Siebenter Teil
Senex
Berlin, 21. Februar 1921

[145] Mit dem Ende des vorherigen Aufsatzes hatte ich die Absicht, meine Lebensbeschreibung definitiv zu beenden. Am Anfang hatte ich mir zur Regel gemacht, stets wahr und objektiv bleiben zu wollen. Objektiv? Das scheint ein schwieriges Ding. Die Jugend liegt so fern von einem, daß sie von einem Fremden gelebt zu sein scheint, so daß es nicht besonders schwierig scheint, Gerechtigkeit gegen alle zu üben. Dagegen heute die Jahre, welche mir nahe sind; welch ein Weg, welch ein Aufstieg in der Kunst ist mir geworden.

Aber welchen Zusammenbruch im deutschen Staat haben wir alle durchlebt, und welche Sorgen wird uns die Zukunft bringen? Welche Richtungen wird die Kunst einschlagen?

Als Künstler stehe ich heute vielleicht im Zenith meines sogenannten Ruhmes – der Ruhm? Ich denke, ich habe mein redliches Teil zu dem Aufstieg, den Menschen ersehnen, hinlänglich getan. Wird das alles, was ich erklommen, von Bestand bleiben? Vergänglich ist alles und vieles in den Orkus gesunken, was vielleicht noch berechtigter war, weiter zu[146] leuchten als meine Arbeiten. Es war aber mit Energie, Fleiß und Tatkraft gezimmert. Als miserabler Lateiner hat mir eine Sentenz immer besonders gefallen: »quidquid agis, prudenter agas et respice finem«, und diesen Ausspruch habe ich dann zu meinem Wahlspruch erhoben.

Im Jahre 1900 hatte ich mich entschlossen, meinen Wohnsitz von München nach Berlin zu verlegen. Als ich in dem Weinrestaurant Kurz meinen Freunden diesen Plan entwickelte, dessen Schlußeffekt war, »eine Malschule für Weiber in Berlin zu errichten«, erntete ich ein allgemeines Hohngelächter. Der einzige war mein Freund Walther Leistikow, welcher dem Plan näher trat und ihn sehr vernünftig fand. Er half mir auch mit allen seinen Verbindungen, die er im reichsten Maße hatte, unterstützte mich, wo er nur konnte. Möge keiner ihn einer zu großen Selbstentäußerung bezichtigen; er übte diese Protektion auch in einer Art idealem Egoismus. Erstens war er Landschafter und ich Figurenmaler. Er war einer Krankheit verfallen, welche über kurz oder lang doch seine Kraft an weiterem Arbeiten hinderte. Dazu kam noch, daß er Kräfte suchte, wo er sie herbekam, um die Berliner Sezession, die er neu ins Leben gerufen hatte, florieren zu lassen. Und schließlich seine wirkliche Liebe zu mir, die ihn bewog, fast seine Hände unter meine Füße zu legen, daß ich nicht stolpere. So war für mich alles getan, um mir einen fast sicheren Erfolg in dem neuen Ort beinahe zu verbürgen.

Ich hielt mich zuerst einige Monate in Berlin auf; Leistikow wirkte mir einige Porträt-Bestellungen aus, die ersten, welche ich überhaupt für Geld erhielt. Endlich siedelte ich 1902 definitiv über. Sein früheres Atelier räumte mir Leistikow ebenfalls ein, und es gab fast nichts, worin[147] er mich nicht auf das beste unterstützt hätte. Die Atelierräume waren herrlich gegen meine bescheidene Münchner Behausung.

Hinreichend Platz auch für die Malschule, welche dank dem Neuen, das meinem Ruhme vorausging, tatsächlich mich bald zum »wohlhabenden« Manne machte.

Demgemäß war der Verkauf von Bildern auch viel mehr, als ich mir in München auch nur träumen mochte. Wie konnte es auch anders sein, da der Handel und Wandel in Berlin glänzend war, die Kaufleute intelligent und nach neuer Kunst begierig waren, außerdem der junge Kaiser gegen alles Neue eine Aversion hatte, so daß uns auch noch der Glanz der Märtyrerkrone umstrahlte. Das waren die Anfänge der Berliner Sezession. Im Jahre 1908 wurde sie ganz ruiniert.

