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[200] An einem Sonnabend Vormittag kam ich in Bonn an und stieg im kleinen Hotel Rheineck am Landungsplatze der Dampfschiffe ab. So lernte ich das fröhliche Rheinleben gleich an der Quelle kennen. Kurt von Schlözer hatte mir in Berlin auf die Seele gebunden, doch ja zuerst und vor allen andern den jungen Historiker Otto Abel aufzusuchen. Das sei ein goldener Mensch, ein ehrlicher Schwabe und guter Deutscher, wohlwollend im Herzen, aber unbestechlich im Urteil. Dieser würde mir den besten Rat geben und mich über die Bonner Verhältnisse am besten unterrichten. Ich folgte Schlözers Mahnung und gewann in dem ersten Bonner Bekannten zugleich meinen besten Freund. Otto Abel war nicht allein Dahlmanns Liebling, sondern stand auch bei der ganzen Fakultät in verdientem Ansehen, genoß in den besten Familien die Rechte des Hausfreundes. Er hatte aus den Zeitungen schon mancherlei über mich gehört, so daß ich mich nicht förmlich bei ihm einzuführen brauchte. Im Laufe des Gespräches fand es sich, daß wir die gleichen politischen Grundsätze hegten und auch sonst in der Wertschätzung zahlreicher Menschen übereinstimmten.[200] Freilich machte ich die Entdeckung, daß ich auch in Preußen zur ecclesia pressa gehören werde, solche politische Anschauungen, wie sie Abel und ich hegten, in Berlin als schnöde Opposition galten.
An jedem Sonnabend versammelten sich im Sommersemester die jüngeren Dozenten nachmittags zum Kegelspiel und einem Schoppen sauersten Weines in Honeckers Garten vor der Stadt. Abel lud mich ein, mitzuhalten, da ich auf diese Art ganz zwanglos mit einer größeren Zahl tüchtiger Kollegen in Verkehr treten könne. Wie viel Neugierde auf den Knaben aus der Fremde, wie viel persönliches Interesse bei den einzelnen mit im Spiel war, konnte ich natürlich nicht abmessen. Im ganzen durfte ich mit dem Empfange wohl zufrieden sein. Aus den Gesprächen merkte ich, daß mein Eintritt in den Universitätskreis bereits als sicher angenommen wurde und die geselligen Beziehungen der Dozenten bei allem Freimut einen überaus liebenswürdigen, heitern Zug besaßen.
Unerwartet glatt und rasch verlief die vom Präsidenten Simson als Unding erklärte Habilitation. Die philosophische Sektion, an ihrer Spitze Ritschl und Welcker, hatten über mein Gesuch zu entscheiden. Beide Männer, von mir bald nach meiner Ankunft begrüßt, äußerten sich im Privatgespräche wohlwollend und meinen Wünschen freundlich gestimmt. Sie bewährten das Wohlwollen vollauf auch in ihren amtlichen Gutachten. Durch die Wiedereinführung der Kunstgeschichte in den Kreis der Lehrfächer der philosophischen Fakultät wurde eine Lücke ausgefüllt, von meiner[201] persönlichen Befähigung lege aber das erste (und das unterdessen herausgegebene zweite) Heft der »Kunsthistorischen Briefe« ein gültiges Zeugnis ab. Die Fakultät beschloß von der Forderung einer besondern Habilitationsschrift oder Prüfung abzusehen, mit der »Nostrifikation« sich zufrieden zu stellen. Das heißt: ich sollte vor der versammelten Fakultät eine in lateinischer Sprache verfaßte Abhandlung vorlesen und gegen etwaige Angriffe verteidigen. Der Gegenstand der Abhandlung wurde mir freigestellt. Ich griff zu meinem alten Lieblingssatze zurück, daß die Natur und die Gesetze der künstlerischen Thätigkeit richtig und vollständig nur auf dem Wege der historischen Forschung ergründet werden können, die spekulative Ästhetik immer nur die in einem Zeitalter herrschenden Kunsterscheinungen in eine allgemeine Form bringe, der Geschichte also nachhinke. Eifrig schritt ich an die Arbeit; alle meine ciceronianischen Erinnerungen rief ich wach, um ein halbwegs genießbares Latein zu stande zu bringen. Mit Herzklopfen las ich in der Fakultätssitzung meine Weisheit vor. Bei einzelnen, wie mir schien, besonders eleganten Wendungen und kühnen Konstruktionen glitt über Ritschls Antlitz ein leises Schmunzeln. Er erzählte mir später, daß ihn mein Vortrag nicht wenig ergötzt habe, das wäre kein geradezu falsches, ja sogar ein fließendes Latein gewesen, aber von der alten Römersprache hätte er nichts bemerkt. Ich hätte ihm erst klar gemacht, was Kloster- und Jesuitenlatein bedeute. Das Herzklopfen steigerte sich, als ich die Vorlesung geschlossen hatte und nun den Anfang der Disputation[202] natürlich auch in lateinischer Sprache erwartete. Zu meiner angenehmen Überraschung hielt der alte Brandis die Gegenrede auf gut Deutsch. So sehr er auch die Verdienste der historischen Forschung würdige, so habe doch nicht sie, sondern erst die Philosophie das letzte Wort zu sprechen. In diesem Punkte scheine ich ihm denn doch der Spekulation nicht gerecht zu sein. Ich schickte mich an, meine bescheidenen Einwendungen vorzubringen, wollte auf das Gebiet der Religion hinweisen, wo ja gleichfalls erst historische Untersuchungen das volle Licht in das Wesen und den Ursprung der religiösen Vorstellungen bringen. Doch Welcker kam mir zuvor: Brandis überschätze denn doch den Wert der philosophischen Betrachtung, welche nachweisbar niemals von selbst eine neue Auffassung des Kunstlebens und vor allem der Kunstentwickelung angebahnt hätte. Er geriet in immer größeren Eifer und steckte damit seinen Gegner an, welcher nun gleichfalls in Feuer geriet und seine Ansicht mit gesteigerter Leidenschaft verteidigte. Wir andern hörten erstaunt und ergötzt dem Kampfspiel der beiden Helden zu. Ich blieb ganz vergessen. Die für die Disputation anberaumte Zeit war längst verstrichen, mehrere Mitglieder der Fakultät wurden unruhig, da sie bereits in ihren Auditorien erwartet wurden. Der Streit, bei welchem ich unwillkürlich eine stumme Rolle übernommen hatte, schien noch lange nicht zu Ende zu sein. Da drang endlich Ritschl mit seiner scharfen Stimme durch. Er schlage vor, nachdem meine Abhandlung zu so fesselnden Erörterungen geführt habe, die Disputation als geschlossen, die Habilitation als vollzogen[203] anzusehn. Ritschl, von Welcker unterstützt, that noch mehr. Nachdem ich bereits an der Prager Kunstakademie und Universität als Dozent aufgetreten sei, könne man von einer Probevorlesung als Bedingung der Habilitation füglich absehen. Ich solle zwar eine Probevorlesung am Anfang des nächsten Semesters halten, aber schon jetzt seien mir die »venia docendi« zu erteilen und meine Vorlesungen in den Lektionskatalog aufzunehmen. Somit war ich also dem Bonner Lehrkörper förmlich einverleibt. Weder Ritschl, welchen wesentlich menschliches Wohlwollen und Abneigung gegen unnütze Formalitäten leiteten, noch ich hatten eine Ahnung, wie tief dieser Fakultätsbeschluß in mein Schicksal eingreifen sollte. Jubilierend trat ich die Heimreise an. Alles war mir geglückt, alle Pläne und Hoffnungen reiften der Erfüllung entgegen. Meine materielle Lage erschien vollkommen gesichert, mein Jugendideal, als deutscher Universitätslehrer zu wirken, stand als Wirklichkeit vor mir. Nur zu rasch verflogen die Wochen in Prag. Natürlich verbrachte ich alle freien Stunden in der Nähe der geliebten Braut, welcher ich nicht genug von dem fröhlichen Leben am Rhein, von den freundlichen Menschen in Bonn erzählen konnte. Wir brauchten nicht mehr von einer glücklichen Zukunft zu träumen, wir glaubten sie mit den Händen bereits zu greifen. Nachdem ich meine Junggesellenwirtschaft aufgelöst, mit Isabella die Einrichtung unserer künftigen Behausung verabredet hatte, – wir beschlossen für die ersten Wochen in einer möblierten Wohnung zu wohnen und gemeinsam dann unser endgültiges Heim zu wählen –[204] kehrte ich im Herbst wieder nach Bonn zurück. Für das Winterhalbjahr hatte ich als Publikum Raffael, als Privatkolleg eine allgemeine Übersicht der Kunstgeschichte gewählt. Durch die letztere Vorlesung wollte ich mich selbst orientieren, mit den Zuhörern Fühlung gewinnen, die erstere Monographie sollte meine besondern Kenntnisse bekunden. Abel und die übrigen Freunde machten mich darauf aufmerksam, daß ich bei der Neuheit des Gegenstandes nur in der öffentlichen Vorlesung auf Zuhörer rechnen dürfe, das Privatkolleg selten gleich das erstemal zu stande komme. Es war also doch schon ein Erfolg, daß sich auch zu diesem Zuhörer, allerdings nur vier meldeten, welche mir aber sämtlich treu blieben. Mir sind ihre Namen bis heute fest im Gedächtnis geblieben: von Noorden, Vater und Sohn, der letztere nach vielen Jahren wieder mein Kollege in Leipzig, Graf Solms-Laubach und Theodor von Bunsen. Die öffentliche Vorlesung hatte gleich von Anfang eine größere Zahl von Zuhörern versammelt, welche von Woche zu Woche anschwoll, so daß gegen den Schluß des Semesters der geräumige Hörsaal fast ganz gefüllt war.
Zur Befestigung meiner Stellung als Dozent trugen vornehmlich zwei Umstände bei. Mehrere jüngere Universitätslehrer hatten sich vereinigt, zum Besten der vertriebenen Schleswig-Holsteiner öffentliche Vorträge in dem weitbekannten Saal zum goldenen Stern zu halten. Sie forderten mich zur Mitwirkung auf. Damals waren öffentliche Vorträge noch nicht so abgegriffen und abgenützt, wie in den späteren Jahrzehnten. Wer einen Erfolg erzielte, wurde[205] den besten Kreisen bekannt und gewann die Gunst der öffentlichen Meinung. Es gelang mir, sowohl in Bonn, wie bei der Wiederholung der Vorträge in Köln, zum Besten der Dombaukasse, bei den Zuhörern Beifall zu finden. Aber auch die andere schwerere Probe, eine Vorlesung im Kreise der Kollegen und für diese ausschließlich bestimmt, bestand ich mit Ehren. Der »Schwan« lebt nur noch dunkel in der Erinnerung des jüngeren Geschlechts, da seine Glanzzeit schon in den sechziger Jahren zu Ende ging. Aus einer fröhlichen Vereinigung einiger Privatdozenten hervorgegangen, ohne fest formulierte Satzungen, hatte er sich allmählich zu einer ständigen, man möchte sagen, offiziell anerkannten Universitätseinrichtung entwickelt. Jeden Samstag abends versammelten sich im »Schwanen«, einem Gasthaus dritter Klasse, bei Honnecker, der dafür sorgte, daß Speise und Trank stets die Nebensache, eine leidige Pflichterfüllung blieben, die Privatdozenten und einige jüngere Professoren, welche sich ihnen anschlossen, um zunächst einen wissenschaftlichen Vortrag anzuhören und dann noch eine bis zwei Stunden zwanglos zu plaudern, auch zu streiten. Zweimal im Jahre, am Martinstag und am Sonnabend vor Karneval wurde der Schwan selbst Gastgeber und lud die alten Herrn der Universität zu einer solennen Bowle ein. Man merkte es nicht allein den Trinksprüchen der letzteren an, welches Ansehen der Schwan genoß. Schon der Eifer, mit welchen auch die ältesten und angesehensten Mitglieder, an ihrer Spitze Dahlmann, Brandis und Welcker, der Einladung stets folgten, bewies, daß es der Schwan[206] wohl verstanden hatte, sich bei der ganzen Universität in Achtung zu setzen. Er war der Gerichtshof, welcher über jeden neuen Dozenten das Urteil fällte. Genügte dessen Schwanvortrag nicht, zeigte er in den wissenschaftlichen Erörterungen arge Blößen, so hatte er Mühe, eine gelehrte Regulative wieder zu gewinnen. Gerade in meinem ersten Bonner Winter schwamm der Schwan im besten Fahrwasser. Otto Abel hielt seinen berühmten Vortrag über die Legende des böhmischen Nationalheiligen Johann von Nepomuk, in welchem er die großartige, von Jesuiten verübte Geschichtsfälschung unwiderleglich nachwies und mit Humor erzählte, wie der Heilige durch Mischung aus einem historischen Johann von Pomuk und dem Magister Huß geschaffen wurde. Ein czechischer Historiker, namens Tomek, hatte ihm in Berlin die erste Anregung zu dieser kritischen Studie gegeben, ich konnte ihm aus meiner Heimat mancherlei Beiträge zu ihrer Stütze liefern, das beste hat aber doch erst Abels Scharfsinn und unbestechlicher Blick für die Wahrheit hinzugefügt. Die Ultramontanen in Bonn, welche ich bei diesem Anlaß zuerst kennen lernte, schäumten vor Wut, der böhmische Episkopat hielt es für Pflicht, durch einen obskuren Theologen eine lendenlahme Gegenschrift ausarbeiten zu lassen. Später bedachte sich die Kirche eines besseren und suchte den wissenschaftlichen Streit totzuschweigen. Das gelang ihr auch in Böhmen. Die Czechen fühlen bekanntlich den Boden unter sich zittern, wenn von historischen Fälschungen die Rede ist und verbanden sich mit den Klerikalen, die Jesuitenlegende noch fernerhin aufrecht[207] zu halten. Für die wissenschaftliche Welt hat Otto Abel das letzte Wort gesprochen.
Mein Schwanvortrag bewegte sich im ruhigsten Fahrwasser, da ich einen streng kunstgeschichtlichen Gegenstand behandelte, doch hatte er das Glück zu gefallen und das Mißtrauen, welches vielleicht anfangs einzelne Kollegen gegen den Mann aus Nazareth-Österreich hegen mochten, völlig zu zerstreuen. Bei den nächsten Wahlen wurde ich sogar in den Vorstand des Schwanen gewählt.
An Arbeit und auch an geselligen Zerstreuungen fehlte es mir in diesem Winter nicht. Dennoch schlich er entsetzlich langsam vorüber. Zählte ich doch die Wochen und dann die Tage bis zu meiner Heirat und stand es bei mir fest, sobald ich die Kollegien geschlossen hatte, auf der Stelle abzureisen. Beinahe hätte aber noch ein schlimmer Kobold meine Pläne zu Wasser gemacht. Das von der serbischen Regierung ausgeworfene Gehalt, obschon längst fällig, kam nicht, und auf meine Anfrage nur die Antwort, daß es zur Absendung bereit liege. Mein eigener Geldvorrat ging aber bedenklich zur Neige. Sollte ich ruhig in Bonn zuwarten, auf die Gefahr hin, daß vielleicht die Hochzeit verschoben werden müsse? Ich faßte einen verzweifelten Entschluß. Die schöne gebundene Gesamtausgabe Fichtes und Hegels, einige Prachtwerke ohne wissenschaftlichen Wert auf meinem Büchergestell schienen mich über meine arge Verlegenheit zu verhöhnen: »Ein schöner Bräutigam voll Liebessehnsucht, der sich nicht zu helfen weis! Uns brauchst du doch nicht und lässest uns nur verstauben! Mache, daß[208] wir in würdigere Hände kommen!« Es überkam mich doch eine große Scham, als ich dem Antiquar meine Bücher zum Kaufe anbot und nach geschlossenem Geschäft meinen Namen nennen mußte, damit der Antiquar auch eine Bürgschaft meines redlichen Erwerbes besitze. Mir blieb aber keine andere Wahl. Die Zeit drängte und in Prag allein konnte ich auf die eine oder die andere Art aus meiner Verlegenheit mich reißen. Zum Glück nahmen dieselben ein rasches Ende. In Prag lag mein Gehalt bei dem Bankhause zur Auszahlung bereit. Und so feierte ich am 5. April 1853 ohne jede äußere Trübung den glücklichsten Tag meines Lebens.
Unsere Hochzeitsreise schränkten wir auf eine langsame Rückfahrt nach Bonn ein, wo uns ein trauliches Nest und die Freude einer ersten Hauseinrichtung winkten. Nach einer kurzen Rast in Dresden bei Noëls wanderten wir nach Hannover. Ich kannte die niedersächsischen Städte noch nicht, auch Isabella war die norddeutsche Art fremd, bisher sogar antipathisch gewesen: die Berliner Geheimräte, mit welchen ihre Eltern in Karlsbad verkehrten, waren allerdings nicht danach angethan, für Norddeutschland Sympathieen zu werben. So machten wir also beide eine Studienreise, beide mit gutem Erfolge. Lebendig trat mir die alte, echte deutsche Kunst in den romanischen Kirchen und in den schmuckreichen Holzbauten der Renaissance vor die Augen. Meine junge Frau aber war überrascht von der herzlichen Teilnahme, welche sich hinter scheinbar kühlen Umgangsformen barg und erfreut über den reichen Interessenkreis[209] auch der Frauen. Nur unser Magen sehnte sich zuweilen nach der Heimat zurück; er ist bis zur Stunde gut österreichisch geblieben.
Den längsten Aufenthalt machten wir in Hildesheim, wo der würdige Senator Römer, der Bruder des Bonner Dozenten, des Geologen Ferdinand Römer, als trefflicher Führer und zugleich als liebenswürdiger Gastfreund uns zu größtem Dank verpflichtete. Wir ahnten nicht, daß unterdessen in Bonn eine dunkle Wolke aufgestiegen war, welche sich über meinem Hause zu entladen drohte.
Schon im Laufe des Winters hatte mich der Staatsanwalt, oder Oberprokurator, wie er damals hieß, am Bonner Landgericht, Herr von Ammon, der viel in Universitätskreisen verkehrte, darauf angesprochen, daß der Prager Polizeidirektor Sacher-Masoch mich dem Gericht als bedenkliche Persönlichkeit denunciert hätte. »Ich habe ihm in einer Weise geantwortet, fügte er hinzu, daß er uns wohl nicht mehr mit so gemeinen Anschwärzungen behelligen wird.« Da viele Monate vergingen, ohne daß sich Sacher-Masoch regte, so hielt ich die Sache für abgethan. Als wir nun in Bonn in unsere kleine schmucke Wohnung einzogen, fand sich unter den vielen Blumen und Willkommengrüßen der Freunde auch ein Brief des Rektors vor, in welchem er mich bat, ihn sofort, wegen einer wichtigen Sache, zu besuchen. Er teilte mir mit, daß der Prager Polizeidirektor, durch die erste Abweisung nicht abgeschreckt, sich an das Unterrichtsministerium in Berlin gewandt und in einer ausführlichen Denkschrift vor meinem[210] Thun und Treiben in Preußen gewarnt hätte. Er stützte seine Anklagen auf drei Punkte: auf meine Geschichte des Revolutionszeitalters, auf meine notorisch politische Anrüchigkeit in Prag und endlich auf meine demagogischen Umtriebe als Präsident des akademischen Lesevereins. Der Minister von Raumer forderte mein Buch ein und befahl dem Rektor, mich über die weiteren Anklagen zu vernehmen. Zwischen den Zeilen war zu lesen, daß der Minister vorhabe, mir die Erlaubnis zum Dozieren zu entziehen. Zum Glück für mich war der Rektor, der Professor der katholischen Theologie, Hilgers, ein überaus human gesinnter, milder und wohlwollender Mann. Er hatte selbst von kirchlichen Fanatikern mannigfache Verfolgungen erduldet und wußte daher aus eigener Erfahrung, wie leichtfertig solche Denunciationen in die Welt geschleudert werden. Ich sollte nur Mut fassen, er und die Universität würden gewiß für meine Rechte eifrig eintreten, nun aber ruhig überlegen, wie man die Anklagen Sacher-Masochs am besten entkräften könne. Auf den dritten Punkt lege das Ministerium das größte Gewicht. Welche Beweggründe mochten Sacher-Masoch zu einem so feindseligen, überdies verleumderischen Angriffe getrieben haben? Ich konnte keinen andern finden, als seine bekannte Polizeimanie. Er hielt den Tag für verloren, an welchem er nicht irgend eine Polizeiintrigue angezettelt, obere Behörden durch Schreckensnachrichten aus ihrer Ruhe gebracht, Körperschaften und einzelne Individuen hinterrücks verdächtigt hatte, das alles, um den Eifer und den Wert der Polizei in helles Licht[211] zu stellen. Hatte er doch einige Jahre später ganz aus dem blauen Himmel einen weitverzweigten revolutionären Bund böhmischer Bauern erfunden und denselben in Wien angezeigt, nur um den Statthalter Böhmens, der nun zum Bericht aufgefordert wurde, in Verlegenheit zu bringen. Diese letzte That brach ihm übrigens den Hals und hatte seine Absetzung vom Amt zur Folge. Wahrscheinlich spielte auch tiefer Groll gegen meinen Schwiegervater bei der gegen mich gerichteten Denunciation mit. Pinkas war der einzige angesehene Politiker, welcher Sacher-Masoch unverholen Verachtung zeigte, während die anderen Mitglieder der Reichstagsrechten, insbesondere die Czechenführer, ihm scherwenzelten. In mir sollte Pinkas getroffen werden.
Gar trübselig saßen nun Isabella und ich beisammen, sinnend, wie wir die über uns zusammenstürzenden Himmelsstützen wieder befestigen könnten. Die »notorische Anrüchigkeit in Prag« konnte ich glänzend widerlegen. Unter den Papieren, welche ich der Universität der Vorschrift gemäß vorlegen mußte, befand sich auch ein »sogenanntes Sittenzeugnis« die Bestätigung des Prager Magistrats, also der zuständigen Behörde, daß ich mich bisher eines guten Leumundes erfreut hätte. Mein Schwiegervater, welcher mir das Sittenzeugnis besorgte, erinnerte den betreffenden Beamten daran, daß das Schriftstück in das Ausland ginge; er möge es daher nicht nach dem üblichen »Schimmel«, d.h. der Schablone abfassen, sondern sich eines guten Deutsch befleißigen. Der Beamte verstand ihn so, daß er einen pathetischen Ton anschlagen müsse und sparte nicht die[212] Ausdrücke des Lobes. Ich stand als wahrer Musterbürger da, welcher die höchste Anerkennung bei allen Klassen der Bevölkerung genoß. Diesem Pfeile aus Sachers Köcher war also glücklich die Spitze abgebrochen. Wie sollte ich aber beweisen, daß der nach dem Muster deutscher Universitätsvereine gegründete akademische Leseverein ein durchaus harmloses unpolitisches Institut gewesen sei? Auf den Wunsch gemäßigter deutscher und czechischer Studenten hatte ich den Vorsitz übernommen, mit der offen ausgesprochenen Absicht, hier einen neutralen Mittelpunkt für deutsche Bildung zu gewinnen. Die Universitätsbehörden unterstützten den Verein, waren sogar willig, ihm in der Universität Räume anzuweisen, was nur aus Mangel an passenden größeren Stuben nicht ausgeführt wurde. Im Verein lagen außer einigen Zeitungen zahlreiche wissenschaftliche Zeitschriften auf, außerdem wurden ab und zu Vorträge über litterarische Gegenstände gehalten, so z.B. von mir über Goethes Faust, über Lessings Laokoon, über Winkelmann. Übrigens stand ich seit dem Herbst 1849, seit meiner Reise nach Paris und England, mit dem Verein in keiner Beziehung mehr.
Um uns in unsern Kümmernissen zu zerstreuen, schlug Isabella vor, wir sollten doch die unterdessen angelangten Ausstattungskisten öffnen. Jeder Teller, jede Tasse des Eßgeschirrs war säuberlich in ein Blatt der amtlichen Prager Zeitung verpackt worden. Wir glätteten das Packpapier und legten es auf einen Haufen, um in der Stube einige Ordnung zu schaffen. Da fiel unser Blick zufällig[213] auf meinen großgedruckten Namen im amtlichen Teil der Zeitung. Neugierig nahm ich das Blatt zur Hand, und welcher Jubel! hier las ich meine glänzende Rechtfertigung. Im Namen des akademischen Lesevereins sprach ich dem Herrn Polizeidirektor Sacher-Masoch meinen Dank aus für ein reiches Büchergeschenk, sowie überhaupt für die wohlwollende Gunst, welche er dem Verein seit dessen Gründung unablässig gewidmet habe. Atemlos eilte ich zum Rektor, um ihm meinen Fund mitzuteilen. Aus seiner herzlichen Freude ersah ich, daß ich an ihm, wie an den Universitätsgenossen überhaupt wackere Beschützer und Helfer gewonnen hatte. Sacher-Masochs Namen wurde in Bonn als Bezeichnung eines dummen Verleumders geradezu volkstümlich.
Der Bericht des Rektors an den Minister wies in scharfen Worten auf die vollkommene Grundlosigkeit der Anklage, auf die ehrlose Verlogenheit des Denuncianten hin und sprach die Erwartung aus, der Minister werde für die der Universität zugefügte Beleidigung ausreichende Genugthuung fordern. Das that ein Minister Raumer nicht. Nach mehreren Wochen kam ein Ministerialschreiben: Meine Habilitation sei nicht rückgängig zu machen, wohl aber die Eile, mit welcher sie vollzogen wurde, zu tadeln.
Einen großen Eindruck hatte Sacher-Masochs Denunciation auf den Minister Raumer doch gemacht und die schlimmen Folgen der Anschwärzungen hatte ich bis zum Ende der fünfziger Jahre zu spüren. Ich wurde dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Kleist-Retzow, zur genausten[214] Beobachtung empfohlen, und erhielt auf privatem Wege den Bescheid, daß eine Beförderung, solange Raumer Minister bleibe, unbedingt ausgeschlossen sei. Mein Name kam endlich in das schwarze Buch der deutsch-österreichischen Polizei. Das letztere wurde mir auf meinen vielen Reisen besonders unbequem. Überall, wo ich hinkam, mußte ich mich auf das Polizeiamt begeben, um meinen Paß vorzuzeigen und bei der Paßvisitation an den Grenzen wurde ich nicht viel besser als ein vagierender Handwerksbursche behandelt. Das jüngere Geschlecht hat keine Ahnung von den Paßplackereien, welche wir in den Jahren 1850 bis 1860 zu überstehen hatten. Auch wir haben sie, Gottlob! vergessen und die Regierungen seitdem haben uns das Vergessen leicht gemacht. Wer sich aber jetzt über den verbitterten und gereizten Ton in der Presse jener Jahre wundert, das beinahe blinde Mißtrauen, welches wir den Staatsmännern entgegenbrachten, nicht begreift, der weiß eben nicht, in welchem Maße wir gepeinigt und in kleinlicher Weise geärgert wurden.
Jede Reise wurde, dank der österreichischen Polizei, zu einer Kette von Drangsalen. Meine Frau pflegte einige Sommermonate bei ihren Eltern in Prag zu verleben, ich holte sie und später unsere kleine Familie im Herbst dann ab. Solange ich in Prag weilte, blieb mein Paß in der Verwahrung der Polizei. Erst am Tage der Abreise wurde er mir zugleich mit einem sogenannten Passierschein ausgehändigt. Den letzteren lieferte ich im Eisenbahnwagen ab, der erstere wurde schon in Bodenbach wieder von einem[215] Polizeibeamten abgenommen. In einer schmierigen Stube versammelten sich vor Abgang der Züge die Reisenden, um den Paß wieder aus den Händen der groben Polizeibeamten zu empfangen. Mein Paß befand sich stets auf einem Nebentisch, regelmäßig wurde ich, nachdem ich vom Kopf bis zu den Füßen gemustert worden war, der letzte aufgerufen. Blieb ich einen Tag in Dresden oder Leipzig, so legte die Polizei wieder gleich nach meiner Ankunft Beschlag auf meinen Paß, bis zur Stunde der Abreise. Außerdem wurde er auch auf den Bahnhöfen einer genauen Musterung unterworfen. Der gleiche Vorgang wiederholte sich in Magdeburg und in Minden. Beinahe auf jeder Reise war ich da oder dort in Gefahr nicht mehr mit dem Zuge mitzukommen, da die Polizisten absichtlich die Herausgabe meines Passes bis zur letzten Minute verzögerten. Uns war nicht danach zu Mute, in das Lied einzustimmen: »Welche Lust gewährt das Reisen!« Aber schließlich waren wir jung und lebten in jeder andern Hinsicht so glücklich, daß wir diese dunkeln Punkte leicht nahmen. In Dahlmanns Hause fanden wir eine zweite Heimat. Frau Luise Dahlmann beriet und beschirmte mütterlich meine Frau, und blieb, solange sie lebte, eine treue, auf unser Wohl unaufhörlich bedachte Freundin. Durch Dahlmann wurde ich in die beste deutsche Welt eingeführt. Der einzige Mann vereinigte in seiner Person gediegenste wissenschaftliche Bildung mit strenger sittlicher Würde. So trat er mir gleich nach den ersten Begegnungen entgegen. Bei näherem Umgang zeigten sich auch die vielen liebenswürdigen[216] Züge, welche die fast rauhe Außenseite dem Fremden verhüllte. Dahlmann galt als größter Schweiger. Das war er auch gewöhnlich. Wenn er aber im Kreise der Familie und der nächsten Freunde am Abend im Lehnstuhl behaglich saß, bei der Verteilung des frugalen Abendbrotes, welche er sich nicht nehmen ließ, jede Gabe mit einem leichten Scherz begleitete, wenn er dann aus seinem Leben, aus seiner schleswig-holsteinischen Heimat erzählte, ruhig, ohne jede Bitterkeit, aber mit scharfen Accenten, oder wenn er uns aus Goethe oder andern Lieblingsdichtern vorlas, dann merkte man, daß ihm nicht nur die Lust an vertraulichen Mitteilungen innewohnte, sondern ihn auch eine tiefe Empfindung beseelte. Selbst wenn er sich im ganzen schweigsam verhielt, so bewiesen doch einzelne eingestreute Aphorismen, daß er dem Gange des Gesprächs aufmerksam folgte. Heimisch fühlten wir uns auch in Boisserées Hause. Leider starb Boisserée bald und seine Frau verzog in ihre schwäbische Heimat, um erst in den letzten Jahren meines Bonner Aufenhaltes zurückzukehren. Dann freilich knüpften sich die nahen freundlichen Beziehungen wieder an. Sulpiz Boisserée, das Ideal eines schönen kräftigen Greises, hatte aus der alten Zeit die zierlichen Umgangsformen, die feinere Verkehrssitte und gegenüber Frauen die liebenswürdig galante Höflichkeit sich bewahrt. Schon ihn anzusehn, that wohl. Aber auch die Unterredungen in seiner Arbeitsstube boten mannigfache Genüsse. Es war leicht, die Punkte zu vermeiden, in welchen wir auseinandergingen. Am liebsten brachte ich das Gespräch auf seine Entdeckungen alter Bilder[217] in den Rheinlanden, auf seine Dombaustudien. Hier war er unerschöpflich in anmutigen Erzählungen, hier holte ich mir die genaue Kenntnis der rheinischen Kunst.
Auch in den andern Professorenfamilien waren wir gern gesehene Gäste, so daß wir schier zum eisernen Bestand aller größeren und kleineren Gesellschaften gehörten und als »die unvermeidlichen Springers« von dem Spottvogel der Universität, dem Geologen Römer, begrüßt wurden. Wir übten in unserer bescheidenen Wohnung auf der Koblenzer Straße gleichfalls Gastfreundschaft und boten wir auch den Freunden nur mäßige materielle Genüsse, so verstand es doch meine Frau vortrefflich, durch allerhand wirtschaftliche Scherze (maskierte Weinflaschen, kostümierte Braten, u. dgl.) die Zusammenkünfte fröhlich zu beleben. Daß der Sylvesterabend nur bei uns gefeiert werden konnte, nahmen die jüngeren Kollegen, die verheirateten und ledigen, als selbstverständlich an.
Die akademische Wirksamkeit befriedigte mich vollständig. Seitdem ich an die rheinische Kunst in den Vorlesungen anknüpfte, durch regelmäßige Ausflüge nach Köln, Schwarzrheindorf u.a. dem Wort die Anschauung folgen ließ und die kunsthistorischen Vorlesungen durch kulturgeschichtliche ergänzte, gewann ich einen festen Zuhörerkern, welchem sich von Semester zu Semester eine immer größere Zahl von Studenten aller Fakultäten anschloß. Es gab damals für junge Dozenten keinen bessern Tournierplatz als die Rheinische Hochschule. Bonn besaß eine stattliche Reihe von berühmten Namen, erfreute sich trotzdem keiner vollkommenen Blüte.[218] Die berühmten Männer, wie Arndt, Dahlmann, Welcker, Brandis, Löbell, Treviranus, waren alt geworden und entfalteten nicht mehr eine so ausgedehnte Wirksamkeit, wie in früheren Jahren. Sie standen in höchstem Ansehn, galten in jeder Hinsicht als Autoritäten, aber ihr Einfluß auf die Studenten war im Schwinden begriffen. Kostbare Schmuckstücke der Universität, aber nicht ihr eigentlicher Hausrat. Bei den späteren Berufungen bewies das Ministerium selten eine glückliche Hand. Insbesondere schleppte die Universität eine ganze Reihe von Extraordinarien als unnützen Ballast mit sich. Am tiefsten lag die medizinische Fakultät darnieder. Keinem Bonner fiel es ein, in ernsten Krankheitsfällen sich an einen Kliniker zu wenden. Auf meine naive Frage, in welchem speziellen Fach der Kliniker für innere Krankheiten besonders glänze, erhielt ich schmunzelnd zur Antwort: In der Geographie Amerikas. Aber auch die andern Fakultäten zeigten, neben einzelnen hervorragenden Männern, bedenkliche wissenschaftliche Nullen. Und wären jene nur immer am rechten Platz gestanden. Welche erstaunliche Gelehrsamkeit besaß Eduard Böcking. In der deutschen humanistischen Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts war er, der berühmte Herausgeber der Werke Huttens, zu Hause wie kein anderer. Die Natur hatte ihn zum Philologen bestimmt, äußere Umstände ließen ihn die juristische Laufbahn wählen. Ihm fehlten aber alle von den Studenten geschätzten Eigenschaften eines Pandektisten. Der Professor der Chemie, Bischof, trieb mit Vorliebe Geologie, so daß der eigentliche chemische Unterricht[219] einem ehemaligen Apotheker überlassen blieb, dessen Geschicklichkeit im Fleckputzen von Frauen gerühmt wurde. Der wahre Held der Universität, welcher ihr Richtung gab und ihren Charakter bestimmte, war der Philologe Friedrich Ritschl, der größte Philologenerzieher unserer Zeit, damals noch nicht von schwerem Siechtum heimgesucht, vielmehr von frischem Lebensmut und unverwüstlicher Thatkraft. Ihm dankte es Bonn, daß es zwei Jahrzehnte das Mekka aller deutschen Philologen wurde. Bei dieser Sachlage machte es sich von selbst, daß die alten Herren und die wirklich hervorragenden Lehrer über die Köpfe der andern Professoren hinweg zu uns Privatdozenten in befreundete Beziehungen traten und wir mit jenen am innigsten zusammenlebten. Frei von jeder Eifersucht, suchten sie uns nach Möglichkeit zu fördern und in unserm akademischen Wirken zu unterstützen. Es befanden sich aber unter den Privatdozenten auch manche lebenserfahrene Männer oder Gelehrte, welche bereits auf tüchtige Leistungen zurückweisen konnten. Der Geologe F. Römer hatte eine längere Forschungsreise in Texas gemacht, Otto Abel sich im diplomatischen Fache versucht, als Historiker bewährt. Der Ruf des leider tauben Nikolaus Delius als Shakespearekenner war im Steigen begriffen, von dem Theologen Albrecht Ritschl, einem Vetter des Philologen, bekannten, wenn auch sauersüß, die älteren Kollegen, daß er sie alle an Scharfsinn und dialektischer Kunst weit übertreffe. Die Privatdozenten erfreuten sich auch sozial allgemeiner Achtung, sie verkehrten mit den Professoren auf gleichem Fuße und[220] genossen hier ein höheres Ansehn, als an vielen andern Hochschulen. Sie wurden bald das Salz, bald wenigstens der Pfeffer der Universität genannt. Den Beigeschmack des Pfeffers dankten sie den scharfen Zungen A. Ritschls und Römers.
Die akademische Thätigkeit durfte die litterarische Arbeit nicht ganz zurückdrängen. Zunächst galt es, ältere Schulden abzutragen, also die »Kunsthistorischen Briefe« schlecht und recht abzuschließen. Unterdessen war schon eine ähnliche Aufgabe an mich herangetreten. Ein Stuttgarter Verleger gab eine Encyklopädie der Wissenschaften heraus, zu welcher Friedrich Vischer einen Abriß der Kunstgeschichte zugesagt hatte. Jahre vergingen, ohne daß er sein Wort einlöste. Da der Buchhändler immer heftiger drängte, wandte sich Vischer in seiner Not an mich, ob ich nicht in seine Stelle rücken wollte. Sein Vertrauen mußte mich ehren; dennoch hätte ich unbedingt den Antrag zurückgewiesen, wenn Vischer nicht den persönlichen Dienst betont hätte. Ich hatte so viel Freundliches, so zahlreiche Anregungen von ihm erfahren, daß jede fernere Weigerung ein schnöder Undank gewesen wäre. Hart war die Bedingung, den ganzen Verlauf der kunstgeschichtlichen Entwickelung auf zwanzig Bogen zu erzählen und die Forderung, das Manuskript in kürzester Frist fertig zu stellen. Ich war damals in Buchhändlersitten so unerfahren, daß ich diese Zumutungen für vollen Ernst nahm und zu meinem Schaden sie pünktlich erfüllte. Bald nach Antritt der Dozentur besuchte mich auch ein Bonner Buchhändler, um mich für ein anderes[221] litterarisches Unternehmen zu gewinnen. Kinkel hatte eine Geschichte der christlichen Kunst zu schreiben begonnen und eine große Reihe von Tafeln lithographieren lassen, welche nun, da Kinkel an die Fortsetzung des Buches nicht dachte, nutzlos bei dem Buchhändler lagerten. Ließen sich die Tafeln, um einige passend vermehrt, nicht als Illustrationen in einer knappen Schilderung der mittelalterlichen Architektur verwenden? Vieles sprach für diesen Plan. Aus meinen Vorlesungen wußte ich, daß den meisten Zuhörern selbst die elementaren Begriffe in der mittelalterlichen Kunstgeschichte abgingen. Die Buchhändler aber (Henry und Cohen) waren überzeugt, daß das Buch in der Provinz, wo sich gerade ein regeres Interesse für die alten Denkmäler wieder zu regen begann, guten Absatz finden werde. So schrieb ich denn als Vorschule zur Archäologie der christlichen Kunst einen kurzen Leitfaden der »Baukunst des christlichen Mittelalters.«
Mein litterarischer Weg war bisher vom Allgemeinen zum Besondern gegangen, oder richtiger gesagt, ich war im Allgemeinen, in den universalhistorischen Übersichten, in Schilderungen ganzer weiter Weltalter stecken geblieben. Die Gefahr der Verflachung, und die noch schlimmere Gefahr, die Lockung, durch populäre Handbücher den Beifall der Halbgebildeten zu gewinnen, lag nahe. Es war ein Glück, daß ich rechtzeitig den bedenklichen Ausgang des bis jetzt eingeschlagenen Weges entdeckte und zur Umkehr mich anschickte. Standhaft wies ich von nun an alle Aufforderungen zu neuen Auflagen, alle Anträge auf die Abfassung[222] halbwissenschaftlicher populärer Darstellungen zurück. Erst nach dreißig Jahren, als ich mir die volle Herrschaft über den Lehrstoff erworben hatte, lenkte ich in die alte Bahn wieder ein. Durch diesen Entschluß wurde ich der Sorge ledig, schließlich zu einem oberflächlichen Vielschreiber und Kompilator herabzusinken. Bald merkte ich sogar, daß das wiederholte Durchackern des ganzen kunsthistorischen Bodens auch gute Folgen haben könne. Ich blieb nicht an dem Einzelnen haften, lernte den Zusammenhang der Dinge schärfer in das Auge fassen. Schon um die Eintönigkeit des Studiums zu vermeiden, wechselte ich die Betrachtungsweise und legte bald (nur für mich) auf diesen, bald auf jenen Punkt den stärkern Nachdruck. Eine Reihe von Problemen, von ungelösten Aufgaben und Fragen, die dringend eine klare Antwort heischten, tauchten vor mir auf. Allmählich gewann ich die Überzeugung, daß die wissenschaftliche Kunstgeschichte erst geschaffen werden müsse. Aber auch für die historische Methode war es von Vorteil, daß ich gezwungen war, stets ein größeres Ganze zu überblicken, die richtigste, der innern Entwickelung des Stoffes entsprechende Gliederung zu prüfen, überall den Wurzeln, Blüten und Früchten, dem Wachstum der Kunstperioden nachzuspüren, den Einfluß der Volksbildung, der herrschenden Anschauungen auf das Kunstleben zu übersehen. Alle diese Dinge ließ ich langsam in mir ausreifen und befliß mich in den nächsten Jahren einer großen litterarischen Enthaltsamkeit. Vom Jahre 1855–1860 gab ich nur zwei Schriften wissenschaftlichen Inhalts heraus, beide durch[223] meinen Pariser Aufenthalt, bei Gelegenheit der Weltausstellung 1855 angeregt und veranlaßt: Paris im dreizehnten Jahrhundert und die Geschichte der bildenden Künste im neunzehnten Jahrhundert. Sie dürften wohl die ersten Schriften sein, welche man mir nicht als Jugendsünden anrechnen wird. Beide Schriften hatten wenigstens in der Fremde einen großen Erfolg. »Paris im dreizehnten Jahrhundert« wurde von Victor Faucher in das Französische übersetzt und von Aubry in einer reizenden Ausgabe dem Trésor des pièces rares ou inédites einverleibt. Aus der andern Schrift brachte die Fine art quarterly Review größere Auszüge.[224]
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