Tätigkeit der Kunstkommissionen

[96] Im Jahre 1874 häuften sich neben diesen Erwerbungsverhandlungen Arbeiten aller Art, die dadurch noch besonders erschwert wurden, daß die Ankäufe durch den Generaldirektor regelmäßig auf den schriftlichen Weg geleitet und schließlich durch dessen Verschleppung oder Widerstand erst auf dem Beschwerdeweg durchgesetzt werden konnten. Eine weitere Last und Erschwerung brachten die vielen Kommissionen, die damals, nach englischem Muster, vom Ministerium dauernd oder ad hoc berufen wurden. Sie haben zum Teil den Nutzen gehabt, daß sie das Interesse an der Kunst und den Sammlungen in weitere Kreise, namentlich innerhalb Berlins, getragen haben. Im allgemeinen haben sie keineswegs den Erwartungen entsprochen, die man auf sie setzte. Wo sich der einzelne Direktor streng an das Votum seiner Kommission hielt, war es oft schwer, rechtzeitig zum Ziele zu kommen. In den meisten Fällen aber hatte die Kommission nur einem fait[96] accompli zuzustimmen, und sie ist damit auch in der Regel zufrieden gewesen, sobald sie einem tüchtigen Sammlungsleiter gegenüberstand. Eine Deckung durch die Kommission bei Konflikten, Angriffen in der Presse oder in den Kammern, wie sie das Ministerium für sich und für die Direktoren davon erwartete, ist dadurch fast nie erreicht worden. Die Mitglieder der Kommission haben hier regelmäßig versagt und sich aus der Affäre zu ziehen gesucht.

Wie wenig häufig bei Kommissionen über Kunstfragen allgemeinerer Art herauskommt, bewies die 1874 tagende Kommission über Reinigung und Tränkung der Gipsabgüsse. Sie war veranlaßt durch die Tränkung mit einer abscheulichen, stark deckenden gelben Tünche, mit der der Direktor der Antikenabteilung, Professor Boetticher, die damals sehr schmutzigen Abgüsse hatte überziehen lassen. Auf den energischen Protest aller Archäologen antwortete Boetticher (seither der »Gipspapst« genannt) in heftiger Weise, so daß der Minister schließlich einschritt und zur Prüfung eine Kommission von Archäologen, Künstlern und Museumsdirektoren berief. An die langen Sitzungen dieser Kommission haben sich Preisausschreiben und Jahre hindurch weitere Beratungen geknüpft. Hohe Preise sind verteilt worden und neue Verfahren der Härtung, Tönung und Imprägnierung der Gipse sind eingeführt worden, aber zu einem brauchbaren Resultat hat alles das nicht geführt. Ja, die neuere Zeit hat sogar den einstimmigen Beschluß der Kommission, daß eine Färbung der Gipsabgüsse unter keiner Bedingung zu dulden sei, gerade auf den Kopf gestellt. Die gelbe, trübe Tönung und der dicke Auftrag der Boetticherschen Färbung war freilich mit Recht einer allseitigen Mißbilligung begegnet.

Boetticher, der in seiner »Tektonik« für die Formengebung der griechischen Architektur, mag seine Auffassung auch unrichtig sein, doch ein feines Empfinden bewies, hatte für Plastik und Malerei augenscheinlich kein wirkliches Verständnis. Als Karl Humann die ersten Tafeln vom großen Fund des Pergamenischen Altars den Museen zum Geschenk[97] machte, hat Boetticher ihm nicht einmal die Anzeige von ihrer Ankunft gemacht, geschweige dafür gedankt; und den berühmten Dornauszieher, den später das British Museum kaufte, ließ er an Castellani zurückschicken, ohne ein Wort der Entschuldigung dafür, daß er monatelang im Museum ausgestellt gewesen war. Sein Anstrich der Wände, eine schmutzige tote Deckfarbe, war ebenso ungünstig für die Wirkung von Marmor und Bronze wie die Aufstellung geschmacklos war. Kein Wunder, daß er auch in der Tönung der Abgüsse völlig fehlgriff. Seither ist das Prinzip der Farbigkeit, wie es für die Skulpturen aller Zeiten nachzuweisen ist, auch für die Gipsabgüsse wenigstens insofern verlangt und vielfach durchgeführt worden, als man den Gipsen den Ton des Marmors oder Steins resp. die Farbe der Bronze gegeben hat. Wie richtig und wirkungsvoll dies für die Bildwerke des Mittelalters ist, zeigen die Abgüsse des Trocadero-Museums, die durchweg nach ihren Originalen getönt sind. Wir haben Ähnliches auch bei unseren Gipsabgüssen nachantiker Zeit durchgeführt.

Eine kleinere Kommission, die mir persönlich beigegeben wurde, zur Herstellung guter Formen von Bildwerken des Mittelalters und der Renaissance, trat erst im folgenden Jahre 1875 in Tätigkeit. Auch hier hat die Vielköpfigkeit unnötige Scherereien und große Kosten gemacht und schließlich zur Auflösung der Kommission geführt.

Eine Kommission ad hoc wurde gleichzeitig, nach dem Tode unseres Kollegen v. Ledebur, behufs Aufteilung der alten Kunstkammer ernannt, da die sehr verschiedenartigen Sammlungen derselben organisch in die Kgl. Museen eingegliedert werden sollten. Die Ethnologica schied man als besondere Abteilung unter dem bisherigen Assistenten Dr. Bastian aus. Für das junge Kunstgewerbemuseum, das damals noch dem Handelsministerium unterstellt war, wurde Julius Lessing, für das Münzkabinett Direktor Friedlaender, für die Abteilung der Bildwerke christlicher Epoche meine Wenigkeit von unserem Ministerium der Kommission zugewiesen. Diese Zusammensetzung[98] ärgerte den Generaldirektor, der nicht darum gefragt war. Es wurde daher Dr. Lessing nicht schwer, ihm zu insinuieren, daß ja, da größere Bildwerke unter den Kunstwerken kaum enthalten seien, ein hervorragender Berliner Sammler als Unparteiischer mit herangezogen werden müsse.

Als solchen schlug er Dr. Robert Tornow vor. Dieser besaß selbst eine Art Kunstkammer, eine von ihm zusammengebrachte, gewählte Sammlung von Werken der Kleinkunst und des Kunstgewerbes, neben der des Grafen Wilhelm Pourtalès damals die reichste und beste Sammlung Berlins. Da Robert Tornow Junggeselle war und keine näheren verheirateten Verwandten besaß, so hegte Lessing den begreiflichen Wunsch, daß diese Sammlung dem Kunstgewerbemuseum vermacht werden möge. Er hatte vergeblich gesucht, sich dem argen Sonderling zu nähern, der über Lessings »Wut im Sammeln von Plunder«, wie er sich ausdrückte, empört war, glaubte aber, daß die Kommissionssitzungen dazu eine gute Gelegenheit bieten würden. Graf Usedom ging gern auf den Vorschlag ein, ließ mir von den Sitzungen, die er anzuberaumen und zu leiten hatte, nichts mitteilen, und erhielt von Dr. Robert Tornow eine Zusage. Ich erfuhr erst, als die Sitzungen fast beendet waren, welchen Streich man mir gespielt hatte, und konnte nur noch durch Beschwerde beim Minister in einem Separatgutachten zu Worte kommen. Aber auch Lessing erreichte seinen Zweck nicht.

Infolge der Sitzungen hatte die Kronprinzessin von der wertvollen Tornowschen Sammlung erfahren und den Wunsch ausgesprochen, sie kennenzulernen. Die Kronprinzlichen Herrschaften ließen sich daher bei Tornow anmelden. Als sie ins Haus eintraten, rief der Besitzer seinem Diener von oben zu, er möge den Herrschaften sagen, daß seine Sammlung für Fremde nicht zugänglich sei. Der Kronprinz, der von dem eigentümlichen Charakter Tornows gehört hatte, ließ sich dadurch nicht irremachen, sondern rief hinauf: »Das hilft Ihnen nichts, lieber Tornow, kommen Sie nur gefälligst herunter, die Frau Kronprinzessin wünscht[99] von Ihnen geführt zu sein.« Höchst widerwillig folgte dieser der Aufforderung. Da die hohen Herrschaften taten, als ob sie nichts gehört hätten und ihre bezaubernde Liebenswürdigkeit auch dem alten Achtundvierziger gegenüber entfalteten, so wurde er bald überrumpelt, erzählte nachher seinen Freunden (ich hatte ihn durch Rudolf Henneberg kennengelernt), wie er es gar nicht für möglich gehalten habe, daß Fürsten so menschlich und liebenswürdig sein könnten, und war selig, als kurz darauf eine Einladung ins Neue Palais eintraf. Wenige Monate später starb der alte Brummbär und siehe da, seine Sammlung war der Frau Kronprinzessin vermacht! Lessing hatte nur noch die Ehre, von der Kronprinzessin zur Schätzung der Sammlung behufs Erbschaftssteuer herangezogen zu werden. Obgleich er diese auf das Minimum von einhunderttausend Mark einschätzte, verscherzte er sich für längere Zeit die Gunst der hohen Frau, die über die Steuer von 9% sehr entrüstet war. In England hätte sie im gleichen Falle 25% zahlen müssen!

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 96-100.
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