Ich mache Ernst

[167] Unterdessen war der Krieg bis in das Herz der Barduaschen Familie eingedrungen. Der jüngere Sohn Louis war von Bernburg herbeigeeilt, um sich als Freiwilliger zum Jägerkorps zu stellen. Sein Vater hatte nichts dagegen, die Schwestern lobten ihn, aber die Mutter war in Verzweiflung.

Der Krieg, zürnte sie, sei für Soldaten, nicht für hübscher Leute Kinder. Der Herzog habe Gesindel genug im Lande, das nichts Besseres wert sei, als totgeschossen zu werden. Sie aber habe ihre Söhne nicht dazu geboren, bestrickt, beflickt und für teures Geld unterrichten lassen, daß sie wie die dummen Töffel Theriaks hinter dem Kalbfell hergehen sollten. Wenn Seine Durchlaucht keine gescheiten Leute mehr im Lande dulden wolle, so könne er sie auch ohne Krieg loswerden; sie aber brauche ihren Sohn, »und du bleibst«, schloß sie, »und marschierst zurück auf deine Schule.«

Louis aber war ganz obstinat, und es gab Gegenreden, Bitten, Streit und Tränen die Fülle, bis der geängstete Vater, der den Unfrieden nicht länger ertragen konnte, sich endlich an den Herzog wandte mit dem Ersuchen, um der Mutter willen den Sohn zurückzuweisen. Aber der Herzog hatte an seine Krücke geschlagen und gesagt, wenn die nicht wäre, so stünde er selbst längst vor dem Feinde. Er wolle dem braven Louis nicht im Wege sein.

Damit war alle Opposition gebrochen. Die treue Mutter fand sich in die Notwendigkeit und besorgte die Equipierung für den geliebten Sohn mit gewohnter Umsicht. Louis aber belebte das ganze Haus mit seiner Kriegslust. Er war ein geistreicher und hübscher Junge, dessen Gesichtszüge lebhaft an Theodor Körner erinnerten. Mein Vater zeichnete ihn für die Zurückbleibenden in seinem Waffenschmucke, und o wie glücklich schien er mir in diesem glänzenden Gepränge für Recht und Freiheit auszuziehen!

Zahlreiche Kameraden kamen öfter ins Barduasche Haus, gemeinschaftliche Angelegenheiten mit Louis zu beraten. Dann träumten sie von Ruhm und Fährlichkeiten, lachten, sangen, führten kecke Reden und verhöhnten die Muttersöhnchen, die zu Hause blieben. Deren waren freilich nur sehr wenige. Fast in allen Häusern wurde gerüstet, wurden Waffen und Lederzeug geputzt, Kugeln gegossen und Tornister zugerüstet. Aus dem ganzen Lande, ja aus aller Herren Ländern lief Botschaft ein, wie die Jugend scharenweis zu den Fahnen ströme. Selbst von jungen Mädchen hörte man, die, von der allgemeinen Begeisterung[168] fortgerissen, sich verkleidet in den Kriegsdienst eingestohlen hatten. Die ganze Nation hatte einen mächtigen Aufschwung genommen in allen ihren Schichten, mit Hab und Gut, mit Leib und Leben und mit allen ihren Kräften zu sich selbst zu stehen.

Und ich? Glühenden Auges und klingenden Ohres hatte ich das alles mit angesehen und angehört. Sollte ich nun allein zu Hause bleiben, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil ich erst elf Jahre alt wurde, während andere, die doch ganz vor kurzem auch nicht älter waren, ihre Haut frischweg zu Markte trugen? Durch meine Straßenkämpfe war ich sehr erstarkt, ich fühlte mich fast unüberwindlich, und meine Kugel, dachte ich, würde gerad so weit als eine andere fliegen. Auch besaß ich bereits ein Mordgewehr, nämlich einen alten Stutzen, den ich auf dem Boden gefunden und vom Großvater Bardua zum Geschenk erhalten hatte.

Zwar ähnelte diese Waffe einigermaßen dem Lichtenbergischen Messer, denn sie bestand eigentlich nur aus einem Ladestock und einem Schaft. Das Rohr war weg, und auf das Schloß konnte sich kein Mensch im Hause mehr besinnen; doch war es eben noch ein Stutzen, so gut als Louis XVIII. damals ein König war, nämlich erstens von Rechts wegen und dann, weil beide nach Umständen restauriert werden konnten. Ich phantasierte mir einstweilen ein Rohr hinzu, putzte die Beschläge am Kolben spiegelblank, und Louis übte mir die Griffe ein.

Durch den Besitz gefälliger Werkzeuge können latente Gelüste, Gaben und Kräfte geweckt werden. Goethe bekannte, durch ein Bund frischgeschnittener Federn allezeit zu dichterischer Arbeit angeregt zu sein, und Achilles ward durch ein Schwert zum Mann und Helden. So mochte es denn zunächst auch jener Stutzer sein, der es mich als meinen Beruf erkennen ließ, etwas Franzosenblut zu vergießen. Die brennendste Begier, den Feldzug mitzumachen, verzehrte mich, und nur ein einziges frommes Bedenken hielt mich noch zurück, der Blick auf meine Mutter. Zwar konnte sie nicht nein sagen, wenn sie gar nicht gefragt ward, und Louis wollte mich »unter der Hand« mitnehmen –; aber wenn sie nun geweint hätte, wie Louis' Mutter weinte? Mit meiner Mutter hatte ich mich vor allen Dingen zu verständigen.

Ich erzählte ihr, der Louis würde nun bald abziehen, und fragte, ob sie auch recht traurig sein würde, wenn er ihr Sohn wäre. Sie sagte: freilich wohl; aber noch viel trauriger würde sie sein, wenn er zu Hause bleiben wollte, denn jetzt sei es die erste Pflicht eines jeden Deutschen, für sein Vaterland zu streiten.

Das klang nicht übel, ich faßte mir ein Herz, vertraute mich der edeln Mutter und bestürmte sie um ihre Einwilligung. Sie redete mancherlei[169] dagegen, aber ich wußte alle ihre Einwürfe zu beseitigen. Endlich strich sie mir nach ihrer Weise die Haare aus der Stirn, legte mir den Hemdkragen zurecht und hieß mich mein Heil versuchen. Wenn der Hauptmann von Voß mich annehmen wolle, sagte sie, so habe sie nichts dawider, und dabei sah sie so heiter wie spartanische Mütter aus.

Herz und Füße hüpften mir vor Freude, und im Umsehen war ich auf der Kommandantur. Der Hauptmann hörte mich geduldig an, obgleich ich so weitläufig wie ein Leineweber war, denn ich hielt es für geraten, ihm alle seine etwaigen Einwürfe schon im voraus abzuschneiden. Ich sagte ihm von der Einwilligung meiner Mutter, und wie auch der Vater ja sagen würde, wenn ich nur erst Soldat wäre. Zwar wäre ich noch klein, aber stark und besäße auch einen Stutzen; mit diesem könnte ich bei der Bagage bleiben und hinter dem Packwagen vorfeuern.

Der Hauptmann führte mich unter das Militärmaß, das ich, mich streckend, auszufüllen strebte, und beide sahen wir uns prüfend in die Augen, so ernsthaft wie die Käuzchen. Endlich sagte er das große Wort: »Zum Train nicht untauglich.«

Zum Train! – Recht klar war mir die Sache nicht; doch dachte ich, der Hauptmann werde ohne Zweifel das Richtige getroffen haben. Zur Deckung der Bagage, so verstand ich's. Ich blieb dann bei den Wagen, konnte fahren, wenn ich müde war, und gewissermaßen hinter Schanzen fechten.

Freilich, bemerkte Herr von Voß, komme bei Soldaten auch etwas auf die Bewaffnung an, ich solle ihm daher vor allen Dingen meinen Stutzen holen. Der war geputzt und reichlich eingeölt; er konnte sich wohl sehen lassen und war schnell herbeigeschafft. In weniger als einer Viertelstunde war ich wieder da. Ich fand den Hauptmann schreibend und blieb respektvoll in der Türe stehen. Als das Schreiben kuvertiert und zugesiegelt war, winkte Herr von Voß mich heran, besah das Flintenwrack und schien zufrieden. Schloß und Lauf müßt' ich mir freilich noch dazu erobern, sagte er; ich sei übrigens angenommen, und hier sei das Patent; das möchte ich meinem Vater bringen.

Berauscht von meinen Erfolgen, schwebte ich nach Hause. Im Vorübergehen zeigte ich der Mutter das großgesiegelte Kuvert, das ich dem Vater überbrachte. Als dieser aber das Schreiben auseinanderfaltete, glaubte ich Verse zu bemerken. Der Hauptmann wird doch keinen Spaß mit mir getrieben haben? Ach ja freilich! Die Züge des lesenden Vaters erheiterten sich ja mehr und mehr; dann reichte er das Blatt der Mutter, die mir gefolgt war, und sagte lachend: »Wilhelm ist Trainknecht geworden!«

Bei diesem Titel und der Art, wie mein Vater ihn prononcierte, fielen[170] mir die Schuppen von den Augen; aber anstatt Gott zu danken, wie Don Quichotte und andere Narren, wenn sie zur Vernunft erwachen, war ich vielmehr aufs äußerste verletzt. Ich entwich auf den Boden und erhing mich hier zwar nicht, warf aber meinen Verführer, den Quasistutzen, zurück in den Rummel, aus welchem ich ihn kürzlich erst erlöst hatte, um ihn niemals wieder anzusehen.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 167-171.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon