89 [81] Brief an Wassily Kandinsky

Berlin, 23.12.1912


Lieber Kandinsky, ich sprach gestern nochmal mit Koehler über die Bl.-R.-Rechnung; ich kann meine Freude nicht verbergen, daß wenigstens dieser eine Mensch sich in ganz seltener Weise von allen andern unterscheidet, mit denen ich im Leben finanziell, und mehr oder minder geschäftlich zu tun hatte. Er bedauert unendlich, daß Sie durch Berlin so schnell und schweigend durchgefahren sind, er hatte sich wirklich auf ein Zusammensein gefreut; ich sprach ihm auch von Ihren Bedenken über sein Verhältnis zu Ihren Bildern ganz offen, er bestritt es einschränkungslos; er ist stolz darauf und kaum der Mann, so etwas zu sagen, wenn es nicht so wäre. Er will nach den Feiertagen mit mir noch einmal alles durchsprechen und hält mich auch ab, zunächst schon an Osthaus und Flechtheim zu schreiben. Er verbürgte sich dafür, im Notfall zu jeder Stunde das übrige Geld an Piper zu senden, sodaß der Termin von 6 Wochen uns keine Sorge machen soll; ihm ist, glaub ich, der Gedanke, daß Flechtheim sich an unsren Bildern gütlich tut, im höchsten Grade unsympathisch ... Also nochmal: machen Sie sich nicht mehr viel Gedanken über die Pipergarantie. Ich glaube, daß Koehler die Sache so an packen wird, daß er zunächst das Geld an Piper quasi im Vorschuß zahlt und die Abrechnungen Oktober 1913 und später abwartet. Kommt dann schließlich nicht alles wieder herein, können wir ihn dann mit Bildern für einen etwaigen Verlust entschädigen ... Es ist sicher durchaus richtig, daß Sie keine Eile in die Angelegenheit Goltz legen. Mein persönlicher Eindruck, nach mannigfachen Reden und Tun mit ihm, ist: er ist ein sehr banaler und eitler, d.h. kleinlicher Geschäftsmann, dem jedes Mittel, am liebsten aber die Phrase und Pose recht ist; ›Kandinsky‹ und ›der Bl. Reiter‹ sind für ihn reine Geschäftswerte, nichts als das. Dies ist zunächst natürlich kein Vorwurf gegen einen Geschäftsmann, aber Sie denken sicher mit mir, daß Ihr Name und ›der Blaue Reiter‹ nicht dazu da sind, um Geschäftsmarken abzugeben. Dies ist meine Stellungnahme und meine Anschauung, die ich, auch nicht ohne lange und häufige Prüfung, mir gebildet habe ... Wir erleben hier viel, auch Erlebnisse, die uns glücklich machen. Wir haben hier einen prachtvollen Menschen gefunden: Else Lasker-Schüler, sie wird wahrscheinlich für ein paar Wochen im Januar nach Sindelsdorf kommen, worauf wir uns riesig freuen. Diese kurze lakonische Nachricht wird sicher in Ihnen beiden tausend Fragen erwecken,[81] – Fragen, die nicht in einem Brief beantwortet werden können, da sie ganze Romane in sich schließen. Von Walden hab ich wie immer den besten Eindruck: er lebt und arbeitet um der Sache willen, mit einem Ehrgeiz, der ihn nie entehrt; er ist bis zum 28. 12. in Schweden bei den Eltern seiner Frau. Es ist wohl möglich, daß er Goltz einmal zu heftig antwortete, wer aber wie Walden beständig und immer gegen Kleinlichkeit und Dummheit und Gemeinheit zu kämpfen hat, dem ist ein zu rasches Wort wirklich zu verzeihen; jedenfalls tut es nichts ›zur Sache‹. Nun leben Sie wohl, verleben Sie mit Münter ein vergnügtes und ruhiges Weihnachten; dies wünschen wir Ihnen beiden von ganzen Herzen. Ihr ergebener


F. Marc

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 81-82.
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