19

[100] Es war in den Sternen geschrieben, vielleicht aber auch nur im Kopfe mußte. Etwas wie eine Einleitung hierzu war es, daß Geheimrat Wagner und Zeichenlehrer Haßlinger zu mir kamen und einige meiner Handzeichnungen zur Vervielfältigung für den Gebrauch in badischen Schulen mit sich nahmen. Geraume Zeit nachher, im Jahre 1898, schickte mir Großherzog Friedrich das Ritterkreuz 1. Klasse vom Zähringer Löwenorden. Eine Dankesaudienz konnte in St. Blasien stattfinden, da ich in diesem Sommer in Bernau war. Ich wurde zu Tisch geladen, und da bemerkte ich zu meiner großen Freude, daß die hohen Herrschaften sich noch lebhaft an meinen frühern Aufenthalt vor etwa 32 Jahren in Karlsruhe erinnerten. Großherzogin Luise konnte mir aus ihrem ans Wunderbare grenzenden Gedächtnis genau von einem Besuch sagen, den die hohen Herrschaften in Begleitung Schirmers in meinem Atelier gemacht hatten. Sie teilte mir mit, daß Schirmer nachher gesagt habe: »Aus diesem kleinen Schwarzwälder wird einmal was.«

1899 kam die Anfrage vom Karlsruher Hof an mich, ob ich die Galeriedirektorstelle dort übernehmen wolle; ich war sehr überrascht und voll Zweifel, was tun. Aber der mich rief, war doch mein Landesfürst[100] und etwas wie Gehorsamspflicht gab mir das Vertrauen, auf das Angebot einzugehen. Der Entschluß, von Frankfurt wegzugehen, war aber nicht leicht. Es kam auch zum Ausdruck, daß die Stadt Frankfurt doch nicht so gleichgültig um mein Schaffen war, wie es oft den Anschein hatte, und Oberbürgermeister Adickes machte auch den Versuch mich in Frankfurt zu halten. Aber die Entscheidung war schon gefallen. An einer kleinen Feier zu meinem 60. Geburtstag nahm auch Staatsminister von Brauer aus Karlsruhe teil.

Besonders für Cella war das Aufgeben der behaglich schönen Existenz, die Art von Sicherheit in Frankfurt, eine gar schwere Sache. So kamen auch die Bedenken, ob es bei meinem Alter nicht gewagt sei, solche Verpflanzung vorzunehmen. Nochmals kam die Sache ins Wanken, nachdem wir zu zweit Karlsruhe und namentlich auch die Wohnungsgelegenheit angesehen hatten.

Nachdem ich mich aber in einer Audienz überzeugt hatte, daß es ein ganz persönlicher Wunsch Ihrer Königlichen Hoheiten sei, mich wieder in Karlsruhe zu haben, unterdrückte ich alle Bedenken. Auch das liebenswürdige Entgegenkommen der Hof- und Staatsbeamten, mit denen wir zu tun hatten, so des Präsidenten Nicolai, der Minister von Brauer, Nobb, erfüllten uns mit Vertrauen für das Kommende.

So übersiedelten wir also nach Karlsruhe, waren aber im Sommer 1900 noch einmal in Cronberg. Dort machte ich die Entwürfe zu zwei Altarbildern für die Peterskirche in Heidelberg. Dieselben verdanken ihre Ausführung hauptsächlich dem lebhaften Eifer, welchen Frau Daniela Thode dafür hatte. Auch machte ich in diesem Sommer einen Teil der Bilder zum »Immerwährenden Bilderkalender«. An einem Tage, da Cella in der Stadt war, machte ich eine Kohlenzeichnung vom Jahresregent Mond. Als Cella das Bild am Abend sah, fing sie an zu weinen. Das war so ganz gegen ihre unsentimentale Art, daß ich ganz überrascht war; sie sagte aber, sie könne das Bild nicht ansehen, es komme etwas wie Todesahnung ihr daraus entgegen. Im Sommer schon hatte ich einen Anfall von Blinddarmentzündung, der aber glücklich vorüberging. Da, als die Möbel schon verpackt waren, da wir in den Tagen nach Karlsruhe wollten, bekam ich an einem Abend, als Cella in der Stadt war, einen heftigen Rückfall. Wir[101] waren ratlos in der ausgeräumten Wohnung. Da telegraphierte Cella an unsre gute Freundin Sofia Eifer, daß sie uns bei sich aufnehmen möchte. Es reichte nun gerade noch bis zum letzten Zug, der nach Frankfurt fuhr. Dort nahm mich ihr Neffe August Rasor in Empfang, und dann lag ich einige Wochen ziemlich schwer krank im Eiferschen Hause.

Cella bewerkstelligte nun den Umzug nach Karlsruhe, wobei ihr Frau Anna Spier eine treue Helferin war. Als ich wieder hergestellt war, folgte ich nach.

Wir freuten uns nun am Einrichten der großen Wohnung. Eine Sache, die Cella meisterlich verstand. Sie freute sich nun sehr am neuen Nest und war mit der Übersiedlung ganz versöhnt, besonders auch, da sie überall, wo sie hinkam, gar freundliches Entgegenkommen fand. Es entwickelte sich eine erfreuliche Geselligkeit. Wir sahen oft die Akademiekollegen und meine Schüler bei uns. Cella zeigte sich auch hier ihrer Aufgabe gewachsen, ein natürliches Taktgefühl leitete sie sicher, ähnlich wie es sie auch in ihrer Malerei geleitet hat.

Am 5. Februar 1901 veranstalteten wir ein kostümiertes Bauernfest in unsrer Wohnung, wozu 80 Personen erschienen waren. Im Atelier wurde getanzt. Es war eine gar lustige Gesellschaft wie sie die Laune erfindungsreicher Künstler zu improvisieren versteht. Der Charakter einer Bauernwirtschaft wurde auch in bezug auf echte kräftige Bauernkost, die allen gut schmeckte, aufrecht erhalten.

Mit Eifer ergriff ich meine Professorentätigkeit an der Akademie, sah aber ein, daß diese Lehrtätigkeit auch gelernt sein will, und daß ich darin Anfänger war. Ich konnte die Anforderungen der Schüler nicht befriedigen, wie auch sie meinen wohl ungeduldigen Erwartungen nicht genügen wollten.

Im Sommer des Jahres durfte ich ein Bildnis des Großherzogs malen. Ich hatte die Idee, eine Umgebung im Hintergrund von der Insel Mainau dazu zu malen. Zu diesem Zweck beabsichtigten wir eine Reise nach dem Bodensee. In Konstanz hatte uns Frau Schmidpecht eingeladen. Anfangs Oktober gingen wir fort, hielten uns noch einen Tag in Säckingen auf. Dort klagte Cella schon über Schmerzen, sie wollte aber nicht umkehren, und so kamen wir in Konstanz an. Aber dort wurden in der ersten Nacht ihre Schmerzen so groß, daß wir einen[102] Arzt zu Hilfe rufen mußten. Die Arme sollte nicht mehr aufstehen. Da lag sie nun, wenn auch in freundschaftlicher Pflege, doch in fremden Hause. Ich ließ Agathe kommen und quartierte mich im Inselhotel ein. Ich machte noch ein paar Zeichnungen auf Mainau, aber es waren bange Tage. Es war notwendig, daß Cella ins Krankenhaus übergeführt wurde, und da umtobten sie alle Schrecken des Spitals. Ein berühmter Arzt aus Zürich wurde herbeigerufen; es mußte eine Operation stattfinden. Die lieben Freunde aus Frankfurt kamen und wohnten mit mir im Inselhotel. Frau Eifer, Küchler, sie durften die Kranke nicht mehr sehen, auch Agathe durfte sie kaum mehr besuchen. Auch ich sollte fernbleiben. Das Gefühl, die gute Seele so in ihrer Einsamkeit zu wissen, war herzzerreißend für mich. Nach siebenwöchigem Krankenlager starb sie am 21. November 1901, nachmittags nach 5 Uhr. Ich kniete an ihrem Bette und hielt ihre erkaltende Hand in meinen Händen und sah in ihre erlöschenden Augen. Unsere Ella war auch einige Zeit in Konstanz. Sie nahm aber vorher schon Abschied von der guten Mama und kehrte nach Karlsruhe zurück. Die rührend zarte Teilnahme, welche das Großherzogspaar sowie auch Prinz Max an meiner Trauer nahmen, war wohltuend. Küchlers und Thodes waren mir zur Seite. Die Beerdigung fand auf dem Frankfurter Friedhof statt bei dem Grab der Mutter, wo auch Agathens und meine Ruhestätte sein soll.

Doch ich will nicht weiter berichten! Der Menschheit ganzer Jammer wird wohl bei jeder aufrichtigen Lebensbeschreibung einmal zum Vorschein kommen. Wir kennen ihn ja alle! Wir versuchen es wohl, ein lustiges Gespinste um diesen Jammer zu bauen, an welches sich die Seele anklammert, welchem sie Namen gibt, das sie gerne ihre Weltanschauung nennt – da hängt und zappelt dann die arme Seele daran. Merkwürdigerweise trachten aber die Menschen eifrig danach, jeder dem andern dies Luftgespinst, mit dem ihm der Gang durchs Dasein erleichtert wird, zu zerstören. Als ob das so wichtig wäre! Für uns Christen ist das Kreuz, das wir aufs Grab setzen, das Punktum auf diesen Jammer.

Auf den Lebensstufen über »wohlgetan«, über »Stillstand« und »gehts Alter an« ist wohl der normale Zustand, wenn dem Mann[103] zur Seite die Frau geht. Das bedeutet Stillstand in ruhigem Sein. Die Stürme haben keine allzu große Bedeutung mehr. Wenn aber in den Jahren des Alteranfangs der Tod die Gattin von des Gatten Seite nimmt, so ist das ein gar schmerzlicher Riß und unheilbar, wenn das Band der Ehe ein inniges war. Das Volk hat ein Sprichwort darauf gemacht, das in seiner Wahrheit gar grausam ist: »Wenn Gott einen Narren braucht, so nimmt er einem alten Mann seine Frau.« Ein Narr Gottessein, das muß man sich halt gefallenlassen; hohe Herrschaften haben sich von jeher Narren gehalten zu ihrer Belustigung. Sie zürnen dem Narren nicht und lachen, wenn er ihnen die Wahrheitsagt.

Für mich schien mit dem Tod meiner Cella alles dahin zu sein. Die Freude an der Arbeit war dahin. Was war mein Malen, wenn diese zwei treuen Augen es nicht mehr sahen. Im kommenden Frühling erweckten mir die Blumen nur schmerzliche Erinnerungen. Aber das Leben nahm seinen Lauf, es beanspruchte sein Recht. Der Drang zur Tätigkeit fing an sich zu regen. Ich mußte Ausdruck finden für meinen Schmerz, eine Form dafür, zu sagen wie ich leide. So entstand auch ein Gedicht »Klage«, welches ich zum Schlusse dieses traurigsten Kapitels meines Lebenslaufes hierher setzen will:


Klage.

Als Blumen du gepflückt in der Wiese am Waldrande

Da kehrtest du leuchtenden Auges zu mir zurück;

Liebe strahlt aus deinen Blicken, du Sonnenkind,

Geworden im Zauber des Jahres, wie deine Blumen.


Flora stand vor mir, die strahlende Göttin,

Sie setzte am schatt'gen Waldrand zur Seite sich mir,

Durch Ordnen der Blumen farbige Pracht noch zu erhöhen.

Mein warst du, Sonnige, mein deine Blumen,

Die Schönheit des Jahres, die Welt war mein,

Ein Königsgefühl durfte die Seele mir füllen,

Da du zur Seite mir gingst:

Ein menschgewordener Sonnenstrahl.[104]


Und nun –

Ein Bettler, sitz ich am Waldrand,

Das zitternde Blumenfeld verschwimmt meinen Augen

Zu feucht trübem Grau –

Ein Totenfeld meines begrabenen Glückes.

O Einsamkeit!

Quelle:
Thoma, Hans: Im Winter des Lebens. Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen, Jena 1919, S. 100-105.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon