Polterabend und Hochzeit.

[184] Zur Hochzeit gehört eigentlich auch der Polterabend. Da es aber, besonders in der Großstadt, mehr und mehr abkommt, an demselben große Feiern zu veranstalten, genügt es, in flüchtigen Umrissen anzudeuten, was Sinn und Zweck desselben.

Der Polterabend hat seinen Namen von der heut noch in kleinen Städten und auf Dörfern bestehenden Sitte oder Unsitte, allerlei Geschirr an die Thür des Hochzeitshauses zu werfen, daß es krachend zerschellt. Je mehr Scherben, je mehr Glück, heißt es im Volksmunde. Angenehm ist das Poltern, Krachen und Klirren sicherlich nicht für die versammelten Festgenossen, und was es mit dem Eheglück zu thun haben könnte, ist auch nicht einzusehen. Man setzte den Polterabend früher am Vorabend der Hochzeit an, später erwies es sich, namentlich bei größerer Feier, bequemer, ihn zwei Tage vorher zu veranstalten, damit ein Tag der Ruhe dazwischen liege, den man seit Einführung der[184] standesamtlichen Eheschließung auch wohl dazu benutzt, diese vollziehen zu lassen. Am Polterabend werden die Hochzeitsgeschenke überreicht oder übersandt, der Braut wird von der Schwester oder besten Freundin Kranz und Schleier mit sinnigen Versen dargebracht und die Gefährtinnen der glücklichen Mädchenjahre lassen es sich gewiß nicht nehmen, durch heitere Aufführungen im Kostüm die Feier zu verschönern. Nähere Anleitung zu solchen Vorträgen und Aufführungen geben die überall erhältlichen Polterabendbücher, von denen wir unten ein neueres und zeitgemäßes empfehlen.1 Sind schöngeistig Veranlagte unter den Geladenen, werden sie sicher kleine Festspiele und Gedichte auf das Brautpaar und zu dessen Verherrlichung selber verfassen, was ja in jedem Fall den auf die allgemeine Schablone zugeschnittenen vorzuziehen ist. Wo das eigene Können dies nicht gestattet und man doch den Sonderfall berücksichtigt zu sehen wünscht, dürften sich in jeder Stadt Gelegenheitsdichter finden, die, ob nun gegen klingende Münze oder aus Gefälligkeit, derlei Carmen verfassen.

Das Brautpaar aber hat, feierlich auf den Ehrenplatz des Sofas oder der Sessel gebannt – wenn hochragende Topfgewächse oder Blumengruppen den Platz umgeben, um so wirkungsvoller! – all diesen Vorführungen mit liebenswürdiger Miene zu lauschen und jede dargebrachte Huldigung, jedes überreichte[185] Geschenk mit dankenden Worten entgegenzunehmen. Keine Kleinigkeit fürwahr, sich stundenlang ansingen, lobhudeln oder – wenn auch in harmlosester Weise – neckend durchhecheln zu lassen! Aber auch das geht vorüber, wie alles im Leben, und erträgt sich schließlich leichter als man glaubt. Anzug des Brautpaares für den Bräutigam Frack, für die Braut helle, leuchtende Farben, am schönsten rosa, falls sie jung und diese Farbe sie kleidet. Als Schmuck nur ein paar frische Blumen, im Haar eine Rose, ein Sträußchen im Gürtel – so dürfte sie sich am anmutigsten bei ihrem letzten Erscheinen als Mädchen darstellen. Die eingegangenen Geschenke ordnet man gefällig auf Tischen in der Nähe des Brautpaares, was ein schönes Symbol der Fülle und des Reichtums ergiebt, welche guten Dinge man doch jedem jungen Paare von Herzen für den ferneren Lebensweg wünscht.

Für Bewirtung der Gäste genügt am Polterabend kaltes Büffet; Wein, Bowle und Bier werden ja ohnehin bereit stehen. Es macht keinen guten Eindruck, wenn gerade Getränke knapp bemessen sind, und bei jeder gastlichen Aufnahme, zu derartig hohen Festlichkeiten ganz besonders, sollte Reichlichkeit der Speisen und Getränke über deren Reichhaltigkeit gehen.

