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Berlin, 18./19.1.1912
... Gestern nachmittag waren wir bei Heckel und seiner Freundin, der – Tänzerin Sidi Riha; als wir weggingen, hatten wir beide das Gefühl, bei zwei Kindern gewesen zu sein. In einer ärmlichen Dachkammer sitzt die kleine Tänzerin in einem hellblauen Samtkleid, mit wunderschönen Silberspangen, die Heckel ihr angefertigt hat. Maria brach sofort auf ihrem von bemalten Latten zusammengenagelten Stuhl zusammen; wir beide kamen uns überhaupt wie ungeschlachte Bären dort vor. Die Kunst Heckeis ist sehr versteckt, mit einem[65] sehr frommen, tiefen Sinn, der mehr das feine Echo, oder besser gesagt, der Gegenklang dessen ist, was man ganz zuerst vor der Leinwand spürt; er schreckt ab, um einen nachher besser zu fassen. Ich hab mich nun nochmals genau nach der Geschichte der ›Brücke‹ erkundigt; ich muß unbedingt eine kleine Änderung in meinem Manuskript über die ›Wilden‹ [Aufzeichnungen und Schriften Nr. 3, d. Hrsg.] bringen; hoffentlich läuft es noch nicht im Druck; ich schreibe gleichzeitig an Piper; Heckel ist ganz selig, eventuell die Möglichkeit zu sehen, die russischen Komponisten, Kreis von Hartmann kennenzulernen; er suchte bis jetzt fast ganz ohne Erfolg nach Tanzmelodien; ich erzählte ihm auch von der armenischen Musik und versprach ihm, bei meiner Rückkehr mit Ihnen darüber zu sprechen. Vielleicht können Sie ihm einmal etwas verschaffen. Die Sidi Riha tritt nächstens in Wien auf, ich glaube 1. oder 2. Versuch! Wie sie tanzt, davon hab ich natürlich keine Ahnung. Ich vermute ziemlich Varieté mit exotischem Einschlag und koboldartigen Bewegungen (Radschlagen) ...