Franz Marc – Eine Biografie

Von Oliver Schulz

Franz Marc, geboren am 8. Februar 1880 in München und gestorben am 4. März 1916 bei Verdun, Frankreich, war ein deutscher Maler und Mitgründer der Künstlervereinigung »Blauer Reiter«. Er gilt als einer der bedeutendsten Maler des frühen 20. Jahrhunderts und als Mitbegründer des Expressionismus in Deutschland.


Portrait von Franz Marc, gemalt 1910 von August Macke
Portrait von Franz Marc, gemalt 1910 von August Macke

Kindheit und Jugend

Franz Moritz Wilhelm Marc wurde am 8.2.1880 als zweiter Sohn der Eheleute Wilhelm Moritz Eduard Marc, einem Maler und Juristen, der als Professor an der Akademie der Schönen Künste in München tätig war, und Sophie Marc, geborene Maurice, einer in der Schweiz aufgewachsenen Elsässerin, in München geboren.

Dort lebte er mit seinen Eltern und seinem drei Jahre älteren Bruder Paul zuerst in der Schillerstraße 18, dann in der Schwanthalerstraße 55 und schließlich ab 1895 in einem von seinem Vater neu erbauten Haus in der Villen-Kolonie in Neu-Pasing. Die beiden Brüder wuchsen zweisprachig auf und genossen hier, trotz des katholischen Umfeldes, eine protestantische Erziehung.

Seine Schulzeit, sowohl in der Grundschule als auch später am Münchner Luitpold-Gymnasium, durchlief er mühelos. Er war ein guter Schüler und wurde von seinen Lehrern stets für seinen Fleiß, sein ausgesprochenes Interesse an allen Dingen und sein tadelloses Betragen gelobt.

Gemäß seiner protestantischen Erziehung wurde Franz Marc 1894 konfirmiert. Der obligatorische Konfirmationsunterricht bei Otto Schlier, Stadtvikar an der Münchner Matthäus-Kirche, hinterließ bei ihm einen so nachhaltigen Eindruck, dass er schließlich den Wunsch verspürte, selbst Pfarrer zu werden, obwohl er zugleich auch künstlerische und literarische Ambitionen hegte. Auf die Dauer jedoch verstärkten sich die Selbstzweifel, ob er dem Anspruch, den er selber an einen Pfarrer stellte, überhaupt gerecht werden könnte, derart, dass er sich 1898 dazu entschloss, lieber Philologie zu studieren, um Gymnasialprofessor zu werden.

Zu diesem Zwecke immatrikulierte er sich nach dem Abitur, das er 1899 mit sehr guten Noten abgelegt hatte, an der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Vor Studienbeginn musste er jedoch zunächst seinen einjährigen Militärdienst ableisten. Während dieser Zeit im Lager Lechfeld bei Augsburg lernte Franz Marc reiten und entdeckte dadurch seine Liebe zu Pferden. Noch während der Dienstzeit änderte er seinen Entschluss und entschied sich, Malerei zu studieren.

Er schrieb sich im Jahre 1900 an der Akademie der Bildenden Künste in München ein und studierte bei den Professoren Gabriel Hackl und Wilhelm von Dietz, beides Vertreter der konservativen »Münchener Schule«, die auch Marcs frühe Werke prägte, wie etwa das Gemälde »Moorhütten im Dachauer Moos« aus dem Jahre 1902. Was Marc zu dieser Zeit noch nicht wusste: In der Parallelklasse von Professor Franz von Stuck studierten zwei seiner späteren Freunde – Wassily Kandinsky und Paul Klee.

Der Weg in die Selbstständigkeit

Im Oktober 1901 unternahm Franz Marc mit seinem Bruder Paul, der in Florenz Byzantinistik studiert, eine Reise nach Italien, die ihn nach Venedig, Padua und Verona führte.

Den Sommer des Jahres 1902 verbrachte er auf der Staffel-Alm oberhalb von Kochel am See. Zu diesem Ort sollte es ihn auch in den folgenden Jahren immer wieder hinziehen, bis er sich schließlich 1914 in der Nähe ein Haus kaufte.

Im Mai 1903 begab sich Marc auf Einladung seines wohlhabenden Studienfreundes Friedrich Lauer mit diesem auf eine viermonatige Reise nach Frankreich, wo er die Werke französischer Künstler wie Edouard Manet, Gustave Courbet und Eugène Delacroix sah sowie gotische Architektur und außereuropäische Kunst kennenlernte. Der Erwerb einiger japanischer Holzschnitte bei Camille Flammarion bildete den Grundstein einer eigenen Ostasiatica-Sammlung. Als Ergebnis dieser Reise fasste Franz Marc, sehr zum Missfallen seiner Familie, den Entschluss, nicht wieder auf die Akademie zurückzukehren, sondern sich fortan im Selbststudium weiter zu bilden, was gleichsam eine Abkehr von der akademischen Malweise nach sich zog.

Unterstützt wurde dieser Schritt in die künstlerische Selbständigkeit durch den Bezug seines ersten eigenen Ateliers in der Kaulbachstraße 68 in München/Schwabing im Jahre 1904. Die ersten Bilder, die in dieser neuen Umgebung entstanden, sind das heute verschollenen Gemälde »Partie an der Isar in München« sowie »Indersdorf «.

Im gleichen Jahr begann er allerdings auch eine Affäre mit der 9 Jahre älteren Malerin und Kopistin Annette Simon (geb. von Eckardt). Die Tatsache jedoch, dass seine Geliebte verheiratet war und eine Familie (zwei kleine Töchter) hatte, bedeutete für Marc eine große Belastung, welche sich bei ihm in andauernder Melancholie ausdrückte. Einen künstlerischen Ausdruck fand diese Krise in dem Gemälde »Der tote Spatz« von 1905.

Ebenfalls 1905 machte Marc jedoch auch die Bekanntschaft mit dem jungen französischen Tiermaler Jean Bloé Niestlé, die ihm einen entscheidenden Impuls in seinem künstlerischen Schaffen bescherte: Niestlé inspirierte ihn zu Tierdarstellungen, die nicht die anatomisch korrekte Abbildung des Tieres zum Ziel hatten, sondern versuchen sollten, »sich in das Tier einzufühlen, das Wesen des Tieres in einem Bild einzufangen.« Damit hatte Marc sein geeignetes Ausdrucksmittel gefunden!

Im Herbst des gleichen Jahres lernte er die Male rinnen Marie Schnür und Maria Franck kennen. Beide Damen waren Lehrerinnen am Münchner Künstlerinnenverein und die drei verband schnell eine innige Freundschaft. Das Ende des Jahres brachte für Marc auch das Ende der ihn quälenden Beziehung zu Annette Simon mit sich, allerdings ohne dass dies allein bereits seine depressive Gestimmtheit aufzuhellen vermocht hätte.

In der Hoffnung auf eine Besserung seiner Stimmungslage folgte Marc im Frühjahr 1906 der Einladung seines Bruders Paul, ihn als Helfer auf eine dreiwöchige Reise nach Griechenland zu begleiten. Paul Marc hatte inzwischen sein Byzantinistik-Studium abgeschlossen und den Auftrag erhalten, in den Klöstern auf dem Berg Athos Handschriften wissenschaftlich zu untersuchen und zu fotografieren.

Kaum von dieser Reise zurückgekehrt, zog es Franz Marc auch schon wieder nach Kochel, wo er von Mai bis Oktober blieb und malte. Hier besuchten ihn Marie Schnür und Marie Franck, die er in dem Gemälde »Zwei Frauen am Berg« verewigt, das beide Frauen auf einer Wiese zeigt.

Das Weihnachtsfest 1906 verbrachte Franz Marc im elterlichen Haus in Pasing. Es wollte jedoch keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen, da sein Vater, der bereits seit einigen Jahren gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen war, im Sterben lag. Fest gehalten hat Marc diese Situation in einem Gemälde sowie einer, im Format kleiner gehaltenen, Kreidezeichnung »Kopf des Vater auf dem Totenbett«.

Am 26. März 1907 heiratete Franz Marc, obwohl eigentlich in Maria Franck verliebt, Marie Schnür. Der Hintergrund dieser überraschenden Hochzeit war, dass Marie Schnür einen kleinen Sohn hatte, dessen Vater sie jedoch nicht heiraten wollte. Aufgrund der damaligen Rechtslage musste das Kind bei Maries Eltern in Swinemünde leben, bis sie selbst verheiratet war. Mit dieser »Scheinehe« wollte Marc ihr also ermöglichen, ihren Sohn zu sich zu holen. Dass es tatsächlich nur eine Gefälligkeit war zeigt der Umstand, dass Marc noch am Abend nach der Trauung allein nach Paris fuhr. Marie hatte er kurzerhand in einen Zug nach Gauting gesetzt und seinen Freund Niestlés gebeten, sich um sie zu kümmern. Die acht Tage, die er in Paris verweilte, gehörten nach eigenem Bekunden zu den »traumhaftesten« seines Lebens. Besonders begeisterten ihn diesmal die Werke Vincent van Goghs und Paul Gauguins.

Bereits kurz nach der Rückkehr nach München stellte sich das Zusammenleben mit Marie Schnür als problematisch heraus. Um Ruhe zu finden zog er sich deshalb von Juni bis August zum Malen in das Kloster Indersdorf zurück.

Lediglich Ende Juni begab er sich zwischenzeitlich wieder nach München, um ein neues Atelier in der Schellingstraße 33 zu beziehen. Es war das bisherige Atelier seiner früheren Geliebten Annette Simon.

Um seine finanzielle Situation aufzubessern entschloss sich Marc zur Veranstaltung von Kursen zur Tieranatomiezeichnung. Der Erfolg war jedoch eher gering. Die Beziehung zu Marie Schnür verschlechterte sich derart, dass Marc bereits nach einem Jahr die Scheidung einreichte. Entgegen vor der Heirat getroffener Absprachen verklagte Schnür ihn jedoch wegen Ehebruchs und verhinderte so trotz einer schnellen Scheidung die Möglichkeit einer Hochzeit mit seiner eigentlichen Liebe Maria Franck.

Mit dieser verbrachte Marc den Sommer 1908 in Lenggries, wo er mit großem Enthusiasmus vor allem Pferde- und Baumstudien malte. So entstand hier neben dem »Lärchenbäumchen« auch das große Lenggrieser »Pferdebild«. Hierfür hatte er, wie Maria Franck später in einem Brief berichtete, seine Staffelei unter schattenspendenden Bäumen auf einer Pferdeweide aufgestellt. Immer wieder ging er den Pferden hinterher, studierte sie, kehrte zu seiner Staffelei zurück und malte das Gesehene. Stilistisch betrachtet, strebte er zu dieser Zeit eine immer größere Vereinfachung der Form an, während die Farben, unter denen zu diesem Zeitpunkt die hellen dominierten, zunehmend zu einem selbständigen Ausdrucksmittel wur den.

Seine finanzielle Situation hingegen war nach wie vor prekär und so kam er auf die Idee, mit Bronze-Plastiken Geld zu verdienen, die er notfalls »bis nach Russland etc.« schicken wollte. Eine hilfreiche Unterstützung in dieser Lage fand Marc in der Person seines früheren Akademiekollegen Fritz Osswald. Dieser erreichte im Frühjahr 1909, dass die beiden einflussreichen Kunsthändler Justin Thannhauser und Josef Brakl einige von Marcs Werken kauften und Brakl ihm sogar für das kommende Frühjahr in seiner Kunsthandlung eine Ausstellung seiner Werke in Aussicht stellte.

Die Phase der Entfaltung

Einen weiteren Impuls erhielt er durch eine van Gogh-Ausstellung, die im Dezember in der Münchner Galerie Brakls veranstaltet wurde und in der etwa 70 Werke des holländischen Meisters gezeigt wurden. Marc, der bereits bei seiner zweiten Parisreise im Frühjahr 1907 von den Werken van Goghs sehr beeindruckt war, half Brakl begeistert beim Aufbau der Ausstellung und besuchte diese während ihrer Dauer mehrere Male. Die Inspirationen, die er hier durch van Gogh fand, flossen direkt in das gerade in Arbeit befindliche Gemälde »Katzen auf rotem Tuch« ein, das er am 5. Januar 1910 vollendete.

