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[171] 21.XI 15.


Liebste, ich schrieb Dir schon gestern, mit welcher Freude ich Emanuel Quint lese. Die Idee des Buches deckt sich vollkommen mit meiner Auffassung des Christentums, – nämlich ihrer prinzipiellen Gegensätzlichkeit gegen pazifistische Organisationen (wie in den neuen Wegen), sozialistischen Kommunismus, der ein Erlahmen der Seele und des christlichen Opfer- und Überwindergedankens bedeutet. Bestimmend ist immer der eine Gedanke: die Welt, das ›leibliche Wallen‹ berührt uns nicht, da wir nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare. Die Nächstenliebe ist wie die menschliche Nahrung eine symbolische Handlung. Der Mangel jeglichen sozialistischen Empfindens ist gerade das Prächtige, Sieghafte an Quint; er lebt nur seiner eigenen Erniedrigung vor der Welt und damit seiner Befreiung; er will den Menschen gar nicht körperlich helfen und sie leiblich satt und gesund machen; seine auf das Geistige, Unsichtbare gerichtete Seele schrickt schmerzlich vor dieser Bitte zurück, die er in den Augen der Menschen, zu seiner bitteren Enttäuschung immer wieder liest. Das ist das große Mißverständnis der Welt an Christo. Als Quint von den Gendarmen fortgeführt wird, spricht er das furchtbare, schneidende Wort: ›Nach mir aber fraget niemand[171] fortan‹! – In nächster Woche soll hier wieder ein Aspirantenkurs stattfinden, – ich freu mich um der Abwechslung willen darauf; ich vermute, daß ich als ausbildender Offizier dazu kommandiert werde, was mich nur amüsieren würde; das Leben hier ist trotz mannigfacher Arbeit zu öde so. Ich gebe jetzt jeden Nachmittag meinem Chef theoretischen Artillerieunterricht; er möchte ja zur Balkanarmee, besitzt aber nur ziemlich mangelhafte Artilleriekenntnisse. Was ist das alles für ein verrücktes Theater- und Traumleben! Betreff Zentralheizung: zeichne mir doch einmal einen ganz groben Plan des Hauses, ungefähre Zimmergröße und Höhe (also Kubikinhalt). Ich habe hier Gelegenheit, mir einen Voranschlag machen zu lassen, was so eine Installation ungefähr kostet; ich möchte diese unverbindliche Gelegenheit benutzen, um für später eine Handhabe zu besitzen und spätere Voranschläge zu beurteilen. Leb wohl und gehe etwas vergnügt in unserm Häuschen umher, – der Krieg dauert nun keine Ewigkeit mehr. Mit Küssen und Streicheln Dein Fz.

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Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 171-172.
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