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[135] Die Bernauer Altarbilder waren fertig und um Johanni 1912 sollten sie eingeweiht werden. So ging ich mit Agathe, der Familie Blaue mit ihren zwei Kindern und mit Frau Elisa Küchler und ihrer Tochter Sophie nach Bernau. Von Freiburg fuhren wir in drei Autos, es war ein besonders schöner milder Junitag. Traumartig schön war dies rasche Durchfliegen der mir so lieben wohlbekannten Gegend, die ich so oft in frühern Jahren in acht- bis zehnstündiger Fußtour durchwandert bin. Jetzt brauchten wir zweieinhalb Stunden dazu. Wir fuhren am »Schauinsland« hinauf, machten kurzen Halt am Haldenwirtshaus, fuhren dann über Muggenbrunn, Prüg und das schöne Prüger Loch hinauf nach Bernau, in das altgewohnte Quartier in die »Gerbe«, in Bauers gastliches Haus. Treue Freunde, teils mit ihren Frauen, aus Karlsruhe fanden sich ein zum Mitfeiern, am andern Tag kamen auch der Präsident der Generalintendanz von Nicolai mit seiner Frau, es kam Frau Professor Anna Meyer aus Straßburg, Dr. Beringer und Frau kamen. Am Vorabend der Johannisfeier zeigte sich aber Bernau in der Pracht einer Beleuchtung, die fast unerhört zu nennen ist. Der ganze Osthimmel flammte in glühendem Rot und warf sein Licht über das blumige grüne Wiesental. Wir alle waren tief ergriffen von solcher Pracht, von der Feierlichkeit, in der sich Bernau zeigte, und folgten den Verwandlungen durch die Abendglut hindurch in die sanften Schauer des Dämmerlichtes – bis in die geheimnisvolle Hochsommernacht hinein. Der anbrechende Sonntagmorgen mit seinem Silbernebellicht war auch gar schön. Johannes der Täufer ist der[135] Bernauer Kirchenpatron. Die Kirchenglocken läuteten, Böllerschüsse krachten, eine kirchliche Prozession zog feierlich durch die blumigen Wiesen, die Mädchen mit Trollus, dem großen Hahnenfuß bekränzt und mit Kirche her an der Schwendele-Mühle vorbei nach dem Oberlehn, die Musik voraus. Dort bei meinem Geburtshaus stand mein Denkmal, ein tüchtiger Granitblock mit einem Bronzereliefbild von Bildhauer Sauer. Der Platz vor den Häusern war mit festlich gestimmten Menschenscharen, mit Musik und Fahnen und Gesang erfüllt. Der Bürgermeister Maier begrüßte mich mit einer Ansprache. Dr. Beringer hielt die Festrede. Wie seltsam war dies alles! Ich will nicht versuchen zu beschreiben, was in dieser Stunde von Freude und Wehmut durch meine Seele ging, ich hatte das Gefühl, als ob ich niederknien müßte und wortlos die Bernauer Sonne anstarren möchte. So ein starkes innerliches Gefühl vermag sich eigentlich doch nur in einem körperlichen Bewegungsakte auszudrücken, das war gewiß auch ursprüngliche Menschenart als Ausdruck der Ehrfurcht vor dem Wunder des Daseins, die mehr und mehr abgeschafft wird.

Man muß seine Fassung behalten! Man darf nicht außer sich kommen. Nun kann ich so gut wie andre Menschen dies auch, denn ich denke auch, es geht andre nichts an, was inwendig in der Seele vor sich geht. So war ich standhaft, denn ich hatte für den Tag Pflichten des Wirtes zu erfüllen. Ich hatte mit meiner Schwester die Freunde von nah und fern und unsre Verwandten zum Mittagessen im Schwanen eingeladen. Die ganze große Wirtsstube war angefüllt, vor dem Hause herum, auf der Kegelbahn waren Tische und Bänke gezimmert für die Musik und die Gesangvereine und, was mich besonders freute, für die Schulkinder. Denn ich weiß noch gar gut, was in solchem Alter eine Knackwurst zu bedeuten hat. Der Schwanenwirt hatte alles vorzüglich und zur allgemeinen Zufriedenheit angerichtet.

Am Nachmittag war die festliche Einweihung der Kirchenbilder. Pfarrer Lamy aus St. Blasien hielt die Predigt, in der er sehr schön auf volkstümliche Art die religiöse Symbolik der Bilder erklärte. Maria im Morgenschein breitet den Mantel zum Schutze aus über das Bernauer Tal. Der Waldvöglein Chor begrüßt sie. Dann Johannes,[136] der auf den herankommenden Heiland, das Opferlamm Gottes, zeigt. Die Kirche war voll gefüllt, und man fühlte, daß eine gehobene feierliche Stimmung wie ein unsichtbarer Hauch über alle sich breitete, der so gut geschulte Gesang des Kirchenchores tat sein übriges, man spürte, daß er von großem musikalischen Verständnis geleitet sei, vom Lehrer Waßmer in Innertal. Ergreifend klang zum Schluß das Lied, das alle mitsangen: »Großer Gott, dich loben wir.« Es wurde so ausdrucksvoll gesungen, wie man es nicht so leicht hört, was auch meine zugereisten Freunde empfanden. Ich freute mich herzlich, daß meine Bernauer so kräftig schön singen können, so daß es mir war, als ob ich deutlich den Dank für meine Bilder daraus hören könnte. Der Abend im Gasthaus zum Rößle war der Fröhlichkeit geweiht. Pfarrer Joos von Bernau hielt eine Ansprache voll Humor. Auch Lehrer Braun vom Außertal hielt eine Rede. Vor dem Wirtshaus waren Tische und Bänke aufgeschlagen, wo noch eine kleinere Gesellschaft in die Dämmerung hinein zusammensaß. Gewitterdrohende Wolken standen über dem Lehnköpfle, doch blieb es ruhig, und wir kehrten in der zauberisch durchleuchteten Sommernacht nach dem etwa eine halbe Stunde entfernten Oberlehn zurück. Wir blieben dann noch ein paar Tage in Bernau, waren dann noch kurze Zeit in St. Blasien, wo wir die Kirche in ihrer Neuherstellung ansahen. Es ist keine Kleinigkeit, bei lebendigem Leibe die Ehrungen einer Gemeinschaft ertragen zu müssen. Man kann dabei etwas vom Gefühl einer öffentlichen Hinrichtung haben, man sehnt sich in seine verborgne Höhle des Nichtbeachtetseins zurück. Jedoch da läßt sich nichts machen, man muß es über sich ergehen lassen.

Nach dem Bericht über das Bernauer Fest ist hier wohl die bequemste Stelle, der vielen Ehrungen zu gedenken, die mir in diesen Jahren zuteil geworden sind; ich muß doch aufrichtig berichten, auf die Gefahr hin, daß manche sagen können, ich lege zu viel Wert auf äußerliche Ehrenzeichen. Es gehört deshalb auch zu meinem Lebenslauf. Es wurden mir folgende Orden verliehen: Das Großkreuz vom Zähringer Löwen, das Großkreuz vom hessischen Philippsorden, die große badische goldne Medaille für Kunst am Bande des Bertholdsordens, das Großkreuz des schwedischen Nordsternordens, der bayerische Maximiliansorden[137] für Kunst, und 1917 erhielt ich den Pour le mérite. Ich werde mich nun wohl hüten, ein Geschmus zu machen, als ob ich mir eigentlich nichts aus Orden und dergleichen mache. Im ganzen war ich es auch in Ordnung, daß man mir Orden gibt; ja ich freue mich auch darüber, daß ich mich Exzellenz nennen lassen durfte. Warum sollte mein irdisch Haus nicht Dekorationen haben, die man ihm ja nur bis zum Grabe nachträgt.

Hier läßt sich auch das Wohlbehagen anfügen, welches mir die hochsteigenden Preise meiner Bilderbe reiteten; ich habe nämlich beim Durchforschen alter Notizbücher aus den 60er und 70er Jahren gesehen, wie lächerlich klein die Preise waren, die ich erhielt. Ich will keine Beispiele anführen, die Kunsthändler wissen das schon lange. Die äußerlichen, allzu menschlichen Angelegenheiten spielen halt im Lebenslauf auch ihre Rolle. Aber Ruhm, Ehrungen, Ordensauszeichnungen, Titel, Geld berühren das eigentliche Wesen eines Künstlers nicht, dem auch das Gegenteil von all diesem, Schmähung, Armut usw., nichts anhaben konnte.

Einst hatten mich die armseligen Preise, die ich erhielt, dazu genötigt, recht fleißig zu arbeiten, und jetzt nötigten mich die regen Nachfragen nach meinen Bildern mit den reichlichen Preisen zu erhöhter Tätigkeit. Auch erfreute ich mich im Alter einer durch lange Erfahrung erlangten Sicherheit in der Technik, die mir das Arbeiten leicht machte.

Sehr betrübt hat mich der Tod Schönlebers, der mir in der Karlsruher Zeit ein lieber Freund geworden war. Und nicht lange nachher der so plötzlich erfolgte Tod Trübners, mit dem ich in München schon und dann in Frankfurt und zuletzt in Karlsruhe in dauernd freundschaftlichem Verkehr gestanden.

Quelle:
Thoma, Hans: Im Winter des Lebens. Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen, Jena 1919, S. 135-138.
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