»Die Dorfpolitiker« von Wilhelm Leibl wurden zu jener Zeit für eine enorme Summe von Arnholdt angekauft. Diese Erwerbung für Berlin genügte allein, die Existenzberechtigung der Sezession zu dokumentieren.

Man raufte sich auch um die Knochen; die Geschäftsleitung führte mit seltenem Raffinement Paul Cassirer. Er hetzte alles durcheinander. Parteien bildeten sich. Von je hieß es: »Die Jungen gegen die Alten. Akademismus gegen Impressionismus«. Dieses Wort wurde für Berlin zum Clou. Daß ich nicht meine Hände in den Schoß legte, wird jeder verstehen. Achtzehn Mann wurden durch die geschickten Intriguen Cassirers kalt gestellt. Eine Änderung im Vorstand war die sichtbare Folge, mit der die treuen Freunde Liebermanns und Cassirers beglückt wurden.

Auch ich war ein Genosse der Siegreichen. So wurde das Amt des Vorstandes der Angelpunkt, mit dem die Kunstwelt regiert werden konnte. Der Vorstand wurde gebildet von Liebermann als Präsident, Leistikow[148] als erstem Schriftführer, mir als zweitem Schriftführer, Ludwig von Hofmann, Max Slevogt und anderen, die als Stimmtiere wechselten.

In welcher Art sich der Vorstand die Folgen dachte, das wußte in Wirklichkeit niemand. Aller Gedanken waren: »Das wird schon Cassirer besorgen«. Denn mir selbst sagte Cassirer in seiner Offenheit: »Eigentlich machen das ganze Wesen der Berliner Sezession nur ich und Leistikow – selbst Liebermann hat eigentlich nichts zu sagen.« So scheint im Leben der Künstler, wie ich so oft angedeutet habe, das Lebenselement nicht Fleiß oder Talent zu sein, sondern im höchsten Maße die Intrigue.

Besonders in diesem Buche soll von der Intrigue, wie ich als Augenzeuge oft mit dabei war und sie auch selbst am eigenen Leibe erfahren mußte, vielfach die Rede sein.

Es mochte um das Jahr 1900 gewesen sein, als mein Bild: »Salome mit dem Haupte Johannes des Täufers« einen gewaltigen Erfolg errang; auch als erstes wurde das Bild von einem sehr reichen rheinischen Industriellen angekauft. Der reiche Mann zahlte zwar nur 2500 Mark, aber da ich in den Preisen nicht sehr verwöhnt war, war ich sehr zufrieden mit dieser Summe. Die beste Aussicht bestand, allmählich reich zu werden! Die Masse der Verkäufe mußte es bringen. Die Malschule florierte, ebenso die Sezession, obgleich es da schon manches Mal haperte. Die Begeisterung des Publikums ließ nach, die Konkurrenzausstellung brachte dieselben Impressionisten: Manet, Monet und Renoir. Leider wurde uns zum Termin der Ausstellungsraum gekündigt. Es war, als hätten sich zwei Pläne gekreuzt, der von Liebermann und der des Besitzers des Terrains wegen der Erbauung des Ausstellungsraumes. Liebermann protegierte seinen Freund Griesebach, und da der Besitzer des[149] Terrains selbst Architekt war, so hatte dieser einen Groll auf die Sezession geworfen und kündigte ihr bei der ersten Gelegenheit den Kontrakt. Man fand aber ein günstigeres Terrain am Kurfürstendamm und hatte bald wieder ein Heim für die Sezession eingerichtet. Es war jedoch ein Mißvergnügen bei den sezessionistischen Künstlern ausgebrochen. Selbst Leistikow, der inzwischen an der schleichenden Krankheit zu leiden hatte, wollte den ganzen Krempel aufstecken, ebenfalls die anderen, welche in dasselbe Horn blusen. Da muß ich es mir zur Ehre anrechnen, für die weitere Existenz unserer Vereinigung mit aller Energie eingetreten zu sein. Solange Leistikow das Ganze regierte, war zwar ein Gewitter so manches Mal im Anzuge, aber er beschwichtigte es noch immer leicht, und aus Beliebtheit zu ihm waren das nur immer vorübergehende Erscheinungen. Aber im Juli 1908 erlag er doch seinem schweren Leiden. Das Begräbnis stattete Cassirer mit seinem gewohnten Organisationstalent aus. Und nun traten andere Erscheinungen hervor, Unangenehmes verbreitete sich unter den Mitgliedern, Stänkereien und Intriguen waren an der Tagesordnung. Bei einer Generalversammlung, wo ein neuer Vorstand gewählt werden sollte, brach die erste richtige Verschwörung aus. Sonst pflegte der alte Vorstand das unveräußerliche Recht zu haben, die Personen für den neuen Vorstand zu wählen, aber dieses Mal kam eine ganz andere Wahl heraus, als die der Kandidaten des Vorstandes.

