IX. Feldzug nach Rußland.

[145] Schon seit Anfang des Frühjahres waren die Straßen Deutschlands von den ungeheuren Truppenmassen überschwemmt. Die schönste Armee, welche das Jahrhundert gesehen, drängte sich mit Hast und Eile ihrem entsetzlichen Untergange entgegen. Franzosen, Italiener, Deutsche, Polen, Holländer, Spanier, in einer compacten Masse vereinigt, mit den bedeutendsten Männern an ihrer Spitze, richteten alle ihre Blicke auf den einen Mann, auf den sie mit unbegränztem Vertrauen ihre Hoffnungen bauten. Sieggewohnt, muthvoll und von Ehrgeiz beseelt, trugen sie alle das Bewußtsein eines glücklichen Erfolgs in der Brust; den gefährlichsten Feind, die Elemente, brachte Niemand mit in Rechnung.

Der Abschied von meiner Gemahlin war ein sehr heroischer: keine Thräne wurde vergossen, wir setzten beide einen Werth darein, uns stark zu zeigen. Es lag dies damals in der Zeit. Bevor ich zu Pferde stieg, reichte ich ihr noch einmal die Hand und sagte: »In acht Monaten, wenn ich noch am Leben bin, komme ich zurück!« gab dann dem Pferde die Sporen und jagte davon.

Die erste Strecke des Marsches von München bis Bayreuth machte ich zu Pferde in kleinen Militäretappen. Aus dem königl. Marstall wurden dem Prinzen Eugen auf seinen Wunsch sechs gute Reitpferde mit allem Zugehör und dreizehn Maulthiere[145] mit zwei Fourgons verabreicht und sechs junge Leute aus dem königl. Stallpersonal und ein alter Thierarzt mitgesandt. Der Adjutant des Vicekönigs, Méjean, welcher mir den Befehl zum Abmarsche überbracht hatte, beging die Indiscretion, mich mit diesem Transport reisen zu lassen. Dem königl. Oberststallmeister, Baron von Kesling, war dieses jedoch sehr angenehm, er stellte den ganzen Zug unter meine Aufsicht und räumte mir eine große Vollmacht ein. So zog ich zum zweitenmale als functionirender Stallmeister von München in den Krieg, diesmal jedoch unter glänzendern Verhältnissen als drei Jahre früher.

Den ersten Tag ging alles gut von statten; das junge Volk war sehr vergnügt, der Stallluft und dem maschinenmäßigen, strengen Dienste entronnen zu sein; es sang und jubelte. So schlenderten wir sieben Stunden dahin und kamen frühzeitig in das Quartier zu Schwabhausen.

Das Reisen zu Pferde, obschon es manches Beschwerliche hat, machte mir stets Vergnügen: Meine Pferdeliebhaberei, mein Studium und der Umgang mit diesen edlen Thieren, die freie Bewegung, bei der man auf dem Wege alles sehen und beobachten und jeden schönen Fußpfad benützen kann, ohne an die Landstraße gebunden zu sein, hatte stets vielen Reiz für mich. Hierin mag zum Theil der Grund liegen, warum ich nicht gleich von Anfang die Nachtheile, welche diese Art zu reisen zur Folge hatte, in Erwägung zog. Der Mensch greift ja bei aller Vorsicht gar leicht nach dem, was seinen Neigungen entspricht und macht dadurch bisweilen Fehlgriffe. So ging es diesmal. Wäre mir nicht ein glücklicher Zufall und meine Entschiedenheit, rasch zu handeln, wenn es noth thut, rechtzeitig zu Hilfe gekommen, so dürften die Absichten, welche der gute Prinz Eugen mit mir hatte, zur Hälfte vielleicht vereitelt worden sein. Die nächsten Tage der Reise waren nicht mehr so heiter. Die Route ging überhaupt äußerst langsam nach den uns vorgeschriebenen Stationen vorwärts. In Donauwörth fand ich meinen Bruder Ferdinand und meine guten Eltern, welche mich zu sehen bei schlechtestem Wetter, sieben[146] Stunden weit, zu Fuß von Nördlingen herübergekommen waren. Die Freude des Wiedersehens war groß. Bei einem gutbesetzten Tische und unter traulichen Gesprächen saßen wir bald recht fröhlich beisammen bis spät in die Nacht. Wären meine Eltern nicht gar so ermüdet gewesen, so hätten wir uns gar nicht zur Ruhe gelegt. Sehr frühe wurde ich wieder wach, und sobald sie mich hörten, verließen sie das Lager, wir nahmen ein kräftiges Frühstück, plauderten noch ein Stündchen, wobei ich von meiner Frau nicht genug erzählen konnte; um 6 Uhr mußte ich die Reise jedoch fortsetzen.

Die Trennung von meinen Eltern griff mich weniger an als ihr Wiedersehen, das Reisen hatte solchen Reiz für mich, daß gar manches Gefühl zurücktrat, wenn es sich darum handelte, mich von etwas lossagen zu müssen, was mir lieb und theuer war.

Unser Weg führte über Monheim, Weissenburg, Roth nach Nürnberg, wozu uns drei Tagemärsche vorgeschrieben waren. In Nürnberg hatten wir sogar einen Rasttag, welchen ich gehörig ausnützte, um alle meine alten lieben Freunde und Bekannten wiederzusehen. Es gewährte mir großes Vergnügen, daß fast Niemand mich mehr erkannte; der arme Zuckerbäckerjunge, welcher vor acht Jahren nach Nürnberg gekommen, erschien jetzt als schmucker, eleganter italienischer Offizier. Selbst in der lieben Familie des würdigen Direktors Zwinger wurde ich nicht gleich erkannt. Dem alten Herrn wollte übrigens meine Metamorphose nicht besonders gefallen, sie vertrug sich nicht recht mit seinem ächt patriotischen Sinne. Er that etwas fremd, und es kostete Mühe, die alte Zutraulichkeit, die ich an ihm gewohnt war, wieder hervorzurufen.

Recht vielen Spaß machte mir das Zusammentreffen mit meiner frühern Prinzipalin, der Frau des Conditors Braun: ich begab mich in ihren Laden, kaufte einiges Zuckerwerk und Chokolade, ließ mich mit der Frau, die sehr gerne plauderte, in ein Gespräch ein, und da noch mehrere von meinen frühern Kunstarbeiten im Laden gleichsam als Schaustücke aufgestellt waren, lenkte ich das Gespräch auf diese und ihren Urheber,[147] wobei ich einige spitzfindige Bemerkungen gegen diesen mit einfließen ließ, was Veranlassung zu manchen gegenseitigen komischen Erörterungen bot. Aus allem ging hervor, daß die gute Frau sich gar nicht einfallen ließ, mit wem sie rede; ich aber genoß hiebei die Freude, zu bemerken, daß mein Andenken immer noch in ihrem Gedächtnisse lebte. Ihre kleine blauäugige Tochter stand während dieses Zwiegespräches etwas zurück und betrachtete mich fortwährend mit schelmischen Blicken. Zuletzt konnte sie sich nicht mehr halten und sagte zu ihrer Mutter: »Aber, Mama, kennen Sie denn den Herrn Adam nicht mehr?« So endete das Gespräch mit einer heitern Scene.

Anderthalb Tage verweilten wir in dem mir früher schon so lieb gewordenen Nürnberg. Am 18. Mai wurde die Reise über Eschenau, Pegnitz, Bayreuth fortgesetzt, wozu uns abermals drei Tage vorgeschrieben waren. Zu Pegnitz traf ich auf der Post einen bayerischen Offizier, welcher von der Armee als Courier nach München gesandt wurde. Als dieser von mir vernommen hatte, ich sei angewiesen, mit diesem Transporte mich im Hauptquartier des Vicekönigs zu Glogau einzufinden, sagte er: »Lieber Freund, wenn Sie Ihre Reise auf diese Weise fortsetzen, so werden Sie den Vicekönig treffen, wenn der Krieg bald zu Ende ist. Von Glogau kann gar keine Rede sein, der Vicekönig befindet sich gegenwärtig schon mit seinem Armeecorps im Herzen Polens.« Diese Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag, es wurde mir klar, wie unrecht ich gethan, mich auf diese Art zu reisen, einzulassen. Dieser Offizier hatte ganz richtig geurtheilt: erst zu Surash an der Düna stieß der Pferdetransport zum Hauptquartiere, nachdem die wichtigen Schlachten von Ostrowno und Witebsk und andere bedeutende Ereignisse vorüber waren.

