[128] Inzwischen reiften im Frühjahr 1876 nach und nach die Erwerbungen an Renaissancebildwerken, die ich im Spätherbst eingeleitet hatte. Es gelang mir der Ankauf des köstlichen (damals auch in seiner Einrahmung noch ganz intakten) Sebastiansaltares von Antonio Rossellino in der Collegiata zu Empoli zum Preise von 60000 francs. Der Graf und die Kommission gaben ihre Zustimmung. Da der Altar zwar Privateigentum einer vornehmen toskanischen Familie, aber in der Kirche aufgestellt war, machte die Erlangung der Ausfuhrerlaubnis Schwierigkeiten. Doch nach einiger Zeit sandte unser Unterhändler Bardini eine Depesche, daß der Altar verpackt sei und sofort abgehen müsse; wir möchten ihm Auskunft geben, wie er geschickt werden solle. Diese Depesche hatte Bardini an »Direttore Generale Bode« aufgegeben. Zufällig sah sie Graf Usedom, als sie ankam, öffnete sie entrüstet – »noch sei er Generaldirektor!« – und legte sie, nach seiner Art, zu den unerledigten Schriftstücken, die sich zu ganzen Stößen in seinem Arbeitszimmer aufzuhäufen pflegten, ohne mir etwas mitzuteilen. Natürlich vergaß er die Sache, und nach einigen Wochen erhielt ich von Bardini folgende Mitteilung: die Entfernung des Altars sei bei einer Feier in der Kapelle entdeckt worden, die Gemeinde habe Lärm geschlagen, der Besitzer darüber einen schweren Schlaganfall bekommen – kurz, der Altar sei ihm entgangen und das Schlimmste von allem, er habe die schöne Provision dabei eingebüßt! Daß Bardini mit der Absendung zögerte und dann wochenlang nichts von sich hören ließ, erklärt sich aus seiner jugendlichen Unerfahrenheit. Dieser so außerordentlich kunstsinnige und geschickte Unterhändler, dessen Skrupellosigkeit ihn zum Helden[128] eines Räuberromans gemacht hat, war damals noch ein Anfänger ohne alle Mittel.
Ehe dieser Ankauf so elend zuschanden wurde, hatte ich micb in Paris überzeugen müssen, daß uns eine andere wichtige Erwerbung, die ich im Winter von Florenz aus betrieben hatte, mißglückt war. Der Antiquar Vincenzo Ciampolini hatte mir ein stattliches Madonnenrelief in Marmor von Mino da Fiesole in Pisa nachgewiesen, dessen Preis wir erst nach langem Handeln auf 5000 Lire herabdrücken konnten. Graf Usedom, dem ich wiederholt darüber Bericht erstattete, fand keine andere Antwort als das Gewohnte: toujours photographier, jamais conclure! Auch in Berlin konnte ich ihn, da die Besitzer die Herstellung einer Photographie verweigerten, zu keiner Entscheidung bringen. Zu meinem Erstaunen fand ich das Relief einige Monate später in Paris im Besitz von M. Gavet, eines marchand-amateur, der es eben von einem Verwandten des Besitzers um 35000 francs erworben hatte.
Durch diesen Kauf und dadurch, daß nun die Aufmerksamkeit der Pariser Sammler wieder auf den italienischen Kunsthandel gerichtet war, schnellten die Preise für Renaissancebildwerke rasch in die Höhe. Noch vor dem Krieg 1870 hatten sie so gut wie gar keinen Wert gehabt. Konnte doch Waagen 1842 in Florenz die kostbare Marmorbüste der Marietta Strozzi von Desiderio noch um etwa 140 francs erwerben, deren verstümmelte Replik Pierpont Morgan etwa 65 Jahre später mit fast einer Million francs bezahlte! Sir Charles Robinson hatte 1858/59 die ganze Sammlung Gigli-Campana, den Hauptbestandteil der trefflichen Kollektion italienischer Renaissanceskulpturen im Victoria- und Albert-Museum, für 2000 £ an sich gebracht, darunter allein ein halbes Dutzend hervorragender Werke Donatellos. Der Pariser Antiquar Eugène Piot, ein Mann von feinstem Geschmack und gutem Auge, dazu von echt wissenschaftlichem Sinn, den er in seinem vornehmen Legat an die Académie de France bekundete, hat noch in den sechziger Jahren das meiste, was die französischen Privatsammlungen an italienischen Renaissancebildwerken enthalten, für wahre[129] Spottpreise angekauft. Auf ihn geht namentlich auch die Bildung der reichen Sammlung Timbal zu rück, die 1870/71 während der Belagerung um 100000 francs an Gustave Dreyfus überging; sie stellt jetzt fast den hundertfachen Wert dar! Ein Meisterwerk dieser Galerie, die imposante Marmorbüste des verwachsenen Diotisalvi Neroni von Mino, hatte Piot, wie man sagt, ausnahmsweise sogar um 45 Lire in der Badia zu Florenz gekauft, zu deren Gönnern Diotisalvi, der elende Verräter an Piero de Medici, einst gehörte. Eine ähnliche Summe zahlte der alte Pulzky, der damals als Verbannter in Florenz lebte, für einige feine Tonarbeiten und Bronzen, die sich heute im Kaiser-Friedrich-Museum, im Louvre und in der Sammlung Figdor in Wien befinden. Mit solchen und ähnlichen Preisen hatte es jetzt ein Ende, auch in Italien. Wir schätzten uns glücklich, wenn wir Werke dieser Art um das Zehn- oder selbst um das Hundertfache erwerben konnten; waren doch die Bildwerke der Renaissance im Privatbesitz bereits gezählt.
Eine andere noch hervorragendere Erwerbung, die damals durch den Grafen Usedom vereitelt wurde, war der Ankauf der bemalten Tonbüste des Niccolo Uzzano von Donatello. Ich hatte die Anschaffung dieser Büste im Besitz des Grafen Capponi-Uzzano durch einen Unterhändler im Winter 1875/76 so weit eingeleitet, daß bald nach meiner Rückkehr ein festes Angebot zu 13000 Lire erfolgte. Trotz aller Bemühungen und obgleich Dr. Conrad Fiedler sich erbot, die Büste eventuell zu übernehmen, war der Generaldirektor nicht zu einer Entscheidung zu bewegen. Noch einmal, sechs oder sieben Jahre später, fand sich Gelegenheit zum Erwerb dieses ausgezeichneten Porträtwerkes Donatellos. Damals hatte Dr. Bayersdorfer für sich den Kauf durch den Antiquar Pacini zu 27000 Lire gesichert und bot mir die Büste telegraphisch an. Ich antwortete ihm sofort, daß ich sie mit Dank akzeptiere, daß ich ihn aber dringend bäte, Bardini gleich zu benachrichtigen und ihm eine Entschädigung zuzusichern, da er von mir Auftrag habe, wegen Ankaufs der Büste zu unterhandeln. Bayersdorfer hatte aber gerade Bardini ein Schnippchen schlagen wollen.[130] Er benachrichtigte ihn daher nicht, dieser erfuhr jedoch durch seine Spione im Hause Capponi sofort vom Handel und zeigte ihn der Regierung an, welche die Büste daraufhin vorläufig mit Beschlag belegte. Vor der Übernahme zu 27000 Lire scheute man doch zurück; wer garantiere denn, daß die Büste von Donatello sei. Um sein Mütchen zu kühlen, brachte es Bardini, obgleich er fast alles, was er bis dahin erreicht hatte, meiner Vermittlung verdankte, fertig, meine Korrespondenz über die Büste, in der ich sie als ein Hauptwerk Donatellos bezeichnet hatte, dem Generaldirektor der Florentiner Museen vorzulegen. Daraufhin wurde sie schließlich erworben und im Bargello aufgestellt – sehr ehrenvoll für mich, aber sehr betrübend für unser Museum.
Dir Kronprinzlichen Herrschaften waren über die unersetzlichen Verluste, die Graf Usedom damals den Museen aus bösem Willen, Unverständnis oder Bummelei zufügte, sehr aufgebracht; hatten sie doch alles darangesetzt, um diese und ähnliche Ankäufe zustande zu bringen. Gelegentlich machten sie uns durch ihre Beziehungen auf Stücke aufmerksam, die wir nicht kannten. So verdankt ihnen das Museum die bemalte Tonbüste eines jungen Bologneser Edelmannes von einem Meister in der Richtung des Francia. Die Frau Kronprinzessin hatte sie bei dem Besuch einer Verwandten in Bologna, der Marchesa Pepoli, Schwester des Fürsten von Hohenzollern, entdeckt, deren Gatte die Büste als Haubenstock für seine Perücke zu benutzen pflegte. Sie hätte sie am liebsten selbst erworben, da aber die Familie Pepoli, einst die vornehmste und reichste in Bologna, mit Glücksgütern keineswegs gesegnet war, wünschte der Kronprinz, daß die Büste mit ihrem höchsten Wert bezahlt werde. Wir haben sie schließlich, nachdem Graf Usedom den Ankauf fast ein Jahr verhindert hatte, um den damals hohen Preis von 13000 Lire erworben. Gelegentlich der wiederholten vergeblichen Anstrengungen, die Zustimmung des Generaldirektors für diesen Ankauf zu erhalten, erzählte mir die Kronprinzessin, wie abscheulich der Graf mit ihr umgegangen sei. In einer Abendgesellschaft[131] bei der Kaiserin habe sie ihn auf die Büste angeredet. Er sei ihr darauf grob über den Mund gefahren: »taceat mulier in ecclesia«, Damen sollten sich nicht in Geschäfte mischen, am wenigsten in Kunstangelegenheiten; sie seien immer elende Dilettantinnen – und das habe sie sich in offener Gesellschaft sagen lassen müssen! »Und über Sie«, fügte sie hinzu, »ging es ebenso her; Sie machten ihm das Leben so schwer, bloß weil Sie selbst seinen Platz haben wollten, und früher hat er behauptet, mein guter Graf Seckendorff wolle sich an seine Stelle setzen.« – Wie wenig Graf Usedom doch unser Interesse für die Museen zu würdigen wußte! An Graf Seckendorff ist die Aufforderung, ob er die Stellung als Generaldirektor übernehmen wolle, erst dreißig Jahre später gekommen. Er hat sie abgelehnt, weil er sich den mannigfachen Anforderungen der Stellung nicht gewachsen fühlte. Und mir selbst war ein solches Verwaltungsamt so wenig sympathisch, daß ich durch zwanzig Jahre zweimal ähnliche Anträge von vornherein abgelehnt habe, um unseren Generaldirektor Schoene zu stützen, und erst 1905 zu der Übernahme fast gezwungen werden mußte.
Wenn ich einmal selbständig eine Erwerbung zu machen wagte, so erging es mir nicht besser. Gerade damals lehnte der Graf den Ankauf des netten Brunnenfigürchens von Andrea della Robbia aus Palazzo Pucci, für das ich ein Jahr früher 750 Taler verauslagt hatte, definitiv als »indezent« ab. Erst nach seinem Abgang durfte es in die Sammlung eingereiht werden. Dagegen gelang mir eine andere kleine Erwerbung, die wir indirekt und zufällig dem Interesse der Frau Kronprinzessin verdankten: die Maske von Laurana. Herr von Liphart hatte mir gelegentlich in Florenz die sehr feine Marmormaske eines jungen Mädchens im Besitz eines in Florenz lebenden französischen Bekannten Baron Garriod gezeigt. Auf diese machte er damals in einem Briefe an die Kronprinzessin aufmerksam, da er sie für käuflich hielt. Ich bat daraufhin den Antiquar Riblet, den Ankauf des Werkes zu versuchen. Schon einige Wochen später traf die Maske ein, für die[132] wir Riblet 500 Lire zahlten. Herr von Liphart sah sie nicht lange darauf bei einem Besuch in Berlin und freute sich der gelungenen Erwerbung. Einige Zeit später ließ mich aber die Frau Kronprinzessin zu sich ins Palais bitten. Sie hatte einen Brief von Liphart erhalten, in dem er ihr entrüstet mitteilte, daß er eben bei Baron Garriod gewesen sei, der seine Maske nach wie vor besitze; wir seien also offenbar von Riblet mit einer Fälschung hineingelegt worden. Mir schien der Charakter der Arbeit entschieden gegen eine solche Annahme zu sprechen; aber der Schein sprach gegen mich, und erst als Louis Courajod in den folgenden Jahren eine ganze Reihe fast übereinstimmender Frauenmasken in Südfrankreich entdeckte, klärte sich die Sache auf. Riblet hatte Baron Garriod angeblich um Überlassung seiner Büste gebeten, hatte aber, da er eine ähnliche selbst besaß oder im Handel kannte, uns diese zugespielt und uns in dem Glauben gelassen, es sei das Garriodsche Stück.
