Olaf Gulbransson


Olaf Gulbransson

Olaf Gulbransson war eine Akquisition des Simplicissimus, als diese Zeitung bereits einige Jahre existiert hatte.

Er ist ein Karikaturist von Gottes Gnaden. Als der Optimist unter den Simplicissimusleuten wäre er zu bezeichnen.

Kein Pferdefuß kommt unter seinen Hüllen zum Vorschein, womit er nach allen Seiten Tritte verteilte; nein! aus vollem Halse lachend über unsre komische Welt und deren Gehabe und Getue schwingt er die sausende Peitsche und trifft hin wie die Faust aufs Auge. Auch das Publikum, meine ich, hat er als Lacher auf seiner Seite, wenn er ihm diese köstlichen Spießbürgergrotesken und politischen Karikaturen auftischt. Und gar, wenn er eine Persönlichkeit zeigt, nachdem er sie aller Würde entkleidet, und sie nackt und bloß in ihrer seelischen und geistigen Verfassung vor uns hinstellt. Manches möchte ich freilich drum geben, zu wissen, wie so ein Abkonterfeiter sein Spiegelbild selbst aufnehmen mag.

Welche wirklich herzliche Freude durchströmt wohltuend jeden, der dieses Porträt von Siegfried Wagner anschaut; erklärende Worte über dieses Kunstwerk schreiben, wäre wohl gänzlich unangebracht.

Ein andres Blatt stellt den Dichter der »Weißen Liebe«,[101] Holitscher, dar; sein Kopf schwebt wie ein zitterndes Irrlicht über den dunklen Unkenteich dahin.

Wie zutreffend bringt Gulbransson die Züge seines Dichterkollegen Ludwig Thoma, der als Peter Schlemihl die Welt recht viel beschäftigt hat, zur Ansicht! Wie trefflich sind seine Rekonstruktionen des Jünglings und des Schulbuben Thoma, ja, bis in die Zeit zurück, wo er in die erste Windel gewickelt wurde. Sonst ist es üblich, denselben Kopf auf die zutreffenden Körperstadien zu setzen, aber Gulbransson verändert selbst den Kopf für diese Zeiträume, und man möchte schwören, daß Thoma zu den Zeiten entschieden so und nicht anders ausgesehen haben muß.

Die Illustrationen zu »Tante Frieda« von Thoma sind ganz wunderbar. Wem geht da nicht das Herz auf, wenn er das Erdenwallen dieses Philistertums so geschildert findet.

Und dennoch fällt hier eines auf: Diese Menschen mit der hellen Iris und der stechenden Pupille, mit dem Kartoffelbauch, mit protestantischem Muckertum gefüllt, scheinen mir mehr Geschöpfe, die die Küsten der Ost- und Nordsee umwohnen, als Bajuvaren, die ihre Zelte um das Hofbräuhaus aufgeschlagen haben, mit Fettherz, warmen braunen Augen und pfeifendem Kropfhals.

Einen Begriff von den Illustrationen zu »Tante Frieda« erhalten wir, wenn wir die »Hochzeit eines Brautpaares« daraufhin ansehen. Beiden Leutchen ist, was sie in Zahlen und Titeln voneinander zu erwarten haben, wie auf die Stirn[102] geschrieben. Sie würden noch jetzt auseinandergehen, wenn ihr Rechenexempel in die Binsen zu gehen drohte: reine Rechenmaschinen, wie sie nur die kältere Zone zur Entwicklung bringen kann. Der Ober- und Niederbayer hat noch, nebst all seinen Spekulationen, ein gut Teil tierischer Sinnenlust.

Ob ihm diese Typen geläufiger sind, weil er Skandinavier ist?

Dennoch, wenn ich diese Illustrationen sehe, möchte ich nicht die Typen anders wünschen; ich kenne nicht die Dichtungen unsres Schlemihl, aber ich möchte wohl denken, daß diese humoristischen Zeich nungen dem humorvollsten Text zur Ergänzung dienen.

Außer Thoma und den Vorhergenannten hat er noch andere Dichter porträtiert.

Wer kann ohne Schmunzeln der Bilder von Paul Heyse – ganz Augen! – und von Max Halbe – ganz Fettkloß! – gedenken?

In jüngster Zeit, in seinen Schilderungen von Seelenwanderung, brachte er einen räudigen Pudel mit demselben schönen Augenpaar und der Unterschrift: »ich war Paul Heyse« in den Simplicissimus, und eine Fettgans, die von sich rühmt: ich war der Dichter der »Jugend«.