Nach einer unruhigen Nacht, welche mir die erhaltene Kunde verursachte, brachen wir bei Sonnenaufgang nach Bayreuth auf. Hier saß ich in einem angenehmen Quartiere der Post gegenüber eben bei einem guten Mittagsmahle, als ein französischer Courier rasch anfuhr. Ich lief, was ich konnte, hinüber und fragte ihn: »Woher?« – »Von Constantinopel.« –[148] »Wohin?« – »Ins Hauptquartier des Kaisers.« – »Wollen Sie mich mitnehmen?« – »Haben Sie Papiere?« – »Ja.« Er maß mich einen Augenblick mit raschen Blicken vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann: »Ich nehme Sie mit, wenn Sie schnell reisefertig sind.« – »Können Sie mir eine halbe Stunde Zeit geben?« – »Ja, wenn es sein muß, aber nicht eine Minute länger.« Diese knappe Art zu reden und zu handeln lag ganz im Wesen dieser Leute, es waren äußerst energische, thatkräftige, verwegene Menschen, die oft in ihrem Dienste das Außerordentlichste leisteten. – Mein Gepäck war auf einen der Fourgons geladen, welche wir bei uns hatten; ich eilte dorthin, ließ alles abpacken, übergab dem Thierarzte meine Vollmacht und die übrigen, diesen Transport betreffenden Papiere. Nach einer halben Stunde war ich fertig und reiste mit dem Courier ab. Es ging freilich anders vorwärts: die Meilenzeiger flogen an uns vorbei und wir kamen nach Dresden, ohne daß ich recht wußte, wie. Ich unterhielt mich unterwegs sehr gut mit dem Courier, er hatte große Reisen durch ganz Europa gemacht und war ein lebendiges Erzählungsbuch.

Napoleon befand sich schon seit einigen Tagen in Dresden und mit ihm ein Theil der deutschen Fürsten, militärische Größen, Diplomaten und Notabilitäten aller Art. Auch Maria Louise mit vielen hohen Damen war anwesend; Feste folgten auf Feste, es war ein ungeheueres reges Treiben.

Napoleon ermangelte nicht, die anwesenden Fürsten seine Macht und Größe fühlen zu lassen, besonders soll der gute König Friedrich Wilhelm von Preußen wahre Demüthigungen erfahren haben. Ich traf zufällig mit diesem unglücklichen Fürsten auf der königl. Gemäldegallerie zusammen und fand, daß man ihm nur zu deutlich den Gram ansehen konnte. Ebenso hörte man über das hochmüthige Betragen der Kaiserin Maria Louise bittere Klagen; auch die Umgebungen Napoleons ließen es nicht fehlen, in ihrer voreiligen Siegestrunkenheit auf alles Andere mit Geringschätzung herabzublicken. – Dadurch und durch andere Fehler fingen schon hier die Grundfesten, auf welche Napoleons Macht gebaut war, zu wanken an: erst wurden[149] einzelne Persönlichkeiten verletzt und später ganze Nationen, bis diese, von dem tiefgekränkten Ehr- und Nationalgefühle auf das Aeußerste gebracht, bei dem ersten Anlasse die Waffen gegen Napoleon kehrten und ihn vom Throne stürzten.

In Dresden mußte ich mehrere Tage auf eine günstige Gelegenheit warten, um weiterzukommen, denn ich erfuhr, daß Prinz Eugen sich zu Thorn an der Weichsel befinde. Zufällig machte ich die Bekanntschaft eines Capitains der kaiserlichen Garde, welcher in Geschäften zu Dresden zurückgeblieben war und nun mit Extrapost zu seinem Regiment befördert wurde. Mit diesem reiste ich bis Thorn. In Eilmärschen, einigemale auch die Nacht hindurch, durchwanderten wir die unschönen Gegenden von Polen und einen Theil von Preußen, ohne daß diese Reise mir viel Angenehmes geboten hätte. Mein Reisegefährte entsprach nicht meinem Sinne, die große Lieblosigkeit, mit der er die armen Bauern behandelte, welche uns unentgeltlich fahren mußten, gab mir manchen Anlaß zum Aergerniß. Auch seine Brutalität in den Quartieren, besonders auf preußischem Boden, erregte meinen Unwillen. In einem kleinen Städtchen Preußens, nur ein Beispiel davon anzuführen, waren wir bei einer artigen, älteren Frau, welche uns eine Bouteille Wein vorsetzte. Er fuhr sie in rauhem Tone an: »Was ist das, Madame, eine Bouteille Wein für zwei Offiziere? Noch eine Bouteille!« Die Frau weinte und sagte, sie sei eine arme Predigerswittwe, lebe von einem kleinen Gehalte und könne die Kriegslasten nicht mehr erschwingen. Ich suchte den Capitain zu besänftigen und erklärte, ich wolle auf allen Wein verzichten. Aber es half nichts, er setzte seine Brutalitäten fort, bis eine zweite Flasche kam, indem er behauptete, das werde den Leuten alles von der Regierung ersetzt. Ich aber trank weder von der ersten, noch von der zweiten Flasche.

Das war im allgemeinen der Geist, mit dem damals die Franzosen das gedemüthigte und ausgesaugte Preußen durchzogen; es konnte nicht fehlen, daß dadurch der tiefste Rachedurst wachgerufen wurde, welcher die Unbilden in reichem Maße den Franzosen später heimzahlte.[150]

In Thorn angelangt, trafen wir die kaiserlichen Garden, den Generalstab und den Marschall Berthier. Hier ging es wieder recht toll her. Alles fand ich, nur nicht den Prinzen Eugen. Ich verlor zwei Tage, bis ich endlich in Berthier's Bureau erfuhr, er sei in Plock an der Weichsel. Ich mußte nun mit Postpferden, die ich nur mit Mühe und durch besondere Begünstigung erhielt, auf meine Kosten nach Plock reisen, aber auch hier erreichte ich mein Ziel noch nicht: der Prinz war wieder mehrere Tagmärsche voraus. Bei der Abreise von Thorn nach Plock hatte ich das Unglück, meinen getreuen Cerberus in einem großen Gedränge bei dem Uebergang über die Weichsel zu verlieren. Trotz aller Mühe konnte ich ihn nicht wieder finden und sah mich genöthigt, ohne denselben von Thorn einen schmerzlichen Abschied zu nehmen.

In Plock saß ich in der peinlichsten Lage, weil ich den Prinzen nicht getroffen: mein Geld war auf der Neige, ich kannte keinen Menschen und stand eben im Begriffe, eine werthvolle goldene Repetiruhr, die ich 1810 von der Vicekönigin zum Geschenke erhalten hatte, an einen Juden zu verkaufen, als ich auf der Straße einen Diener des Prinzen traf, dieser erzählte mir, daß er mit einigen kranken Leuten vom Hauspersonale hier habe zurückbleiben müssen. Ich klagte ihm meine Noth, und er rieth mir, mich an den General Plauson zu wenden, welcher in Plock in Geschäften für den Prinzen zurückgehalten worden sei. Ich begab mich sogleich in sein Quartier, die Adjutanten wiesen mich aber im Vorzimmer ab, der General sei sehr beschäftigt und für Niemand zu sprechen. Ich ließ mich jedoch nicht abschrecken. Gefragt, was ich denn von ihm wolle, theilte ich mein Anliegen mit. Ein Adjutant machte Meldung und der General trat aus seinem Zimmer auf mich zu mit den Worten: »Haben Sie Papiere?« Nachdem ich mich legitimirt hatte, fuhr er fort: »Sie treffen den Prinzen in Willenberg; wenn Sie sich nicht verweilen und mit Postpferden die Nacht hindurch reisen, können Sie morgen dort sein. Hier haben Sie vier Louisd'or, schreiben Sie darüber eine Quittung und geben Sie dieselbe meinem Adjutanten. Reisen Sie glücklich!«[151]

Mit diesen Worten legte er das Geld auf den Tisch und entfernte sich. Wie nun Glück und Zufall oft im Leben ein wunderliches Spiel mit uns treiben, so wurde mir innerhalb einer Stunde eine doppelte Hilfe. Als ich von Plauson wegging, mußte ich über einen großen Platz, um nach meiner Wohnung zu gelangen. Schon von ferne sah ich einen italienischen Courier gerade auf mich zueilen. Ich blieb wie gefesselt stehen, und als er mich erkannte, schrie er laut auf vor Freude. Ich war das erste Gesicht vom Hofe, welches ihm nach einem Wege von 450 Stunden begegnete, und solche Begegnungen unter solchen Umständen in einem wildfremden Lande machen immer Freude. Lambert (so hieß der Courier) kam direkt von Mailand. »Sie müssen mich mitnehmen,« sagte ich, »in einer Viertelstunde bin ich mit meinem Gepäcke an der Post.« – »Abgemacht!« Gerne hätte ich nun dem General Plauson sein Geld zurückgestellt, aber es hätte nur Zeitverlust mit sich gebracht. In raschem Laufe ging es nun ohne Aufenthalt in das Hauptquartier des Prinzen. Lambert war ungemein vergnügt, einen Gesellschafter zu haben, es gab gegenseitig viel zu erzählen, und so schien uns diese letzte Strecke gar nicht lange, obschon wir mit Courierpferden noch einige 20 Stunden brauchten, sie zurückzulegen.

Am 10. Juni gegen 11 Uhr Vormittags kamen wir zu Willenberg in Ostpreußen an und trafen dort das Hauptquartier des vierten Armeecorps, welches Eugen befehligte, und die Bayern, welche zu demselben gehörten.

Meine Ankunft wurde freudig aufgenommen, Oberst Bataille sagte mir: »Der Prinz hat gerade vor einigen Stunden den Auftrag gegeben, ein Schreiben an alle Commandantschaften auf der ganzen Militärroute ergehen zu lassen, damit diese Sie aufforderten, Ihre Reise zu beschleunigen.« Daß ich selbst diesem Befehle zuvorgekommen bin, konnte daher nicht verfehlen, einen guten Eindruck zu machen. Jetzt erfuhr ich auch, daß Mr. Méjean beauftragt war, mich in seinem Wagen von München aus mitzunehmen. Dies schien ihm übrigens nicht bequem, und so ließ er mich mit dem Pferdetransport reisen.[152] Prinz Eugen empfing mich ungemein liebreich; er übergab mir ein schönes Portefeuille in rothes Saffianleder gebunden, das in Gold seinen Namen trug und das er eigens von Paris für mich mitgebracht hatte, um es als bildliches Tagebuch dieses Feldzuges zu benützen. Recht herzlich lachte er, als ich ihm meine Reiseerlebnisse und meine Geldverlegenheit erzählte.

Am 11. kamen wir nach Ortelsburg, am 12. nach Brodinen, am 13. nach Sensburg, am 14. nach Rastenburg, einer kleinen Stadt, welche an einem unbedeutenden, von Hügeln eingeschlossenen See liegt. Unser Aufenthalt dauerte bis zum 18. Sodann durchwanderten wir einen Theil von Ostpreußen und Polen in zehn Tagemärschen über Lötzen, Polomen, Oletzko, Szidorovea, Kalwarya, Mariampol, Michalsky, Joehmizky nach Piloni am Niemen. Im Ganzen unschöne, oft ganz unfruchtbare Gegenden, die dem Niemen zu immer armseliger wurden. In Piloni standen wir an der Gränze Rußlands. Unverzüglich begann unter dem Schutze einer auf dem etwas erhöhten Ufer aufgestellten Batterie das Schlagen einer Schiffbrücke. Während dieser Arbeit aber wurde das Grenadierregiment der italienischen Garde auf Pontons an das russische Ufer übergeschifft.

Unter den jämmerlichsten Verhältnissen verweilten wir den 29. und 30. Juni zu Piloni, einem elenden Orte mit armen hölzernen Häusern und abgedeckten Dächern. Zwei Tage lang fiel der Regen unaufhörlich in Strömen, und es wurde für Menschen und Thiere zur Unmöglichkeit, trockene Haut zu bekommen, weil man jeglichen Obdaches entbehrte, also auch jeglichen trockenen Lagers. Den Pferden bekam dieser Zustand noch schlechter als den Menschen; das nasse Grünfutter verursachte ihnen Kolik, an welcher sie nach wenigen Stunden den gräßlichsten Tod fanden; in einer Nacht wurden so Tausende von Pferden weggerafft.

Wahrhaft peinlich waren die Märsche der Truppen anzusehen, welche während jener Tage Piloni ohne Unterbrechung durchzogen. Mühsam und sehr langsam schleppten sich die Colonnen der Infanterie auf den vom Regen erweichten, fast grundlosen Straßen einher, fast alle Viertelstunde gab es einen[153] Halt. Die damals schon oft recht schlecht ernährten Soldaten fühlten sich von Müdigkeit und der Last ihres Gepäckes fast erdrückt. Kleider, Armatur, alles wurde durch die Nässe doppelt schwer. Oft sah ich sie bei solchem kurzen Halte unter den furchtbarsten Flüchen und Verwünschungen ihre Gewehre von der Schulter herabnehmen und mit den Kolben in den Koth hineinstoßen, daß dieser ihnen über dem Kopfe zusammenspritzte. Am Ende mußten sie das schmutzige Gewehr doch wieder aufnehmen, was sie aber wenig beachteten, da ja ohnehin schon alles mit Koth überzogen war. Kamen nun diese armen Menschen nach zurückgelegtem Marsch in ihr Lager, so diente die durchnäßte Erde als Ruhestätte und der Himmel, von dem es in einem fort in Strömen goß, als ihr Gezelt.

Unter solchen Verhältnissen befand sich die französische Armee an den Ufern des Niemen, und man konnte leicht in Versuchung kommen, zu denken, es sei dies eine schlimme Vorbedeutung von dem, was ihrer erst jenseits des Stromes im russischen Lande harrte.

Am 1. Juli betraten wir den russischen Boden: auf einem Marsche von zehn Stunden zählte ich fünfhundert in Folge des ungünstigen Klimas gefallene Pferde. Es läßt sich darnach ein Maßstab anlegen von dem, was hinter uns vorgegangen und von dem, was außer unserm Gesichtskreis lag. Gegen Mittag erreichten wir Krony, die erste Stadt in Russisch-Polen. In auffallendem Contrast stand der Feldbau an beiden Ufern des Niemens: auf russischem Boden wurden plötzlich die Kornfelder üppig, die ganze Vegetation schien besser und fruchtbarer. Von Krony kamen wir in drei Tagmärschen nach Troki, einer (nach dortiger Bauart) hübschen Stadt mit einer ansehnlichen, aus Stein erbauten Kirche, während die Häuser meistens aus Holz sind. Hier blieben wir vier Tage, ich im Schulhause einquartiert, woselbst ich mich Nachts auf einen Tisch zu legen gezwungen sah, wenn ich nicht ganz vom Ungeziefer aufgezehrt werden wollte, denn die Wände schienen des Abends von allem erdenklichen Ungeziefer lebendig zu werden. Diese Plage steigerte sich mit der zunehmenden Hitze.[154]

Von Troki sollte das Armeecorps die Richtung gegen Zemloslau einschlagen. Tags zuvor wurde ein Offizier ausgesandt, um die Straße zu recognosciren. Dieser ging wahrscheinlich nicht weit genug und ließ sich durch falsche Kundschafter täuschen; er kam mit der Meldung zurück, daß die Straße praktikabel sei. Am 8. Juli setzte man sich in Bewegung, als der Weg nach etwa vier Stunden immer schlechter und bedenklicher wurde, es kamen Prügelwege, die durch lange Sümpfe führten und die zuletzt in einen solchen Zustand übergingen, daß die Unmöglichkeit eintrat, mit Cavallerie und noch viel weniger mit Artillerie und Fuhrwesen durchzukommen. Die Pferde fielen bis über die Knie in tiefe Löcher, Kanonen und Wagen sanken ein; es blieb kein Ausweg als umzukehren. Aber es läßt sich nicht beschreiben, welch entsetzliche Unordnung dies auf dem schmalen Knüppeldamm verursachte, es konnte nicht anders bewerkstelligt werden, als daß die letzten die ersten und die ersten die letzten wurden, woraus ein großer Zeitverlust entstand. Ich selbst verlor beinahe mein schönstes Pferd auf einem sumpfigen Wiesengrunde abseits der Straße. Anfangs ging es sehr gut, allmählig aber trat mein Pferd immer tiefer und tiefer ein, bis es über den halben Leib im Sumpfe steckte, ich hob mich aus dem Sattel und arbeitete mich aus dem Sumpfe heraus bis an die Straße. Das Pferd gab ich für verloren; allein der Bürde des Reiters enthoben, machte es die größten Anstrengungen, um sich bis an die Straße hinzuarbeiten, wo es dann mit Hilfe mehrerer Leute herausgezogen wurde. Daß ich und mein Pferd nicht sehr elegant darnach aussahen, ist leicht denkbar, wir waren ganz von Schlamm und schwarzem Moor überzogen.

Alle diese Anstrengungen des ganzen Marsches waren nun vergeblich; der ganze Weg mußte zurückgemacht und auf einer andern Straße angetreten werden und zwar ohne Aufenthalt. Es wurde die Nacht durch marschirt und nur um Mitternacht ließ man die Pferde der Cavallerie eine Stunde lang in einem großen Haberfelde weiden. Tragisch-komisch war der Marsch der Cavallerie durch einen langen dichten Wald: viele vor[155] Müdigkeit auf den Pferden eingeschlafene Reiter rannten sich die Köpfe an die Bäume, da fiel ein Helm herab, da hing ein anderer nur noch am Sturmband fest an der Seite, da fiel ein Reiter ganz herunter. Besonders schlecht ging es der italienischen Guardia d'onore mit ihren übermäßig hohen Helmen. Auch die ermatteten Pferde stolperten oft und stürzten, kurz alles zeugte von den bis auf die Neige erschöpften Kräften der Truppen. In Folge solcher Märsche entstand ein neuer Verlust an Pferden. Ganze Colonnen von Hunderten dieser armen Thiere mußte man im erbärmlichsten Zustande nachführen, mit Löchern im Widerriste oder Rücken, mit Werg zugestopft, aus denen der Eiter in Strömen herabfloß. Bis auf das Gerippe abgemagert, waren sie ein Bild des Jammers und Elendes. So sah es schon Mitte Juli um die Armee aus!

