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[5] Bernau, wo ich am 2. Oktober 1839 zur Welt gekommen bin, ist um den Johannestag herum ein von Blumen- und Honigduft erfülltes hochgelegenes Wiesental, von braunen Forellenbächlein durchzogen, die alle als Alb nach Osten ziehen, es liegt südlich vom Herzogenhorn, ein Kranz von Bergen, so gelagert, daß sie das Tal nicht einengen, umgibt es mit dunkeln Tannen. An das Herzogenhorn schließt sich das Spießhorn an, dann östlicher der Kaiserberg und der Steppberg, dann das Albtal St. Blasien zu, südlich der Rechberg, dann der Oren, der Farnberg, dann die Todtmooserstraße, der Hochkopf, im Westen der stattliche Blößling, zwischen dem und Herzogenhorn die Wacht, die Wasserscheide der westlich ziehenden Wiese und der östlich ziehenden Alb; über die Wacht führt die Straße nach Schönau. – Durch das stundenlange breite Tal reihen sich die mit Schindeln gedeckten braunen Holzhäuser, bilden in dem grünen Tal einzelne Dorfgruppen, in deren mittleren sich die Kirche befindet. Bei der etwa 900 Meter Höhe, in der sich das Tal befindet, ist der Winter recht lang und sehr schneereich. – Schön sind die zahlreichen Kuh- und Ziegenherden, welche den Sommer über an den Berghalden hin weiden – die Viehzucht spielt im Erwerbsleben eine Rolle neben der Holzwarenindustrie, die in fast allen Häusern betrieben wird. –

Das ungefähr ist die Örtlichkeit, in der sich mein Kindheitsparadies abgespielt hat – die für Kinder dort geschaffenen Paradiesesfrüchte sind die Heidelbeeren, Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Preiselbeeren; von denen wir alle essen durften, das war gut! Zwischen hinein sangen wir unsre Beeriliedli. Z.B.:


Beereli, Beereli hei goh

's Beerimännli isch zu ins cho

's hat is alle Beeri gno

's Böuchli voll, 's Grätteli leer,

Weil Gott, daß i daheim wär.


Aber auch neckisch klang eines, das es auf den Bannwart, den Bammert, den von den Kindern gefürchteten Feld- und Waldhüter, abgesehen hatte.[5]


Beeri Beeri Tschare

De Bammert goht go jage

Er hocket hinter de Hecke

Er möcht is d' Ohre strecke.


Gar gern möchte ich nun dem geneigten Leser einen schönen Wiesenblummenstrauß pflücken oder eine Handvoll duftiger Beeren reichen aus ein goldenes Glück vor mir schwebt. Ich möchte damit den Leser bestechen, daß er mir gerne folgt vom Blumengeruch angelockt, daß er auch mitgeht, wenn er merkt, daß es nicht immer so durch Blumenauen geht im Lebenslauf, sondern manchmal auch durch Sorge, Not und Leid und Schmerz und Dunkelheit, aus denen eben auch alle Himmelschlüsselblumen hervorwachsen müssen, wie die natürlichen aus dem moderbraunen Ackergrund. Aus dem Modergeruch der Verwesung ziehen die Blumen und Beeren ihr Wachstum und bereiten mit der Gnade des Himmelslichtes daraus ihre Wohlgerüche und Süße – auch die Pflanzen haben ihre Seele, welche jede nach ihrer Art zu Form, Farbe, zu Blüte und Frucht sich gestaltet – so hat auch die göttliche Seele aus Erdenmasse das vergängliche Gehäuse des Menschen gebildet. Nun ist es wohl Aufgabe der Seele, dies ihr Haus durch alle Fährlichkeiten des Daseins zu erhalten, vor den unheimlichen Mächten zu schützen, die ihm Vernichtung drohen. Das ist des Lebens Lauf.

Quelle:
Thoma, Hans: Im Winter des Lebens. Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen, Jena 1919, S. 5-6.
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