In verschiedenen Nummern des »Simpels« ist seine Geschichte der Familie Huber verteilt. In diesen Zeichnungen wird in gleicher Art Opfermut wie Egoismus bespöttelt. Einer dieses Stammes schlägt, seinem Landsmann Otto von[103] Wittelbach zu Gefallen, und wegen einer lumpigen Maß Freibier, mit seinem »Spezies in kurzer Wichs« die ganze Schar Italiener tot, die den Barbarossa in Schach gehalten hatten. Einer der ältesten Huber wird Christ, weil der Missionar ihm seine kranke Sau gesund gemacht hat. Im Dreißigjährigen Krieg war aber dieser Glaube das einzige, was jenem zeitgenössischen Huber übrigblieb, als der Schwede ihm Haus und Hof geplündert hatte.

Die Studenten müssen ihm natürlich auch stillhalten; wie der Mulus – bei ihm als Kalb charakterisiert – zur Erkenntnis des Geschlechtstriebes gelangt, um dann als ruhiger Sittlichkeitsförderer zu enden.

Ein Couleurbruder, der von Mama und Schwesterlein an den brennenden Weihnachtsbaum geführt wird, ist von Alkohol überfüllt und – explodiert.

Viele seiner Zeichnungen sind als rein künstlerisch anzusehen und ein Witzwort ist nur pro forma von den Redakteuren des Blattes hinzugesetzt.

Da ist, zum Beispiel, eine Arbeit, wo ein Mann beschaulich auf einer Bank sitzt und sich des Sommertages freut; hier sind in Landschaft und Figur geradezu Thomasche (des Malers) Anklänge; nur einfacher gesehen, ohne die Prätention, »Deutsches Gemüt« schildern zu wollen.

Eine andere Zeichnung zeigt zwei etwas degeneriert scheinende Zeitgenossen, die sich auf Fauteuils herumräkeln. Die Modelle für diese beiden Faulenzer sind wohl zwei Bekannte[104] des Künstlers gewesen; der Ältere, der Kahlkopf, hat eine frappante Ähnlichkeit mit einem bekannten norwegischen Schriftsteller. Wie hat er hier auf Fleckenwirkung gesehen; wie gut ist alles gezeichnet; der Ausdruck der Hände ist bei Gulbransson immer vorzüglich. Ihre Bewegungsfähigkeit ist mit wenigen Strichen durchaus charakteristisch wiedergegeben; sehen wir uns daraufhin z.B. den Zaren an, der dem Gottvater vorprahlt, wieviel Unglück er in seinem Reich gestiftet hat; wie da die Finger gespreizt sind, wie drastisch er seine Zigarrenspitze hält.

Hier sind wir auf Gulbranssons politisches Gebiet gekommen; alles Verkehrte, was dort gesündigt wird, zieht er ebenso ins Lächerliche. Sehen wir uns die Erziehung des Schutzmanns im Verkehr mit dem Publikum etwas näher an. Eine Gliederpuppe dient dem Lernbegierigen als Volksrepräsentant; auf diese sticht und haut er los nach Herzensfreude. Das Handabschlagen – wie es in Breslau vorgekommen ist – lernt er hier ebenso spielend wie das Schädelspalten und den Stich ins Herz. Im Mittelpunkt, um den diese Szenen komponiert sind, hat Gulbransson das Brustbild des Berliner Polizeidirektors als den Deus ex machina in liebevollster Ausführung angebracht.

Die Schindludereien, die unser Karikaturist mit dem Pod selig treibt; wie das Opfer als Husarenoberst auf einer Sau einhergaloppiert; wie er als Unbestechlicher interessiert, aber neutral den Geschäftchen Tippelskirch mit seiner Frau[105] beiwohnt. Bülow ist ihm ebenfalls ein fetter Bissen, und er hält auch nicht vor Höheren und noch Höheren mit seinen Witzeleien zurück; selbst sein eigener König Hakon entgeht ihm nicht; oder ist deshalb Gulbransson ein Schwede?

Sein Hauptgaudium aber hat er mit der heiligen Geistlichkeit beider Richtungen (der katholischen sowohl wie der protestantischen) und deren Zusammenschluß in Zentrum und Sittlichkeitsgenossenschaft.

Das Zentrum ist ihm unter anderem ein Koloß, das in mystischer Zauberstunde vom Nilpferd und Ochs gezeugt scheint. Alles, was der deutsche Michel gesät hat, frißt ihm dieses Tier auf.

»Hin muß das Viech werden!« sagt sich der Michel und spuckt sich in die Hände; seinen schweren Hammer läßt er auf die Stirn des Vielfraßes runtersausen; der Heiligenschein verrückt zwar ein wenig, aber es frißt weiter. »Sapperment« denkt sich der Michel und versucht den Hieb nochmals, aber schweißtriefend muß er die fruchtlose Arbeit aufgeben: das Vieh frißt ruhig weiter.

Ein andres Mal ist ihm das Zentrum ein fetter Pfaffe, der sich durch hochfahrendes Benehmen die Armen (die Germania und die Kolonialsoldaten) vom Leibe hält.

Welch feine Unterschiede macht er zwischen dem katholischen und dem protestantischen Pfaffen, wenn beide sich zum Verderben eines Dritten verschworen haben und sich dabei gegenseitig ihre Schädel kaput hauen.[106]

Die glorreichste Zeit des Simplicissimus war sein Kampf mit den Unsittlichkeitsschnüfflern. Peter Schlemihl und Gulbransson waren dabei zwei wacke re Streiter; so manchen Eber brachten sie bei dieser Sauhatz zur Strecke.

Dem Dichter kosteten seine frivolen Verse über die Flanellhosen im Pastorhause gegenüber den Spitzenhöschen aus andern Häusern für einige Zeit die goldene Freiheit, während der Illustrator ungeschoren davonkam. Dem Gulbransson war einer der Schnüffler besonders ans Herz gewachsen. Er hat ihn als Porträt gezeichnet, auch in seinem Kampf gegen die pikantere Art der weiblichen Beinbekleidungen. Je mehr er auf die Hosen losprügelt, desto üppiger schwellen sie ihm entgegen und drohen ihn noch gar ganz zu umfangen.

Seine persönliche Art zu zeichnen unterscheidet ihn schon bei dem flüchtigen Hinsehen von der Manier seiner Kollegen. Er faßt die Figuren ornamental auf; die Gesichter sind ebenfalls wie aus Schnörkeln zusammengesetzt und dabei – wie bereits gesagt – von verblüffender Ähnlichkeit. Ein hauptsächliches Charakteristikum ist seine Vorliebe für kleinkarierte Anzüge, womit er seine Personen zu bekleiden liebt. Er bringt diese Stoffe auf die einfachste Art zur wirklichen Erscheinung.

Ich sagte, seine Art wäre sofort in die Augen fallend; selbstverständlich sind darunter nur seine eigensten Arbeiten zu verstehen.

Es gibt natürlich in dem Zusammengehen der Simplizissimuskünstler oftmals etwas Gemeinsames – hauptsächlich[107] in der Auffassung von Arbeiten, die dem einzelnen nicht so am Herzen liegen. Man könnte diese Ähnlichkeit der Künstler untereinander als das spezifische Charakteristikum dieses Blattes bezeichnen. So hat Gulbransson oft gemeinschaftliche Züge mit seinen Kollegen wie Heine und dem genialen Rudolf Wilke.

Ich selbst kenne Gulbransson weder persönlich noch seinen Lebenslauf. Manches Mal habe ich ihn mit dem Skandinavier Engstroem zusammen nennen hören. Seine Art ist die einfachere gegen die kühnere seines Landsmannes.

Wenn ich selbst mir über seine Arbeiten Rechenschaft geben sollte, so würde ich ihn eher von unsern deutschen Karikaturisten beeinflußt denken, von Busch über Oberländer und Heine zu ihm eine direkte Linie gezogen. Hat er hin und wieder – wie in dem Gottvater und Zaren – Ähnlichkeit mit Heine, so ist er doch kräftiger und aufrichtiger (ohne übrigens dieses Riesentalent Heine durch die Vergleichung unterschätzen zu wollen). In seinen Typen, die doch oft genug Bayern vorstellen sollen – wie bereits gesagt – den nordischen Charakter instinktiv darstellend, was erst klar wird, wenn man daraufhin die Menschen Oberländers anschaut, der natürlich als Bayer seine Landsleute porträtmäßig gebildet hat.

Ob nun meine Betrachtung betreffs seines Zusam menhanges mit diesen deutschen Künstlern zutrifft oder nicht: jedenfalls war er bei seinem ersten Auftreten in dem berühmten Witzblatt sofort er selbst und war von da ab, kraft[108] seines starken Talentes, unter die Künstler ersten Ranges zu zählen.

Wir können dem Simplizissimus gratulieren zu seinem guten Instinkt, womit er immer wieder neue Kräfte zu seinen Zwecken wirbt; Dank sind wir diesem Blatte schuldig, weil es Talente zur Entwicklung gebracht hat, die ohne seine Existenz für immer latent geblieben wären.


Olaf Gulbransson

Quelle:
Corinth, Lovis: Legenden aus dem Künstlerleben. 2. Auflage, Berlin: Bruno Cassirer, 1918, S. 98-110.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon