wo es neben Hals und Holbein standhält.
Darnach malte mich Uhde gleichfalls lebensgroß als Richard III. Uhde möchte in seinen Bildern den Eindruck hervorbringen, als ob alles in kühner Weise hingesetzt wurde. Dem war aber nicht so, nicht immer so: um schnell zu erscheinen, arbeitete er oft sehr lange. Er strich aus und wiederholte: immer und immer fiel ihm etwas anderes ein, ein anderer ein: Franz Hals, den er besonders liebte, Velasquez, Tizian u.a. Bei Schaffung des Richardbildes hatten es ihm die Koloristen angetan: er eilte in die Pinakothek, Schackgalerie und kehrte mit neuen Ideen zurück ins Atelier. Sein Ehrgeiz, seine Hingebung waren grenzenlos. Er arbeitete bis zur Grausamkeit gegen sich und – sein Modell. Ich glaube, ihm wäre es in seinem heiligen Eifer, der etwas Ehrfurchtgebietendes hatte, nicht darauf angekommen, das abzubildende Opfer – wie jener Bildhauer den armen, schönen Jüngling in der Legende von Chamisso »Das Kruzifix« – ans Kreuz zu schlagen, wenn es das Werk erfordert hätte! Entschädigung für die Qualen, die ich erduldete, war Uhdes Geplauder. Wie wenn der Schmiedehammer auf glühendes Eisen niedersaust, so sprühten hohe Witzesfunken. Zumal, wenn er losschimpfte und wütend wurde über künstlerische Dinge, leuchtete sein unbeschreiblich schönes Auge, tiefblau wie die sonnenbeschienene See, gleich dem des zürnenden Erzengels Michael auf, und geistvolle Einfälle übersprudelten sich. Den »Richard« kaufte der regierende Fürst Liechtenstein und schenkte ihn der Wiener Staatsgalerie. – Zuletzt malte mich Uhde als Malvolio (»Was Ihr wollt«). Aber da kränkelte der Meister bereits, und die Sache wollte zuerst nicht recht vorwärtsgehen. – Einmal trat Habermann, der ein Stockwerk[150] höher sein Atelier hatte, bei Uhde ein, besah die Arbeit und sagte: »Uhde, was bist du ängstlich geworden!« Damit nahm der urprächtige Baron und Meister ihm Pinsel und Palette aus der Hand und malte ein paar resche Striche dem Malvolio ins Gesicht, die dem Ausdruck zugute kamen. Das Bild, das schließlich ausgezeichnet wurde, hängt im Großherzoglichen Museum in Weimar. – Ein künstlerisches Ereignis war die Gründung des »Simplicissimus« durch Th. Th. Heine und Langen. Sie gehört im eminentesten Sinne mit zur großen Umwälzung auf dem weiten Gebiete der bildenden Kunst. Wie durch vulkanische Kräfte Inseln aus dem Meere aufragen, so standen sie unversehens vor uns, daß man sich schier die Augen rieb vor Erstaunen, die großen Erscheinungen der Zeichenkunst! Wer damals erfahren wollte, was »die Moderne« leistet, brauchte sich nur für 10 Pfennig den »Simpl« zu kaufen. Da war der kohlschwarze Südtiroler Thöny, so lang geschossen, daß er, wenn er sich vom Sitz erhob, gar kein Ende nehmen wollte – und doch jeder Zoll von ihm der geborene Maler. Ihm war das Zeichnen Element, wie der Forelle das Quellwasser; wohin das kluge Auge blickte, im ganzen weiten, gesellschaftlichen Umkreis fand es Nahrung und Stoff. Thönys frappante Typen fanden selbst innige Bewunderung Meister Menzels. Dann Rudolf Wilke, der urwüchsige Geselle, kraftvoll und schmuck, mit seinem zeichnerischen Geschick ohnegleichen und durchdringendem Beobachtungsblick. Legte er sich zu Bett, was zumeist erst beim Morgen grauen geschah, so lag er darin mit seiner ganzen Habe – und sollte er aufstehen, um zu arbeiten, so mußte er von Freundeshand herausgeworfen werden. Den beiden unzertrennlichen Bohémiens und großen Kindern ging ein gelungener Schabernack über alles: Geld, Ruhm und Erfolg. Da war ferner Reznicek, das gutmütig-österreichische[151] Blut, mit großem malerischen Temperament; der geistvolle norddeutsche Bruno Paul mit seinem naturalistischen Erfassen süddeutschen Wesens; der Träumer Schulz, mit blauen Augen, märchenhaft wie seine sinnigen Bilder aus verklungenen Zeiten; Th. Th. Heine, der zeichnende Epigrammatiker, mit Feinheit und Schärfe, als hätte er seine satirische Kraft von seinem Namensvetter Heinrich geerbt, der damals sein Bestes gab. – Vermöge der »fliegenden Justiz«, die damals noch in Deutschland existierte, wurde Heine wegen einer seiner politischen Zeichnungen im Münchener »Simpl«, in Sachsen, weil er ein Leipziger, zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Im »Café Lutz«, wo die Zeichner des Blattes und seine Mitarbeiter und Redakteure: Ludwig Thoma, Dr. Geheeb, Corficz Holm usw., täglich nachmittags um einen runden Marmortisch beisammen saßen, wurde beim Eintreffen der Nachricht beschlossen, ein Gnadengesuch, unterzeichnet von den berühmtesten Künstlern Münchens, dem König in Dresden einzureichen, damit für Heine Gefängnis in Festung verwandelt werde. Mir aber fiel die Aufgabe zu, mit dem Blatte die Runde zu machen. Heine hatte kurz zuvor in einer grimmigen Zeichnung Lenbach und Uhde, wie sie in München um die Palme in der Kunst ringen, arg zerzaust – demungeachtet unterzeichnete der erste in ritterlicher Weise ohne weiteres obenan. Uhde dagegen war störrisch. Da er mir aber als Sachse für Dresden besonders wichtig erschien, holte ich mir Succurs aus der oberen Etage. Mit den Worten »Ja, was fällt dir denn ein, Uhde«, betrat Habermann das Atelier seines Kollegen, »da gibt's nichts; so was unterzeichnet man einfach.« Und es geschah! Die vielen berühmten Namen aber mußten den Räten in Dresden geradezu in die Glieder gefahren sein, denn die Begnadigung kam – telegraphisch! – Zu den genannten Meistern des[152] »Simpl« gesellte sich etwas später noch ein geniales Haupt: der göttlich-kleine Cyklop mit dem mächtigen Schädel voll der kühnsten Phantasien: Olaf Gulbransson; sein Humor schreitet wuchtig wie ein lachender Sieger und darf, so ganz und gar Eigenheit, von sich sagen, was ein Shakespearescher Held in einem tiefbrütenden Monolog von seinem Wesen vor sich hin spricht: »Ich bin ich selbst allein.«
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