Es kam an den Tag, daß eine Verschwörung im Gange war und zwar gegen Cassirer. Der Vorstand mit seinen Anhängern trat aus der Sezession aus; aber bald darauf erkannte man auch, wie dumm und kurzsichtig man gehandelt hatte. Es blieben die Ruhigen mit ihren Verschwörern in der Mehrzahl am Platze und auch ihnen gehörte das Haus.[150]

Nun wandte Cassirer all seine Gewandtheit auf, um seinen Einfluß in der Sezession wieder zu erreichen. Er verhetzte hier und verhetzte dort. Das Ende endlich war: wir traten zurück in den Mitgliederkreis. Der alte Vorstand kam wieder zu Ehren und man wollte den alten Zustand, aber nicht Cassirer. Er fühlte sich schwer beleidigt – er trat definitiv aus, unter der Begründung, er wollte das Recht und die Freiheit haben, Kunstwerke nach seinem eigenen Ermessen so gut und so schlecht zu halten, wie er das wollte. Man bejammerte dieses Unglück allgemein. Liebermann hielt seine glänzendste Rede, die schloß: »Herr Cassirer, wenn Sie nicht meinen Worten Gehör geben, so wende ich meine letzte Beredsamkeit an, ich bitte Sie darum, daß Sie bleiben zum Heile der Sezession.«

Cassirer aber trotzte selbst diesem Argument, wobei er betonte, daß Liebermann von allen Künstlern sein hochgeschätztester wäre und es ihm dem nach schwer sei, einem Freunde was abschlagen zu müssen. Man einigte sich endlich darin, daß man dem Geschäftsführer Cassirer einen halbjährlichen Urlaub zuwies. In diesem halben Jahre Urlaub scheint er alle seine späteren Entschlüsse gefaßt zu haben; von Charakter aus war er absolut nicht hinterhältig, er rühmte sich sogar alles offen zu sagen, aber merkwürdig, man achtete nie darauf, als bis es eingetreten war. – Seine Kunsthandlung blieb ein Treffpunkt aller Parteien; jeder einzige glaubte sich besonders bevorzugt, namentlich wenn er dem Betreffenden Bilder abgekauft hatte. So konnte er seine Gunst verteilen wie er wollte. Gerade zu jener Zeit schien ich ebenfalls sehr mit ihm befreundet zu sein. Mit mir sprach er über Liebermann nicht so begeistert, wie er sonst zu sprechen schien.[151]

Ein Individuum hatte den Präsidenten brieflich angepöbelt, ihm schlechte Malerei vorgeworfen und Senilität. Er, Liebermann, müßte vom Präsidenten zurücktreten. Er klebe leider zu sehr. Darauf wurde der Betreffende aus der Sezession entfernt. Cassirer und ich hatten an dieser Entfernung das Meiste dazu getan. Liebermann seinerseits erklärte, wie überdrüssig dieses Amt ihm war. Ob nicht der ganze Vorstand zusammen mit ihm zurücktreten wollte. Alle äußerten sich zustimmend. Ich aber pflegte immer den rechten Augenblick am Schopfe zu ergreifen, deshalb sagte ich: »Nein, ich bleibe im Vorstande!«

Ich denke, die anderen haben mich um meine Geistesgegenwart beneidet. Ich schreibe diesem diplomatischen Kunststück meinen weiteren Erfolg in Berlin zu. Genug, da der weitere Vorstand durch das Versprechen zu Liebermann verzichtet hatte, so war eigentlich keiner übrig außer mir, der zum neuen Präsidenten gewählt werden mußte. Auch das Wohlwollen Cassirers hatte ich einstweilen gewonnen. Aber das hatte ich nicht bedacht, daß Cassirer in seiner Mußezeit des Urlaubes den Vorsatz gefaßt hatte, die höchsten Ehren der Sezession sich zuzueignen; das heißt, er wollte unter allen Umständen selbst Präsident sein. Unter diesen Auspizien arbeitete er in seiner geschickten Art, und wenn ich nur seine Absicht geahnt hätte, hätte ich auch unbedingt annehmen können, am längsten Präsident gewesen zu sein. Zum Überfluß erkrankte ich sehr schwer an einem Nervenzusammenbruch. Ich mußte drei Monate an die Riviera – die Zeit wird er in Berlin gut ausgenutzt haben. Als ich nach Berlin zurückkehrte, war mein Stellvertreter kurz vorher nach Griechenland gefahren. Es war bald zu merken, daß der Vorstand untergraben war. Alles kam, wie es kommen mußte.[152] Cassirer wurde gewählt. Er vergrößerte noch den Vorstand, damit er noch mehr Anhänger gewann, ja, er trug mir sogar einen Sitz im Vorstande an. Ich lehnte dankend ab. Cassirer war ein Charakter. Wenn er auch alles ausnutzte, wo es ihm geboten wurde, so war er absolut nicht gewillt etwas zu tun, was er nicht gut heißen mochte. Daher stieß er viele vor den Kopf und so kam es auch bei ihm – und zwar sehr schnell – wie es kommen mußte.

Die nächste Ausstellung sollte das Können des neusten Präsidenten und der Mitglieder dokumentieren. Da der Kunsthändler natürlich keine Bilder malen konnte, so wollte er desto größer das Können seiner Mitglieder zeigen, und so wurden beide Taten konform. Eine eigentümliche Brühe kam aus dieser Unnatürlichkeit heraus. Der Haupteffekt sollte aus den Schätzen seines Ladens strahlen. Zu gleicher Zeit wollte er sein Mütchen kühlen, indem er seine ihm unsympathischen Mitglieder refüsierte. Die geschädigten Refüsierten riefen eine Generalversammlung zusammen und drangen auf Entfernung des Präsidenten. So einfach war es aber nicht, diese Laus aus dem Pelz zu nehmen. Es ging hin und her. Cassirer wollte seine Feinde herausbringen; das konnte er aber nicht, weil sie nach den Statuten die nötige Anzahl hatten, um eine Generalversammlung zu berufen, und die Feinde konnten eben dem Cassirer nichts am Zeuge flicken, solange er die nötige Anzahl bei der Abstimmung hatte.

Endlich machten seine Feinde einen Fehler. Sie lanzierten in die Zeitung eine Notiz, die von Cassirer behauptete, er hätte Liebermann schwer und wissentlich durch Klatsch in seiner Ehre gekränkt. Es fiel aber ins Wasser, da niemand es vertreten wollte.[153]

Die Wahrheit glaubte sogar Liebermann, denn Cassirer sprach vieles, was er nicht verantworten konnte; auch scheute er sich nicht, seine besten Freunde bloßzustellen. Diese Denunziation war Wasser auf Cassirers Mühle. Seine Sekundanten rasten durch Berlin. Abends eine große Generalversammlung, die zur Entscheidung werden sollte. Der alte Ehrenpräsident Liebermann und die Koryphäen der Sezession, Slevogt, Gaul etc. traten auf den Plan. Liebermann schleuderte Beleidigungen und alles was er konnte gegen die »Buben«. Der Schlußeffekt war, daß, da diese nicht aus der Sezession gehen wollten und man nicht weitere Berührung mit ihnen haben wollte, Liebermann und Cassirer das Lokal verließen und mit ihnen alle guten Elemente. Ganz Israel erhob sich und wollte keinen Teil haben am Hause Isais. Von da ab waren wir einige Zeit so verfemt, daß von uns kein Hund einen Bissen Brot genommen hätte. – Aber auch dieses verging. – Wir konsolidierten uns und konstatierten die Anzahl, welche, wenn auch unter mißlichen Umständen, die verpönte Sezession noch mitmachen wollte. Wir waren durch die Raffiniertheit Cassirers für anständige Berliner und Künstler zur reinen Unmöglichkeit geworden – Verbrecher und Ehrlose, so schrieben die Zeitungen! Aber dennoch sympathisierten manche mit uns, von denen wir es nicht vermutet hatten, und innerhalb eines Jahres hatten wir es soweit gebracht, daß wir es wagen konnten, die erste Ausstellung der Berliner Sezession wieder zu eröffnen.

1915 wurde ich der Präsident der Sezession. Gute wohlwollende Freunde warnten mich zwar, in dieser schlecht beleumundeten Gesellschaft an die Spitze zu treten, denn so lange wirkte dieser Schimpf nach; aber da ich mit denselben ebenfalls beleidigt war, so wagte ich es mit[154] meinem gewöhnlichen Grundsatz: »Lieber Cäsar im kleinsten Dorf, als der zweite in Rom«. Es traten kluge organisatorische Leute zu meiner Seite und diese hatten wieder Verbindungen mit Kaufleuten und Juristen, die uns mit Rat und Tat beistehen wollten.

Der Weltkrieg von 1914 war angebrochen. Es war keine Zeit, die Hände in den Schoß zu legen. Noch immer bohrte unser Feind Cassirer weiter. Seine Absicht war, uns die Firma »Berliner Sezession« zu nehmen. Doch einen Prozeß gegen uns hatte er bereits verloren. Er legte Berufung ein. Dieser Prozeß drohte gefährlicher zu werden. Es stand auf Spitz und Knopf. Man kann wohl behaupten, daß dadurch, daß er ins Feld kommen mußte, hauptsächlich seine Stoßkraft ihm genommen wurde. Kurz und gut, es kam zu einem Vergleich. – Der Kunsthändler hätte wohl niemals kleinbeigegeben. Jedoch scheinen dieser Energie und diesem Haß doch endlich auch Grenzen gesetzt zu sein. So hatten wir denn diesen Krieg zu Ende geführt, und ich darf wohl sagen, glänzend bestanden.

Unter meinem Regime kamen dann auch natürlich kleine Intriguen zustande, denn wann sind Künstler je zufrieden? Auch zwei erzwungene Austritte wurden durchgesetzt. Aber im ganzen florierte die Berliner Sezession ausgezeichnet, dank der vorzüglichen Kräfte, die uns zur Seite standen: Herr Justizrat Dzialochinski, der Gründer unserer G.m.b.H. und Herr Hirschberg, der praktische Gründer unserer Freunde der Sezession. Bis auf den heutigen Tag ist das künstlerische Unternehmen glänzend. Ob es abschließen wird ohne Intrigue? Ich bin bereits sehr skeptisch geworden. Von mir aus will ich nichts in den Weg legen, und meinen Segen soll sozusagen die Berliner Sezession haben.[155]

Die Zeiten haben sich sehr geändert. Gerade wie aus dem deutschen monarchischen Reich eine Republik geworden ist.

Im allgemeinen wurde noch bis vor dem großen Kriege gesagt, ein Künstler soll sich nicht kunstpolitisch betätigen, vielmehr allein der Kunst zu Liebe leben.

So hat namentlich in München der Künstler in seinem dolce far niente stupide weiter geschaffen in seiner romantischen Art etwa wie im Mittelalter, wo man es auch interessanter fand, im Harnisch und Streitroß einher zu traben, hier und da zu nippen an den Motiven, als in einem Automobil die Zeit zu kürzen und zu geizen. Ja es ging sogar so weit, daß man das Zeichen eines Genies daran erkannte, recht dumm zu sein. Dies war sein Schaden nicht, vielmehr je weltfremder er in den Augen seiner Mitmenschen erschien, desto mehr schien er hinter sich zu haben. Ein solcher Tor war ich auch, leider aber ohne wallende Mähne und Radmantel, auch ohne dieserartige Visage. Es ging sogar so weit, daß meine Bekannten sich nicht entblödeten zu äußern, wenn ihnen etwas auffiel an meinen Arbeiten: das hätten sie mir nicht zugetraut. Diese wenig versprechende Außenseite hat mich auch gezwungen aufzupassen und mich anzustrengen. Dem danke ich alles, was ich geworden bin. Wie viele glänzende Erscheinungen sind in das Nichts verschwunden. In Berlin, wo man gleich schwimmen lernt, war das alles selbstverständlich. Vielleicht habe ich durch diese Erfahrung mehr das Streben vorwärts zu kommen – aber in gutem Sinne, so wie es wohl gar notwendig und nötig ist. Ein Mann, der sich des Weges wohl bewußt ist, kommt stets vorwärts. Christus sagte seinen Jüngern: »Gehet in alle Welt, mein Evangelium zu predigen, seid unschuldig und ohne Falsch wie[156] die Tauben, aber klug wie die Schlangen.« Quod erat demonstrandum.

