Im Sabinergebirge

[159] Nach so langem Herumstreifen in freier Natur, in Wald und Bergen war es wohltuend, in Rom eine kurze Pause zu machen, um sich an den großen Kunstwerken im Vatikan und in den Galerien Borghese und Doria wieder zu sammeln und zu stärken.

Nachdem mancherlei Geschäfte abgetan, Papier, Farben und Stifte komplettiert waren, wanderten wir unserer fünf, Oehme, Wagner, Götzloff, Rist und ich, und zwar zu Fuß, nach Tivoli.

Der Weg durch die Campagna war sehr heiß, und wir langten gegen Mittag an den Weingärten und dem Olivenwalde an, wo der Weg nach dem Städtchen sich hinaufzieht. In den engen Gäßchen, welche zu unserem Albergo, der Sibylle, führten, waren wir bald[159] von einem Gefolge von Bettlern aller Art begleitet. Kinder und Greise, Krüppel und Gesunde, Bettler von Metier und Dilettierende, welche zum Zeitvertreib und aus Langeweile mitliefen, jammernd oder lustige Witze reißend, sie alle umschwirrten uns wie die Fliegen; ja ein altes Weib streckte ihre dürre Hand aus einem Fenster des dritten Stockes mit der Bitte »un bajocco, Signori!« So langten wir in stattlichem Gefolge samt unserem Esel, welcher das Gepäck trug, vor der Sibylle an. Der Wirt wies uns mehrere kleine Zimmer an, und ein billiger Akkord für Kost und Wohnung war bald abgeschlossen. Vor der Haustür saß auf der Steinbank ein achtzigjähriger deutscher Maler, ein Hannoveraner, der uns stumpf und grämlich ansah. Er war ein Freund des früheren Wirts gewesen und von diesem testamentarisch auf den Sohn vererbt worden zu lebenslänglicher Pflege für eine sehr geringe Pension, welche er aus seiner Heimat bezog. Er wußte von Asmus Carstens und anderen Zeitgenossen zu erzählen, hatte auch Kniep gekannt, den Landschaftsmaler, welcher Goethe nach Sizilien begleitet hatte. Freund Götzloff hatte diesen alten Kniep in Neapel angetroffen und war von ihm gefragt worden, ob er (als Sachse) vielleicht einen gewissen Goethe kenne, und ob dieser noch in Weimar lebe. So isoliert, abgestumpft und abgestorben dem Vaterlande lebte das alte Männchen in der Fremde. Eine ähnliche Ruine war der alte Frei, so hieß der Sibyllenalte, ohne jede Beziehung zu dem geistigen Leben und Bewegen in der Kunst dieser Zeit unter seinen Landsleuten. Er war deshalb meist stumm und sah grämlich drein, und nur auf Befragen hörte man ein Stück Kunstgeschichte vom Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts.

Die Fenster unserer Zimmer gingen auf den Hof hinaus, in welchem an steil abfallender Felswand der bekannte Tempel der Sibylle (oder Vesta) stand. Aus der Tiefe des grün umbuschten Felsenkessels tönte das Gebraus des Anio herauf, welcher, nachdem er in prachtvoller Kaskade sich in die Neptunsgrotte herabgestürzt hatte, zwischen Felsen gedrängt dumpf grollend und brausend seinen Weg aus dem Tale suchte. Hier oben war für mich und Freund Oehme unser Lieblingsplätzchen. Wenn wir des Tages Last und Hitze getragen und unser einfaches pranzo verzehrt hatten, lagerten wir uns gern in den späteren Abendstunden zwischen den Säulen des[160] kleinen, reizenden Tempels und schwatzten über Kunst – mit dem redlichsten Bemühen, uns darüber klarer zu werden –, und das Ende vom Liede war gewöhnlich ein Gedenken der Liebsten in der Heimat, ein Stoff, der nie an Reiz verlieren konnte! Das herzige Freundesgespräch, die süße Abendstille, von dem dumpfen Brausen aus dem Tale nur mehr hervorgehoben, fesselte uns an diesen köstlichen Ort, nachdem längst schon die Dämmerung über Berg und Tal sich gesenkt und die Nacht mit ihren flimmernden Sternbildern herausgezogen war, die uns so freundlich erglänzten wie jenen in der Heimat.


Sobald ich mich einigermaßen in der nächsten Umgebung Tivolis orientiert hatte, ging es an ein fleißiges Arbeiten von früh bis abends, und zwar mit einer Lust und Freude, die gar keine Ermüdung aufkommen ließ; denn die Fülle der verschiedenartigsten und schönsten Motive reizte immer von neuem zur Tätigkeit, und was nicht als ausgeführtes Studienblatt in die Mappe kam, fand wenigstens als flüchtiger Entwurf sein Plätzchen im Skizzenbuche. Ich werde nie die schönen Morgen vergessen, wo ich im Schatten uralter Olivenbäume zeichnend, von Vogelgezwitscher und dem Zirpen der Tausende von Zikaden umtönt, in dieser holden Einsamkeit so recht das Glück meiner Lage empfand.

Drüben auf der anderen Seite des Tales rauschten und stäubten die Cascatellen hernieder, silberglänzend in der Morgensonne, oben lagen die grauen Mauern der Villa des Mäcen, und über den schattigen Olivenwäldern schimmerte in zartem Blau das liebliche Albanergebirge in dies friedliche Landschaftsbild herein. Hübsche, schwarzäugige Mädchen stiegen langsam den Talweg herauf, den Kopf belastet mit Körben voll süßer Feigen oder früher Trauben, uve zitelle, welche schon im Monat August reif sind, und für einige Bajocchi hatte ich eine Fülle dieser Früchte. Die Mädchen ruhten bei mir aus, guckten neugierig meinem Zeichnen zu und fanden zu ihrer Zufriedenheit alles richtig darauf, »o quanto bello

Ein kleines Geräusch machte, daß ich aufsah. Mit nicht geringem Erstaunen erblickte ich drei kleine Haustüren in freundschaftlichem Gespräch den Berg miteinander hinabwandeln, und zwar ordentlich auf zwei Menschenfüßen. Es kam mir aber sogleich ins Gedächtnis,[161] daß ich bereits eine komische Beschreibung von den riesengroßen Malkasten einiger französischer Maler gehört hatte, welche seit mehreren Tagen sich in der Sibylle einquartiert hatten. Und so war es. Denn bald darauf gingen auch die Inhaber der Kasten vorüber, welche letztere den Jungen auf den Rücken geschnallt waren, und von welchen sie völlig bis auf die Füße – die allein unten hervorragten – bedeckt waren.

»Die Gegensätze berühren sich!« Dies war hier nur räumlich der Fall, denn die Zimmer der Franzosen stießen unmittelbar an die unsrigen, und, obwohl sie mindestens ebenso liebenswürdige und solide Leute waren, als wir zu sein uns schmeichelten, so kamen wir doch durchaus in keinen Verkehr miteinander. Im Gegenteil mieden wir uns mit einer Art von Scheu; denn jede Partei mochte die andere für mezzo matti halten; die Gegensätze waren damals zu stark. – Die französischen Maler mit ihren Riesenkästen brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstpinseln halb fingersdick aufgepatzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt – oder wie wir sagten – einen Knalleffekt zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet. Dagegen wir: da wurde – gerade umgekehrt – mehr gezeichnet als gemalt. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest, bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig, und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffekte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objektiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben. Wie wenig das aber dennoch gelingen wollte, erfuhr ich gerade hier in Tivoli recht auffallend.

Wir saßen einst unserer vier auf einem schmalen Felsvorsprung eng nebeneinander, der großen Kaskade des Anio gegenüber. Jeder befleißigte sich der möglichsten Treue in der Wiedergabe des Gegenstandes, und deshalb war ich nicht wenig überrascht, als ich, am[162] Schluß der Arbeit aufgestanden, die vier vor mir liegenden Bilder überblicken konnte und sie so abweichend voneinander fand. In der Stimmung, in Farbe, im Charakter der Kontur war bei jedem etwas anderes hineingekommen, eine leise Umwandlung zu spüren. Ich merkte, daß unsere vier Augenpaare wohl das Gleiche gesehen, aber das Gesehene in eines jeden Innerem je nach seiner Individualität sich umgestaltet hatte. Am stärksten trat es bei einem Melancholikus hervor. Bei ihm waren die bewegten Umrisse der Busch- und Felsmassen ruhiger, geradliniger, die heitere Farbe der goldig bräunlichen Felsen bleicher, trüber geworden; dagegen machte sich ein nächtliches Violett in den Schatten sehr geltend, welche in der Natur doch so klar und farbig erschienen. Kurz, des Menschen Art offenbarte sich ganz entschieden in seiner Malerei, und so war es bei einem jeden. Ich will dabei nicht verhehlen, daß mir das eigene Opus zwar unsicher, tastend, suchend, nachfühlend – aber gegen die drei anderen am objektivsten, treuesten erschien.

Nun war diese Erfahrung: daß ein jeder die Natur anders ansieht oder vielmehr anders reproduziert, durchaus nichts Neues; aber ich hatte es noch nie so tief empfunden, so augenscheinlich gesehen: daß die Kunst nur der beseelte Widerschein der Natur aus dem Spiegel der Seele sei, und daß deshalb eine gesunde und reine Entwickelung der Sinnes- und Denkweise, die Ausgestaltung des inneren Menschen, auch in Beziehung auf die Kunst von größter Bedeutung ist.

(Goethe ruft den jungen Künstlern zu: »Denkt gut, so werdet ihr etwas Rechtes schaffen!«)


Nachdem nun noch manches Studienblatt gesammelt wurde, bald in dem wasserbrausenden Felsenkessel der Sibyllengrotte, in der köstlichen Villa d'Este mit ihren uralten Zypressen oder in dem einsamen Tale, wo die Claudischen Aquädukte stehen, oder interessante Häusergruppen in der Stadt selbst, so wurde von Wagner und mir der Entschluß gefaßt, den ganzen Monat September in Olevano zuzubringen, welches seit Kochs Zeiten der Lieblingsaufenthalt der deutschen Maler geworden war.

In der letzten Woche unseres Aufenthalts hatten wir noch die[163] Freude, Philipp Veit und von Rhoden in die Sibylle einkehren zu sehen. Der drückenden Hitze Roms entflohen, suchten sie in dem wasserreichen Tibur sich zu erfrischen, und strichen, die Flinte auf dem Rücken, in den Bergen herum, um gelegentlich einen Hafen oder ein paar Vögel zu schießen. Die Abende, welche uns gewöhnlich zusammenführten, wurden lebhafter und anregend durch Gespräche über Kunst und Literatur; denn Veit trieb damals mit Eifer das Spanische und hatte sich in Cervantes und besonders in Calderon vertieft. Der sehr lebhafte, kräftige Rhoden dagegen tischte oft recht wunderliche und schaurige Jagdgeschichten auf, die, wenn auch nicht immer glaublich, doch sehr erheiternd wirkten. Einst traf ich ihn um die Vesperzeit in dem Gemäuer des Sibyllentempelchens, ganz versunken und verloren in einen allen Pergamentband. Es waren die Schriften der heiligen Theresia, die er mit in seiner Jagdtasche bei sich trug, und deren Geist und Tiefsinn er mir sogleich mit feurigen Worten anpries. Mir aber waren diese Regionen ganz fremd, und ich wußte deshalb nicht viel darauf zu erwidern; nur war ich überrascht, den nichts weniger als asketisch aussehenden Mann, diese kräftige, ja derbe Persönlichkeit, gerade nach dieser sublimen Richtung hin begeistert zu finden.

Es waren ein paar Regentage eingetreten. Als der Regen am zweiten Morgen, ohne Aussicht auf baldige Änderung zu bieten, noch so langweilig herabgoß, als am Tage vorher, machte einer scherzweise den Vorschlag, am Nachmittag eine kleine Kunstausstellung zu veranstalten und ein jeder müsse dazu am Vormittag eine Komposition entwerfen.

Gesagt – getan! Es brachte jeder etwas zustande, und der unbehaglich sich anlassende Tag verging in heiterer Beschäftigung. Einige hatten Motive aus Albano etwas ausgebildet, Oehme aber den Eingang in eine gotische Dorfkirche mit einem Teil des Kirchhofs kräftig mit der Feder entworfen. Ich hatte ohne weiteres Besinnen einen Zug sächsischer Landleute mit ihren Kindern gemacht, welche auf einem Pfade durch hohes Korn einer fernen Dorfkirche zuwanderten, ein Sonntagsmorgen im Vaterlande. Diese Art Gegenstände war damals nicht an der Tagesordnung, und in Rom erst recht nicht. Das Blatt machte deshalb unter den anderen einige Wirkung.[164]

(Gegenstand und Auffassung waren damals etwas Neues, weshalb Oehme es sich ausbat und mir dagegen seine Zeichnung gab.)

In späteren Jahren ist mir dieser Umstand wieder eingefallen, weil es der erste recht eigentlich improvisierte Gegenstand in einer Richtung war, die nach vielen Jahren wieder auftauchte, als ich meine Zeichnungen für den Holzschnitt machte. Es ist mir deshalb merkwürdig, weil ich mich recht wohl erinnere, wie ich das Blatt ohne Überlegen, gleichsam scherzweise, meinen damaligen Bestrebungen und Theorien entgegen, hinwarf. Es war mir eine liebe Heimatserinnerung und stieg unabsichtlich aus einer Tiefe des Unbewußten herauf, in welcher es auch wieder schlafen ging, bis es in der Hälfte meines Lebens wieder mit Erfolg auferstand.

Anfang September verließen wir endlich das schöne Tivoli. Weil die Hitze immer noch groß war, zogen wir eine Nachtwanderung vor und brachen schon eine Stunde nach Mitternacht auf. Einer hatte sich einen Esel genommen und ritt, wir andern gingen, und ein zweiter somaro trug unser Gepäck.

Aus den stillen Gäßchen Tivolis herausgetreten, nahm uns der Olivenwald in seinen Frieden wieder auf. Der Weg ging den Berg hinab und unten brannte noch ein Lämpchen vor einem einsamen Marienbilde und beleuchtete freundlich den Weg mit den uralten Olivenbäumen. Der Anblick hatte etwas Rührendes in dieser Abgeschiedenheit, im tiefsten Schweigen der Nacht, das nur vom Gezirpe einer Grille leise unterbrochen wurde. Wir gingen immer an dem Abhang der Gebirge hin und trafen weder ein Haus an noch einen Menschen. Die Nacht war sehr schwarz, denn der Himmel war bedeckt, und da wir auch schweigend unseres Weges zogen, wurde die Stille nur ein paarmal durch das Kreischen und wunderliche Geschrei der Reiher und Rohrdommeln unterbrochen, welche in dem dunklen Buschwerk eines Baches hausten und, durch unser Vorüberziehen aufgescheucht, untereinander in Streit gerieten. Die beiden Eseltreiber, welche mit ihren Tieren ein gut Stück voraus waren, stimmten auch zuweilen ein improvisiertes Ritornell an, was der zweite dann in bekannter einförmiger Weise – mit dem langgezogenen Ton am Schluß – erwiderte. Endlich graute der Tag hinter den dunklen Gebirgen hervor, und am Morgen erreichten wir endlich Palestrina,[165] wo wir nur einen Tag uns aufhielten, herumstiegen und etwas zeichneten.

Anderen Tages kamen wir nach Gabii und Genazzano, wo zur Rechten das reizend geformte Volskergebirge hervortrat und links der schluchtenreiche Monte Serone, eine Hauptheimat der Briganten, aus der Campagna aufstieg. Durch Feigen-, Wein- und Ölpflanzungen stiegen wir nach Olevano hinauf, dessen Felspyramide, oben mit der Ruine einer Burg gekrönt, vor uns auftauchte.

Oberhalb Olevano in der Casa Baldi, woselbst wir Einkehr nahmen, fanden wir zu unserer Freude den lieben Reinhold, welcher schon seit mehreren Wochen hier wohnte und vortreffliche Studien zeichnete, die ihm großen Ruf verschafften. Es war noch gar nicht lange her, daß diese Gebirgsgegend gewissermaßen entdeckt wurde, denn früher getraute sich kein Reisender bis hierher vorzudringen. Koch war einer der ersten, der, durch die Großartigkeit des Charakters und den Reichtum der Motive angezogen, längere Zeit hier verweilte und Studien zu seinen stilvollen Landschaftsbildern sammelte.

Die Serpentara, von welcher ich soviel hatte sprechen hören, ist freilich ein Stück Erde, wie für den Maler besonders hergerichtet. Eine halbe Stunde von Olevano erhebt sich ein mit Eichen bewachsener Hügel, und zwischen seinen Klippen und zerstreuten Steinklötzen winden sich malerisch wilde Pfade auf und wieder herab. Ginster, Wacholder oder wilde Rosen wachsen hie und da aus dem öden Gestein. Solche Terrainbildung, verbunden mit den malerisch sich gruppierenden Bäumen, gibt nun freilich höchst abwechselnde, formenreiche Vorgründe. Von überwältigender Schönheit aber ist die nähere und fernste Umgebung!

Zur Rechten, im Abend, das Gebirge der Äquer mit den kühnen Felsennestern Monte Compatri und Rocca di Cavi. Weiterhin der schöne Monte Artemisio mit dem fernen Meere; im Süden das Volskergebirge und gegen Morgen der mächtige Serone. Kehrt man sich um und schaut zwischen den Stämmen und Wipfeln der Eichen hin nach Norden, da steigt der ganz kahle und schroffe Felsrücken empor, auf dessen höchster Spitze das armselige Civitella liegt. Es machte mir diese bleiche Steinmasse immer einen geheimnisvollen, unheimlichen Eindruck, eine versteinte Sphinx![166]

Man denke sich nun, wie durch verschiedene Beleuchtung und atmosphärische Zustände hier Effekte entstehen mußten, die Herz und Sinn aufjubeln oder auch ganz verstummen machten.

Reinhold saß hier oben fast jeden Nachmittag, ohne sich von der Stelle zu rühren, bis spät zum Abend. Seine Zeichnungen waren in Bogengröße, sauber in Bleistift ausgeführt, oft mit geeigneter Staffage versehen, der Standpunkt stets vortrefflich gewählt, so daß man ein wohl abgeschlossenes Ganzes vor sich hatte, und die Ausführung meisterhaft sicher, mit großem Verständnis der Formen. Er selbst war so schlicht, ruhig und von anspruchsloser Art, daß Wagner und ich uns recht wohl im Umgange mit ihm fühlten und gemütliche Abende verlebten.

Das Wetter wurde herbstlicher, und öfter zogen schwere Regenwolken über die Gebirge, das hohe Rocca di Cavi oder Civitella verhüllend, und der Sturm zauste und schüttelte die Eichen auf der Serpentara, wo dann arme Kinder die abgebrochenen Äste sammelten oder irgendeine Minicuccia oder Teresa ihre negri – die schwarzen Schweine – zur Eichelkost führte. So kam denn auch über uns das Verlangen, den Sommerfeldzug zu beschließen und in die Winterquartiere nach Rom zu rücken. Wir nahmen Abschied von Reinhold, der noch ein paar Tage bleiben wollte, um eine Zeichnung fertig zu machen, und hatten keine Ahnung, daß der liebe Freund im nächsten Jahre um diese Zeit am Fuße der Pyramide des Cestius ruhen würde.

Quelle:
Richter, Ludwig: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Berlin [1923], S. 159-167.
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