Berliner Freundeskreis

[103] Diese ersten Jahre meiner Tätigkeit an den Berliner Museen, die mir so viel Arbeit, Ärger und Aufregungen brachten, waren gerade dadurch und weil ich mich in keiner Weise schonte, noch durch Verschlimmerung meines alten Kopfleidens getrübt. Mein Zustand wurde so schlecht, daß ich, gleich nachdem der Ankauf der Suermondt-Sammlung abgeschlossen war, auf ein Vierteljahr Urlaub nehmen mußte. Ich ging zuerst auf längere Zeit nach Göttingen in die Kur bei meinem verehrten alten Arzt, Professor Hasse, und später zur Nachkur nach Albisbrunn. Ich verdanke der Kur, daß dieses Leiden oft auf Jahre ganz verschwand und, wenn es sich wieder einstellte, stets in milderer Form als einfache Flimmermigräne ohne die früher damit verbundenen Krämpfe auftrat.

Diese mancherlei Plagen und Sorgen, an denen ja die Jugend weniger schwer trägt, wurden mir durch einen sehr angenehmen geselligen Verkehr noch erleichtert. Schon während meiner Studienzeit als Jurist hatte ich in Berlin nahe Verwandte meines Vaters aufgesucht, die Geschwister Bruns: den bekannten Pandektisten Georg Bruns, seinen älteren Bruder, den Bibliothekar Theodor Bruns, der als Junggeselle mit seiner Schwester zusammen wohnte, und eine Schwester von ihnen, die mit dem Stadtrat Dr. Stort verheiratet war. Sämtliche Geschwister waren sehr musikalisch, bei ihrem Zusammensein wurde regelmäßig Quartett gespielt, Theodor war[103] sogar Cellist im Quartett der Gebrüder Müller, später im Joachimquartett. Er zeichnete sich durch große Belesenheit und allgemeine Bildung aus, während Georg, eine außerordentlich lebendige und anregende Natur von gleicher Liebenswürdigkeit wie sein älterer Bruder, schwärmerischer Verehrer der klassischen, namentlich der italienischen Kunst war. In ihrem gastlichen Hause war ich stets willkommen, seitdem ich als Kunsthistoriker in Berlin wieder eingezogen war und dauernd mich dort niederließ.

In einen anderen Kreis war ich gleichzeitig durch meinen Freund und Landsmann Rudolf Henneberg gekommen. Der Mittelpunkt dieses Kreises war das Haus von Professor Gustav Spangenberg, dessen biedere, brave Art, vereint mit dem bestechenden, impulsiven Wesen seiner Frau, namentlich auf alle jüngeren Leute besonders anziehend wirkte. Trotz des tragischen Geschicks, durch das ihnen in der Mitte der siebziger Jahre von fünf blühenden Kindern plötzlich die vier ältesten entrissen wurden – der bekannte »Zug des Todes« in der National-Galerie ist die künstlerische Tat, durch die der unglückliche Vater sich von dem furchtbaren Bann dieses Schlages loszu ringen suchte –, blieb dieses Haus dem weiten Kreise der Freunde immer offen, bis 1887 der Tod Gustav Spangenbergs ihn gewaltsam trennte.

In diesem gastlichen Hause versammelte sich Sonntag abends regelmäßig zugleich ein Teil der Gesellschaft jüngerer und älterer Junggesellen, mit denen ich seit 1874 (bis zu meiner Verheiratung 1882) an dem Mittagstisch im Hotel Magdeburg in der Mohrenstraße teilnahm. Unsere Tafelrunde bestand aus etwa zehn bis zwölf ständigen Mitgliedern, deren Senior der spätere Direktor der Seewarte, Professor Neumayer, war, ein durch seine jugendliche Begeisterung, seine Gutherzigkeit, sein zielbewußtes Streben und sein vielseitiges Wissen gleich ausgezeichneter Mann. Durch ihn waren Professor von Richthofen, der bekannte Chinaforscher, ein vornehmer, zurückhaltender Mann von feinem Geist und energischem Streben, Gustav Nachtigall, mein langjähriger Tischnachbar, Geheimrat[104] Schraut, der spätere Finanzminister von Elsaß-Lothringen, sowie eine Anzahl jüngerer Generalstabsoffiziere eingeführt worden, die sich um den älteren General Müller, den Reformator unserer Belagerungsartillerie, scharten: die späteren Generale Hamerling, von Hugo, Siemens, von Weise und andere. Zu ihnen gesellten sich fast täglich, oft für Wochen und Monate, Freunde und Genossen, wie die Reisenden Dr. Schweinfurth, Dr. Pogge und namentlich an dere Offiziere des Generalstabes. Durch die verschiedenartigen Interessen, die diese Herren vertraten, wie durch ihre vielseitige Bildung war das Beisammensein in ein oder zwei Mittagsstunden für uns alle die angenehmste und anregendste Erholung von der einförmigen Alltagsarbeit mit ihren Sorgen und ihrem Ärger.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 103-105.
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