Wo kein Polterabend gefeiert wird, überreicht die damit Betraute Schleier und Kranz am Vorabend der Hochzeit im engeren Familienkreise. Ganz ohne vorbereitende Feststimmung wird es ja nicht abgehen, besonders da die auswärtigen Verwandten und Freunde[186] doch schon eingetroffen und diesen Abend fröhlich in der Familie der Braut verbringen werden. Für geeignete Unterbringung dieser Gäste ist rechtzeitig Sorge zu tragen. Da die eigenen Räume selten dafür ausreichen werden, bestellen die Brauteltern oder sonstigen Veranstalter des Hochzeitsfestes gewöhnlich eine größere Anzahl Zimmer im nahegelegenen Gasthof, nur junge Mädchen, die etwa ohne elterliche Begleitung zur Hochzeitsfeier eintrafen, muß man im eigenen Hause unterbringen, da es nicht passend wäre, sie im Gasthof allein zu lassen.

Ist nun der bedeutungsvolle Tag angebrochen, so wird der spätere Vormittag ja meist dem Eheschließungsakt auf dem Standesamt gehören, falls dieser nicht, wie bereits oben erwähnt, tags vorher vollzogen wurde. Die dazu erforderlichen Zeugen wählt man unter den nächsten Anverwandten aus und ist wohl kaum zu betonen, daß diese in sorgfältigem Anzug zu erscheinen haben. Auch für das junge Paar nach dieser Richtung hin Winke zu geben, erscheint uns völlig überflüssig, dennoch mag es der Vollständigkeit halber geschehen. Zu diesem bedeutungsvollen Akt im gewöhnlichen Straßenanzug zu erscheinen, dürfte wohl ebensowenig einem gebildeten Menschen einfallen als etwa der Braut die Idee kommen, für den Standesbeamten volle Trautoilette, also weißes Schleppkleid, Schleier und Kranz anzulegen. Wenn der Bräutigam für gut findet, im Frack zu erscheinen, so wird das nicht weiter unpassend sein, doch genügt ein Oberrock, weiße oder helle Krawatte[187] und ebensolche, nicht weiße!, Handschuhe durchaus. Die Braut wählt eleganten Straßenanzug, am besten Seiden- oder Sammetkleid ohne Schleppe, helle Handschuhe, kleines Hütchen, gewöhnlich schon das frauliche »Capothütchen.« Es ist in besseren Gesellschaftskreisen allgemein üblich, daß man sich eines Wagens bedient, um zum Standesamt und zurück zu gelangen, auch selbst dann, wenn der Weg nur ein kurzer.

Sache des Bräutigams ist es auch, den Brautwagen zu besorgen, den er sicher so schön und elegant, als die Verhältnisse es gestatten, wählen wird. In diesem Wagen wird er selber dann zur festgesetzten Zeit – auch wenn er von auswärts zur Hochzeit gekommen, darf er nie für diese Tage die Gastfreundschaft der Schwiegereltern annehmen, wie überhaupt nicht während der Brautzeit – im Trauanzug und mit dem unerläßlichen bräutlichen Strauß für die ihm ja nun bereits Vermählte vorfahren, um so recht eigentlich wie der Prinz im Märchen die Erkorenc in »goldner Kutsche« zur Trauung abzuholen.

Der Brautstrauß muß möglichst in Weiß und Grün gehalten sein. Rosen, Myrten und Orangen und allenfalls Veilchen und Maiglocken dürfen darin vertreten sein, mit weißer Schleife zusammengehalten und von Spitzen umrahmt; doch möchten wir auch hier, wie schon bei den Einsegnungssträußen, vor allzu großem Umfang warnen.

Meist wird dieser Blumenstrauß ja nicht das einzige[188] Geschenk sein, das er der Geliebten zum Hochzeitstage verehrt. Gewiß hat schon der Gabentisch des Polterabends irgend eine mehr oder minder kostbare Spende für den Schmuckkasten der demnächstigen jungen Frau aufgewiesen, die aus seiner Hand kam – an manchen Orten ist auch üblich, daß der Bräutigam den Stoff zum Brautkleide schenkt, was natürlich einige Zeit vorher geschehen muß.