Am 11. Juli schrieb ich aus Olszany in Russisch-Polen an meine Frau: »Ich fange an, den Muth sinken zu lassen, zwei volle Monate auf dem Marsche und für was? und durch welche Länder? Es macht mir Herzweh, daß ich die mir von Gott geschenkte Zeit so elend vergeuden muß. Krieg! das ist ein entsetzliches Wort! da gilt keine Rücksicht auf das Wohl oder Verderben ganzer Nationen, und wehe dem, welcher sich mit dieser Furie bekannt macht und noch ein Herz hat, das für die Menschen schlägt. Was ich seit vierzehn Tagen für Elend gesehen, ist unbeschreiblich: die meisten Häuser stehen leer und sind ohne Dach. Man hat in den Gegenden, welche wir durchzogen, meistens Strohdächer, und dieses alte Stroh diente den Pferden zur Nahrung. Die Wohnungen sind ruinirt oder ausgeplündert, die Bewohner entflohen oder so arm, daß sie sich kaum vor dem Hungertode retten können; viel mehr lassen ihnen die Soldaten nicht. Alle Straßen liegen voll todter Pferde, welche bei der jetzt eingetretenen Hitze weithin einen fürchterlichen Geruch verbreiten, und das Fallen der Pferde wird noch immer ärger. Das ist ein abscheulicher Krieg. Der Feldzug von 1809 scheint nur ein Spaziergang im Vergleich mit diesem; wenn es so fortgeht, weiß ich nicht, wie es enden soll. Trotz des elenden Lebens und des beschwerlichen Umherziehens habe ich[156] doch schon manches gezeichnet, was für mich großen Werth hat, aber diese Zeichnungen kommen theuer genug zu stehen. Und der Erfolg dieses Krieges muß außerordentlich vortheilhaft sein, wenn ein Maler für alle seine Opfer entschädigt werden soll. Dieses Herumziehen in elenden Gegenden und das damit verbundene Vergeuden der goldenen Zeit wird mir nachgerade unerträglich, ich kann es nicht verbergen, daß ich mich auf die erste Schlacht freue. Lieber will ich die Kugeln pfeifen hören, als noch lange dieses trostlose Leben führen. Die Soldaten lechzen nach dem Kampfe, er wird heiß werden, wenn anders die Russen Stand halten! Sollte es ihnen aber belieben, uns noch lange Zeit auf ihrem geräumigem Territorium diese amüsanten Promenaden machen zu lassen, so kann die Armee hübsch matt und müde werden, bis es zu einem entscheidenden Schlage kommt, oder man einen glorreichen Einzug in der Hauptstadt hält, was doch unser Ziel ist. Diesmal sind wir sehr gut in einem großen Edelhofe bei einem reichen Gutsbesitzer einquartiert; seine Bauern sagen ihm aber nicht viel Gutes nach, er ist in der ganzen Umgegend als ein abscheulicher Tyrann bekannt. Man hat ihm eine Schutzwache gegeben, es sind ihm aber doch einige sehr schöne Pferde weggeführt worden.« –

Elf Tage zogen wir noch so im Lande herum, gingen über Smorgony, Zalesie, Wileika, Dockschizy und Kamen nach Beszenkowicky; dort stießen wir endlich auf den Feind. In Smorgony, einem ansehnlichen Orte, verweilte der Prinz zwei Tage in einem sehr schönen Edelhofe. Von da an wurde das Land schöner und fruchtbarer, man bemerkte mehr Wohlhabenheit und recht hübsche Landhäuser, die übrigens auch nur aus Holz erbaut waren und nur ein Erdgeschoß hatten. Gewöhnlich zierte die mehrere Stufen über den Boden erhöhten Häuser ein kleiner, von Säulchen getragener Fronton.

Am 18. verweilten wir in Dockschizy. Hier brach durch Unvorsichtigkeit Feuer aus und der ungeheuer lange, aus lauter Holzbauten bestehende Ort wurde, ein einziges elendes Haus ausgenommen, in wenigen Stunden ein Raub der Flammen.[157] Das furchtbare, prasselnde Feuermeer spottete jeder entgegenarbeitenden Anstrengung. Wir hatten schon seit langer Zeit eine außerordentliche Hitze, und jene Hütten brannten wie lauter Stroh.

Am 21. und 22. verweilten wir in Kamen, am 23. früh ritt der Prinz mit seiner Suite einige Stunden vorwärts, um die Ufer der Düna zu recognosciren und über die Stellung des Feindes sich Kenntniß zu verschaffen. Ich blieb zurück, um eine Zeichnung zu vollenden. Bald kam des Prinzen Mameluk mit zerstörtem Gesicht im Carriere angesprengt, um den Leibarzt Assalini zu holen: einer der Adjutanten, Oberst Lacroix, war verwundet. Eine Musketenkugel vom jenseitigen Ufer der Düna hatte ihm die Schenkelknochen zerschmettert; wir bekamen ihn nicht mehr zu sehen, er starb erst lange darnach in Folge dieser Wunde.

Oft hatte ich im Kriege Gelegenheit, zu bemerken, daß mancher Mensch das Vorgefühl des nahen Todes oder eines besondern Mißgeschicks geraume Zeit in sich trägt. Ein Beispiel hievon ist Lacroix. Jeder Zoll an ihm war Soldat. Er hatte von der Pike an bei der Cavallerie gedient, sich überall tapfer gezeigt und bloß durch sein Verdienst sich emporgeschwungen. Während unserer Märsche in Rußland äußerte er oft, er werde in diesem Kriege einer der ersten sein, der ins Gras beißen müsse. Wenige Tage vor seiner Verwundung sagte er zu mir: »Nun, Adam, jetzt wird es bald losgehen, und wenn Sie einen finden, der alle Viere auf dem Schlachtfeld von sich streckt, den zeichnen Sie, das werde ich sein!« In der Nacht vom 22. auf den 23. schlief ich in einem großen Lokale mit den meisten Adjutanten auf Stroh, stand vor Tagesanbruch, während noch alles schlief, auf, setzte mich an ein Fenster und zeichnete. Als später Lacroix sich von seinem Lager erhob, kroch eine Natter aus dem Stroh hervor, auf dem er gelegen. Ruhig schaute er ihr nach und sagte trocken: »Das hat etwas zu bedeuten!« An demselben Morgen erhielt er die tödtliche Wunde. Wäre er in der Hitze des Gefechtes gefallen, so hätte sich Niemand gewundert; aber hier dachte kein Mensch daran, daß eine elende Musketenkugel[158] über die Düna herüber seine militärische Laufbahn enden würde. Der Schuß kam aus einem Hause am jenseitigen Ufer, in dem russische Plänkler verborgen lagen, und gerade dieses Opfer schien sich der Schütze ausgesucht zu haben.

Am 24. Juli kamen wir nach Beszenkowicky. Hier traf auch Napoleon mit dem Gros der Armee ein. Von diesem kolossalen, ziemlich verworrenen Menschenknäuel eine Schilderung zu machen, ist mir unmöglich. Alles, was sich Monate hindurch auf beschwerlichen Märschen mühevoll durch unwirthliche Gegenden geschleppt hatte, traf hier auf einem Fleck zusammen, so daß fast ein Corps dem andern im Wege stand und, soweit das Auge reichte, man nichts sah als Soldaten und in großen Staubwolken ihre Bajonette blinken. Alle Waffengattungen, Infanterie, Cavallerie, Artillerie, Train und Fuhrwesen, eine Unzahl hin und her reitender Adjutanten, Handpferde, Equipagen und Dienerschaft, alles bewegte sich wie von einem Wirbelwinde getrieben bunt durch einander. In diesem kolossalen Maßstabe hatte ich noch nie um Napoleon herum ein solches Treiben gesehen, mir sauste der Kopf davon.

Die Düna hat ein tiefes Bett. Von beiden Seiten erheben sich hohe, ziemlich steile Ufer, auf deren linkem sich Beszenkowicky erhebt. Lange Zeit stand ich auf einem erhabenen Punkte und beobachtete das gewaltige Treiben um den Kaiser, der, umgeben von seinen Marschällen, in der Tiefe am Ufer sich befand. Hier begegnete mir ein komisches Abenteuer. Ich erblickte eine auffallende Persönlichkeit in einem hellblauen, über und über mit Gold verbrämten Rocke, in rothen, goldbortirten Hosen, auf dem Kopfe einen wunderlichen, ganz mit Federn bedeckten Hut tragend, kurz eine Persönlichkeit, aus der ich nichts zu machen wußte. Am auffallendsten war mir, daß er sich gar so viel um den Kaiser, welcher wie seine ganze Begleitung zu Fuße war, zu schaffen machte. Endlich fragte ich einen neben mir stehenden Offizier: »Lösen Sie mir doch das Räthsel; wie kommt es, daß sich der Kaiser so viel mit diesem Tambourmajor zu schaffen macht?« Der aber schaute mich groß an und sagte: »Was meinen Sie damit?« Ich[159] erklärte mich deutlicher. »Mein Gott,« rief er aus, »das ist ja Murat, der König von Neapel.« So erschien mir dieser Tollkopf das erste Mal; bald sollte ich ihn vom Pulverdampfe geschwärzt in seiner ganzen Wildheit unter den gemeinsten Flüchen die Soldaten in das Feuer hetzen sehen.