Ein Mantelhänger oder Schmeichler bin ich niemals gewesen. Die französische Kunst habe ich stets geschätzt, aber ohne sie nachzuahmen. Ich habe gesprochen, geschrieben und bin eingetreten für die deutsche Kunst und war vor dem Weltkriege überzeugt, daß die deutsche Kunst an Vortrefflichkeit der französischen den Rang bestimmt ablaufen wird, nur gehört Selbstvertrauen und Selbständigkeit dazu.

Es gehört gar kein Größenwahn dazu, denn vier Jahre lebte ich in Paris und ich fand unter meinen Studiengenossen keine stärkeren Talente, als daß sie nicht mit Deutschen verglichen werden konnten. Die Lehrer waren übrigens ebenso schlecht wie in München oder sonstwo – nur eine größere Kultur in der Formensprache, und das könnte ja auch erreicht werden.

David, Ingres, Delacroix, Daumier, Millet, Renoir und die Impressionisten Manet und Monet sind hellklingende Namen und gottbegnadete Künstler; wie aber überall mit Wasser gekocht wird, so wird niemand es überhebend finden, wenn ich meinem deutschen Vaterlande eine ebensolche Zukunft prophezeien möchte. Aber da das deutsche Reich sich der Feinde nicht erwehren konnte und der amerikanische Eingriff Deutschland das Kreuz brach, als das Unglück über Deutschland hereinbrach, daß aus dem heiligen Kaiserreich eine Republik wurde, da verzweifelte ich an dem Hochkommen der Kunst. Ich glaubte in meiner Person zur Aufrichtung Deutschlands beitragen zu können, wenn ich selbst so gute Kunstwerke schaffte, wie es mir möglich sei. Aber selbst diese Hoffnung ist mir zu Grabe getragen. Die Künstler sind schlecht geworden. Der Künstler denkt, er habe etwas getan, wenn er nur stürmisch durcheinanderwurschtelt, und daß die Genialität darin gipfelt, wenn er nur vor[157] allen anderen durch Originalität und Verrücktheit herausfällt. Solange ich noch auf dieser Erde wandle und mir die Möglichkeit zur Arbeit gegeben ist, will ich nur so schaffen – in demselben Sinne wie ich in meinem ganzen Leben die Bilder geschaffen habe. Denn ich denke, daß mir nicht nachgesagt werden kann, ich wäre gegen mich untreu geworden. Vielleicht kommen doch die nächsten Generationen zurecht. Vielleicht werde ich als Soldat, der seinen Posten behauptet, gerühmt werden.

Das menschliche Leben fließet dahin wie ein Strom und niemand kann sagen, es wäre etwas noch nicht dagewesen. In dem Reigen des Todes werden wir alle landen. Glücklich der, welcher die Zensur bestanden hat. Und der Herr des Weinberges spricht: »Wohl du getreuer Knecht, du hast mit deinem Pfund redlich gewuchert; du hast Kleinem vorgestanden, nun wirst du Großes verwalten.« – Ich bin bereit; jeden Augenblick werde ich Rede und Antwort stehen.

So soll der deutsche Künstler streben. Haben wir eine deutsche Kunst, so haben wir nicht vergeblich gelebt und Meister Dürer wird im Kunsthimmel mit Handschlag und Landsmannschaft uns hochwillkommen heißen.

Quelle:
Corinth, Lovis: Selbstbiographie. Leipzig: Hirzel, 1926., S. 145-158.
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