Bei Hofe.

[459] Daß bei Hofe andere und strengere Vorschriften für den Verkehr mit gekrönten Häuptern und fürstlichen Personen gelten, ist bekannt; ebenso, daß jeder Fürstenhof sein besonderes, meist nach den Hausgesetzen geregeltes Zeremoniell hat. Dasselbe nach allen Seiten hin zu beherrschen, ist nicht leicht. Es bedarf dazu nicht nur des Studiums einschlägiger Werke, sondern vor allem langjähriger Erziehung und Gewöhnung und daß Hofparkett ein schlüpfriger Boden, auf dem man leicht zu Falle kommen kann, gilt eben in vieldeutigstem Sinne.

Es liegt in der Natur der Sache, daß an großen Höfen das Zeremoniell ein strengeres als an kleinen. Wir brauchen hier nur daran zu erinnern, wie zwanglos Schiller und Goethe am Fürstenhofe zu Weimar verkehrten – bei weitem zwangloser noch als jene berühmte Tafelrunde, welche der große Philosoph von Sanssouci um sich zu versammeln pflegte. Denn[459] obgleich Friedrich der Zweite für gewöhnlich garnicht Hof hielt und nach Erledigung der Regierungsgeschäfte einsam wie ein echter Hagestolz, trotz des Verheiratetseins, lebte, ließ er doch wirklich vertraulichen Verkehr nie an sich herankommen – er blieb eben immer der König, der absolute Herrscher. Eine Audienz zu erlangen war damals für nicht hoffähige Personen sehr schwer – welcher Weitläufigkeiten bedurfte es z.B., bis der König sich entschloß, den alten Gleim zu empfangen. Daß ein Nichtdeutscher, Voltaire, es war, welchen der Monarch eines vertrauten Umgangs würdigte, ist noch heut ein wehmütiges Gefühl für alle Deutschen. Aber auch diesem gegenüber kehrte der große Friedrich eines Tages die Majestät heraus, als Voltaire sich zu viel herausnahm, und verbannte ihn aus seiner Umgebung und dem Reich.

Heut weht ja nun auf jenen höchsten Höhen menschlicher Rangstufen ein freierer Hauch. Jeder aus dem Volk kann eine Audienz bei Seiner Majestät erlangen, wenn es auch mit mancherlei Schwierigkeiten verknüpft ist. Mehr und mehr neigt man sich auch an Fürstenhöfen der gerechten Ansicht zu, daß nicht Geburtsrang allein, sondern auch Verdienst und Würdigkeit den Menschen adeln und unter Umständen hoffähig machen und wenn schon hochsinnige Fürsten aller Zeitepochen hervorragende Gelehrte und Künstler als vollberechtigt für den Verkehr mit der Hofgesellschaft erachteten, gilt das in der Gegenwart um so unbeschränkter.[460]

Das Zeremoniell für den Kaiserlich Königlich preußischen Hof ist vom Oberhofzeremonienmeister Grafen Stillfried Alcantara in einem unfangreichen Werk (Zeremonialbuch für den Königlich preußischen Hof) niedergelegt. Herren, welche eine Audienz bei Sr. Majestät zu erlangen wünschen, haben sich unter Vorweisung ausreichender Legitimationen beim Oberstkämmerer, dem dienstthuenden Flügeladjutanten oder dem Oberhof- und Hausmarschall zu melden. Damen bei der Oberhofmeisterin Ihrer Majestät der Kaiserin Königin.

Eine gewährte Audienz macht den Betreffenden natürlich in keiner Weise hoffähig oder berechtigt gar zur Teilnahme an den großen Kouren. Hierzu können nur Personen gelangen, welche durch Geburtsrang Aufnahme im Hofrangreglement gefunden haben. Damen erlangen Hoffähigkeit je nachdem auch durch die Stellung ihres Gemahls; Prinzessinnen zählen auch bei Heirat mit einem niedriger Gestellten stets nach ihrem Geburtsrang, während die Stellung des Gemahls unverändert bleibt. Gehen Fürsten eine Ehe zur linken Hand, also mit einer Bürgerlichen, ein, erhält die Gattin bekanntlich weder Rang noch Titel des Gemahls, wird aber gewöhnlich vom regierenden Fürsten in den Adelstand erhoben, und zählt bei Hofe nach dem ihr verliehenen Rang. Die Kinder solcher Ehe führen Namen und Titel der Mutter.