Die ganze Armee befand sich an der Düna in exaltirtem Zustande. Man sah endlich den lange ersehnten Feind vor sich und hoffte durch einen entscheidenden Schlag Erlösung aus dem elenden Leben, welches man lästiger fand als selbst den verzweifeltsten Kampf.

Es fehlte daher nicht an Excessen, welche bei der ungeheuren Truppenmenge, die sich auf so engem Raume zusammendrängte, unvermeidlich waren. Diese alle wollten verpflegt sein, und bei den unvermeidlichen Schwierigkeiten griff nur zu leicht Selbsthilfe um sich.

Am 24. Juli schien es, als ob es zu dem heißersehnten Kampfe komme. Eine Abtheilung Infanterie wurde auf Pontons an das rechte Dünaufer übergeschifft, eine Brücke geschlagen und gleichzeitig setzten die bayerischen Chevauxlegersregimenter (das dritte, vierte, fünfte und sechste) über den Strom.

Es war ein beschwerlicher Uebergang: die Düna ist tief und hat eine starke Strömung und alles mußte schwimmen. Die Pferde, außer dem Reiter durch die Equipirung schon belastet, streckten nur noch den Hals aus dem Wasser; allein trotz aller Schwierigkeit wurde dieser Uebergang mit großer Präcision ausgeführt; nur ein Mann verlor dabei das Leben. Merkwürdig war das Manöver, welches diese vortreffliche Truppe gleich am jenseitigen Ufer auf einer großen, von Waldungen eingeschlossenen Ebene ausführte. Der Kaiser war auf der inzwischen vollendeten Brücke mit seiner Umgebung übergegangen und recognoscirte mit dieser Cavallerie das Terrain. Die durchnäßten Reiter fegten nach allen Richtungen hin die Feinde aus dem Felde und manövrirten mit solcher Schnelligkeit wie auf einer Parade. Sie zwangen selbst den Franzosen, die den Deutschen nicht gerne Verdienste einräumen, Bewunderung ab; mir lachte das Herz im Leibe, unsere Bayern und namentlich die[160] Chevauxlegers, an denen ich so fest hing, so manövriren zu sehen.

Erst im Kriege lernt man den vollen Werth des Pferdes recht würdigen, wenn man sieht, was es unter den feindseligsten Verhältnissen zu leisten vermag. Bedenkt man, daß alles unbequemer und schwerer wird, wenn Reiter, Sattelzeug und Gepäck von Wasser trieft, so muß man erstaunen, wie es möglich war, mit den durch lange Strapazen, bei schlechtester Nahrung ohnehin schon herabgekommenen Pferden einen solchen Erfolg zu erreichen. Bemerkenswerth ist, daß unsere bayerischen Landpferde sich in diesem Kriege als besonders ausdauernd bewährten, namentlich die aus Niederbayern und der Nähe des Gebirges.

Am Morgen des 25. setzten wir uns gegen Ostrowno in Bewegung. Auf einer Zwischenstation in einem an der Düna liegenden Edelhofe hatte Prinz Eugen sein Quartier bestimmt. Ich ging mit den Equipagen und einer Abtheilung italienischer Gardedragoner voraus, denn ich trachtete, baldmöglichst aus dem Getümmel von Beszenkowicky herauszukommen. Dort angelangt, sahen wir am andern Ufer, das hier tiefer liegt, die Vorposten der Russen und Patrouillen der Kosaken sich hin und her bewegen. Dicht am andern Ufer lag ein Haus mit einem kleinen Garten, in welchem ein Offizier promenirte und uns beobachtete. Die Dragoner machten allerlei muthwillige und herausfordernde Pantomimen, einer aber kam gar auf den fatalen Gedanken, eine unliebsame Rückseite seines Körpers hinüberzukehren. Der Kosakenoffizier machte mit dem Säbel einige Bewegungen in der Luft und es währte nicht lange, so kamen Flintenschüsse herüber. Ich ging etwas beiseits, kniete mich hinter eine Birke und fing an, eine Zeichnung des Terrains zu machen. Aber kaum hatte ich recht begonnen, als mir eine Kugel dicht an der Nase vorbeipfiff und die Rinde des Baumes streifte, daß mir die Fetzen in das Gesicht flogen. Das Feuern wurde immer lebhafter und so sah ich mich genöthigt, nach dem Edelhofe umzukehren. Eben befand ich mich dort im Stalle, um nach meinem Pferde zu sehen, als eine Kanonenkugel durch[161] das Dach des Stalles schlug. Bei den Equipagen des Prinzen befanden sich drei bis vier sechsspännige Wagen; es war komisch, mit welcher Schnelligkeit diese eingespannt wurden und in voller Carrière querfeldein dem nächsten Walde zujagten. Ich blieb, um den Prinzen abzuwarten, der auch bald darauf mit seiner Suite vorüberkam, der ich mich anschloß. In aller Schnelle wurden drei Pferde italienischer Chasseurs, die ihn begleiteten, verwundet. Das Kleingewehrfeuer dauerte fort, während nur noch drei Kanonenschüsse fielen.

In raschem Laufe ging es nun auf einer breiten, von einer Allee schöner hoher Birken umsäumten Straße fort, bis man links von uns, diesseits der Düna Kosakenschwärme bemerkte. Prinz Eugen ließ eine Abtheilung italienischer Chasseurs vorrücken, um sie zu vertreiben. Es bot einen wehmüthigen Anblick, wie diese Reiter gleich einem Bienenschwarm durch ein unabsehbares Kornfeld, das sich über sanfte Hügel hinzog, herumfegten und die Hoffnung des Landmanns zertraten.

Während dieses Zwischenaktes hörte man plötzlich aus der Richtung gegen Ostrowno eine lebhafte Kanonade. Möglichst schnell ritten wir dorthin und befanden uns bald in den Wäldern, durch welche die Straße nach Ostrowno führt und woselbst sich ein heißer, sehr blutiger Kampf entsponnen hatte. Dieser entstand mehr zufällig als planmäßig: die Truppen geriethen ganz unvermuthet an einander und erkannten sich erst, als sie sich beinahe in das Gesicht sehen konnten. Die Franzosen, längst schon von Kampfeslust entbrannt, fielen mit solcher Wuth über die Feinde her, daß sie alles niederrannten, was sich ihnen in den Weg stellte. Besonders thätig war eines der tapfersten, das 8. Husarenregiment, welches den ersten Stoß machte. Es bildete den Vortrab und war ganz sorglos auf der Straße einhergezogen. Wohl hatte es links und rechts in den Wäldern Truppen gesehen, diese aber für Franzosen gehalten. So immer vorwärts rückend, standen sie plötzlich vor dem Feinde. Mit Wuth stürzten sie auf ihn; dieser hatte einige Geschütze auf der Straße postirt, welche anfangs eine fürchterliche Wirkung verursachten, aber sie wurden genommen, und[162] von einem panischen Schrecken ergriffen, stoben hier die Russen in wilder Flucht aus einander. Nach und nach kamen größere Truppenabtheilungen hinzu, und das Gefecht bekam eine bedeutendere Ausdehnung; es dauerte bis gegen Abend. Man stieß auf zahlreiche russische Colonnen, welche Stand hielten und ihre Stellung tapfer vertheidigten. Allein sie wurden bis hinter Ostrowno zurückgedrängt und verloren viele Leute an Todten, Verwundeten und Gefangenen, auch viel Kriegsmaterial, darunter einige Kanonen.

Die Russen, welche den ersten Stoß auszuhalten hatten, warfen nämlich bei ihrer Flucht alles von sich: Gewehre, Tornister, Patrontaschen, Kopfbedeckungen u.s.w. Eine bedeutende Strecke weit lag der Weg ganz bedeckt damit. Das aber kam nur hier vor: es wäre Unwahrheit, wenn man den Russen nicht Tapferkeit zugestehen wollte. Wo es zum Schlagen kam, stritten sie tapfer, und man mußte ihnen jede Strecke Landes mit Blut theuer bezahlen. Auch sah ich nur bei Ostrowno einen größeren Transport Gefangener in diesem Kriege, später wurden diese sehr selten. Der Donner der Geschütze schwieg mit Anbruch des Abends; überall gewahrte man die traurigen Spuren des blutigen Kampfes. Besonders große Verluste hatte das 8. Husarenregiment. Zerrissene Glieder lagen auf der Straße herum. Ich sah einen Husaren, dessen ganzer rechter Arm an der Schulter abgerissen sammt einem Theil seines Pelzes neben ihm lag. Einem andern war der obere Theil des Schädels so rein abgerissen, als wäre er künstlich abgesägt; das Gesicht blieb ganz unentstellt, das war nicht die Folge von Kartätschen, die man gewöhnlich gegen Cavallerie gebraucht, sondern von Vollkugeln, und die Wirkung mußte so furchtbar werden, weil die Cavallerie den Geschützen so nahe gekommen.

