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[101] 6. Sept. 14

La Croix aux mines bei Laveline.


Liebe Maman u. liebe Maria, gestern bin ich zum Befehlholen zum Divisionsstab kommandiert worden u. schließlich um 1/2 3 Uhr zum Schlaf gekommen, auf einer offenen Wiese, in m. großen Mantel gehüllt, das Regencape unter mir. Um 1/2 5 reveille, das wird nun oft vorkommen. Der Körper gewöhnt sich vor allem, den kurzen, ganz traumlosen Schlaf aufs allermöglichste auszunutzen. Im Kriegsdienst lernt man diese Kräfteökonomie. Heute fuhren wir wieder in die Gefechtsstellung. Die Franzosen sind aber tatsächlich wieder etwas zurückgewichen; wo wir stehen, gilt als die hartnäckigste Stellung des ganzen Krieges. Die Deutschen kommen nur ganz langsam vorwärts, mit entsetzlichen Verlusten; aber es geht! Der Leichengeruch auf viele Kilometer im Umkreis ist das entsetzlichste. Ich kann ihn weniger vertragen als tote Menschen u. Pferde sehen. Diese Artilleriekämpfe haben etwas unsagbar Imposantes u. Mystisches. Ich bin körperlich sehr wohl, der Rotwein hält meinen Magen zusammen. Rheumatismus kenne ich nicht mehr. Mit einem Kuß Euer Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 101.
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