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[192] Doch das lag noch in der Zukunft Schoße; gerade damals war meine Zuversicht unerschütterlich dank aller Erfolge, die unverhofft groß gewesen und verhältnismäßig leicht erkämpft[192] waren, und sie begeisterten mich zu ganz neuen Plänen und gaben mir die Kraft zu ihrer Ausführung. Ministerialdirektor Althoff hatte mich zu einem Gutachten über den sehr unglücklichen Plan eines Zentrumsabgeordneten aufgefordert, statt der bisher von Landes wegen hergestellten Denkmälerinventarisation eine neue großangelegte Inventarisation von Reichs wegen zu machen. Ich suchte das Verkehrte dieses Planes nachzuweisen, dessen Ausführung unnötige Kosten und Mühe machen würde und im wesentlichen doch in die Hände derselben bewährten Kräfte gelegt werden müsse, die jetzt die Inventarisation für die einzelnen Länder machten, und die durch eine derartige Superrevision schwer gedrückt werden würden. Aber an eine andere Aufgabe, für welche durch die bisherige Inventarisation schon ein Teil der Vorarbeit gemacht sei, sollten wir bald und energisch herangehen, an die Veröffentlichung unserer deutschen Kunstdenkmäler im großen Stile. Es sei das die größte und wichtigste Aufgabe, die der deutschen Kunstgeschichte gestellt werden könne. Ihre Inangriffnahme würde uns auf diesem Gebiete allen anderen Völkern vorausbringen.
Althoff ließ daraufhin den Plan der neuen Inventarisation fallen und ging auf meinen Vorschlag mit großem Eifer ein. Er war mit mir einig darüber, daß die Ausführung nicht gleich von Reichs wegen in Angriff genommen werden dürfe, sondern daß sie auf das Interesse des deutschen Publikums gestellt und dieses allmählich dafür warm gemacht werden müsse. Ein Verein, ähnlich unserem Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, schwebte mir dabei vor, jedoch ausgedehnt nicht nur auf das ganze Reich, sondern auf das gesamte Gebiet der deutschen Sprache und Kultur. Althoff war auch dafür gleich gewonnen und erklärte, er würde sich in der Muße der Sommerferien die Ausführung überlegen und ein Statut entwerfen.
Wie ernst er dies Versprechen genommen hatte, zeigte sich bald darauf. Als ich im Sommer 1907 vom Immediatvortrag beim Kaiser aus Wilhelmshöhe zurückkam, fand ich einen Brief von Althoff vor, der mich mit Geheimrat Schmidt nach[193] Schierke einlud, um seinen Statutenentwurf durchzuberaten. Er ist die Grundlage des Statuts unseres Deutschen Vereins geworden, an dem schon deshalb wenig zu ändern war, weil Althoff schlecht mit sich handeln ließ und von vorgefaßten Absichten nur sehr schwer abzubringen war. Er wollte die Tätigkeit des Vereins in erster Linie auf Förderung des Kunstsinns im Volke lenken. Die allmähliche Veröffentlichung der Werke deutscher Kunst, wie sie mir als vornehmster Zweck des Vereins vorschwebte, schien ihm nur in zweiter Linie von Bedeutung. So sind denn in den Statuten die Bestimmungen über die Mittel und Wege, das deutsche Volk zur Kunst zu erziehen, weit zahlreicher als solche über die Publikationen. Aber da sie unsere Ziele nicht störten und Althoff ohne sie für den Verein überhaupt nicht zu haben war, so ließ ich meine Bedenken dagegen schließlich fallen. Wie sehr das »sic volo sic jubeo« Althoffs Grundsatz war, zeigte u.a. eine ganz äußerliche Frage. Althoff hatte als Namen für den Verein vorgeschlagen: »Deutscher Verein für Kunstwissenschaft«; ich schlug vor, dafür »Verein für deutsche Kunstwissenschaft« zu setzen, da wir doch die Erforschung unserer deutschen Kunst uns zur Aufgabe setzen wollten. Darauf erwiderte er, daß er von seiner Fassung nicht abgehen könne, da wir dem Verein gleich größere Ziele stecken müßten. In absehbarer Zeit würden seine Mittel schon so angewachsen sein, daß wir uns über die deutsche Kunst hinaus auch auf die fremde Kunst würden ausdehnen müssen. In Wahrheit waren es wohl jene allgemeinen volkserziehlichen Ideen, die Althoff auch zu dieser weiteren Fassung in der Benennung des Vereins bestimmten.
Bei der weiteren Vorbereitung des Vereins und der Propaganda dafür war Althoff ebenso eifrig. Im März des folgenden Jahres, 1908, konnten wir eine vorberatende Versammlung nach Frankfurt zusammenberufen, die bei reicher Beteiligung die Konstituierung des Vereins beschloß, den Statuten zustimmte, den Vorstand und Ausschuß wählte. Es war uns geglückt, die Süddeutschen fast ebenso warm für den Verein zu interessieren wie die Norddeutschen und über die Reichsgrenzen[194] hinaus auch die Österreicher und Schweizer zu gewinnen. Der Mittelpunkt war aber, wie durch die Anregung, so auch durch die Zahl der Mitglieder und ihre pekuniäre Beteiligung von vornherein in Berlin. Noch heute steuern die Berliner Mitglieder fast die Hälfte von den Beiträgen des Vereines bei, und zum Vereinsvermögen haben sie weitaus den größten Teil gegeben. Dies verdanken wir vor allem der eifrigen Tätigkeit unseres Schatzmeisters Dr. Eduard Simon. Daß der Verein die Erreichung des Ziels, welches wir uns bei der Begründung namentlich für die Publikationen über deutsche Kunst gesetzt haben, über Erwarten schnell und energisch in Angriff genommen hat, daß eine Reihe umfassender und hervorragender wichtiger Veröffentlichungen zum Teil schon ausgeführt werden, ist vor allem dem Umstande zu danken, daß verschiedene unserer tüchtigsten Kunsthistoriker Arbeiten, welche sie seit langen Jahren vorbereitet hatten, zur Verfügung stellten. Noch reichen die Mittel aus den Beiträgen der Mitglieder und einige außerordentliche Zuschüsse der Einzelstaaten vollständig aus, um alle Unternehmungen des Vereins so rasch und gründlich zu fördern, als es überhaupt möglich ist. An eine Beteiligung des Reichs und vor allem an einen Übergang der ganzen Unternehmung an das Reich, was Althoff für die Zukunft vorgesehen hatte, braucht deshalb in absehbarer Zeit nicht gedacht zu werden, denn die Arbeit wird nicht nur billiger, sondern auch rascher gefördert, solange sie freiwillig geleistet und vom Interesse des Publikums getragen ist.
Die Vorbereitung für unseren Verein war keineswegs ganz leicht und glatt vor sich gegangen. Als die ersten Gerüchte darüber in die weiteren Kreise unserer Fachgenossen gelangten, wurde sofort wieder die Befürchtung laut, von Berlin aus solle die freie Entwicklung der Kunstwissenschaft geknebelt werden. Namentlich fühlte sich der »Kunsthistorische Kongreß« in seiner Existenz bedroht. Diese Beklemmungen kamen schon zur Sprache auf der Tagung des Kongresses im September 1907, dem ich beiwohnte, um diese Befürchtungen als völlig[195] irrig zu bezeichnen. Wir rechneten bei unseren von den Aufgaben des Kongresses sehr verschiedenen Zielen gerade auf die rege Beteiligung aller Kollegen. Hier wie später bei der konstituierenden Versammlung in Frankfurt ge lang mir die Beruhigung solcher Sorgen in dem Maße, daß sogar die wenigen unentwegten Gegner, namentlich Professor Voll, vor der Eröffnung der Sitzung wieder abreisten, da sie sich überzeugt hatten, daß bei der allgemeinen Stimmung erfolgreiche Opposition nicht zu machen sei.
Bei dieser Gelegenheit sei es mir gestattet, mit wenigen Worten der Angriffe zu gedenken, mit denen dieser junge Münchener Kunstgelehrte die mir unterstellten Sammlungen und mich persönlich damals schon seit mehreren Jahren beehrte, um sich dadurch in Bayern populär zu machen. Die Anzweiflung und Herabsetzung der schönsten Gemälde unserer Galerie, von den van Eycks, den H. van der Goes usw., hat schließlich ebenso wenig Erfolg gehabt wie seine aufregende Entdeckung, daß die »Madonna mit der Bohnenblüte« und die verwandten Altkölner Gemälde Fälschungen des XIX. Jahrhunderts seien. Daß er in den Büros der Pinakothek und des Münchner Münzkabinetts Briefe von mir an die Direktion heimlich abschreiben oder Fragmente derselben aus dem Papierkorb aufsammeln ließ, um Bemühungen, die ich mir im Interesse von Erwerbungen für Münchener Museen gegeben hatte, in gehässigster Weise öffentlich als das Gegenteil darzustellen, hat ihn schließlich in München selbst unmöglich gemacht.