Was man für den Brautanzug am besten wählt? In der Farbe Weiß und stets nur Weiß, ganz gleich, ob die Braut sich in erster Jugend oder in reiferen Jahren befindet. Den Stoff aber je nach Geschmack und Vermögenslage – wir haben sehr vermögende Bräute aus hochangesehenen Familien gesehen, die weißen Mull gewählt hatten, und Schneiderinnen, welche aus dem Thor des Hinterhauses in rauschendem weißen Atlas in den Brautwagen stiegen. Feste Bestimmungen giebt es da in unsrer Zeit nicht mehr. Gewöhnlich zieht man aber doch schwere Seidenstoffe dem Mull oder Kaschmir vor, ob man stumpfe oder gleißende, glatte oder gemusterte wählt, ist Sache des Geschmacks und der herrschenden Mode. Jedes Brautkleid muß eine Schleppe haben, deren Länge man nach Ermessen bestimmt, doch ist auch hier vor dem Übermaß zu warnen, da schließlich nur einer Fürstin die Pagen zu Gebote stehen, die Schleppe nachtragen zu lassen. Da bürgerliche Brautkleider auch nicht die Silber- und Goldstickerei fürstlicher Bräute aufweisen, ist es hübsch und macht einen recht jungfräulich-bräutlichen[189] Eindruck den untern Saum mit Myrtenzweigen zu bestecken, ebenso den des Brautschleiers. Letzterer wird meist aus glattem, zartduftigen Seidentüll gewählt und muß so lang und faltig sein, daß er die ganze Gestalt einhüllt und hinten fast die Länge der Schleppe erreicht. Kostbare Spitzenschleier werden ja ebenfalls nur sehr hohen oder – sehr reichen Bräuten gestattet sein, erhöhen zum Glück aber nur den Reichtum, nicht die Schönheit eines Brautanzugs.

Was ferner Goldschmuck und Geschmeide betrifft, so ist das Sache des Geschmacks. – Viele halten beides entbehrlich für eine Braut, deren höchster und schönster Schmuck ihre Jungfräulichkeit und als Sinnbild derselben die Myrte ist. Um nochmals der fürstlichen Bräute zu gedenken, so pflegen diese allerdings so reichen Schmuck für die Traufeier anzulegen, daß all dies Flimmern und Funkeln fast das Auge blendet. Auch mischen sie der Myrte reichlich Orangengrün bei – minder hochgeborne Bräute ziehen in Deutschland aber die Myrte und deren Blüten ohne jegliche Beimischung vor. Nur junge Witwen wählen einen Orangekranz, in Frankreich und andern Ländern tragen ihn bekanntlich auch die jungfräulichen Bräute. Die Myrte ist also echt deutsch und darum mag ihr allezeit der Preis gebühren.

Der Brautkranz wird geschlossen gewunden und im Haar und Schleier der Braut derartig befestigt, daß die Rundung sichtbar. Herabhängende, nach hinten fallende Ranken lassen das Gewinde gefälliger[190] erscheinen. Prinzessinnen tragen über Kranz und Schleier noch die Krone, was zwar stolz und königlich, aber nicht besonders anmutig aussieht, da es allzu hochgetürmt erscheint und dem Haupt einen förmlichen Aufbau zusetzt, der an die Turmfrisuren des Rokoko erinnert.

Daß der Bräutigam feinsten schwarzen Gesellschaftsanzug, Frack, weiße Binde, desgleichen Handschuhe und hohen Hut zu tragen hat, ist selbstverständlich. Letzterer darf übrigens nicht durch chapeau claque ersetzt werden, da ein solcher wohl in den Salon, nicht aber in die Kirche gehört.

Ebenso bedarf es kaum der Erwähnung, daß Militärpersonen Galauniform anzulegen haben. Für die Herren der Hochzeitsgesellschaft gelten im allgemeinen dieselben Vorschriften bezüglich des Anzugs als für den Bräutigam, die Damen haben darin ja ein weiteres Feld der Auswahl. In Deutschland ist es bräuchlich, große Gesellschaftstoilette, die sich fast in nichts vom Ballanzug unterscheidet, für den kirchlichen Trauakt anzulegen, in andern Ländern ist dafür seitens der Gäste elegante Straßenkleidung, mit Hut (ohne Gesichtsschleier) und Fächer zu wählen. Bei uns tritt dieser Fall nur ein, wenn Höhergestellte als Ehrengäste der Trauung geringer Leute beiwohnen; sonst tragen ältere oder vielmehr alle verheirateten Damen ausnahmslos reiche Schleppkleider, für junge Mädchen ist dies nicht schicklich, ihnen bleiben die fußfreien Kleider aus duftigen oder leichten Seidenstoffen,[191] doch ist reicher Blumenschmuck gestattet. Der einzige Unterschied zwischen dem Hochzeits-und Ballanzug ist der, daß man vermeiden sollte, in der Kirche im ausgeschnittenen Kleid zu erscheinen, was durch irgend eine Umhüllung leicht zu erreichen sein wird.

