Franz Marc 12.04.1913

[155]  

Sindelsdorf bei Penzberg, den 12. IV. 13

Oberbayern


Lieber August,


Vater vieler Kinder und des Herbstsalons, antworte dem Vater der Sezession betreff der berühmten Tradition ganz wie Du schreibst: Beckmann, Rösler und Corinth sind und haben keine Tradition, und in Liebermann »verdunstet der Impressionismus«. Es ist ja alles Geschwätz. Cassirer kriegt es mit der Angst, – das ist das wahrhaft Gute an diesem Herbstsalon, abgesehen davon, dass dieser wirklich eine anständige Ausstellung zu werden verspricht; denn ich wüsste niemand und nichts, das sie uns aus den Händen winden könnte; auch die fehlenden Gelder nicht; denn zur Not genügen natürlich die 4000. Hätte man mehr, könnte alles wirksamer geschehen, vor allem die Propaganda, die gross durchgeführt die 4000 von Koehler nur doppelt sicher stellen würde. Darin sind wir alle einig: es darf kein Geld aufgenommen werden, das unsere Freiheit in Ausstellungsfragen antasten könnte. Sollte dies unmöglich sein? Koehler ist sehr einverstanden damit, dass ich mich an Reiche gewandt. Gestern war Dr. Benkardt, Frankfurt, hier, der bis jetzt am Städelschen Museum gewesen (sehr reicher Herkunft), der mir auch versprach, diese Finanzfrage im Auge zu behalten. Er geht Ende April nach Berlin zu Walden, von allem sehr begeistert. Kopf ist er keiner, aber gerade darum ein Finanztyp, der für uns in Frage käme; vielleicht besucht er Dich. Der würde gewiss nicht ›hineinreden‹ oder wenigstens unschwer davon abgehalten werden können. – Walden war auch hier; der ganze süddeutsche und Pariser (Delaunay) Kreis ist vollkommen sicher. Ohne Antwort bin ich bis jetzt aus Berlin; aber die werden es sich schon überlegen, nicht mitzutun; ich habe keine grosse Sorge. Und wenn sie nicht mittun, wäre es nicht das tiefste Unglück; nur um Heckel und Nolde ist mir leid. Nolde stellt aber dann ganz gewiss auch nicht bei Cassirer aus; ich schrieb ihm auch persönlich.


Hier die Namenliste, die ich mit Walden zusammengestellt habe:


* Kandinsky

* Marc

* Munter

* Werefkin

* Jawlensky

* Bechtejeff

* Metzinger

* Laurencin

* Epstein

Kirchner

Heckel

Schmidt-Rottluff[156]

Mogilewsky

* Bloch

* Campendonk

Kogan

* Klee

* Kubin

* Kokoschka

* W. Burljuk

* D. Burljuk

* Adler

Kars

* Macke

Nauen

Rohlfs

* Delaunay

* Le Fauconnier

* Léger

* Archipenko

* Brancusi

* Gleizes

Müller

* Segall

Meidner

Steinhardt

Nolde

* Bolz

Floris Verster

* Arp

* Huber

* Helbig

* Lüthy

* Gimmi

* Carrà

* Boccioni

* Severini

* Russolo

Feininger (?)

Thuar (?)

G.v. Kunowsky (?)

* ›Neue Sezession‹ (mit eigner Jury, à part, in demselben Lokal)


Die mit * versehenen sind bis jetzt schon sicher. Die Bilder jedes Künstlers werden nebeneinander gehängt, so dass jeder die Hängekommission für sich selbst im Atelier spielen kann; das übrige besorgen wir (Du, Delaunay, Kandinsky, ich) in Berlin. Eine Art von Jury wird insofern ausgeübt, dass bei den Einladungen einem jeden die ihm zur Verfügung stehenden laufenden Meter angegeben werden, (z.B. Segall, die Schweizer, Epstein, Laurencin usw. weniger als Kokoschka, Nolde und ›unsereins‹.)[157]


Franz Marc 12.04.1913

Du sprichst von einem Zettel, auf dem stehen soll, was Du vom Herbstsalon denkst; in Deinem Brief lag nur die eine beschriebene Karte. Also wirke, so viel Du kannst, wir tun desgleichen. Uns geht's gut, wir leben unser Sindelsdorfer Maulwurfsleben und sondern, physiologisch geredet, Kunst ab. Wie geht's dem kleinen Balthasar? Gruss an Lisbeth, die Buben und Dich von uns beiden.


F.M.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 155-158.
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