[105] Zwei Tage später war ich mit Frau und Kind von Chur aus bei prächtigem Wetter über die Lenzerhaide und den Albulapaß in Pontresina angekommen. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, den Meinen das herrliche Oberengadin, in dem ich ganz zu Hause war, zu zeigen, aber vom ersten Tage an war ich arg geplagt durch Krankheit. Zunächst litt ich an ungewöhnlich häufigen und heftigen Anfällen meiner alten Flimmermigräne und bald darauf stellte sich ein empfindlicher Schmerz unter der Sohle ein. Da ich infolgedessen elend humpelte, sagte mir mein Nachbar, Professor von Leyden, eines Tages, er könne das nicht länger mit ansehen, er müsse mich einmal untersuchen. Aber er konnte nichts entdecken, erklärte[105] die ganze Sache für eine Sehnenzerrung und veranlaßte mich, größere Touren mitzumachen, obgleich ich dabei vor Schmerz ohnmächtig wurde. Auch nach einer zweiten Untersuchung blieb er bei seiner Diagnose. Kurz bevor unser Aufenthalt in Pontresina zu Ende ging, hörten die Schmerzen auf.
Meine Familie reiste voraus, während ich über München zurückkam. Ich war kaum ein paar Tage zu Hause, als ich plötzlich heftige Schmerzen in der Wade des linken Beines bekam, in dessen Fußsohle ich die gleichen Schmerzen gehabt hatte. Der Arzt erklärte es für eine eklatante, aber einfache Venenentzündung. Nach zehn oder zwölf Tagen war ich so weit, daß der Arzt mich aufstehen ließ. Nach ein paar Schritten sagte ich ihm, daß ich im kranken Bein nichts mehr fühle, daß ich jetzt aber genau dieselben Schmerzen in der Wade des rechten Beines habe. Der Arzt lachte, aber wenige Stunden darauf hatte ich eine starke Thrombose im rechten Bein.
Es folgte eine Entzündung nach der anderen, immer schwerer und weiter hinauf in den Oberschenkeln, in den Weichen. Schließlich trat plötzlich, im November, eine schwere Herz- und Lungenembolie ein, die etwa vierzig Minuten anhielt. Einer furchtbaren Erregung folgte tagelange Apathie, während derer sich die Ärzte, die mich bewußtlos glaubten, an meinem Bett über meinen Zustand stritten. Hoffnung schien keiner von ihnen zu haben. Doch hatten die Thrombosen damit ihr Ende erreicht; Besserung trat zwar sehr langsam, aber doch stetig ein. Nach monatelangem Liegen konnte ich im März einige Male das Museum wieder besuchen und im April einen Monat mit meiner Frau erst nach Nervi und dann nach Florenz gehen. Im Sommer nahm ich die Moor- und Solbäder in Meinberg im Teutoburger Wald, einem damals nooh sehr primitiven Bade. Da sie mir anscheinend gut taten, wurde ich in den folgenden beiden Jahren nach Battaglia geschickt, um dort die Schlammbäder zu gebrauchen. Das erste Mal, wo ich nur in dem Abflußwasser aus dem Fango badete, bekam mir die Kur ausgezeichnet. Als aber im folgenden Jahre der Fango auf die Weichen, in denen die Entzündung am stärksten gewesen[106] war, aufgelegt wurde, erneuerte sich der nervöse Zustand und die Empfindlichkeit in den verödeten Venen. Eine Nachkur im Konstanzer Sanatorium des Dr. Fischer brachte wieder eine leichte Venenentzündung im Unterschenkel. Als ich mich hinterher in Berlin dem mich behandelnden Geheimrat Körte vorstellte, verlangte er – offenbar, weil er an die Entzündung nicht glaubte – ich solle schwedische Turnübungen machen, reiten und radeln! Dies brachte mich vollständig herunter, so daß gute Freunde Geheimrat Renvers als letzten Retter in der Not zu mir schickten, der auf einmal gleich zehn Medikamente verordnete und mich im Hochsommer – obgleich ich versicherte, daß es in meinen Venen arg spuke und ich stets hohen Puls hätte – nach Gastein schickte. Die Reise und die leichten Steigungen in Gastein wirkten so ungünstig auf mein Befinden, daß ich mich nach wenigen Tagen legen mußte, und daß ich mit immer neuen Rückfällen (mehr »Venenstörungen« als eigentlichen Entzündungen) bis in das Frühjahr zunächst in Gastein, dann in Konstanz und schließlich zu Hause liegen mußte. Erst als ich mehrere Jahre später Professor Schweninger zu Rate zog und dieser mich versicherte, mir könnten keine Medikamente, sondern nur Ruhe und größte Schonung allmählich helfen, trat nach und nach eine Besserung ein, wenn ich auch oft genug noch auf kürzere oder längere Zeit liegen mußte und die Disposition zu Venenentzündungen, zusammen mit leichteren Anfällen von Gicht, die wahrscheinlich das ererbte Grundübel bei mir ist, seither behalten habe.
In diesen langen und langwierigen Anfällen meiner Krankheit habe ich mich vor allem dadurch hochgehalten, daß ich meine dienstlichen Geschäfte, soweit das vom Bett aus überhaupt möglich war, regelmäßig abgewickelt habe und die wissenschaftlichen Arbeiten, deren ich ja gerade verschiedene sehr umfangreiche begonnen hatte, noch in den letzten Jahren des Jahrhunderts weiterführte und selbst zum Abschluß brachte, – so das große Rembrandtwerk, die Toskanischen Bildwerke, die Kataloge der Sammlungen der Kaiserin Friedrich,[107] der Sammlung Rudolph Kann u.a.m. Daneben konnte ich neue kleinere Arbeiten erledigen.