Die Verleihung eines Stiftskreuzes – in Preußen z.B. des Louisenordens – ebenso die Erlangung[461] einer Hofdamenstelle macht auch unverheiratete Damen hoffähig. Vorstellung bei den Majestäten gelegentlich großer Feste oder Bälle können auch Personen, die nicht hoffähig sind, erlangen, doch berechtigt auch dies nicht zur Teilnahme an Kouren, falls nicht höheren Orts ein Sonderbefehl ergeht. Zu kleineren Hoffestlichkeiten, Bällen, Abendgesellschaften und dergleichen aber können in solcher Weise vorgestellte Persönlichkeiten Zutritt erlangen.

Bei der großen Kour gilt demnach das strengste Zeremoniell. Herren erscheinen dabei in höchster Gala, Damen mit sogenannter Kourschleppe, die je nach dem Range länger oder kürzer sein und um den linken Arm geschlungen getragen wird. Bei besonders feierlichen Gelegenheiten wird den fürstlichen Damen die Schleppe von Pagen getragen, auch haben alle Damen außer dem Kopfschmuck den langen, hinten herabfallenden Kopfschleier anzulegen.

Allen, die eine Audienz erlangten oder zu einer solchen befohlen wurden, wird vorher vom Hofmarschallamt genaue Weisung erteilt, was die Hofetikette für diesen Fall vorschreibt. Damen erscheinen in dunkelseidenen Kleidern, die nur durch schwarze zu ersetzen, wenn die Betreffende in Trauer. Auch den Herren wird nach dem besonderen Fall der Anzug genau vorgeschrieben.

Für Militärs gelten militärische Bestimmungen. Herren vom Civil haben sich behufs Vorstellung bei Hofe andern zur Hofgesellschaft gehörigen Herren vorzustellen[462] und zwar zuerst bei den Oberstkämmerer, alsdann bei dem Hausmarschall und dem Oberzeremonienmeister Seiner Majestät; ferner bei der Oberhofmeisterin Ihrer Majestät. Auch bei den obersten Hofchargen, welche dem Hofstaat der Prinzessinnen des Königlichen Hauses vorstehen, ist eine Vorstellung erforderlich. Die Vorstellung erfolgt alsdann bei Seiner Majestät durch den Oberstkämmerer, bei Ihrer Majestät durch den Oberhofmeister. Die Einladungen zu den Hoffesten geschehen durch den Oberzeremonienmeister und den Oberhof- und Hausmarschall, wobei aufs strengste die Reihenfolge dem Range nach innegehalten wird.

Es interessiert vielleicht manchen Leser, das Hofrangreglement laut Zeremonialbuch des Königl. preußischen Hofes kennen zu lernen, welches vom greisen Kaiser Wilhelm durch Allerhöchste Kabinettsordre vom 19. Januar 1878 genehmigt wurde:


1. Der Oberstkämmerer. 1–3 nach dem Datum der

Ernennung.

2. Die Generalfeldmarschälle. 1–3

nach dem Datum der

Ernennung.

3. Der Ministerpräsident. 1–3 nach dem Datum der

Ernennung.

4. Der Oberstmarschall.

5. Der Obersttruchseß. 5–7 nach dem Datum der

Ernennung.

6. Der Oberstschenk. 5–7 nach dem Datum der

Ernennung.

7. Der Oberstjägermeister. 5–7 nach dem Datum

der Ernennung.

8. Die Ritter des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler.

9. Die Kardinäle.

10. Die Häupter der nachstehend aufgeführten, fürstlichen[463] und ehemals reichsständischen, gräflichen Familien in folgender Ordnung (folgen. 41 Namen).

11. Der Vizepräsident des Staatsministeriums.

12. Die aktiven Generäle der Infanterie und Kavallerie.

13. Der Minister des Königlichen Hauses und die aktiven Staatsminister (12 u. 13 nach dem Datum der Ernennung).

14. Die ersten Präsidenten beider Häuser des Landtags.

15. Die inaktiven Generäle der Infanterie und Kavallerie, welche als solche patentiert gewesen sind.

16. Die inaktiven Staatsminister, welchen bei ihrem Ausscheiden der Ministerrang vorbehalten ist.

17. Die inaktiven Generäle der Infanterie und Kavallerie, welche nicht als solche patentiert gewesen sind.

18. Die aktiven Generallieutenants.

19. Die Wirklichen Geheimen Räte mit Excellenzprädikat.

20. Die Erzbischöfe und die gefürsteten Bischöfe (18–20 nach dem Datum der Ernennung).

21. Die inaktiven Generallieutenants, welche als solche patentiert gewesen sind.

22. Die mit Excellenzprädikat begabten Oberhofchargen.

23. Da Oberhofämter im Königreich Preußen.

24. Die inaktiven Generallieutenants, welche nicht als solche patentiert gewesen sind.

25. Die sonst mit Excellenzprädikat begabten Personen.[464]

26. Die Nachgebornen der unter 10 aufgeführten fürstlichen und gräflichen Häuser, falls sie das Kordon eines preußischen Ordens besitzen.

27. Die Vizepräsidenten beider Häuser des Landtags.

28. Die Oberpräsidenten, sofern sie persönlich nicht höheren Rang besitzen.

29. Die aktiven Generalmajors.

30. Die Räte erster Klasse und die ihnen im Range gleichstehenden Beamten.

31. Die Bischöfe beider Konfessionen.

32. Die Oberhofchargen ohne Excellenzprädikat (29 und 32 nach dem Datum der Ernennung).

33. Die inaktiven Generalmajors.

34. Die Vizeoberhofchargen.

35. Die Obersten.

36. Die Räte zweiter Klasse und die ihnen im Range gleichstehenden Beamten.

37. Die Generalsuperintendenten, soweit sie den Rang der Räte zweiter Klasse haben.

38. Die Feldpröpste beider Konfessionen. (35–38 nach dem Datum der Ernennung.)

39. Der Oberbürgermeister von Berlin.

40. Die Dompröpste und die Dechanten der Stifter.

41. Die Schloßhauptleute.

42. Die übrigen Königlichen Hofchargen und die Hofmarschälle Ihrer Königlichen Hoheiten der Prinzen des Königlichen Hauses, voran der Hofmarschall Seiner Königl. Hoheit des Kronprinzen.

43. Die Königlichen Kammerherren.[465]

44. Die Flügeladjutanten Sr. Majestät des Kaisers und Königs.

45. Die Inhaber der Erbämter in den Provinzen.

46. Die Oberhof- und Domprediger und die ihnen im Range gleichstehenden katholischen Geistlichen.

47. Die Rektoren der Universität und die beständigen Sekretäre der Akademie der Wissenschaften, sowie der Präsident und der Direktor der Akademie der Künste.

48. Die Oberstlieutenants.

49. Die Räte dritter Klasse.

50. Die Landesdirektion (Landeshauptleute).

51. Die Generallandschafts- und Hauptritterschaftsdirektion. (48–51 nach dem Datum der Ernennung, beziehungsweise Allerhöchsten Bestätigung.)

52. Die Domherren.

53. Ritterschafts- und Landschaftsdirektoren.

54. Die Majors.

55. Die Räte vierter Klasse. (54 u. 55 nach dem Datum der Ernennung.)

56. Die Landesältesten und Landschafsräte.

57. Die bei Hofe angestellten Herren (z.B. der mit Grundbesitz angesessene Adel des Landes).

58. Die Mitglieder beider Häuser des Landtags.

59. Die Hauptleute und die Rittmeister.

60. Die Kammerjunker und die Hofjagdjunker.

61. Die Premierlieutenants.

62. Die Sekondelieutenants.
[466]

Der Rang der kourfähigen, verheirateten Damen richtet sich, altem Herkommen gemäß, genau nach dem vorstehend angegebenen Range ihrer Männer.

Die Oberhofmeisterin Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin geht allen Damen vor.

Die Palastdamen Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin und die Damen des Louisenordens, denen das Kreuz der ersten Klasse der zweiten Abteilung mit einer goldenen Krone verliehen worden, rangieren mit, die mit dem Kreuze desselben Ordens, jedoch mit silberner Krone begnadigten Damen, die Oberhofmeisterin Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit der Kronprinzessin und die Hofdamen Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin unmittelbar nach den Excellenzen, also vor den Gemahlinnen der Generalmajors.

Die Oberhofmeisterinnen der anderen Prinzessinnen Königlicher Hoheiten, die Hofdamen Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit der Kronprinzessin, ferner die Äbtissinnen und Vorsteherinnen adliger Stifte (voran die vom heiligen Grabe) rangieren vor den Gemahlinnen der Obersten.

Die Hofdamen Ihrer Königl. Hoheiten der Prinzessinnen des Königlichen Hauses rangieren nach den der Königlichen Kammerherren.

Denselben Rang haben die Damen des Louisenordens.

Die Damen adliger Stifter rangieren nach den Gemahlinnen der Majors.[467]

Die Witwen folgen in jeder Rangkategorie den verheirateten Frauen.

Hinzuzufügen wäre noch, daß bei gleichem Range das höhere Alter oder höherer Geburtsrang zum Vortritt berechtigen.

Bei diesen flüchtigen Andeutungen über das Zeremoniell am preußischen Hofe müssen wir es hier bewenden lassen und möchten nur noch bemerken, daß, wie ja bereits früher angedeutet, solches an kleineren Höfen weniger streng und vielgestaltig ist. Es ist damit etwa wie mit den Honoratioren einer kleinen Stadt, zu denen mancher als vollberechtigtes Mitglied zählt, der in der Großstadt überhaupt nicht zur Gesellschaft gehört. An kleinen Höfen gelten nicht nur die bevorrechtigten Adelsklassen, sondern der gesamte Adel überhaupt für hoffähig, ferner alle höheren Beamten, Träger hoher Orden und desgl. Auch Gymnasialdirektoren, Professoren und Doktoren. Durchreisende Künstler und Gelehrte von Ruf gelangen gleichfalls leicht zu einer Vorstellung bei Hofe, der in den meisten Fällen eine Einladung zu irgend einer Hoffestlichkeit größeren oder kleineren Stiles folgt. Daß Militärs dazu Galauniform, Herren vom Civil Gesellschaftsanzug, beide aber ihre etwaigen Orden anzulegen haben, bedarf kaum des besonderen Hinweises, ebenso, daß Damen sich entsprechend kleiden. Strengste Pünktlichkeit beim Erscheinen ist hier doppelt geboten, desgleichen ein Ausharren, bis die fürstlichen Herrschaften die Gesellschaft verlassen haben. Ein[468] Gespräch zu eröffnen ist gleichfalls Sache der letzteren; es wäre ein arger Verstoß gegen die Hofetikette, ohne weiteres mit dem Fürsten oder dessen Gemahlin eine Unterhaltung beginnen oder gar eine Frage an die hohen Herrschaften richten zu wollen.

Wer dauernd in kleiner Residenz lebt und ständigen Zutritt bei Hofe zu erhalten wünscht, hat diesen Wunsch dem Obersthofmeister und dem Adjutanten des Fürsten vorzutragen, darauf allen Hofchargen, ebenso andern hervorragenden Persönlichkeiten der Stadt seine Aufwartung zu machen. Diese Besuche werden durch persönliches Vorsprechen oder auch durch Abgabe der Karte erwiedert. Damen stellen sich natürlich nur den Damen des Hofes vor und beginnen damit bei der ersten Hofdame.

Ohne etwas Herzpochen wird ja so ein erster Besuch oder auch nur Vorstellung bei Hofe nie abgehen, aber auch hier möchten wir allen allzu schüchternen Seelen etwas Selbstbewußtsein empfehlen und an das geflügelte Dichterwort vom bekannten Mannesstolz an Königsthronen erinnern, das natürlich auch für Frauen gilt. Wer im allgemeinen die Verkehrsformen der guten Gesellschaft kennt und beherrscht, wird, da die besonderen Gebräuche des Hofzeremoniells ja vorher bekannt gegeben werden, selten einen Verstoß begehen oder auch nur in Verlegenheit geraten.[469]

Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 459-471.
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