110 [95] Brief an August Macke

Ried, 12.6.1914


Du lieber, Du mit Recht so beliebter August, Du willst mich wohl nöcken mit Deinem Schrei nach einem Kunstbrief? Um Dir besondere Freude zu machen, nahm ich wenigstens diesen schönen Kunstbriefbogen. Was soll man sonst sagen, als daß das Malen heute mit jedem Schritt, den man macht, schwerer wird; ich glaube ja auch nicht, daß wir beide den gleichen Weg schreiten. Ich denke ziemlich wie Klee, dessen Meinung Du ja kennengelernt haben wirst. Ich bin Deutscher und kann nur auf meinem eigenen Acker graben; was geht mich die peinture der Orphisten an? So schön wie die Franzosen, sagen wir: Romanen, können wir's doch nicht. Wir Deutschen sind und bleiben die geborenen Graphiker, Illustratoren auch als Maler. (Worringer sagt das sehr hübsch in seiner Einleitung zur ›Altdeutschen Buchillustration‹). Du weißt, wie ich die Franzosen liebe, – aber ich kann mich darum nicht zum Franzosen machen. Ich schürfe an mir, immer nur an mir, und suche das, was in mir lebt, meinen Blutrhythmus, darzustellen; ich glaube auch heute bestimmt, daß ich meine guten Bilder erst mit 40 und 50 Jahren malen werde; ich bin noch mit nichts in mir fertig. Könnte ich es nur, ich würde jetzt mal fünf Jahre gar nichts ausstellen; dieses schreckliche ›Verkaufenmüssen‹! In dem neuen Sezessionshaus auszustellen, dazu kann ich mich allerdings immer noch nicht entschließen; neben Beckmann, Rösler, Jagerspacher, Weissgerber, Arnold usw. – das ist zu übel. Im Oktober wird vom ›Sturm‹ aus wieder eine Kollektion von mir die Weltreise antreten. Schade, daß Ihr nicht bald mal hierherkommt; wir würden schon über Kunst reden! Aber schreiben, – ›Kunstbriefe‹ – das geht heute nicht mehr, – mir geht's wenigstens nicht mehr aus der Feder; aber im stillen schreibe ich allerdings, – ich kann's nicht lassen. Eine längere Sache über moderne Theatermöglichkeiten, sehr problematische Ideen, – aber ich glaube, es sind wenigstens ›Ideen‹. Wenn ich mal was beisammen habe, schicke ich's Dir. So in extenso läßt sich schwer darüber schreiben. Also Maria wird Euch die neuen Details unseres jetzigen Daseins schildern. Bis auf die blöde Geldnot befinden wir uns recht gut. Klees waren kürzlich einige Tage heraußen und haben viel musiziert. Ein Herr W. Beffie (Amsterdam), ein angenehmer Sammlertyp (der mir voriges Jahr für 2000 abgekauft), wird Dich vielleicht in diesem Sommer in Bonn besuchen. Nun seid alle vier herzlich gegrüßt von

Eurem alten Franzl

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 95-96.
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