Lovis Corinth

Das Leben Walter Leistikows*

Ein Stück Berliner Kulturgeschichte

Mit zwei Originalradierungen und zahlreichen Abbildungen im Text

Mehr denn zwei Jahre sind über dem Hinscheiden Walter Leistikows dahingegangen. – Für die Kunst lebt er freilich durch seine Werke weiter, aber der egoistische Schmerz über den Verlust des Freundes und des unparteiischen Schiedsrichters in kunstpolitischen Ereignissen hat sich nicht um das Geringste vermindert. Ja, der Schmerz hat sich sogar noch vermehrt, da allgemein geglaubt wird, daß Zerwürfnisse und Intriguen in der Secession – wäre er noch am Leben – nicht in dieser explosiven Art hätten entstehen und weiter existieren können. Er würde kurzer Hand den Verwirrnissen den Kopf abgeschlagen und alle zur Ordnung gebracht haben. Ich will nun versuchen, eine Lebensschilderung von ihm zu geben, die in allen Teilen streng wahrheitsgemäß sein soll; hoffentlich werde ich dem Verstorbenen gerecht werden und sein Erdenwallen den Lesern interessant genug vor Augen führen. Aber in diesem Buch wird auch das geistige Leben Berlins in Kunst und Literatur gestreift werden; man möge es sich als ein vielverschlungenes Rankenwerk vorstellen, in welchem unser Auge als auf eine der markantesten Persönlichkeiten auf Leistikow eingestellt ist. Gleich, nachdem er den Elementarunterricht in der Malerei überwunden, hat er sich – wie man lesen wird – an allen kunstpolitischen Bewegungen beteiligt und ebenfalls ein reges Interesse für die zeitgenössische Literatur gehabt. So wurde es fast notwendig, daß alles, was von jener Zeit etwa 1886 an bis auf heute im Kunstleben Berlins sich kund tat und entwickelte, auch hier gleichzeitig in seiner Lebensbeschreibung geschildert werden mußte.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Leben Walter Leistikows. Berlin: Bruno Cassirer, 1910, S. 7.
Lizenz:
Kategorien: