Haltung und Verbeugung.

[304] Wir haben bei den Ausführungen über das Äußere des Menschen bereits der guten Körperhaltung gedacht und darauf hingewiesen, wieviel eine solche zur vorteilhaften Erscheinung beitragen oder je nachdem dieselbe zu beeinträchtigen vermag. Nun hat das Wort Haltung aber einen Doppelsinn im gesellschaftlichen Verkehr. Man bezeichnet damit nicht allein ein straffes Aufrichten und Geradehalten des Oberkörpers, sondern zugleich die Kunst, seelisches Gleichmaß äußerlich zu kennzeichnen, ein geistiges Beherrschtsein und stetes sich in der Gewalt haben. Wenn jemand die Verkündigung[304] einer Trauerbotschaft, die Mitteilung eines ihn tief treffenden Mißgeschicks hinnimmt, ohne zusammenzusinken oder in Klagen und Jammern auszubrechen; wenn er die Kraft besitzt, vor den Augen anderer sein Gefühl zu beherrschen und äußerlich unverändert zu erscheinen, sagen wir: »Er nahm es voll Haltung auf« oder: »Seine Haltung verließ ihn keinen Augenblick«. Ein selbstbewußter Mensch – man muß sich hüten, Selbstbewußtsein mit Überhebung und Eingebildetsein zu verwechseln, da es eine ebenso lobenswürdige, als die letztgenannten tadelnswerte Eigenschaften sind – wird stets eine gute Haltung haben und damit das Vorhandensein sowohl körperlicher als geistiger Vorzüge offenbaren. Aber mehr noch kann durch das eine Wort ausgedrückt werden – nämlich die ganze Summe gesellschaftlicher Fähigkeiten und weltgewandter Bildung; denn wenn sich ein junger Mann oder ein junges Mädchen tadellos bei einem formellen Besuch oder in einer Gesellschaft benimmt, so kann dies nicht schmeichelhafter für den Betreffenden anerkannt werden als indem es heißt: »Er hat eine vorzügliche Haltung.«

Zu einer solchen gehört demnach nicht nur, Kopf und Oberkörper frei und gerade zu halten, sondern beide auch bei passender Gelegenheit – und es giebt deren fast zuviel im gesellschaftlichen Verkehr! – mit Anmut und Verständnis neigen zu können. Wie unendlich viel kann unter Umständen durch eine Verbeugung ausgedrückt werden – eine ganze Stufenleiter[305] der Charakteristik von Hochmut und Anmaßung bis herab zu Bescheidenheit und Demut – die verschiedensten Gefühlsregungen vom liebenswürdigsten Entgegen kommen bis zu feindseliger Ablehnung! Ebensogut aber auch körperliche Gewandtheit und Beherrschung seiner Lebensformen; jeder weiß, wie ungewandt, ja lächerlich eine ungeschickte Verbeugung erscheint und sorgfältig sollten daher alle, denen das große Geheimnis einer regelrechten und anmutigen Verneigung nicht in der Tanzstunde offenbar wurde, diese vor dem Spiegel immer wieder üben – bis es eben einigermaßen geht.

Denn es ist damit wie mit dem Tanzen – mancher lernt es nie, während es anderen angeboren scheint. Wem nun aber auch Leichtigkeit und Gewandtheit der Bewegungen nicht gegeben und das Umdrehen beim Tanzen zeitlebens ein sauer Stück Arbeit bleibt, wird es doch mit einiger Mühe erreichen können, daß seine Verneigung nicht gar zu plump und ungeschickt ausfällt. Aufmerken, wie andere gewandte Menschen sich dabei anstellen, dann ein Vergleichen der eignen Verbeugung – oder doch der sein sollenden – vor dem Spiegel wird da bald den Unterschied ergeben und den Weg kennzeichnen, auf dem das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Die gemessene und doch anmutige Kopfneigung, welche bei Herren für gewöhnlich die Verbeugung ersetzt und auch von Damen, besonders bei Erwiederung eines Grußes, ausgeführt wird, kann geradezu zur Karikatur werden, wenn das Kinn mit einer nußknackerartigen Bewegung auf die[306] Brust fällt und sich dann ebenso automatenhaft wieder erhebt. Oder aber jene tiefere Verneigung, welche den Oberkörper beugt – man denke sich da ein Zusammenklappen wie beim Taschenmesser, vielleicht gar begleitet von altväterischem Kratzfuß und ein darauffolgendes Emporschnellen, beim Herrn natürlich; der Kratzfuß darf dann nur noch in kühner Schwenkung auslaufen, der Betreffende dabei das Gleichgewicht verlieren – was bei ungeschickten, plumpen Leuten garnicht ausgeschlossen! – und auf die Nase fallen. Es würde das genügen, ihm für alle Zeiten den Fluch der Lächerlichkeit anzuhängen, denn keiner, der das mit angesehen, wird ihm ferner begegnen können, ohne dieses unfreiwilligen Fußfalles zu gedenken.