Anfangs, als sich im Winter 1894–95 eine Entzündung an die andere reihte und die schwere Embolie hinzukam, hatte man mich in unseren Museumskreisen offenbar aufgegeben. Gerade mitten in der schwersten Krise bekam ich dafür verschiedene Be weise, die nicht gerade geeignet waren, meine Rekonvaleszenz zu befördern. So gratulierte mir ein Londoner marchand-amateur zu meiner fortschreitenden Besserung, habe ihm doch ein Kollege von mir erzählt, daß ich im Sterben liege, und daß er schon zu meinem Nachfolger bestimmt sei. Arg spielte mir damals ein Florentiner Händler mit, der mir vor allem verdankte, daß er zum ersten und reichsten Kunsthändler Italiens geworden war. So hatte er sich die amüsante Spielerei der Errichtung großer Villen in der Nähe von Florenz leisten können, für die er das herrlichste alte Material verwandte, um sie schließlich, nachdem sie Millionen gekostet hatten, unfertig stehen zu lassen oder gar abzubrechen. Dieser Ehrenmann, der durch A. von Beckerath erfahren hatte, daß mein Ende stündlich zu erwarten sei, setzte sich flugs hin und sandte mir einen Brief mit der Bemerkung, daß er »nur persönlich« abzugeben sei. Darin befand sich als Beilage die »Restnote« für die letzten Jahre. Dieser Brief kam zufällig – ohne daß ihn, wie sonst, meine Frau vorher untersucht hätte – in meine Hände und überraschte mich durch die Mitteilung, daß ich – nicht etwa noch 3000 francs für die Museen, wie ich mir bewußt war – sondern rund 105000 francs an Herrn Bardini zu zahlen hätte. Da diese Schulden verschiedene Jahre zurückliegen sollten, und die Benennung der Stücke sehr unbestimmt war, konnte ich nicht sofort vom Bett aus kontrollieren, worauf der Schwindel beruhe. Später entdeckte ich, daß Herr Stefano Bardini eine Reihe teurer Erwerbungen, die Fürst Liechtenstein und Alfred Beit in meiner Gegenwart und auf meinen Rat gemacht hatten, die sie ihm dann aber direkt bezahlten, auch mir auf Rechnung gestellt hatte oder richtiger, daß er so tat, als ob sein Sekretär sie mir notiert hätte, um sie[108] von der »Witwe Bode« glatt einzukassieren. Seither hat sich meine Frau Ende jedes Jahres von ihm schriftlich bestätigen lassen, daß ich keine Schulden bei ihm habe.
Ich hatte aber in dieser schweren Zeit neben solchen niederschlagenden Erfahrungen auch erfreuliche Überraschungen. Der Mitinhaber von Durlacher Bros. in London, der liebenswürdige und feinsinnige Murray Marks, war mir stets dankbar dafür geblieben, daß ich auf seinen Wunsch seinem Vater, dem es damals sehr schlecht ging, ein paar Bronzen von Gian Bologna für volle 100 £ abgenommen hatte. Darunter befand sich auch die große Gruppe des Raubes einer jungen Frau. Jetzt schickte mir Murray Marks zur Ansicht eine köstliche Bronzestatuette von Bertoldo, den sogenannten Schutzflehenden, die der Museumsverein für unsere Sammlung erwarb. Ich erinnerte mich, während ich das Stück lange neben mir am Bett stehen hatte, um mir über den Meister klar zu werden und mich daran zu erfreuen, eines ähnlichen Figür chens, das Fürst Liechtenstein zwölf oder fünfzehn Jahre früher in meiner Gegenwart von Bardini gekauft hatte. Da ich gerade jenen (freilich sehr unschuldigerweise) durch Beihilfe bei Erwerbung des Fürsten veranlaßten Mahnbrief Bardinis bekommen hatte, so schrieb ich ihm, er möge mir für unsere Sammlungen, für die ich so oft das eine oder andere schöne Stück erbettelt habe, die kleine Bronzestatuette des »Bettlers« gewissermaßen als ein sprechendes Denkmal für meine Tätigkeit an den Museen stiften. Wenige Tage darauf konnte ich an meinem Bett als Pendant der Statuette Bertoldos diese köstliche Bronze aufstellen. Leider ist es mir bisher nicht gelungen, über den Meister dieses köstlichen Figürchens ins klare zu kommen.
Als ich endlich wieder außer Bett war, hatte ich eine andere Freude. Es meldete sich bei mir der junge Wiener Kunsthändler Hans Schwarz, der meinen Rat über ein kleines Bild wünschte. Obgleich ich damals noch kaum jemanden sehen durfte, nahm ich ihn doch an, da ich wenige so brave Leute im Kunsthandel kennengelernt habe wie diesen nur zu jung verstorbenen[109] Mann. Er brachte ein kleines Männerbild, das er im Handel in Brüssel als angeblichen Rembrandt gekauft hatte; es schien ihm ein trefflicher Fabritius. Da er es um 8000 M. abzugeben bereit war, übernahm ich das Bild sofort für unseren Verein. Es ist der schöne klei ne, um 1645 gemalte Rabbiner von Rembrandt in unserer Sammlung.
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