Das 7. und 8. Husarenregiment, größtentheils aus Elsässern bestehend, interessirte mich sehr der ganzen Haltung wegen; sie trugen die Haare noch wie zur Zeit der Republik, gescheitelt und in zwei rechts und links des Gesichts herunterhängenden Zöpfen, was ihnen ein äußerst pittoreskes Aussehen gab. Ihre[163] Uniform war dunkelgrün mit rothen Hosen. Sie hatten an diesem Tage Beweise von besonderer Entschlossenheit und Muth abgelegt und kamen auch den folgenden Tag wieder in das Treffen.

Der Anblick eines Kampfplatzes war mir nichts Neues mehr, dennoch aber versetzte mich der Rückweg bis zum Nachtquartier des Prinzen in sehr ernste Stimmung und gab mir reichen Stoff zum Nachdenken.

Eine breite, zu beiden Seiten mit hohen Birken begränzte Straße führt durch düstere, von Schluchten durchschnittene Tannenwälder, die von offenen Plätzen zuweilen unterbrochen sind, welche eine Aufstellung von größeren Truppenmassen gestatten, bis in die Nähe von Witebsk. Auf diesem schwierigen Boden schlug man sich zwei Tage mit der größten Erbitterung. Der heutige Tag, obwohl sehr blutig, war nur das Vorspiel des folgenden heißen Kampfes, der am nächsten Tage vom Morgen bis in die Nacht fortwährte. Die Russen hatten besonders die Straße mit großer Hartnäckigkeit vertheidigt. Hievon zeigten sich überall die Spuren. Es lag in meinem Wesen, den Schrecknissen des Krieges nirgends aus dem Wege zu gehen, obschon ich kein Wohlgefallen daran fand; aber ich wollte alles sehen, was mir zugänglich war. So ritt ich ruhigen Schrittes und ganz allein auf der Straße an den Leichnamen der Gefallenen und an den Schwerverwundeten still und nachdenkend vorüber. Der den ganzen Tag hindurch heitere Himmel hatte sich gegen Abend mit schweren grauen Wolken überzogen, ein lauer Wind spielte mit dem zitternden Laub der Birken, deren Rinde von den Kugeln zerfetzt war, oder wirbelte bisweilen eine Staubwolke in die Höhe. Eine unheimliche Stille, nur von dem Aechzen eines Sterbenden oder Schwerverwundeten unterbrochen, gab allem, was ich sah und hörte, inmitten dieser Wälder etwas Hochtragisches. »Ruhet sanft, ihr Gefallenen, die ihr überwunden habt! Ihr seid noch die Glücklicheren (sagte ich zu mir selbst), aber die armen Verwundeten! Welch ein schreckliches Loos wartet ihrer in diesem Lande, wo es an allem zu einer auch nur leidlichen Pflege fehlt!« Dieser Gedanke betrübte mich tief.[164]

Es war Nacht, als ich das Hauptquartier des Prinzen erreichte. Dieser war mit seiner Suite längst vorausgeeilt, während ich mich an verschiedenen Stellen mit Zeichnen verweilte, bis es zu dämmern begann. So endete der Tag der ersten Schlacht, der ich auf russischem Boden beiwohnte. Mit dem Morgengrauen des 26. setzten sich die Truppen in Bewegung und gegen 6 Uhr begann der Kampf. Prinz Eugen mit seinem Armeecorps befand sich auf dem linken Flügel am Saume eines Waldes. Zu unserer Linken zeigten sich auf einer tiefer gelegenen Ebene zahlreiche Kosakenschwärme, die aber durch Plänkler des 8. Husarenregiments rasch vertrieben wurden. Bald entspann sich zu unserer Rechten und auf der großen Straße der heftigste Kampf. Hier befand ich mich nun zum erstenmale inmitten einer Schlacht, einem heftigen Feuer ausgesetzt. Die Russen hatten den Vortheil, daß sie das Terrain, welches eine Truppenaufstellung zuließ, genau kannten, während uns dieses nicht möglich war. Man bekam häufig den Feind erst dann zu sehen, wenn man ganz nahe vor ihm stand; die Munition wurde in dem ganzen Kriege russischerseits nicht gespart, die Russen schleuderten auf's Gerathewohl ihre Wurfgeschosse nach allen Richtungen, wo sie einen Feind vermutheten. Im Bogen über und durch die Bäume sausten die Kugeln und rissen Aeste und Trümmer mit sich. Es gab keinen Platz, auf dem man dem Feuer nicht ausgesetzt gewesen wäre, überall regnete es Kugeln.

Nach und nach entbrannte der Kampf mit größter Heftigkeit. Es war im eigentlichen Sinne des Wortes ein Schlachtgetümmel, da sich alles auf engem Raume zusammendrängen mußte, die Russen mit beispielloser Hartnäckigkeit ihre Stellungen vertheidigten, die Franzosen mit Löwenmuth fochten. Stundenlang wogte der Kampf ohne Entscheidung hin und her. Die Cavallerie, welche trotz der großen Terrainschwierigkeiten, von Murat viel verwendet wurde, hatte besonders schweren Stand. Das tapfere 7. und 8. Husarenregiment mußte mehrmals dem ungestümen Andrange der Russen weichen, auch ein polnisches Regiment Lanzenreiter wandte sich zur Flucht und veranlaßte dadurch Unordnung in unseren Reihen.[165]

Sehr heftig tobte der Kampf auf der großen Straße, in deren Nähe sich Eugen befand. Im Sturmschritte drang die Infanterie vor, und immer neue Colonnen wurden in das Treffen geführt und von Cavallerie unterstützt. Hier sah ich Murat sehr nahe in seiner von heftigem Kampfe und Widerstand entbrannten Wildheit. Fluchend und scheltend tobte er hin und her, um die Truppen in das Feuer zu hetzen, war bald da, bald dort, er schien zu fliegen und sein edles Pferd schäumte. Einen recht sonderbaren Contrast zu ihm bildete der edle Prinz Eugen. Ich sah ihn hier und auch später im Feuer mit der größten Ruhe und Besonnenheit. Immer behielt er eine ernste, edle Haltung, nur ein Unrecht oder etwas, das sich mit der Soldatenehre nicht vertrug, konnte seinen Unwillen erregen; aber eben diese Eigenschaften waren es, welche allen, die unter seinen Befehlen standen, Liebe, Vertrauen und Anhänglichkeit einflößten. Dies zeigte sich im schönsten Licht zur Zeit der höchsten Noth, denn als Napoleon und Murat auf dem Rückzuge die Armee verlassen, war er allein noch im Stande, die entmuthigten Ueberreste zusammenzuhalten. Napoleon sagte damals von ihm: »Eugen war der einzige, der den Kopf nicht verloren hat.« Er hätte wohl hinzufügen dürfen: »auch nicht die Liebe der Soldaten!«

Der Kampf in diesen unheimlichen Wäldern dauerte lange Zeit mit abwechselndem Glücke der Waffen fort, bis endlich die Russen, aus den Wäldern verdrängt, zum Weichen gebracht und ein Theil der großen Straße zum Vorrücken frei wurde. Von einer Entscheidung der Schlacht aber konnte noch keine Rede sein, das Terrain bestand nämlich bis über Witebsk hinaus aus Anhöhen, Thälern, Schluchten und Waldungen, die den Russen Gelegenheit zu vortheilhaften Stellungen boten und den Feind häufig unsern Augen verbargen. Es kostete große Opfer, sie jedesmal aus diesen Stellungen zu verdrängen, und jeder Schritt vorwärts mußte schwer erkämpft werden. Schon gegen vierzehn Stunden hatte mehr oder minder lebhaft der Kampf gedauert, als Eugen und Murat sich auf einer Anhöhe befanden, von der man eine offene und weite Aussicht auf die neue, drohende[166] Stellung der Feinde hatte. Die Schlacht war zum Stehen gebracht und der Tag neigte sich bald zu Ende, als plötzlich von weiter Ferne her ein lautes, immer näher kommendes Rufen ertönte. Napoleon erschien und die Soldaten jauchzten ihm ihr gewohntes: »Vive l'empereur!« zu. Eugen und Murat ritten ihm entgegen und alle drei begaben sich zusammen auf die vorgenannte Anhöhe. Napoleon beobachtete die Stellung des Feindes und machte Dispositionen zu einem neuen Angriffe. Er ließ den General d'Anthouard, Chef der Artillerie des 4. Armeecorps, zu sich rufen und befahl, alle in diesem Augenblicke verfügbare Artillerie vorrücken zu lassen. Mit unbegreiflicher Schnelligkeit wurde dieser Befehl vollzogen. Von jener Anhöhe aus war es imposant zu sehen, wie dreißig bis vierzig Geschütze mit allen ihren Munitionswagen und der Begleitung von reitenden Artilleristen durch eine weite Thalebene die Hügel hinan stürmten. Vor Einbruch der Nacht erhob sich nun eine fürchterliche Kanonade, welche die gewünschte Wirkung hervorbrachte. Die Russen wichen und zogen sich in die Wälder zurück, an die sie ihre Stellung angelehnt hatten. Man schlief auf dem Schlachtfelde, Prinz Eugen und Murat in einem elenden Hause, Napoleon unter seinem Zelte.

Mein seit Jahren gehegter Wunsch, einmal eine Schlacht in der Nähe zu sehen und mich mitten in ihr zu befinden, war nun erfüllt; ich sah in diesen zwei Tagen so vieles, um Stoff zur Schlachtenmalerei für ein ganzes Leben zu haben. Nebenbei hörte ich diesmal die Kugeln ordentlich pfeifen, ließ mich aber dadurch im Zeichnen nicht beirren. Ich besitze noch Zeichnungen, welche ich in Mitte des Kampfes machte, mit der eigenhändigen Unterschrift des Prinzen Eugen. An seinem Hofe war ich der einzige Deutsche, und obwohl ich von den Offizieren und Adjutanten, welche den Prinzen umgaben, freundlich behandelt wurde, so konnten sie es doch nicht lassen, mich lange vor Beginn der Feindseligkeiten zu necken: »Jetzt ist unser Adam immer bei der Hand, wenn aber einmal die Kugeln geflogen kommen, wird man ihn suchen müssen.« – »Wartet nur,« dachte ich, »ich will euch zeigen, daß ein deutsches Herz so viel[167] werth ist, als ein französisches.« Als an dem oben geschilderten Morgen die ersten Kanonenkugeln in unserer Nähe einschlugen, sagte ein Adjutant, der ziemlich bleich aussah: »Eh bien, Mr. Adam, comment trouvez-vouz ça!« Ich antwortete ganz trocken: »Ich finde, daß wir uns in einer Schlacht befinden.« Einige Stunden später, in einer sehr mißlichen Lage, kam ein anderer in guter Absicht zu mir und sagte, ich möchte mich doch zurückbegeben, das sei kein Platz für mich. Ich antwortete, daß ich mein Leben nicht höher anschlage, als das des Prinzen, und wenn man Schlachten malen wolle, müsse man sie gesehen haben; ich würde meinem Gebieter überallhin folgen, wenn es nicht sein ausdrücklicher Befehl sei, daß ich zurückbleibe. Von dieser Seite hatte ich jetzt Ruhe, von Seite des übrigen Hauspersonals hatte ich aber mit manchen Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Es erregte dessen Eifersucht, mich fast Tag und Nacht in der unmittelbaren Nähe des Prinzen zu wissen. Auch schien ich zum Theil diesen Leuten eine sehr überflüssige Persönlichkeit zu sein. Es stand deßhalb jetzt schon der Vorsatz in mir fest, bis zu einer großen Entscheidung auszuharren, sei es in Moskau, Petersburg oder wo immer, dann aber unter jeder Bedingung zurückzukehren.

Gegen Abend kam ich noch in eine fast komische Verlegenheit, so ernst die Sache auch war. Ich hatte mich etwas mit Zeichnen verweilt und den Prinzen aus dem Gesicht verloren. Ihn zu suchen, ritt ich eine Anhöhe hinauf, als plötzlich von einer hinter derselben stehenden russischen Batterie das Feuer begann und die Kugeln mir über den Kopf flogen. Ich wollte umkehren, aber mein Pferd widersetzte sich und wollte die Straße verfolgen. So raufte ich mich mit dem widerspenstigen Thiere herum. Endlich kam General Triaire herangeritten und sagte lachend: »Sie scheinen hier Reitschule zu halten! Ein hübscher Platz dazu! Wo haben Sie denn den Prinzen gelassen?« Ich sagte, wo ich ihn verloren und daß ich ihn jetzt eben suche. »Kommen Sie mit mir, hier können wir uns nicht verweilen.« Mein Pferd, welches nun einen Kameraden hatte, ging folgsam mit und bald fanden wir den Prinzen, welcher[168] abermals dem feindlichen Feuer ausgesetzt war. Außer mehreren interessanten Momenten der Gefechte an diesem Tage, welche ich nur mit flüchtigen Strichen zu entwerfen Zeit fand, gelang es mir zuletzt noch, mit mehr Ruhe eine Zeichnung von Napoleon, Murat und Prinz Eugen auf jener Anhöhe zu machen, woselbst der Kaiser die letzten Dispositionen zur Beendigung der Schlacht traf und dann seine Soldaten an sich vorüberziehen ließ.

Seit wir den Niemen überschritten, beschäftigte ein Gedanke, eine Hoffnung, ein allgemeiner Wunsch den Kaiser und seine ganze Armee: der Gedanke an eine große Schlacht! Nach einer Schlacht sehnte man sich, wie die bei Austerlitz, Jena, Marengo, durch sie hoffte man auf Erlösung aus dem elenden Zustande, in dem sich die Armee schon seit zwei Monaten befand und der ihre Reihen schon bedeutend gelichtet. Man sprach von einer Schlacht, wie von einem großen Feste, freute sich auf sie und ließ den Kopf hängen, so oft man sich in der Erwartung getäuscht sah. So neuerdings bei Witebsk.

Das schien kein Krieg wie in Italien und Deutschland, wo es möglich war, auf einem von Natur begünstigten Boden, unter civilisirten Menschen, welche die Armee ernährten und verpflegten und das Kriegführen selbst erleichterten, mit größter Schnelligkeit in die Hauptstadt des Reiches vorzudringen und durch das Genie des Feldherrn den Feind mit einem großen Schlag zu besiegen.

In diesem unermeßlichen Reiche aber, bei der ungeheuern Entfernung der Hauptstädte und dem Mangel aller Hilfsquellen für Verpflegung einer so großen Armee traten unübersteigliche Hindernisse einer baldigen Entscheidung des Krieges durch einen kühnen Schlag entgegen, wenn die Russen nicht selbst die Gelegenheit dazu boten, und diese wußten sie stets geschickt zu vereiteln. Am 27. Juli standen wir vor Witebsk und erst am 7. September wurde die heiß ersehnte Schlacht geschlagen. Also noch volle sechs Wochen führten die Russen die an sich schon ermüdete Armee Napoleons im Lande herum, bis sie ganz ermattet und schon auf die Hälfte zusammengeschmolzen[169] auf dem großen Kampfplatze zu Vorodino ankam. Welch ein peinlicher Zustand für diese stolze Armee!

Noch ein anderer Wunsch beseelte die Soldaten. Durch die langen beschwerlichen Märsche und Kämpfe bei der Ungunst des Wetters fehlte es außer an Nahrungsmitteln noch an einer Menge von Dingen, welche man im gewöhnlichen Leben gering achtet, weil man sich mit wenig Geld selbe leicht verschaffen kann. Hier aber waren sie um keinen Preis zu haben; Nadel, Faden, Scheere, Messer, Feuerzeug, Rock- und Hosenknöpfe und andere unscheinbare Dinge bekamen einen unschätzbaren Werth, der zerrissenen Schuhe, Kleider und Wäsche gar nicht zu gedenken. Da man in Rußland nicht wie in unserm Deutschland fast mit jeder Stunde eine wohlhabende Ortschaft traf, die wenigen auseinander liegenden Orte aber verlassen oder zerstört waren, eine Stadt eine sehr seltene Erscheinung blieb, so hoffte man von Tag zu Tag eine solche zu erreichen, um das viele Fehlende wenigstens einigermaßen ersetzen zu können. Sah man aber in der Ferne die Thürme einer größeren Ortschaft, so kam der Befehl, daran vorüber zu ziehen, da der Kaiser den Platz für seine Garden bestimmte! So geschah es bei Wilna, so auch bei Witebsk; das erregte bei Offizieren und Soldaten böses Blut.

Nach den lebhaften Gefechten bei Ostrowno am 25. und 26. Juli und dem hartnäckigen Widerstande der Russen zählte man mit Sicherheit auf eine entscheidende Schlacht. Deßhalb setzte sich am 27. mit Tagesanbruch alles in Bewegung, auch selbst der Kaiser. Bald gelangten wir durch die Wälder auf die große offene Hügelreihe, welche Witebsk umgibt und ein recht schönes Panorama bildet. Auf einem dieser Hügel liegt die ansehnliche Stadt, die, von vielen Kirchen und Thürmen geziert, von den Strahlen der Morgensonne beleuchtet, einen freundlichen Anblick bot. Auf der ausgedehnten, von vielen, mitunter tiefen Schluchten durchschnittenen Hügelreihe sahen wir die russische Armee in Schlachtordnung aufgestellt: ein erfreulicher Anblick für Napoleon und seine Armee. Die Russen boten aber auch hier keine Schlacht, was ich als Maler sehr bedauerte, denn das ganze Terrain hatte überhaupt etwas[170] Reizendes und höchst Abwechselndes in seinen Linien und würde reichen Stoff zu schönen Gemälden geboten haben. Es wurde nur an einigen Punkten mit Heftigkeit gekämpft, aber schon gegen 11 Uhr Vormittags das Feuer von beiden Seiten eingestellt, und nur das Knattern des Kleingewehrfeuers, womit an den zum Theil bedeckten Schluchten die Plänkler von beiden Seiten sich neckten und einander im Schach hielten, dauerte noch lange Zeit fort.

Napoleon hatte sich auf einer Anhöhe mit ziemlich weiter Aussicht unter einer Baumgruppe niedergelassen und mit einigem Wohlbehagen sein Gabelfrühstück eingenommen. Prinz Eugen und mehrere Generäle umgaben ihn. Er war dem Geplänkel so nahe, daß einige russische Flintenkugeln bis in seiner Nähe fielen.

Nach seinem Frühstück setzte der Kaiser sich zu Pferde und recognoscirte das Terrain in Begleitung einer zahlreichen Suite. Diese aber mußte mehr als 150 Schritte hinter ihm zurückbleiben, um bei dem Feinde kein Aufsehen zu erregen. Ich zog mir von einem Adjutanten hiebei einen Verweis zu, weil ich, durch verschiedene Beobachtungen zerstreut, zu weit vorangegangen war.

Die Hitze erreichte an diesem Tage einen Grad, der unerträglich wurde und alles niederdrückte. Prinz Eugen legte sich in Mitte der italienischen Garde auf dem Schlachtfelde nieder. Mit Hilfe seines Mameluken und einiger Soldaten bereitete ich, um ihm einigen Schatten zu verschaffen, eine Hütte aus belaubten Zweigen, in der er mehrere Stunden ruhig schlief. Die eingetretene Pause war Jedem willkommen; wer es thun konnte, gab sich der Ruhe hin. Es herrschte eine eigenthümliche Stille über der Gegend, bis die Sonne sich zum Untergange neigte und uns ein neues, höchst imposantes Schauspiel bereitete. In einer wahren Gluth lag Witebsk und das russische Lager vor unsern Augen; der ganze Horizont schien im Westen mit einem Goldton überzogen. Dazu brannte es in der Stadt und an drei bis vier andern Orten; zuletzt gerieth noch ein Kornfeld in Brand und aller Rauch dieser verschiedenen[171] Flammen, der himmelhoch emporwirbelte, erhielt durch den feurigen Sonnenuntergang eine glühend rothe Farbe. Das Alles bot ein schauriges, aber prächtiges Bild, welches die Aufmerksamkeit selbst der gemeinen Soldaten auf sich zog. Es war, als ob die Erde sich in ein Feuermeer verwandeln wollte. Prinz Eugen bedauerte, daß solche Lichtwirkungen außer dem Bereiche der Malerei liegen, um sie mit gutem Erfolge durch die Farbe darzustellen.

Mit diesem Sonnenuntergang war also wieder eine Hoffnung verschwunden und man erwartete die Entscheidungsschlacht auf den folgenden Morgen und sah das, was heute geschehen, als Vorspiel dazu an. Mir jedoch wollte bedünken, daß die Illumination des Abends keine gute Vorbedeutung sei. Der Gedanke, daß die Russen ihre Magazine angezündet, lag sehr nahe, doch ließ man ihn nicht laut werden. Die Enttäuschung kam ohnehin früh genug.

Der Morgen brach an, ein dichter Nebel umschleierte die Ferne, man stieg auf hohe Punkte, guckte, horchte, lauschte, aber man sah und hörte nichts von dem Feinde. Es herrschte feierliche Stille. Endlich senkte sich der Nebel, aber der Feind wurde nicht sichtbar. Er war verschwunden und zwar in solcher Ordnung, daß man vierundzwanzig Stunden lang keine Spur entdecken konnte. Es schien wirklich, als ob die Natur selbst sich gegen Napoleon verschworen hätte, denn bei der anhaltend trockenen Witterung war dichter Nebel eine sehr seltene Erscheinung.

Ohne alle Hindernisse überschritten wir jetzt die zwischen uns, Witebsk und den Hauptstraßen liegenden Schluchten. Napoleon ritt mit seinen Garden in das verlassene Witebsk ein, die übrigen Truppen mußten daran vorüberziehen.

Prinz Eugen, stets ein Muster ritterlichen Charakters, hätte sich in die Stadt begeben können, allein er zog vor, bei seinen Soldaten zu bleiben und die Beschwerden des Marsches bei einer fast unerträglichen Hitze und einem wahrhaft peinlichen Staube mit ihnen zu theilen. Einige Zeit saß er an einer aus Holz erbauten, an der Straße befindlichen Kirche mit[172] Murat und ließ die großen, ganz in Staubwolken eingehüllten Cavalleriemassen an sich vorüberziehen. Diese gewährten einen geisterhaften Anblick: Gesichter, Uniformen, Pferde, alles hatte nur eine Farbe, die des Staubes. Nachdem Murat sich entfernt hatte, legte sich der Prinz nieder, bedeckte sein Gesicht mit einem Tuche und schlief von der Hitze ermattet ein; in ehrerbietigem Schweigen zogen die Soldaten an ihm vorüber, sie alle kannten und liebten ihn.

Napoleon hatte Witebsk noch denselben Tag verlassen, um den Feind aufzusuchen, kehrte aber Tags darauf unverrichteter Dinge dorthin zurück. Die Nacht vom 28. auf den 29. schlief der Kaiser, König Murat von Neapel und Eugen jeder in seinem Zelt und Tags darauf schlug Letzterer mit dem 4. Armeecorps den Weg nach Surash an der Düna ein, wo wir zeitlich anlangten und erträglich gute Quartiere fanden.

Hier verweilten wir zehn Tage und setzten uns sodann den Dnieper hinauf gegen Smolensk in Bewegung. Während dieser Ruhe überfiel eine neue Plage die Armee: die Ruhr. Sie trat so heftig auf, daß viele starben und die, welche sie überstanden, in die größte Ermattung fielen.

Unter diesen Umständen hatte man Gelegenheit, die Erfahrung zu machen, welch großes Bedürfniß für den Menschen der Genuß des Brodes ist, oder eines wenigstens annäherungsweise ähnlichen Nahrungsmittels, wie z.B. Hülsenfrüchte, Reis u.s.w. Schon seit sechs Wochen herrschte allgemeiner Mangel, ja mehrere Corps litten gänzlich daran, und gerade diese Truppen wurden bei der bloßen Fleischnahrung so elend, daß sie auf den Märschen oft aus Ermattung zusammenbrachen. Diese Unglücklichen waren auch der Ruhr am meisten ausgesetzt.

Nachdem ich schon seit länger als einem Monate höchst selten aus den Kleidern kam, die liebe Mutter Erde und höchst ausnahmsweise ein wenig Stroh mein Bett war, fühlte ich mich in einer armen Hütte unter Dach und Fach sehr behaglich; sie galt unter den damaligen Verhältnissen als ein gutes Quartier.

Hier machte ich mich daran, die Skizzen, welche ich in den[173] letzten Kämpfen von Beszenkowicky bis Witebsk oft nur mit flüchtigen Strichen entwerfen konnte, ein wenig ins Reine zu zeichnen. Der Prinz ging mit großem Interesse meine Mappen durch, theilte mir seine Bemerkungen mit und schrieb auch hie und da mit eigener Hand darunter, wodurch die Zeichnungen eine Art Authentica erhielten. Es kam mir dies in spätern Jahren bei Ausführung dieser Gegenstände in Bildern selbst nach dem Tode meines Gebieters sehr gut zu statten, denn es schützte mich vor ungeeigneten Zumuthungen, denen der Schlachtenmaler oft ausgesetzt ist. Von einem Hauptmomente des hitzigen Kampfes im Walde bei Ostrowno am 26. Juli machte ich ein ziemlich ausgeführtes Aquarell, welches dem Prinzen viele Freude bereitete und das er seiner Schwester Hortensia sandte.

Mir bekam diese Zeit der Ruhe, in der ich mich mit Liebe nur künstlerischer Thätigkeit hingeben konnte, sehr wohl: ich war heiter, gesund und blieb von der Ruhr gänzlich verschont.

Erst hier langte der Pferdetransport, mit dem ich von München abreiste, im Hauptquartiere an. Einer der Stallleute war unterwegs gestorben. Den alten sechzigjährigen Thierarzt, der alles wohlbehalten hergebracht und auf dem Marsche entsetzlich viel Beschwerden ausgestanden, machte ich aufmerksam, sich zu melden, um mit einem Courier, welcher soeben nach Mailand abging, die Rückreise machen zu dürfen. Allein der alte, umständliche und unbehilfliche Mann verpaßte die Gelegenheit und wurde ohne allen Zweck bis Moskau mitgeschleppt.[174]

Quelle:
Adam, Albrecht: Aus dem Leben eines Schlachtenmalers. Stuttgart 1886, S. 145-175.
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