Es ist daher, schon um eine regelrechte Verbeugung ausführen zu lernen, jedem zu empfehlen, Tanzstunde bei einem tüchtigen Tanzlehrer, und zwar schon in jugendlichem Alter, zu nehmen. Auch hier thut es nicht das Lernen allein, sondern vor allem das Üben. Man merkt das namentlich bei Militärpersonen, welche fast ausnahmelos, selbst bei nahendem Alter und unbequemer Körperfülle, tadellose Verbeugungen zu machen wissen. Aber da heißt's auch schon beim Kadetten: »Fersen zusammen. Finger an der Hosennaht, gerade Haltung,« und dann wird die Verbeugung ausgeführt, langsam, ohne Hast und Unruhe, und doch mit anmutiger Beweglichkeit. Die Herren vom Civil – oder wenigstens manche von ihnen – mögen sich diese Verneigung nur ruhig zum Vorbild nehmen[307] und dürften dann manch liebes Mal weniger zu klagen haben, daß die Damen »zweierlei Tuch« vorziehen. Ist es doch meist die Ritterlichkeit des Benehmens und Beherrschung seiner Lebensformen, was diese Vorliebe für das Militär, vom Kadetten aufwärts, hervorruft. »Nur aufwärts?« würde da wahrscheinlich tief gekränkt manche brave Guste oder Liese fragen, die sich bewußt, doch auch die Vorzüge ihres Grenadiers bestens zu würdigen!

Aber wir sind noch bei den Verbeugungen. Daß bei Herren meist die Kopfneigung, durch welche viel Hochschätzung ausgedrückt werden kann, genügt, wurde bereits gesagt. Damen, Vorgesetzten und Hochgestellten gegenüber muß die Beugung des Oberkörpers hinzukommen, die je nachdem mehr oder weniger tief sein wird. Beginnen letztere ein Gespräch etwa nach dem Vorstellen – hat der dadurch Geehrte in aufrechter Körperhaltung so lange zu verharren, so lange dieses währt.

Junge Mädchen machen den Herren eine leichte Verbeugung, älteren Damen gegenüber ist der schon einmal genannte Hofknix auszuführen. Derselbe besteht aus einer, gewisse Gewandtheit erfordernden halben Kniebeugung bei gerade gehaltenem Oberkörper und gilt auch für verheiratete Damen im Verkehr untereinander. Vor sehr vornehmen oder fürstlichen Damen hat man sekundenlang in dieser Stellung zu verharren.

Es giebt Damen, welche diese anmutige und wahrhafte Verbeugung mit dem kindlichen Knix verwechseln[308] oder doch durch diesen ersetzen zu können glauben. Beide sind aber himmelweit verschieden und es wirkt geradezu komisch, wenn Frauen oder Mädchen in reiferen Jahren diesen Knix ausführen. Außerdem erweckt es den Schein gesuchter Jugendlichkeit, den man nie streng genug meiden kann.

Wie mag da der mit ungeschminkter Natur und Gewandtheit kokettirende Bequemlichkeitsapostel, den wir schon einmal heranzogen, wieder murren und brummen! »Bedientenregeln – Kriecherei; des wahren Mannes unwürdig,« ist sicher das mindeste, was er hervorpoltert. Und doch, Verehrtester, Sie irren! Nur weltmännische Höflichkeit und deren Formen, die allerdings manchem herzlich unbequem sein mögen. Aber eine nicht allzuflüchtige Verbeugung zu rechter Zeit und am rechten Ort hat schon über manches Lebensschicksal günstig entschieden und der »gekrümmte Rücken,« den man so vieldeutig und verächtlich nennt, braucht durchaus nicht zugleich Entäußerung des Mannesstolzes und der Menschenwürde zu bedeuten. Und darum, meine Damen und Herren – und Sie, bärbeißiger Feind allen Formenzwangs desgleichen – verwenden Sie Sorgfalt auf Ihre Verbeugungen!


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 304-309.
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