Anfang Januar 1910 lernte Franz Marc den Maler August Macke kennen, als dieser ihn in Begleitung seines Vetters Helmuth und des Berliner Fabrikanten Bernhard Koehler in seinem Atelier in der Schellingstraße aufsuchte. Die beiden Künstler waren sich auf Anhieb sympathisch und es folgte bald darauf ein Gegenbesuch Marcs zusammen mit Maria Franck und seinem Hund Russi im Haus August Mackes am Tegernsee. Die Gespräche drehten sich hier, zum Leidwesen von Mackes Vetter Helmuth, hauptsächlich um Marcs Tierstudien. Helmuth bemerkte dazu später in einem Brief: »Marc erzählte damals recht viel von sei nem Freund Jean Bloé Niestlé und in welcher Weise die beiden im Wald im Sumpf und Moor den Gewohnheiten der Tiere wie die Jäger auflauerten um ihr Sein ganz kennenzulernen. Dies interessierte meinen Vetter sehr und ich musste lange Diskurse über diesen Gegenstand nach Marcs Fortgang darüber aushalten. Praktische Versuche nach dieser Richtung brachte nur ein mit Fett überzogener Baumzweig der ans Fenster angenagelt wurde und die Vögel anlockte, so dass mein Vetter sie bequem zeichnen konnte ...«

Im Februar 1910 konnte Marc, wie von Brakl zugesagt, in dessen Kunsthandlung seine erste eigene Ausstellung eröffnen. Während dieser Ausstellung erwarb Koehler einige von Marcs Werken, darunter auch das Gemälde »Der tote Spatz« aus dem Jahre 1905, von dem sich der Maler nur schwer trennen konnte. Der Verleger Reinhard Piper erstand bei dieser Gelegenheit eine Lithographie Marcs. Dieser erste Kontakt mit Piper sollte sich später noch als nützlich erweisen, als Marc im Jahr darauf Kandinskys Manuskript »Über das Geistige in der Kunst« an den Piper-Verlag vermitteln konnte.

Im Anschluss an diese Ausstellung zog es Marc Anfang April wieder nach Sindelsdorf. Da er wusste, dass München nicht länger sein Lebensmittelpunkt sein würde, löste er sein Atelier in der Schellingstraße auf und zog mit einem Großteil seines Hab und Gutes in das beschauliche Dorf am Fuße der Alpen.

Bei einem Besuch Marcs bei Bernhard Koehler in Berlin, Ende April, vereinbarten die beiden, die sich ausgezeichnet verstanden, außerdem, dass Koehler an Marc monatlich 200 Mark zahlen und dafür die Hälfte seiner Bilder, in ungerahmtem Zustand, erhalten sollte. Dieser Vertrag wurde zunächst auf ein Jahr geschlossen, enthielt aber die Option auf eine Verlängerung, falls diese notwendig sein sollte.

Im Herbst des Jahres 1910 besuchte Marc die zweite Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung in München. Von dieser war er so angetan, dass er sofort eine positive Kritik verfasste, in deren Folge er mit einigen Künstlern dieser Gruppe, vor allem mit Alexej von Jawlensky, Alexander Kanoldt und Adolf Erbslöh, in persönlichen Kontakt kam. Hinsichtlich seiner Malerei erwuchs im während des Aufenthalts in Sindelsdorf das Gefühl, seinen Weg gefunden zu haben. In dieser Zeit entstanden unter anderem die Gemälde »Weidende Pferde I« und »Pferd in der Landschaft«.

An Neujahr 1911 lernte Marc bei Jawlensky in Murnau, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und Wassily Kandinsky kennen. Hieraus entstand ein enger Kontakt, der dadurch noch begünstigt wurde, dass Murnau und Sindelsdorf geografisch nicht weit voneinander entfernt liegen.

Am 3. Februar besuchten ihn Vertreter der Neuen Künstlervereinigung in Sindelsdorf, um seine Werke zu besichtigen. An ihnen fanden diese derart Gefallen, dass Marc in die Vereinigung aufgenommen und auf Anhieb zum 3. Vorsitzenden gewählt wurde. Im Mai 1911 fand Marcs zweite Einzelausstellung statt; diesmal der Modernen Galerie Heinrich Thannhausers.

