J. Pierpont Morgan

[144] Die Konkurrenz Amerikas auf dem Kunstmarkt Europas begann schon einige Jahre später, namentlich durch das Eingreifen von J. Pierpont Morgan, der seit 1900 oder schon einige Jahre früher aus geschäftlichen Rücksichten regelmäßig nach Europa kam und damals anfing, die Gelegenheit zum Sammeln zu benutzen. Seine erste bedeutende Erwerbung war meines Wissens die Sammlung von Antiquitäten im Besitz des Auktionators Mannheim in Paris, deren mannigfacher Inhalt ihn zunächst zum Sammeln in der Richtung der Kleinkunst nachantiker Zeit bestimmte. Der Kauf seines Hauses in Queen's Gate in London veranlaßte ihn, zur Ausstattung Gemälde und dekorative Plastik zu erwerben. Die Anschaffung der kostbaren Zimmerdekoration von Fragonard, von trefflichen französischen Möbeln der gleichen Zeit und die Erwerbung der ersten Gemälde der großen holländischen Meister des 17. Jahrhunderts wie die Begründung seiner Sammlung von Miniaturporträts fällt in diese Zeit.

Seither hat Morgan seinen Sammeleifer ziemlich auf alle Gebiete der Kunst und Literatur ausgedehnt, die Kunst des Altertums ausgenommen, die er dem Museum seiner Heimatstadt New York überließ, in dessen Verwaltung er nach einigen Jahren der bestimmende Mann wurde. Ohne Kenntnisse auf irgendeinem Kunstgebiet, ohne besonderen Geschmack oder natürliche Begabung, selbst ohne gute Ratgeber hat der merkwürdige Mann allein durch seine Mittel und die Freigebigkeit, mit der er sie ausgab, wie durch seine Klugheit und sein Zielbewußtsein in wenigen Jahren Sammlungen zusammengebracht, welche denen der großen alten Museen zum Teil nahekommen, in der einen oder anderen Richtung sie wohl gar übertreffen. Und das alles in einer Zeit, in der es angeblich zu[144] spät ist, um noch an Sammeln zu denken! Sein Zaubermittel war das Geld, er scheute sich nicht, für Kunstwerke das Doppelte, ja das Zehnfache und mehr von dem, was bisher für den höchsten Preis galt, auszugeben, und seine Zauberlehrlinge waren die Kunsthändler, die er meist mit Geschick auswählte und mit noch größerem Geschick an sich fesselte. Seine Ankäufe machte er auf dem alljährlichen European trip, im Anfang des Frühjahrs in Ägypten, dann im April in Italien, bis zum Sommer in Paris und London. In den Vorräumen der Hotels, in denen er logierte, drängten sich die Händler und Besitzer, die ihre Ware anbieten wollten. Meist kamen sie gar nicht an ihn heran, wenn sie sich nicht mit dem Türhüter – dem einen oder anderen Antiquar des Orts, der sich der Gunst des Nabobs erfreute – in einer klingenden Sprache verständigt hatten.

Bei seinen Erwerbungen verließ sich Pierpont Morgan vor allem auf Kunsthändler, die sein Vertrauen hatten, namentlich auf Jacques Seligmann, der durch ihn wohl der reichste lebende Antiquar geworden ist. Über den Preis pflegte er sich regelmäßig nur ungenau zu orientieren. Was er selbst früher für ähnliche Gegenstände gezahlt hatte, war ihm dafür maßgebend. Von der Forderung strich er autokratisch ein Viertel oder ein Drittel ab und war mit seinem guten Handel sehr zufrieden, wenn sein Gebot dann angenommen wurde. So hat er wohl fast immer zu viel gezahlt, d.h. das Mehrfache von dem, was die Sachen zur Zeit wert waren. Aber aufs Geld kam es ihm ja nicht an, gewann er es doch leichter, als er es ausgab! Er erreichte durch seine hohen Preise, daß ihm das meiste zuerst angeboten wurde, und daß sich ihm Türen öffneten, die für völlig verschlossen galten. Auch hatte er eine eigenartige Sicherung gegenüber den Händlern: einmal im Pedigree, im Nachweis einer achtenswerten Herkunft des gekauften Gegenstandes, und dann in dem Zahlungsmodus, indem er seine in der ersten Hälfte des Jahres gemachten Ankäufe regelmäßig erst am Ende des Jahres zahlte. Erfuhr er inzwischen, daß er mit einer Fälschung hintergangen oder[145] sonst betrogen war, so sandte er den Gegenstand einfach mit Protest zurück, und der Händler war froh, wenn er später nur wieder in Gnaden aufgenommen wurde. Morgan hat wohl kaum Prozesse über Kunstwerke führen müssen. Nur wenn er von Privaten kaufte, denen er gleich zahlte, ist er gelegentlich gründlich hereingelegt worden; dann prozessierte er aber nicht, um seine Kunstkennerschaft nicht bloßzustellen. Man hat viel gescholten und gespottet über diesen »big man with the big nose«, gewiß zum Teil nicht mit Unrecht, aber er war trotz allem eine großangelegte Natur, auch in seinen Kunstbestrebungen. Wenn sich das Metropolitan Museum schon in kurzer Zeit nach manchen Richtungen mit den größten und ältesten Museen Europas wird messen können, wenn andere Museen Amerikas diesem Beispiel nachzufolgen suchen, und wenn heute zahlreiche Private drüben mit unerhörtem Eifer, Geschick und gewähltem Geschmack Kunstwerke sammeln, so gebührt das Verdienst nicht am wenigsten gerade dem Vorgehen Pierpont Morgans. Wie leidenschaftlich er sammelte, dafür ist der Umstand charakteristisch, daß bei seinem Tode im April 1913 der Wert seiner Kunstschätze etwa ebenso hoch (ca. 200000000 Mark) wie sein Barvermögen geschätzt wurde.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 144-146.
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