Alle eingeladenen jungen Mädchen gelten als Braut- oder Kranzjungfern, welche der Braut in der Kirche die verschiedenen kleinen Dienste zu leisten haben, um die sie selber sich bei dem feierlichen Akt nicht kümmern kann. Es gehören dazu Ordnen der Schleppe und des Schleiers beim Niedersitzen, Abnehmen des Straußes während des Ringwechsels etc. Daß alle diese jungen Damen einen geeigneten, unverheirateten Herrn zum Führer und Ritter während der ganzen Hochzeitsfeier erhalten, ist seitens der Festgeber vorzusehen Diese Herren haben, falls sie als Männer von Bildung und seinen Sitten gelten wollen, vorher sich der Familie der ihnen zugewiesenen Brautdame vorzustellen und der letzteren zum Hochzeitstage einen Strauß zu senden. Daß auch nach der Hochzeit ein Besuch geboten, versteht sich hiernach von selbst.

In der Kirche pflegt sich die Hochzeitsgesellschaft zuerst in der Sakristei zu versammeln, das Brautpaar kommt zuletzt. Beim Eintritt in die Kirche eröffnen die Eltern des Brautpaars den Zug, die übrigen Gäste folgen. Nachdem alle Platz genommen, erscheint mit Beginn des Orgelspiels das Brautpaar, dem sich die Brautführer und Brautdamen anschließen. In hohen Gesellschaftskreisen ist es Sitte, daß der[192] Vater und Schwiegervater der Braut oder, falls diesem nicht vergönnt, die Feier zu erleben, die nächsten männlichen Anverwandten sie zum Altar führen, der Bräutigam wiederum von beiden Müttern geleitet wird; erst von dem Geistlichen empfängt er die Hand der Braut. Seit indes die Civilehe eingeführt und das Brautpaar als gesetzlich Vermählte zum Altar schreitet, fällt dieser Brauch mehr und mehr, selbst in fürstlichen Häusern, fort. Jedenfalls entscheiden bei Reihenfolge und Ordnung des Brautzugs Lokalsitte, konfessionelle Vorschrift oder auch Familienbrauch.

Nach Beendigung der feierlichen Handlung – welche je nach der Konfession nach vorgeschriebenen rituellen Bräuchen, die den Beteiligten bekannt sind, vor sich gehen wird – nimmt gewöhnlich das vermählte Paar gleich an geheiligter Stätte die Glückwünsche der versammelten Hochzeitsgesellschaft in Empfang. Da das ohne zahllose Küsse und Umarmungen nicht abgeht, der Raum vor dem Altar außerdem ein so beschränkter, daß es ein wirres Durcheinander, bei dem Schleppen und Kleider in Gefahr kommen, geben muß, bleibt dieser Akt besser auf die Sakristei oder den Festraum daheim beschränkt. Jedenfalls macht es einen bedeutend würdigeren Eindruck, wenn in umgekehrter Reihenfolge, aber gleicher Ordnung Neuvermählte und Hochzeitsgäste die Kirche verlassen.

Bei dem gewöhnlich folgenden Festmahl nimmt das junge Paar den Ehrenplatz in der Mitte der Tafel ein, zur Seite desselben sitzen die Eltern oder[193] nächsten Verwandten. Der Geistliche, welcher stets mit einzuladen ist erhält den Platz gegenüber den Neuvermählten, ebenso andere bevorzugte Gäste. Die übrige Reihenfolge ist der an andern Festtafeln gleich, worüber Näheres im Abschnitt über die gesellschaftlichen Formen gesagt sein wird.

In Militär-, hohen Beamten- und wohl in allen echt patriotischen Kreisen gilt, auch beim Hochzeitsmahl, das erste Hoch dem Landesherrn. Dann folgt das auf die Neuvermählten, welches einer der angesehensten Gäste auszubringen hat Alsdann wird der Brautwerber oder dessen Stellvertreter die Hochzeitsgäste leben lassen, und darauf die Hochflut der Reden sich ungehemmt ergießen. Das Brautpaar hat noch einmal die »angenehme« Pflicht, alle Lobeserhebungen mit lächelnder Miene, ohne Protest oder Zustimmung, über sich ergehen zu lassen, und so sehr es den jungen Ehemann auch »sprechern« mag – wie man einst dem seligen Lasker nachsagte – er muß dies Verlangen bemeistern und sich im Schweigen üben – eine gute Vorschule für die Ehe!

Zur Erhöhung heiterer Feststimmung wird jeden falls das Absingen von Festliedern beitragen, und zwar solcher, die nach bekannten, gut singbaren Melodieen für diese Gelegenheit verfaßt und natürlich auch das Brautpaar zum Mittelpunkt haben müssen. Je humoristischer, je wirksamer und zweckentsprechender werden dieselben sein; am besten wählt man spaßhafte Ereignisse aus dem Vorleben des Paares zur poetischen Beleuchtung.[194]

Die Neuvermählten brechen stets früher auf, auch wenn sie nicht sofort vom Festmahl die übliche Hochzeitsreise antreten. Dieser Aufbruch hat so unbemerkt als möglich zu geschehen und muß derart geschickt eingerichtet werden, daß die Gesellschaft das Fehlen der Hauptpersonen erst später gewahr wird. Dazu ist nun vor allem nötig, daß unser Paar nicht zusammen den Festsaal verlasse. Die Braut zieht sich zuerst in unauffälliger Weise, vielleicht mit einer Freundin plaudernd, zurück, wechselt in einem Nebenraum die Kleider – daß alles bereit liege, wird Sorge der Mutter sein – der Bräutigam folgt dann in einiger Zeit und geleitet sein junges Weib in den bereitstehenden Wagen.

Ein mahnendes Wort an die Mütter dürfte hier nicht überflüssig erscheinen. Es gilt in diesem Augenblick für sie, die geliebte, vielleicht einzige Tochter aus ihrer Obhut und dem Bann des Elternhauses zu entlassen. Daß dies keiner Mutter leicht wird, ist nur zu natürlich, aber man sollte sich da standhaft beherrschen und nicht absichtlich in Schmerz und Sentimentalität hineinreden. Nicht verloren hat ja die Mutter ihr Kind, sondern sieht es dem Glück entgegenziehen, soweit man am Hochzeitstag geneigt sein wird, jede beginnende Ehe als glückverheißend anzusehen. Und darum der Tochter nicht durch Gefühlsüberschwang den Abschied erschweren, der sie ohnehin tief bewegen muß! Letztere aber wird, falls sie nicht gefühlsarm und undankbar erscheinen will, mit[195] innigen Worten der Mutter für alle, seit Lebensbeginn empfangene, nie zu vergeltende Liebe. Mühe und Sorge danken, bevor sie dem jungen Gatten folgt.

Was nun die Hochzeitsreise betrifft, die in unserer Zeit überall, wo Vermögenslage und sonstige Verhältnisse eine solche gestatten, zum Gesetz erhoben ist, so giebt es doch auch darüber verschiedene Meinungen. Gewiß gewöhnt man sich auf der Reise, der Schablone des Alltaglebens entronnen und aller gesellschaftlichen und familiären Pflichten enthoben, am ehesten an das unbedingte Zusammenleben, da man eben ganz aufeinander angewiesen ist. Auch kann es kaum Schöneres geben und wird für jeden, dem es vergönnt gewesen, bis ins späteste Alter hinein zu den erhebendsten Lebenserinnerungen gehören, so in der ersten Zeit des jungen Glückes und beseligender Zusammengehörigkeit die Wunder herrlicher Natur und den ganzen Zauber des Reiselebens zu genießen. Dagegen ließe sich nur die berechtigte Frage aufwerfen: Wiegt nicht der Gedanke, zum erstenmal im eigenen Heim, im eigenen Reich mit dem geliebtesten Wesen vereint zu sein, diesen Zauber auf? Denn so interessant und anregend Reiseleben sein mag, bequem und behaglich ist es sicherlich nicht! Und wie traulich und wohlig wird in den meisten Fällen das eigene Nestchen daheim ausgestattet sein – sollte in ihm nicht das Gefühl des neuen Glücks gerade durch den Reiz des vertraut Häuslichen eine Steigerung erfahren? Die Reise braucht deshalb ja nicht aufgegeben zu werden, sondern kann einer späteren[196] Zeit vorbehalten bleiben. Jedenfalls ist auch die Hochzeitsreise Sache individueller Neigung, und wem es süßer und behaglicher dünkt, die Flitterwochen daheim zu verleben, sollte sich keinen Zwang durch entgegengesetztes Thun auferlegen, nur weil alle Welt eine Hochzeitsreise unternimmt und dies für geboten und vornehm hält.

Bleibt aber ein junges Ehepaar daheim, so werden Freunde und Bekannte Zartgefühl genug besitzen, in den ersten Wochen von seiner Anwesenheit durchaus keine Notiz zu nehmen. Erst wenn die Neuvermählten durch Abstatten der üblichen Besuche in Bekanntenkreisen kund thun, daß sie nunmehr die alten Beziehungen zur Welt wieder aufzunehmen wünschen, mag man diese Zurückhaltung aufgeben. –

Die Jahre gehn dahin. Was alles sie an Familienereignissen bringen, als Geburt, Taufe, Einsegnung, haben wir ebenso beleuchtet wie das Familienleben an sich und die Pflichten der einzelnen Mitglieder. Die Kinder sind herangewachsen, vielleicht zum Teil schon selber vermählt und der große Gedenktag naht, da wir nach fünfundzwanzig Jahren das einst so zierliche Bräutchen in stattlicher Reise und im Schmuck der Silbermyrte sehen.

Doch nein, dazwischen liegt ein anderer Gedenktag, der schon nach zehnjähriger Ehe zu feiern – die Rosenhochzeit. Nicht allgemein ist diese hübsche und sinnige Sitte bekannt, verdiente es aber zu werden. Rosenhochzeit – die Zeit der Blüte, des vollen Lebensgenusses – die in schönster Entfaltung prangende[197] Mutter, Rose von schwellenden Knösplein umgeben – sinniger kann Mittag des Lebens und des Glücks kaum ausgedrückt werden. Und wenn man auch zur Rosenhochzeit nicht glänzende Feiern veranstaltet und sie im engsten Familienkreis begeht, Rosenspenden und Rosenschmuck in reicher Fülle sollten doch diesen Tag kennzeichnen, und wohl dem Gatten und der Gattin, die an ihm glücklich vor sich hinsummen können: »Rosen auf den Weg gestreut!«

Denn all solche Gedenktage, auch die Silberhochzeit – nur für die Glücklichen haben sie Sinn und Bedeutung. Wer nach Verlauf eines Vierteljahrhunderts auf eine glückliche Ehe, wohlgeratene Kinder und auf gesegnetes Schaffen zurückblicken darf, der hat wahrlich alle Veranlassung, diesen Tag in Freude und Dank gegen Gott zu begehen. Wo aber so günstige Vorbedingungen fehlen, vielleicht das Gegenteil von alledem und zwar trotz ernsten Strebens und ehrlicher Arbeit sich als Facit dieser fünfundzwanzig Jahre ergiebt, da könnte eine Feier doch nur Hohn und Qual für die Beteiligten bedeuten. Es hieße all die tausend Schmerzen und Enttäuschungen, die dieser Lebensabschnitt gebracht, noch einmal durchleben, um zu dem traurigen Entschluß zu kommen, daß die beste und kraftvollste Lebensepoche resultatlos dahingegangen und, was bisher nicht an innerem und äußerem Glück erreicht wurde, nie mehr zu erringen ist, denn es geht nun bergab! So trübe Erwägungen und Gefühle aber vertragen keine Feier. –[198]

Wo jedoch Grund zur frohen Begehung einer solchen, gestaltet sich die


Silberhochzeit


zu herzerfreuendem Fest, einem Familientag in des Wortes bester Bedeutung. Denn von nah und fern werden Verwandte herbeieilen, dem Silberpaare ihre herzlichen Glückwünsche darzubringen, und vielleicht versammelt sich, wenn alles gut ging, derselbe Kreis, der einst bei der grünen Hochzeit zugegen war. Man sieht dieselben lieben oder doch bekannten Gesichter, wie einst vor einem Vierteljahrhundert, älter, runzlicher geworden und hier und da von grauem oder weißem Haar umrahmt, rührend und an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnend und doch erfreuend, daß man sich überhaupt noch sieht, denn so manch' liebe Gestalt, die damals elastisch in voller Jugendkraft dahinschritt, wird heut' fehlen!

Aber die frohe Feier soll deshalb nicht gestört werden. Die Kinder des Silberpaares müssen vorher den Silberkranz für die Mutter und das Sträußchen für den Vater besorgt haben und beides am Morgen des festlichen Tages mit sinniger Ansprache, die meist in Versen gehalten, überreichen. Ein Choral, auf dem Klavier begleitet, leitet die vertrauliche Feier passend ein und auch der Gabentisch wird nicht fehlen, der Blumenschmuck und die Geschenke der Kinder – junge Mädchen werden ein Werk ihrer fleißigen Hände darbringen – in geschmackvoller Anordnung zeigt. All diesen Geschenken aber darf das Symbol der Feier, Silber, nicht fehlen, in welcher Form und Ausführung[199] es nur immer erscheine. Auch die Glückwunschkarten müssen in Silber gehalten und Blumenspenden Silbermyrte beigemischt sein.

In späteren Vormittagsstunden empfängt das Jubelpaar dann die Freunde des Hauses, die ungeladen kommen, ihre Glückwünsche von Blumen oder Geschenken begleitet, zu überbringen. Die Silberbraut trägt bei diesem Empfange den schimmernden Myrtenkranz, der zu dem silbergrauen, schweren Seidenkleide mit Halbschleppe gewiß prächtig harmonieren wird. Auch der Silberbräutigam ziert seinen Frack mit dem Myrtensträußchen.

Eine kirchliche Feier findet nicht statt.

Das Heer der sogenannten »fliegenden« Gratulanten wird in diesen Stunden gewöhnlich durch ein reich besetztes Büffet bewirtet. Das eigentliche Festmahl für die geladenen Gäste findet erst abends statt, wie auch Vorträge und Aufführungen am besten für den Abend aufgespart bleiben, und das Silberpaar wird dieselben sicherlich fröhlicher und zwangloser entgegennehmen als einst am grünen Polterabend. Ost hörten wir von Silberjubilaren den überzeugungsvollen Ausspruch, daß die Silberhochzeit überhaupt viel schöner sei als die grüne, und von einem gewissen Standpunkt aus läßt sich das begreifen. Die Jugend schwand, aber Lebenserfahrung trat an ihre Stelle. Alles, was damals noch verhüllt im Schoß der Zukunft lag, der man mit Bangen entgegensah, weil kein Sterblicher weiß, ob sie Gutes oder Böses bringt – es[200] ist nun klar und offenbar geworden und nicht mehr ungewiß steuert man aufs Lebensmeer hinaus, sondern weiß genau, wohin man seinen Lauf zu richten, falls man nicht bereits mit gesichertem Besitz im Ruhehafen landete. Und darum Silberhochzeit, frohe Hochzeit!

Und ist eines begnadeten Paares gemeinsamer Lebenspfad so lang bemessen, daß ihm auch vergönnt, sich noch mit goldener Myrte zu schmücken – wen ergriffe nicht Rührung und Dank gegen Gott bei so seltener Feier! Daß dann der Bund, der nun ein halbes Jahrhundert gewährt, noch einmal an geheiligter Stätte eingesegnet wird, ist nicht mehr als recht und billig und geschieht auch bei den ärmsten Leuten. Von lauten, aufregenden Feiern sollte man bei der goldenen Hochzeit durchaus absehen, denn es sind alte, meist sehr alte Leute, welche sie begehen und zuviel der Anstrengung und Gemütserregung könnte leicht traurige Folgen haben. Ist es doch oft genug vorgekommen, daß der goldene Hochzeitstag zum letzten Lebenstag für den Jubelbräutigam oder die greise Goldbraut wurde.

Wo aber ein Paar in Armseligkeit und Not ein so seltenes Fest begeht, sollte es Ehrensache für die Stadt oder die Gemeinde sein, die letzten Lebenstage desselben, die ja nicht mehr lang bemessen sein können, vor äußerer Not und Entbehren zu schützen. Not lindern ist immer edles, gottesfürchtiges Thun, das den schönsten Lohn in sich selber trägt. Dem Alter aber, das sich selbst nicht mehr helfen kann, Gutes erweisen, gilt zehnfach!

Fußnoten

1 »Ich gratuliere« von Marta Asmus (Verlag: Greiner & Pfeiffer, Stuttgart).


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893].
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