Da die Hindernisse für eine Hochzeit mit Maria Franck in Deutschland immer noch nicht beseitigt waren, beschlossen sie, die Ehe im Ausland zu schließen. Ende Mai reisten beide daher nach London, wo sie bei Verwandten August Mackes unterkamen und heirateten dort am 13. Juni 1911. Nach ihrer Rückkehr stellte sich allerdings heraus, dass diese Ehe in Deutschland nicht anerkannt wurde, so dass die Hochzeit 1913 wiederholt werden musste.

Des Weiteren beteiligte sich Franz Marc 1911 mit einem Beitrag zur Denkschrift »Im Kampf um die Kunst« an einer Kontroverse und das Wesen der deutschen Kunst und ihrer Protektion. Losgetreten worden war diese Debatte durch die Anklageschrift »Protest deutscher Künstler« an der sich unter der Federführung des Künstlers Carl Vinnen 140 Künstler und Kunstkritiker beteiligt hatten. Ihr Vorwurf richtete sich vor allem gegen die Ankaufspolitik deutscher Museen, die ihrer Meinung nach die Förderung einheimischer Künstler vernachlässigte und somit eine Überfremdung der deutschen Kunst zur Folge hätte. Dieser Vorwurf konnte jedoch in »Im Kampf um die Kunst«, an der sich 75 Künstler und Galeristen, neben Marc auch Kandinsky, Macke, Pechstein, Liebermann, Corinth und Slevogt beteiligten, widerlegt werden. Nebenbei reifte in ihm die Idee eines umfassenden Almanachs zur momentanen Kunstsituation – eine Idee, die bereits ein Jahr später Realität werden sollte.

Der Blaue Reiter

Seit geraumer Zeit schon hatte es innerhalb der Neuen Künstlervereinigung massive Spannungen gegeben. Der Streit eskalierte als die Jury Wassilly Kandinskys abstrakte »Komposition V« ablehnte und nicht zur dritten Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung zuließ. Daraufhin verließen sowohl Kandinsky als auch Marc am 2. Dezember die Vereinigung und gründeten, quasi als Gegenreaktion, den »Blauen Reiter«.

Über die Entstehung dieses Namens verriet Kandinsky später: »Beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter, So kam der Name von selbst.« Zu den Mitgliedern zählten neben Marc und Kandinsky u. a. August Macke, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky und Paul Klee. Nach ihrer Auffassung besitzt jeder Mensch eine innere und eine äußere Erlebniswirklichkeit, die durch die Kunst zusammengeführt werden soll. Die Arbeiten dieser Gruppe sollten wegbereitend für die gesamte Moderne Kunst des 20. Jahrhunderts werden.

Bereits am 18. Dezember 1911 eröffneten sie unter dem Titel «Das Geistige in der Kunst » die erste Ausstellung ihrer neuen Künstlervereinigung in der Galerie Thannhauser in München. Insgesamt zeigte die Ausstellung 50 Werke von 14 Künstlern, darunter Henri Rousseau, Robert Delaunay, August Macke, Arnold Schönberg, Gabriele Münter, Jean Bloé Niestlé sowie Kandinsky und Marc. Zu sehen war sie außer in München auch in Köln, Berlin, Frankfurt, Bremen, Hagen, Hamburg, Rotterdam, Amsterdam, Wien, Prag, Barmen, Oslo, Königsberg und Göteborg. Dennoch war die Ausstellung ein Misserfolg. Von den 50 Bildern wurden lediglich 8 verkauft. Als einziger wurde Delaunay gefeiert, Kandinsky hingegen gar nicht verstanden.

Den Jahreswechsel 1911/12 verbrachte Marc zusammen mit Maria in Berlin, wo er Anfang Januar auch mit dem Komponisten Arnold Schönberg sowie den Malern Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein zusammentraf. Von ihnen suchte er sich einige Graphiken aus, um sie nach München zu schicken, wo im Februar 1912 unter dem Titel »Schwarz-Weiß« in der Galerie Hans Goltz die zweite Ausstellung des »Blauen Reiters« stattfinden und ausschließlich graphische Arbeiten gezeigt werden sollten.

Im Mai 1912 erfolgte in Zusammenarbeit mit Kandinsky und Macke schließlich die Veröffentlichung des seit einem Jahr geplanten Almanachs unter dem Namen »Der Blaue Reiter«, welcher im März 1914 noch in einer zweiten Auflage erschien.

In Berlin stellte der Galerist Herwarth Walden der weil Künstler des »Blauen Reiters« als »Deutsche Expressionisten« unter dem Titel »Zurückgestellte Bilder des Sonderbundes« in seiner Galerie aus.

Die Jahre der Anerkennung

Im Herbst 1912 fuhr das Ehepaar Marc nach Bonn, besuchte August Macke und die dortige Sonderbundesausstellung. Gemeinsam mit Macke reisten sie weiter nach Paris, wo sie Robert Delaunay endlich persönlich kennenlernten. Als sie auf ihrer Rückreise wieder in Bonn Station machten, ergab sich für Marc die Gelegenheit, sich an der Gestaltung einer Futuristen-Ausstellung in Köln zu beteiligen. Dabei beeindruckten ihn vor allem die italienischen Futuristen, die im Folgenden auch seine Arbeiten beeinflussen sollten («Kühe, gelb-rot-grün»).

Den Jahreswechsel verbrachte Marc wiederum in Berlin, wo er Erich Heckel besuchte und Else Lasker-Schüler kennenlernte, die noch bis 1910 mit dem Galeristen Herwarth Walden verheiratet gewesen war. Beide verstanden sich auf Anhieb so gut, dass Marc sie zu einem Gegenbesuch nach Bayern einlud. Und tatsächlich besuchte Else Lasker-Schüler ihn anlässlich einer erneuten Ausstellung seiner Werke in der Galerie Thannhauser bereits im Januar 1913 in München und begleitete ihm anschließend auch nach Sindelsdorf. Den März 1913 verbrachten Marcs in Südtirol. Dieser Aufenthalt lieferte auch die Inspirationen zu den Gemälden »Das arme Land Tirol« und »Tirol«.

Am 25. April erhielt Marc einen Brief von Dr. Hans Hildebrandt von der Technischen Hochschule Stuttgart, verbunden mit der Aufforderung, sich an besagter Hochschule um den vakanten »Lehrposten für Abendakte« zu bewerben, um dort die Position der Moderne unter der ansonsten recht reaktionären Professorenschaft zu verstärken. Zu einer Berufung Marcs nach Stuttgart kam es dann jedoch nicht, was möglicherweise auch damit zusammenhing, das Franz und Maria nach deutschem Recht noch immer nicht verheiratet waren und somit in »wilder Ehe« lebten – für damalige Zeit ein äußerst unmoralische Verhalten! Doch dieser Zustand sollte nicht mehr lange währen. Nachdem die letzten gerichtlichen Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt waren, konnte am 3. Juni 1913 die Trauung in München nachgeholt werden.

Darauf folgte eine der produktivsten Phasen im künstlerischen Schaffen Franz Marcs. Im Sommer, den die Marcs wieder in Sindelsdorf verbrachten, entstanden seine großen Gemälde, u. a.: »Der Turm der blauen Pferde«, »Tierschicksale«, und »Bild mit Rindern«. Im gleichen Jahr plante Marc, zusammen mit Wasilly Kandinsky, Alfred Kubin, Paul Klee, Erich Heckel und Oskar Kokoschka, eine illustrierte Bibelausgabe herauszugeben. Kandinsky wollte die Apokalypse illustrieren, Kubin das Buch Daniel, Kokoschka das Buch Hiob, Heckel ein Evangelium und er selbst das Buch Moses gestalten.

Daneben beschäftigte er sich vor allem in der zweiten Jahreshälfte mit den organisatorischen Vorbereitungen und dem Aufbau des »Ersten Deutschen Herbstsalons« in der Galerie Herwarth Waldens in Berlin.

Im April 1914 erwarb Marc ein Haus in Ried bei Kochel am See und zog mit Maria dort ein. Zur gleichen Zeit war er mit Entwürfen zu einer Inszenierung von William Shakespeares »Der Sturm« am Münchner Künstlertheater beschäftigt. Dieses Projekt verlief jedoch schließlich im Sande, nachdem die Intendanz des Theaters ihm die gewünschte künstlerische Freiheit nicht gewähren wollte. Enttäuscht äußerte er sich darüber in einem Brief an Hugo Ball: »Es müsste doch unbedingt ausgesprochen werden, dass wir durchaus nicht die Lust haben, dem Künstlertheater schöne neue Dekorationen und »Bühnenbilder« zu schaffen, sondern das wir die Scene selbst, d.h. also das Schauspiel neu organisieren und nach unserem künstlerischen Vorstellungsleben gestalten wollen. .. Ich warte dann lieber, bis sich einmal wirklich etwas Neues schaffen lässt, mit eigenem Ensemble und vollkommener Bewegungsfreiheit. Sonst kommt nichts Echtes zu Stande.«

In diesen letzten Monaten vor Beginn des Ersten Weltkrieges entstanden noch die Werke »Die Vögel« und »Kämpfende Formen«. Der Name des letzteren wirkt bereits wie eine düstere Vorahnung.

Im Krieg

Direkt nach Kriegsausbruch am 1. August 1914 meldete sich Marc, der sich anfänglich sehr für den Krieg begeisterte, ebenso wie August Macke freiwillig zum Kriegsdienst. Beide waren von der reinigenden Wirkung des Krieges auf die ihrer Meinung nach verrottete Gesellschaft überzeugt. In einem Brief an Kandinsky vom 26. September schwärmte er: »Mein Herz ist dem Kriege nicht böse, sondern aus tiefstem Herzen dankbar! Es gab keinen anderen Durchgang zur Zeit des Geistes. Der Stall des Augias, das alte Europa, konnte nur so gereinigt werden, oder gibt es einen einzigen Menschen, der diesen Krieg ungeschehen wünscht?« Am selben Tag fiel August Macke in einem Gefecht südlich von Perthes-les-Hurluin in der Champagne. Auch der Tod dieses Freundes und das alltäglich erlebte Grauen des Krieges, das er, wie aus seinen Briefen hervorgeht, durchaus reflektierte, konnten vorerst kaum etwas an Marcs Einstellung zu diesem Krieg ändern. Am 24. Oktober bemerkte er wiederum in einem Brief an Kandinsky: » Ich selbst lebe in diesem Krieg. Ich sehe in ihm den heilsamen wenn auch grausamen Durchgang zu unseren Zielen; er wird die Menschen nicht zurückwerfen, sondern Europa reinigen, »bereit« machen.«

Da der Krieg ihm nur wenig Gelegenheit zum Malen ließ – nur ein kleines Skizzenbuch ist aus dieser Zeit erhalten – verlegte Marc sich auf das Schreiben. Neben vielen Briefen an seine Frau Maria und seinen Bekanntenkreis, unter anderem an Lisbeth Macke, verfasste er auch Aufsätze und Aphorismen.

Mit fortschreitender Dauer des Krieges jedoch verflog, wie bei vielen seiner Zeitgenossen, so auch bei Marc die anfängliche Kriegsbegeisterung. Desillusioniert wollte er nun stattdessen so schnell wie möglich wieder nach Hause. Die Gelegenheit hierzu bot sich tatsächlich im Februar 1916. Nach einer Übereinkunft zwischen dem Minister für geistliche und Unterrichtsangelegenheiten und dem Chef des stellvertretenden Generalstabes sollten zur »Förderung der Betätigung im Felde stehender Künstler« an die 30 besonders begabte Künstler ausgewählt und von der Front abgezogen werden. Zu den Anwärtern hierauf sollte nach dem Willen von Richard Seewald, ebenfalls Maler und Mitglied der »Neuen Sezession« sowie des »Deutschen Künstlerbundes«, auch Franz Marc gehören. Bereits in freudiger Erwartung der Heimkehr schrieb er am 4. März 1916 einen letzten Brief an seine Frau: » Ja, dieses Jahr werde ich auch zurückkommen in mein unversehrtes, liebes Heim, zu Dir und zu meiner Arbeit. Zwischen den grenzenlosen schaudervollen Bildern der Zerstörung, zwischen denen ich jetzt lebe, hat dieser Heimkehrgedanke einen Glorienschein, der gar nicht lieblich genug zu beschreiben ist.« Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm: Bei einem Melderitt, den er am Nachmittag desselben Tages vor Verdun zu erledigen hatte, geriet er unter den Beschuss der französischen Artillerie und wurde von Granatsplittern tödlich getroffen.

Sein Leichnam konnte jedoch erst 1917 geborgen und nach Kochel am See überführt werden, wo er auch beigesetzt wurde.

Nach seinem Tode

Bereits in seinem Todesjahr 1916 wurde in München eine Franz-Marc-Gedächtnis-Ausstellung gezeigt, die bis dahin umfangreichste Zusammenstellung seiner Werke. Nur vier Jahre später, 1920, entschloss sich seine Witwe dazu, die zahlreichen Briefe aus Marcs Nachlass zur Veröffentlichung freizugeben.

Nach der Machtübernahme 1933 wurde in nationalsozialistischen Kreisen damit begonnen, Franz Marc als »entarteten Künstler« zu diffamieren. Obwohl während der Olympischen Spielen 1936 in Berlin die Werke Marcs zu Propagandazwecken noch einmal im Kronprinzenpalais der Weltöffentlichkeit gezeigt wurden, sah sich im gleichen Jahr der Direktor der Berliner Nationalgalerie, Eberhard Hanfstaengl, dazu gezwungen, das Angebot der Witwe Maria Marc, anlässlich des 20. Todestages ihres Mannes in den Räumen der Nationalgalerie eine Sonderausstellung zu veranstalten, abzulehnen, um nicht mit den nationalsozialistischen Machthabern in Konflikt zu geraten.

Im Rahmen der Aktion Entartete Kunst wurden 1936/37 zahlreiche Werke Marcs beschlagnahmt und aus den deutschen Museen entfernt. Einige davon wurden in der gleichnamigen Propagandaausstellung gezeigt, was jedoch Proteste des Deutschen Offiziersbund hervorrief, der an Marcs »Heldentod« vor Verdun erinnerte. Ein Teil seiner Werke wurde in der Folge vernichtet, der Rest größtenteils ins Ausland verkauft. Durch Kriegseinwirkungen ging ein weiterer Teil seines Oeuvres verloren. Zu den verschollenen Werken gehört unter anderem Marcs wohl berühmtestes Gemälde, »Turm der blauen Pferde«, das sich zuletzt im Besitz von Hermann Göring befunden haben soll.

Der schriftliche Nachlass Franz Marcs wurde 1973 vom Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg käuflich erworben. Dieser Nachlass umfasst auch einige Zeichnungen und Aquarelle.

Die letzte, und seit der Franz-Marc-Gedächtnis-Ausstellung 1916 umfangreichste, Retrospektive des verbliebenen malerischen und graphischen Werks von Franz Marc, war vom 17. September 2005 bis zum 8. Januar 2006 im Münchner Lenbachhaus und im zugehörigen Kunstbau zu sehen.

Literatur

FÖRSTER, Katja: »Auf der Suche nach einem vollkommenen Sein: Franz Marcs Entwicklung von einer romantischen zu einer geistig-metaphysischen Weltinterpretation«


HÜNEKE, Andreas (Hrsg.): »Zitronenpferd und Feuerochse – 100 Grafiken« . Leipzig, Reclam-Verlag, 1990.


Katalog zur Ausstellung »Franz Marc 1880–1916« in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München, hrsg. von Rosel GOLLEK, München, Prestel-Verlag, 1980.


PARTSCH, Susanna: »Franz Marc 1880–1916«. Köln, Benedikt Taschen Verlag, 1992


SCHULZ, Oliver: »Die Staatlichen Museen zu Berlin in den Jahren 1933–1945 – Eine institutionsgeschichtliche Studie«. Diplomarbeit, Fachhochschule Potsdam.


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