Inzwischen traten wichtige Ereignisse ein, die eine gründliche Wendung in der Geschichte unserer Museen wenigstens vorbereiteten. Trotz aller Kämpfe, vielleicht zum Teil gerade dank dieser Kämpfe, war das Interesse für die Kunst und die Museen in Preußen und speziell in Berlin mehr und mehr geweckt worden. Alle Kreise beteiligten sich daran, nicht selten – namentlich in der Presse – in anmaßender, törichter und uns gegenüber sehr ablehnender oder aggressiver Form, weil man uns in die Schuhe schob, was von der Generalverwaltung gesündigt wurde, und vor allem, weil man uns um unsere Stellungen, deren Schwierigkeiten man nicht kannte, beneidete. Wir hatten seit dem Ankauf der Suermondt-Galerie eine starke Stütze am Abgeordneten-Hause erhalten, freilich hauptsächlich durch Freunde im Reichstag, dessen Mitglied mein Vater seit 1867 bis 1880 wiederholt gewesen war. Senator Roemer aus Hildesheim und Freiherr von Stauffenberg, gute Bekannte meines Vaters, die als Kunstfreunde und eifrige Kunstförderer im Reichstag unbedingtes Vertrauen genossen, und durch sie wieder Bennigsen, Lasker und andere zeigten sich[133] unseren Plänen gegenüber stets sehr entgegenkommend. Wo der Reichstag selbst zu sprechen hatte, war er sofort dafür zu haben. Schon 1874 wurden die Ausgrabungen von Olympia beschlossen und die Gelder dazu bis zu dem Jahre 1880 anstandslos bewilligt.
Die Einleitung und Durchführung dieser großartigen Unternehmung verdankten wir Ernst Curtius, der seit 1873 als Leiter des Antiquariums auch in den Verband unserer Museen getreten war. Selten habe ich einen Mann kennengelernt, der seine glühende Begeisterung durch solch glänzende Beredsamkeit weitesten Kreisen mitzuteilen verstand. Schon seine fesselnde Schönheit, seine träumerischen blauen Augen, sein impulsives Wesen mußten jeden bezwingen. Obgleich seine unpraktische, weltfremde Natur ihn für das Leben und so auch für eine Tätigkeit an den Museen wenig befähigten, ist doch seine Wirksamkeit für die Museen zum Segen geworden. Er hat sich zuerst, freilich lange vergeblich, für die Ausgrabungen in Pergamon eingesetzt, auf dessen Ruinen ihn Humann herumgeführt hatte. Dann hat er gleichsam im Sturm die Ausgrabung des größten Heiligtums der Griechen, des Zeustempels in Olympia, durchgesetzt und durchgeführt, und in den etwa fünfundzwanzig Jahren, die er dem Antiquarium als Direktor vorstand, zugleich (dank seinen praktischen und fleißigen Assistenten wie Treu und später besonders Furtwängler) die Sammlungen der Bronzen und Terrakotten zu rechter Stunde in trefflicher Weise vermehrt. Ihm wurde die Durchführung seiner Pläne noch dadurch wesentlich erleichtert, daß er das volle Vertrauen seines Schülers, unseres hohen Protektors, und vor allem auch des Kaisers und der Kaiserin besaß, die ihn zum Erzieher des Kronprinzen gewählt hatten.
Auch hatte er eine Stütze an seinem Freunde Lepsius, unserem ältesten Museumskollegen, der aber durch seine wissenschaftlichen Arbeiten über Ägyptologie und später durch seine Berufung zum Leiter der Königlichen Bibliothek für die weitere Entwicklung der von ihm begründeten ägyptischen Abteilung der Museen damals kaum noch tätig war. Als einer der[134] alten Vertrauten König Friedrich Wilhelms IV. gehörte Lepsius zur nächsten Umgebung Kaiser Wilhelms. Er war, wie Graf Usedom, ein ständiger Gast bei den Teeabenden der Kaiserin Augusta, wo auch Curtius gern gesehen war. Beide Männer hatten so für ihre Pläne eine sichere Stütze. Diesen wagte daher Graf Usedom, selbst wenn sie sich auf Museumsdinge bezogen, nicht entgegenzutreten. Von beiden konnten wir aber in unseren Bestrebungen, die ihnen fernlagen, keine Unterstützung erwarten. Auch war uns die Hilfe unserer Freunde im Reichstag, zu denen Lasker und Bamberger als Bekannte von Julius Meyer zählten, nur indirekt dadurch von Nutzen, daß sie auf ihre Gesinnungsgenossen im Abgeordnetenhause und gelegentlich auf unseren Minister einzuwirken suchten. Denn dort gab es für uns niemanden, der Kunstinteresse besaß. Mommsen und Virchow waren ihren Kollegen im Abgeordnetenhause auch in der Kunst maßgebend, und diese betrachteten sie ausschließlich vom wissenschaftlichen Standpunkt. Die Zustände in der Verwaltung der Museen wurden von ihnen in die Diskussion gezogen, die sich von der Kammer auch in die Presse (Curtius contra Mommsen) übertrug, aber sie trafen nicht den Kern, sondern hielten sich in starren Theorien, die von falschen Gesichtspunkten ausgingen und daher mehr schadeten als nützten. Eine Republik selbständiger Direktoren der einzelnen Abteilungen, deren Konsortium den Generaldirektor ersetzen sollte, und die völlige Lostrennung der Museen vom Hof unter Beseitigung des Protektors, schien ihnen die wünschenswerte Lösung. Auch im Ministerium blühten damals die Pläne für eine Regelung der ganzen Kunstverwaltung. Man strebte zwar kein eigentliches Kunstministerium, aber doch einen Direktor der Kunstabteilung mit vier Räten an. Wie weit ist die Ausführung dieses Vorschlages des Kunstreferenten in dem Menschenalter, das inzwischen vergangen ist, von diesen stolzen Plänen entfernt geblieben! Noch heute ist die Abteilung der Kunst im Kultusministerium vermischt mit anderen Abteilungen und liegt in der Hand von einem oder zwei jungen Räten oder Hilfsarbeitern![135]
Für die uns unterstellten Abteilungen und ganz besonders für etwaige persönliche Wünsche fanden wir, trotz des besten Willens des Referenten, im Ministerium wenig Gehör. Ich persönlich schon deshalb nicht, weil der damalige Direktor, der Unterstaatssekretär Lucanus, mir sehr wenig gewogen war. Ich hatte Lucanus, dessen Vater eine Apotheke in Halberstadt besaß, als Junge ab und zu bei meinem Onkel Rimpau, der in Halberstadt Landrat war, dort und auf seinem unweit Halberstadt gelegenen Gute Langenstein gesehen. Als der Vater von Lucanus starb, bat mich dieser, den Nachlaß an Skizzen und kleinen Gemälden von Lessing und anderen, die er als langjähriger Sekretär des Kunstvereins für Niedersachsen gesammelt hatte, zu schätzen, weil mein Onkel auf die Bilder reflektierte. Meine Schätzung – ich glaube, sie betrug 2000 Taler – erschien ihm viel zu gering; der Kauf kam nicht zustande. Das scheint Lucanus nie vergessen zu haben, wie mir aus einer späteren Äußerung meines Gönners Baron von Holstein hervorging.
Zur Zeit, als der alte treffliche Kabinettchef unserer drei Kaiser von Wilmowsky zurücktreten wollte, fragte mich Holstein gelegentlich – es war seine Art, die wenigen Leute, mit denen er in näherer Beziehung stand, über Persönlichkeiten, die ihn interessierten, auszuholen –, was ich von unserem Unterstaatssekretär Lucanus hielte. Ich erwiderte ihm, daß ich ihn wenig kenne, daß er für hervorragend tüchtig und rücksichtslos gelte, aber schwerlich das nötige Rückgrat und die Sachlichkeit für die Stellung eines Geheimen Kabinettchefs haben würde. Das lehnte Holstein entschieden ab, er sei des Mannes ganz sicher; ich müsse einmal etwas mit ihm vorgehabt haben, denn Lucanus habe sich über mich noch weit ungünstiger, als ich über ihn, ausgesprochen. Er habe ihm gesagt, er hasse in der Welt nur zwei Menschen, von denen sei der eine Dr. Bode. Als ich fünfzehn Jahre darauf zum Generaldirektor ernannt wurde und direkt mit dem Kabinett zu tun hatte, hielt ich es für angezeigt, Herrn von Lucanus zu erklären, daß ich mich ihm gegenüber in sehr prekärer Lage[136] befände, nachdem mir Baron Holstein seinerzeit seine Gefühle über mich mitgeteilt habe. Der Kabinettsekretär erklärte, das müsse Phantasie von Holstein gewesen sein. Freundschaftlicher wurde er mir aber dadurch nicht gesinnt, wenn er sich auch fortan nicht direkt unfreundlich beweisen konnte. Holstein hatte inzwischen seine Ansicht über ihn gründlich geändert, wie er mir nach Jahren einmal, gerade mit Bezug auf jene frühere Unterredung, gestand.
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