Akademiedirektor in Neapel

[319] Ich war eben in Portici und arbeitete da, als ich hörte, der Akademiedirektor Bonito sei plötzlich gestorben. Er hatte sich erhitzt bei dem vielen Visitemachen. Seiner Schuldigkeit gemäß mußte er seinen Oberen und Bekannten die Gnade des Königs anzeigen, von dem er mit einem Orden beehrt und zum Kavalier gemacht war. Die Schwierigkeit gegen die Veränderungen, welche man mit der Akademie im Sinne hatte, war nun gehoben und der Zeitpunkt da, diese Anstalt auf einen besseren Fuß einzurichten. Man hatte deshalb schon vor Jahren mit Mengs Unterhandlungen angeknüpft. Ich bat den König um die Stelle des Direktors der Akademie und sagte ihm, daß es aus keiner anderen Absicht geschehe als aus Liebe für die Kunst, indem ich glaube, mit meinem wenigen Wissen die jungen Kunststudierenden auf bessere Wege leiten und mit Beistand und Hilfe Sr. Majestät in kurzer Zeit Beweise eines guten Fortganges zeigen zu können. Ich sagte ihm ausführlich, was ich bis jetzt in der Kunst erlernt hätte und daß ich in vielen Fächern bewandert wäre, Historienbilder sowohl im großen als im kleinen malte, desgleichen Porträts, Tiere und Landschaften, und daß ich schon viele Zeichnungen als Vorrat zu Modellen, auch selbst Bilder von alten Meistern hätte, welches alles den Kunstjüngern zugute kommen würde. Hierauf äußerte der König sich sehr gnädig: »Wir kennen Euch und wissen, was Ihr leistet«, denn er sah mich täglich, weil ich den beiden Prinzessinnen Zeichenunterricht[320] erteilte, und er fügte daher hinzu, daß er alles mit beitragen wolle zum guten Fortgange der Kunst. Nun waren aber viele, die nicht die reine Absicht für die Kunst hatten, sondern nur für sich besorgt waren, und diese verursachten das Verzögern der Resolution. Ich hörte, daß viele Gesuche eingegangen wären, und ich bat deshalb in einer Audienz den König nochmals, so gnädig zu sein, einen Concorso anzuordnen, zu welchem jeder Bewerber ein Bild male, worin er Wissenschaft und Kunst zeige, welche einer besitzen müsse, der eine Akademie dirigieren solle. Fände sich einer, der die Sache besser verstände als ich, so würde ich der erste sein, welcher für ihn stimmte. Auf diese Weise könnte sich keiner beklagen, und auch das Publikum sähe, daß kein Unfähiger begünstigt würde. Zur Vollendung dieses Bildes sollte man den Konkurrenten ein Jahr Zeit und freie Wahl des Sujets erlauben, nachher aber die sämtlichen Bilder zur Schau in der Akademie aufstellen. Der König nahm das gnädig auf, aber es währte wieder lange Zeit, ehe eine Anordnung erfolgte.

In der Sekretaria, wo alle Sachen ausgearbeitet werden, hatte man etwas ausgeheckt, womit man mir den Rang abzulaufen dachte. Sie sagten: »Die Deutschen sind kalte, phlegmatische Köpfe; mit ihrer Geduld und ihrem Fleiße können sie durch mühsame Arbeit wohl etwas herausbringen, wenn man ihnen Zeit läßt, allein es fehlt ihnen an Feuer des Geistes und an schneller Imagination. Wenn sie nichts vor sich haben, das sie treu nachkopieren können, so wissen sie nichts anzufangen, denn was ihnen gänzlich fehlt, sind poetische und malerische Ideen.« Auf diese Meinung hatten sie nun einen Plan gebaut, und so erhielt ich denn endlich ein Dispaccio, mich in der Kanzlei einzufinden, um den Willen des Königs über den anzustellenden Concorso zu vernehmen. Das war die Sekretaria des Prinzen Belmonte, Präsidenten der schönen Künste. Als ich dort hinkam, fand ich alle Bewerber versammelt, und der[321] Sekretario las uns vor, Se. Majestät verlangten eine Probe, in welcher sich der Geist zeige, womit ein Maler begabt sein müsse, um all' improvviso den Entwurf zu einem historischen Bilde zu machen, ohne irgendein Hilfsmittel vor sich zu haben. Wer sich diesem unterwerfe, der müsse sich in ein Zimmer, in welchem nur die vier Wände zu sehen wären, einschließen lassen, dürfe kein Papier, keinen Kupferstich noch sonst das Geringste in der Tasche mitnehmen. Herr Monjai habe den Befehl, auf das alles zu achten. Die Maße des Bildes seien sechs Fuß Länge und drei Fuß Höhe; jeder Konkurrent könne nun die Leinwand bereiten, und wenn dies geschehen, werde der Gegenstand bekannt gemacht werden, dessen Entwurf dann in drei Wochen fertig sein müsse. Hierauf wurde ich um meine Erklärung befragt. Ich sagte, es befremde mich, daß man eine Skizze zur Preisaufgabe für die Erteilung einer Direktorstelle mache. Ich hätte gewünscht, ein großes Bild zu malen, worauf man ein Jahr wenden und zeigen könnte, was man wüßte, ein Bild sowohl mit nackten männlichen und weiblichen Figuren, als auch mit bekleideten; denn das sei es, was der Lehrer den Schülern in der Akademie zeigen müsse. Aber da sie es wollten, wäre ich auch bereit, und nicht allein in Zeit von drei Wochen, sondern in drei Tagen, und wenn sie doch nur einen Entwurf sehen wollten und glaubten, die Kunst bestände darin, so wollte ich ihn auch in drei Stunden machen. Und damit sie aufs Gewisseste sähen, daß kein fremder Rat und keine Hilfsmittel angewendet würden, so wollte ich es nicht im verschlossenen Zimmer, denn da könne man nicht wissen, was einer arbeite, sondern öffentlich machen, in Gegenwart einer Gesellschaft, in Gegenwart sämtlicher Konkurrenten, auf einem öffentlichen Platze, wenn es sein müßte. Nun wurden die anderen gefragt. Die guten Männer waren ganz betroffen, der eine sagte: »Eine Skizze in drei Wochen? Eingeschlossen in ein leeres Zimmer? So leicht setze ich meine Ehre nicht aufs Spiel. Der König[322] und das Publikum kennt meine Verdienste.« Er nannte nun alle Kirchen, in welche er Altarbilder, und die Paläste, für die er Plafonds mit Beifall gemalt habe: »Hiernach mag jeder urteilen und mich für würdig oder unfähig erklären!«

Nun kam die Reihe an den zweiten, an den dritten usw., und alle sagten das nämliche. Ich blieb also ohne Mitbewerber. So verstrich wieder einige Zeit, ohne daß Entscheidung erfolgte. Dann trat einer auf, der mit mir konkurrieren wollte. Er hieß Domenico Mondo, ein Freund des Sekretärs, der die Ausfertigung im Fache der Künste zu machen hatte. Wir wurden zusammen nach der Akademie berufen und uns noch einmal die geschärften Bedingungen vorgelesen. Nach acht Tagen fanden wir uns ein, und der Sekretär las uns das Sujet vor: »Massinissa, wie er seine ehemalige Geliebte Sophonisbe, die Gemahlin des numidischen Königs Syphax, gefangennimmt.«

Anstatt sogleich zur Arbeit zu schreiten, ging ich auf die Höhe des Posilipp, wo man die weite Gegend und das Meer übersieht. Hier dachte ich mir die stolze, nun gefangene Afrikanerin, wie sie ihren Landsmann bittet, sie von den Römern zu erretten oder zu töten, und den Sieger, wie er von der besiegten Gefangenen wieder besiegt wird. Sie flehte zu ihm, und nun ist er der Flehende. Unter dem Tore der eroberten Stadt treffen sie zusammen, sie von ihrem weiblichen Gefolge begleitet, er an der Spitze seiner Krieger. – Als ich es mir nun recht vorgestellt hatte, machte ich mich an die Arbeit. Nach fünfzehn Tagen, also in der Hälfte der Zeit, war ich mit der Arbeit fertig. Ich schrieb unter mein Bild: »Chi non può quel che vuole, voglia ciò che può.« Mein Mitbewerber wurde in den drei Wochen nicht fertig und mußte noch um die Hälfte Zeit bitten. Der Prinz Belmonte brachte beide Bilder in das Apartement des Königs, wo sie von der ganzen königlichen Familie betrachtet wurden. Es war eine Gaukelei von den Sekretarien,[323] welche bei meinem öfteren Andringen zu mir sagten: »Wir sind es allein, welche die Sache machen, und wenn Ihr den König und die Königin und den ganzen Hof und die ganze Stadt auf Eurer Seite habt, so hilft es Euch nichts, wenn wir nicht wollen, denn wir haben die Papiere in Händen, worauf es ankommt, die drehen und wenden wir nach unserem Belieben, und wenn uns die Sache nicht recht ist, so lassen wir die ganze Akademie fallen.« Ich hatte im Grunde meinen Spaß an diesen Intrigen, um so mehr, da ich ihnen zum Trotz mir die Stelle auf eine ehrenvolle Weise eroberte. Den König bat ich noch dazu, er möchte meinem Mitbewerber die Hälfte des Gehalts und des Amtes geben. Dies gewann mir noch mehr die Neigung des Königs und aller Neapolitaner.

Mondo, der alte achtzigjährige, gute Mann, konnte mir nicht im Wege sein. Ich hatte ihn früher gar nicht gekannt, aber wir wurden von nun an Freunde. Er war der Sohn des Stadtsekretärs von Neapel, was eine ansehnliche Stelle ist. Sein Vater, ein sehr gelehrter und geachteter Mann, hatte nur diesen einzigen Sohn. Er ließ ihn in schönen Wissenschaften und Künsten unterrichten und zum Solimena in die Schule gehen, um die Malerei nicht zum Erwerb, sondern als Dilettant zu lernen. Dabei hinterließ er ihm ein schönes Landgut, wovon er reichlich leben konnte; aber es war sein Schade, daß er auf einem zu großen Fuß erzogen war, und so durfte er sagen: »Groß und edel handeln, wie mich es mein Vater gelehrt, hat mich zum armen Manne gemacht.« Er war zu gutmütig, um auf seinen Vorteil zu denken, er konnte kein Elend sehen und schenkte alles weg. Bei seinen hohen Jahren war er kränklich und litt sehr an Podagra und Chiragra. Die Schmerzen quälten ihn zum Erbarmen und manchmal so arg, daß er laut schrie. Man durfte ihm dann nicht einmal nahe kommen, und wenn er nur eine Fliege gegen sein Bett summen hörte, jammerte er schon, als ob ihm die Gebeine zerschmettert würden.[324] Wenn ihn aber die Schmerzen verließen, so war er wieder heiteren Geistes, musizierte und schrieb Gedichte, womit er Übermütige geißelte. Die lateinischen Autoren und die besten italienischen Werke, besonders die Gedichte von Dante, Ariost, Petrarca und Tasso, wußte er beinahe auswendig, und ihn anzuhören, wenn er daraus deklamierte, war sehr unterhaltend. Er erzählte mir auch einst, daß sein Ältervater, ein gelehrter Mann, der ein Landgut dicht bei Capua besessen habe, Freund mit dem Cervantes gewesen sei. Dieser habe damals als Offizier in spanischen Diensten gestanden und oft seinen Freund Mondo besucht. Da habe er denn geklagt, daß seine häusliche Glückseligkeit nicht die erfreulichste sei, indem er mit aller Vernunft und Geduld seine Frau nicht zur Einigkeit bringen könne. Diese habe nämlich ihr Los, einen Narren zum Manne zu haben, für unerträglich gehalten und beim Beichtvater und anderen ihn, den Cervantes, verklagt, weil er häufig im ernsthaftesten Gespräche abbräche und wie ein Unkluger laut lachte, wohl gar von Tisch und Bette aufspränge, an sein Pult liefe, anfinge zu schreiben und immerfort dabei lachte, ohne daß sie doch die Ursache davon wüßte. – Dieses Sujet benutzte ich später zu einem Bilde.

Die Akademie sollte mit Pomp und unter Pauken- und Trompetenschall eröffnet und die Direktoren mit einer Rede feierlich eingeführt werden. Ich äußerte mich dagegen und bat, die Kosten, welche dadurch veranlaßt würden, lieber auf etwas Wesentliches für die Akademie zu verwenden. Jenes Gepränge und lärmende Wesen schicke sich besser für ein Regiment Kavallerie als für eine Versammlung junger Leute, die sich im Zeichnen üben wollten. Wir müßten diese Akademie ansehen, als sollte sie erst werden, und da sei viel anzuschaffen. Ganz langsam aber müsse angefangen und von Stufe zu Stufe allmählich fortgeschritten werden, dann könne man zu etwas Großem gelangen. Jede Beihilfe dazu sei willkommen; Abgüsse aber von Antiken[325] und die Unterstützung einiger junger Leute, welche Talent zeigten, das sei das erste und notwendigste. Dies alles wurde versprochen und kam auch über mein Erwarten in Erfüllung.

Nun wurde die erste Akademie gehalten, wo nach dem nackten Modelle gezeichnet werden sollte, und es versammelten sich sehr viele junge Leute. Alle die vielen Zeremonien von orientalischer Höflichkeit, womit sie den Direktor zu verehren pflegten, verbat ich mir, ließ den für mich hingestellten Lehnstuhl in die Mitte des Zimmers gerade dem Modelle gegenüber als Ehrenstelle für den besten Zeichner hinsetzen. Hier, vor der lebendigen Natur, sagte ich, und vor den Antiken wären wir alle arme Sünder. Wenig wüßte ich, und wenig könnte ich sie lehren. Was ich gelernt hätte, wollte ich ihnen mitteilen, so gut ich es verstände; aber wer es besser lehren könnte, das wären die Antiken, die müßte ein jeder zu Rate ziehen, diese zeigten das Vollkommene und das, was mangele. Dann setzte ich mich zwischen sie auf die Zirkelbank und zeichnete. Als die erste Stunde vorüber war und das Modell ausruhte, ließ ich mir die Zeichnungen der jungen Leute vorlegen. Da sah ich, daß keiner einen Begriff davon hatte, wie man zeichnen soll. Einige waren schon damit fertig, nach ihrer Gewohnheit, jeden Abend eine Zeichnung hinzuwerfen; das nannten sie alla Solimenasco. Die meisten Figuren waren nicht im Verhältnis, einige hatten so große Köpfe, daß unten das Papier nicht ausreichte und die Gestalt nur bis an die Waden hinkam. Man war es so gewohnt, die Füße daneben zu zeichnen. Nun wies ich ihnen, wie man eine Figur anfangen müsse, erst in der Mitte, von da aus, nach oben und dann nach unten; so erhalte man die rechte Länge, und von einem geraden Strich in die Länge aus nach beiden Seiten gezogen, die rechte Breite.

Den zweiten Abend zeigte ich ihnen, wie man eine Figur entwirft, so daß ein Teil mit dem anderen harmoniert, die[326] Verhältnisse des einen zum anderen und die Hauptteile, aus welchem eine Figur besteht: Brust und Leib, Kopf, Schultern, Arme, Schenkel und Füße; ferner die Teile, welche unverändert bleiben, wie z.B. der Brustkasten, und die, welche sich, bei Wendungen verändern und sich vor- und hintereinander schieben. Diese Lektion war vielen sehr einleuchtend.

Mein Unterricht und meine Aufmerksamkeit mußte in dem Grade von den ersten Anfängen ausgehen, daß ich sogar das Aufspannen des Papiers auf die Zeichenbretter lehrte, denn auch das konnten sie nicht. Sie brachten ein gerolltes Papier mit, und so verknickt es war, zeichneten sie darauf. Nun wies ich sie darauf hin, wie man das alles sauber und nett haben müsse, ohne das sei es unmöglich, eine reine und bestimmte Kontur zu machen: in der Reinheit und Bestimmtheit der Form bestehe der Wert der Zeichnung, und der beste Zeichner sei der, welcher eine Sache so klar und deutlich darstelle, daß man sie gleich erkenne und mit nichts anderem verwechsle. Ich verglich das Zeichnen mit der Rede. Wenn einer dem andern etwas sagen wolle und dabei stottere und die Worte durcheinander haspele, so werde niemand begreifen, was er eigentlich meine. Einen andern aber, der seine Worte gut ordne, die nötigen gebrauche, die überflüssigen weglasse und die bedeutenden rein ausspreche, den werde man verstehen. Ebenso sei es mit der Zeichnung, die müsse auch klar, rein und deutlich sein. Ganz unmöglich werde das aber bei einem so hingesudelten Machwerke mit vielerlei Muskeln, wo einer vor dem anderen nicht zu erkennen und zu unterscheiden sei und worunter sich auch manche fänden, die es in der Natur gar nicht gäbe – sogenannte muscoli forestieri oder auch paniotti (runde Brote) genannt; jeder Muskel habe seine eigene Form, welche ihm gegeben werden müsse, wenn die Zeichnung gut sein solle. Einige Wochen später stellte ich das Modell in den Akt irgendeiner bekannten Statue,[327] damit sie die Formen vergleichen und sich helfen könnten, indem sie das, was sie in der Natur nicht fänden, an der Statue sähen. So ging ich denn immer weiter, sie auf die schöne Form aufmerksam zu machen. Oft ließ ich den Akt zwei Wochen stehen, damit sie sehen lernten, was sich am menschlichen Körper finde; denn wenn man einen Gegenstand so lange anschaut und untersucht, dann lernt man es auch finden.

Einige von den jungen Leuten gefielen mir, und ich erkannte an ihren Zeichnungen, daß sie Talent hatten. Diese forderte ich auf, zu mir in mein Haus zu kommen und, was sie bis jetzt gemacht hätten, mitzubringen. Daraus könne ich am besten innewerden, was ihnen zu raten sei; ich wolle ihnen mit allem dienen, was in meinen Kräften stehe. Diese studierten nun bei mir nach meinem kleinen Vorrate von Originalbildern, nach Abgüssen von Antiken und nach Zeichnungen. Was ich gelehrt hatte, das breitete sich durch sie wieder in der Akademie aus, und so kamen sie allmählich zur Kenntnis der antiken Form.

Durch den Ruf, welcher bei Eröffnung der Akademie sich von der besseren Einrichtung dieser Anstalt verbreitet hatte, waren auch einige Leute herbeigeführt worden, die sich als Modelle anboten. Alle aber, die ich besah, waren mir nicht schön genug gebaut. Ich hatte mich an verschiedene Personen mit der Bitte gewendet, wenn sie einen wohlgestalteten Menschen wüßten, der zum Modell dienen könnte, ihn zu mir zu schicken. Ich wünschte nämlich, oft mit dem Modelle zu wechseln und die verschiedenen Formen den Schülern geläufig zu machen. Die drei Modelle, welche ich vorfand, waren schon alt und eigentlich bis auf eins unbrauchbar. Zwanzigjährige Leute, wenn sie volle und ausgebildete Muskeln haben, sind im ganzen die besten; doch muß man auch mit älteren versehen sein.

Gleich in der ersten Woche ereignete sich ein possierlicher Vorfall. Ich hatte die größte Stille während des Zeichnens[328] empfohlen und alles Sprechen, wenn es nicht durchaus nötig wäre, untersagt, damit nichts die Aufmerksamkeit der Studierenden abwenden sollte. Die Türen der Akademie waren für jedermann offen. Auch fanden sich viele Zuschauer, aber es war alles still, sie kamen und gingen. Eines Abends in der ersten halben Stunde, als alle ruhig zeichneten, drängte sich ein Mensch zwischen den Bänken bis zu mir heran, der ich etwa auf der zweiten Bank saß, stellte sich vor mich hin und sagte: »Signor Direttore! Ich habe gehört, daß Ihr ein schönes Modell zu haben wünscht; seht hier in mir das allerabbildungswürdigste, das Gott, der Schöpfer, je hervorgebracht.« Dabei zeigte er auf sein Gesicht mit einer erschrecklichen Nase und einem Munde, der von einem Ohre bis zum anderen reichte, wies seine höckerige Brust, die unter dem Kinn hervorstand, und wandte sich, um seinen hügeligen Buckel zu zeigen. Er zog sein Gesicht in allerlei Grimassen, deren fratzenhaften Ausdruck kein Pulcinella und keine Karikaturmaske erreicht. Neben dieser grotesken Gestalt hatte er des geschicktesten Buffone Gewandtheit in burlesker Sprache und warf mit satirischer Laune, mit Leichtigkeit und Naivität Worte und Gedanken auf das Lächerlichste durcheinander, so daß ihm schwerlich der ausgesuchteste Possenreißer auf einem Theater gleichkommen konnte. Dieser mißgestaltete Mensch mußte mich desto mehr befremden, als er aufs Schneidendste mit dem Gegenstande kontrastierte, welcher soeben meine Gedanken beschäftigte. Diese waren ganz auf die schöne Form gerichtet. Nebenher dachte ich auch daran, wie ich es machen sollte, einen gutgewachsenen Menschen zum Modelle anzuschaffen, und als ich von meiner Zeichnung aufblickte, stand mir das Gegenteil von dem allen vor Augen. Die ganze Akademie kam in Aufruhr, und ich selbst konnte mich des Lachens nicht enthalten. Doch faßte ich mich und sprach um so ernsthafter, als mir plötzlich der Argwohn entstand, ob mir nicht jemand, um mir einen[329] Possen zu spielen, diesen Krüppel zugeschickt habe. Ich verwies ihm, daß er sich erkühne, mit seinen Possen eine Störung zu machen an einem Orte, wo mit Ernst und Aufmerksamkeit studiert werde; er solle sich sogleich fortpacken, oder ich würde ihn transportieren lassen. Er erwiderte darauf: »Signor Direttore! Ihr werdet böse, weil ich mich zu dem, was Ihr sucht, anbiete! In der guten Meinung, Euren Wünschen im vollen Maße Genüge zu leisten, kam ich hierher; ich wollte Euch ein Original bringen, dessen Nachbildung Euch Ruhm und Ehre erwerben würde. Ihr könnt die Kopien nach aller Welt Enden schicken. Von allen Doktoren werdet Ihr Danksagungen erhalten!« Um dem Dinge ein Ende zu machen, wiederholte ich ihm, daß er gehen solle. Nun wurde er unnütz und sagte, es wundere ihn sehr, daß ich eine so unvergleichliche Gelegenheit so wenig erkenne und so unbedacht von mir weise. Damit ging er fort, und im Weggehen hörte ich ihn draußen noch laut und viel sprechen. Nun besann ich mich eines anderen und ließ ihn durch die Modelle wieder hereinrufen. Ich fragte, wer ihn geschickt habe? »Niemand«, sagte er, »ich kam aus eigenem Antriebe, um Euch einen Gefallen zu erzeigen.« – »So ziehe dich aus; ich will sehen, ob du zum Modell gut bist.« Das wollte er nicht, aber die Modelle faßten und zwangen ihn. Da er sah, daß es Ernst war und man ihn nicht würde gehen lassen, so fing er in seiner burlesken Art wieder an, zog sich aus und sprang auf den Tisch. Das Modell, welches vorher gestanden hatte, sprang mit hinauf und sagte: »Nun wollen wir malerische Gruppen miteinander machen!« So gaukelten sie auf die lächerlichste Art auf dem Tische herum. Es war, um außer sich zu kommen vor Lachen, wenn man neben dem wohlgebildeten Menschen diese höckerige und purzlige Figur sah. Er glaubte, auf seiner Bühne zu stehen und sagte aus dem Stegreif lauter witzige Pulcinelladen her, welche erst die Verwunderung und dann das Gelächter aufs neue erregten.[330] Ich sah nun wohl, daß er ein geborenes Buffone-Genie war und, von Bekannten und Freunden aufgemuntert in solchen Späßen und Narrenstreichen, sich in den Kopf gesetzt hatte, daß er ein auserkorenes Werk der Schöpfung sei. In diesem Wahne hatte er sich nach der Akademie begeben, weil er glaubte, daß man dort das Wunderbare und Seltene suche. Ich machte nun der Posse ein Ende; er mußte sich wieder ankleiden, ich schenkte ihm etwas Geld und ließ ihn gehen. Er versicherte mich noch vielmal seiner reinen Absicht, welche ihn getrieben habe, mir einen Dienst zu erzeigen, auch sei er stets bereit, mir lustige Buffonerien vorzuspielen, und er ging zufrieden weg. Die Akademisten freuten sich, ihn gesehen zu haben, und die meisten hatten ihn in der Geschwindigkeit abgezeichnet. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit, in der Villa Albani unter den Antiken von einem griechischen Künstler das Bild des Äsop gesehen zu haben, dessen Gestalt mit der dieses Genius für komische Darstellungen Ähnlichkeit hatte. Übrigens war mir es lieb, daß ich mich in dem Glauben, dieser Narr sei mir von einem verkappten Feinde zugeschickt worden, geirrt hatte. Auch konnte ich darüber nun schon ziemlich ruhig sein, denn seit die Akademie in so gutem Fortgange war, würde der, welcher mir etwas hätte anhaben wollen, es mit dem ganzen Publikum zu tun gehabt haben. Jeder sah klar, daß ich die Mühe aus Liebe zur Kunst übernahm, indem ich alle Vorteile, welche bei der Direktorstelle zu gewinnen waren, namentlich Geschenke, immer von mir wies und auch keinem Künstler Abbruch tat.

Ich hörte einmal die Kavaliere klagen, daß gewisse Leute ihnen am Hofe, wenn sie in die Zimmer des Königs gingen, in der Tür immer auf die Fersen träten. Ich schämte mich, unter diese gezählt zu werden, und hielt mich daher zurück, weil ich des Königs Willen besser erfüllen zu können meinte, wenn ich die Kunst in seiner Stadt aufblühen mache. Besonders ging ich nicht hin an Tagen, wo Geschenke ausgeteilt[331] zu werden pflegten. Da war dann ein Gedränge, ein Begehren, ein Neid! Auch Kniep wollte nie zu Hof gehen, um nicht beneidet zu werden. Kamen Hofleute zu ihm, so nahm er sie höflich auf, aber er ließ sich nicht bereden, wieder hinzugehen.

Einst trugen venetianische Bilderhändler dem Könige Gemälde an, angeblich von Raffael, Correggio und Tizian. Sie hatten den rechten Weg eingeschlagen und schon die Herren Sekretäre für sich gewonnen, die alles tun wollten, daß der König die Bilder kaufe. Der König aber sagte: »Tischbein soll sie taxieren und entscheiden, ob sie der Galerie wert sind und die studierende Jugend Nutzen davon haben kann.« Da erwiderte ich: »Nein.« Nun schrien die Herren, daß ich ihnen den kleinen Vorteil nicht gönne, den ihnen mein Jawort hätte zuwenden können. Als sie aber merkten, daß ich auf keine Art zu gewinnen noch zu bestechen sei, so schickten sie mir alles auf den Hals.

Mein Augenmerk war darauf gerichtet, eine Akademie zu gründen, wo die Kunst erlernt werden könnte, und von wo aus der gute Geschmack sich überallhin verbreiten sollte. Ich mußte also bei der anwesenden Jugend anfangen. Für die Zahl der jungen Leute und der Kunstliebhaber, welche täglich zu mir kamen, war meine Wohnung nicht geeignet, wenn sie schon für mich die angenehmste war, die ich je gehabt habe. Sie lag in Chiaja, wo ich das Schönste des ganzen Golfes mit dem Vesuv vor mir hatte. Dennoch suchte ich mir ein Logis, wo ich alles von Kunstsachen gehörig aufstellen könnte, so daß schon der bloße Anblick von dem Aufgestellten unterrichte. In dem Palazzo, den Luca Giordano erbaut und auch bewohnt hatte, mietete ich mir die oberste Etage. Er hatte die schönste Lage an S. Lucia, gerade dem Vesuv gegenüber, wenige Schritte vom königlichen Palaste, wohin ich fast täglich gehen mußte. Wer war glücklicher als ich, so eine Wohnung gefunden zu haben, die, wenn auch etwas teuer, doch in allen[332] Stücken mir vorteilhaft und erfreulich war. Ich durfte auch hoffen, sie mit der Hälfte der Bezahlung für ein einziges, lebensgroßes Porträt zu bestreiten, denn sie hatte ein gutes Licht, welches ich mir vorrichten wollte, damit ich dadurch aufgemuntert würde, oft Porträts zu malen, wozu ich eben keine große Lust verspürte. In diesem Hause, worin Giordano so viele vortreffliche Bilder verfertigt hatte, hoffte ich, es werde seine praktische Fertigkeit auf meinen Geist wirken, und ich gedachte viel daselbst zu arbeiten; denn auch ich vermeinte eine Stimme zu hören, wie die von Giordanos Vater, der dem Sohne bei der Arbeit zurief: »Luca, fa presto!« Aber ich erfuhr bald, daß mir meine Freude nicht werden sollte. Ungeachtet des bündigsten Kontraktes, den ich in Gegenwart zweier Notarien mit Signor Giordano, einem Nachkömmling des Luca, gültig abgeschlossen hatte, gab ich doch aus freiem Willen die Wohnung auf, weil ich vernahm, daß meinetwegen der Hausherr mit einem Prinzen in einen Prozeß verwickelt werden würde. Dieser, welcher die unterste Etage bewohnte, hatte nämlich das Recht, das ganze Logis zu mieten, weil ihm aufgesagt wurde. Das durfte der Hausherr nicht, indem in Neapel unter der Regierung Karls ein Gesetz erlassen ist, welches den Mietern Ruhe verschafft. Vorher wurden sie von den Hausbesitzern auf das grausamste gequält, um ihnen Geld abzuzwingen. Jährlich erhöhte der Hausherr die Miete, oder man mußte ausziehen. Da das durch die ganze Stadt geschah, so konnten kaum mehr die vier Wände, worin sich der Mensch mit seiner Familie barg, bezahlt werden. Einer drängte immer den anderen aus dem Hause. Mancher, dem die Erhöhung der Miete angekündigt wurde und der die Kosten berechnete und die beschwerlichen Unruhen, welche oft sein Geschäft störten, bezahlte lieber mehr. Aber das Jahr darauf wurde ihm wieder gekündigt, oder er mußte noch höhere Miete geben. Dieser Unfug war auf das höchste gestiegen, als die alljährlich[333] gejagten Mieter das unumstößliche Gesetz erzwangen, daß kein Hausherr die Miete erhöhen und dem Mieter aufsagen dürfe, außer wenn der Besitzer die Wohnung selbst beziehen oder darin bauen wolle. Es steht eine große Strafe für den Hausherrn darauf, wenn er dies etwa nur zum Schein tut. Nun ist Ruhe. – Auch in Rom kann keinem Maler das Logis aufgesagt werden, worin er gewohnt ist, geistige Arbeiten zu schaffen. Selbst für die heiligsten Feste haben die Künstler vom Papst Ablaß, zu arbeiten, weil die Begeisterung nicht wiederkommt und daher die augenblickliche Eingebung benutzt werden muß. So nehmen Gesetze und Religion in diesem Lande die Kunst in Schutz. Sie diente dagegen auch der Religion, denn Raffaels Marien und Heilige haben manche Seele zur Frömmigkeit und zum Glauben erweckt; was man oft sieht, glaubt man zuletzt.

Nach meiner Art zu denken, ist eine der größten Glückseligkeiten eine geräumige Wohnung, in welcher man ruhig zu Bette gehen kann und von jedem gern gesehen wieder aufsteht. Ich gab also meinen Kontrakt zurück. Signor Giordano wollte mich bereden zu bleiben und sagte, daß ich ganz ruhig sein könnte, denn sie beide führten ja den Prozeß, und ich hätte das größte Recht, meine Etage zu bewohnen, und nicht einmal der König könne an dem Kontrakte etwas ändern. Ich sei davon überzeugt, antwortete ich, aber der Prozeß, den er haben werde, sei mir zuwider. »Das ist eben das Beste«, erwiderte er, »und ich suche ihn deshalb mit dem Prinzen zu bekommen.« – »Aber wie kann man leben«, sagte ich, »wenn man einen Prozeß hat?«, worauf er entgegnete: »Aber wie kann man leben ohne Prozeß? Habt Ihr denn noch keinen Prozeß gehabt?« – »Nie«, war meine Antwort, »und ich werde auch nie einen bekommen.« – »Dann kennt Ihr das Leben doch nicht«, meinte er. Ich mietete mir ein anderes Logis an der Porta Chiaja, das freilich die schöne Aussicht nicht hatte wie das[334] erstere, aber groß genug war, um einige Zimmer den jungen Leuten einzuräumen, die nach Antiken und Gemälden studieren wollten.

Die Akademie wurde nun von S. Carlo alle Montelle in das Studio Pubblico verlegt. Dieses zu bewirken, war meine Hauptbemühung gewesen, und man kann sagen, daß jetzt erst die Akademie entstand. Hier war Raum, die Abgüsse der Statuen aufzustellen und alles gehörig zu ordnen, so daß in Bequemlichkeit studiert werden konnte. In dem Zimmer, wo nach dem Leben gezeichnet wurde, stand die Statue des farnesischen Herkules im Originale. Ein Glück für die studierende Jugend!

Ich wollte Zeichnungen zu Übungen für die Anfänger machen, da das aber mühsam ist, sollten die von meinen Schülern, welche ich von Rom zurückerwartete, daran helfen. Diese Zeichnungen sollten dann mit einer Erklärung in Kupfer gestochen werden. Auch die Basreliefs, welche zerstört umherliegen, wollte ich zeichnen und nach und nach in Kupfer stechen lassen. Das wäre für die Antiquare ein Schatz gewesen, und sie gingen dann nicht verloren, denn die Bildhauer, welche alte Statuen restaurieren und dazu Stücke nötig haben, die an Farbe und Korn mit dem griechischen Marmor übereinstimmen, kaufen deshalb die Basreliefs auf, welche die Landleute in ihren Gärten auffinden. Die Studien liegen voll von solchen Fragmenten, welche die Künstler für geringe Summen an sich bringen.

Für die Anfänger konnten keine Lehrer angestellt werden, ausgenommen die, welche ich selbst erzogen hatte. Es war daher mein Wille, von den aus Rom Zurückkehrenden die besten auszuwählen. Denn der beste Zeichner, der Kenntnis und Gründlichkeit hat, soll bei den Anfängern sein. Leider stellt man gewöhnlich bei Zeichenschulen Lehrer an, die zu Malern verdorben sind. Die quälen dann die jungen Leute mit ihrer Lehrart und verderben oft deren natürliche Anlagen. Schüler zu ziehen verstand Carracci. Der sagte zu[335] ihnen: »Wie ihr euch die Sache denkt, so ist sie für euch recht, und so müßt ihr sie machen.« Damit behielt jeder sein angeborenes Talent unangetastet. Jeder hat eine andere Manier, Dominichino eine andere als Guido, Guercino wie verschieden von Lanfranco! Dem schönen Kolorit des Carracci sieht man es an, daß er nach Tizian gelernt hat, aber dem Tizian sieht man nicht an, daß Giovanni Bellini sein Lehrer war, man erkennt in ihm die Natur. Raphael Mengs hat uns einen Beweis gegeben, daß man sich das Gute von verschiedenen großen Meistern zu eigen machen kann. Er hatte sich vorgesetzt, von Correggio rund und weich malen zu lernen, von Tizian das Kolorit, den Ausdruck und die Zeichnung von Raffael. Er hat es zum Teil erreicht oder vielmehr erzwungen, denn er sagte selbst von sich, die Natur habe ihn kärglich mit Talent versehen, er müsse alles mit Nachdenken und Anstrengung seines Geistes suchen und vollenden. Ist es möglich, jene drei in sich zu vereinigen, so nehme man noch zwei in ihrer Art große Meister dazu und lerne von Michelangelo das Große und von Leonardo da Vinci die genaue Ausführung des Details. Dann noch die Wahrheit und das Schöne in den Antiken! Man verlasse aber alle und denke nur an die Natur. Von allen soll man lernen, aber an keinen denken, wenn man komponiert. Freilich kann man sich dessen nicht immer erwehren, und wenn ich etwas entwerfen will, so fällt mir Polidoro ein, dann Guido und Tizian: Geist, Gemüt, Farbe. Das Innerliche, das Geistige ist aber die Hauptsache. Bilder, denen der Inhalt fehlt, sind gut für den, der nur eine Galerie haben will, wie man auch eine Bibliothek haben könnte von leeren Schalen in Form von Büchern, worauf der Buchbinder zwar vergoldete Titel anbrächte, die aber doch keinen Inhalt hätten. »Solche Bilder«, sagte Battoni, »muß man in Kurierstiefeln besehen, sie haben keine Tür zum inneren Eingang, und sie lassen kalt wie der Anblick eines wohlgebildeten Menschen ohne Verstand.«[336]

Die Akademie war des Sommers von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends geöffnet. Ein Lehrer für die Anfänger war den ganzen Tag da, wie auch ein Modell und eine Wache an der Tür. Die Meister der Akademie waren Gannaci und de Angelis. Diese beiden waren für die ersten Anfänger; Diana, Dominici und Bartolino mußten abwechselnd des Abends zugegen sein, wenn bei der Lampe nach dem Leben gezeichnet wurde, was immer zwei Stunden währte. In den anderen Zimmern wurde nach Gips gezeichnet. Ich ging so oft hin, als ich konnte, aber meine Wohnung lag zu weit von der Akademie. Von der Porta di Chiaja bis zu dem Studio brauchte ich über eine Stunde. Besonders um die Zeit gegen Abend ist die Straße von Toledo die volkreichste und das Gedränge so dicht, daß man kaum durch kann. Und doch war dies für mich der geradeste Weg. Ich sollte in der Akademie eine Wohnung haben, aber die Zimmer waren noch nicht fertig, und so blieb es immer ein getrenntes und geteiltes Wesen. Den jungen Leuten, welchen ich einen Platz zum Studieren in meiner Wohnung gab, konnte ich wohl behilflich sein, aber die, welche den Tag über in der Akademie studierten, mußten meinen Unterricht entbehren. Um die Zeit abzukürzen, bis die Wohnung für mich in der Akademie fertig wäre, kaufte der König ein Haus, welches in der Nähe stand, und gab mir wie auch meinem Kollegen Mondo eine Wohnung darin. Dieser hatte die unterste Etage und ich die dritte, in welcher sonst der Prinz Santangelo wohnte. Sie war heiter und schön, hatte ringsherum Fenster mit Balkonen und zwei große Logen, wie auch Stallung und Remisen. Hier hatte ich nun, daß mir zu wünschen nichts mehr übrig war. Dicht neben der Akademie, und die Antiken um mich herum, konnte ich nun meiner Lieblingsneigung, diese zu studieren, ein Genüge tun. Nun verlor ich mich auch sozusagen aus der lebendigen Welt und lebte nur in den alten Kunstwerken der Griechen, in den Arbeiten[337] der Bildhauer und den Figuren, welche man auf den Gefäßen von gebrannter Erde findet. Ich sah nur Menschen, welche die nämliche Liebhaberei mit mir teilten. Diese versammelten sich täglich bei mir, sowohl Einheimische wie Fremde aus allen Ländern. Für die studierenden jungen Leute war mein Haus vom Morgen bis Abend offen. Ich hatte ihnen drei Zimmer eingeräumt, und meine liebste Beschäftigung war, ihnen in ihren Fortschritten behilflich zu sein. Auch habe ich das Vergnügen gehabt, von ihnen Werke zu sehen, die bewiesen, daß sie den rechten Weg eingeschlagen hatten, um tüchtige Künstler zu werden. Bis jetzt war der Weg, die Kunstwerke der Griechen zu studieren, hier noch nicht bekannt. Der manierierte Solimena war ihr Abgott, der mit seinem glücklichen Talente und seinem reizenden leichten Malen alle eingenommen hatte, so daß sie ihm alle gefolgt waren und ihn nachzuahmen suchten.

Neben meiner Hauptbemühung, meine Schüler die Zeichnung der schönen griechischen Form kennen zu lehren, ermunterte ich sie auch zum Komponieren und hierbei immer die Griechen vor Augen zu haben, soviel man noch von ihnen habe und wisse. Neapel ist der Ort, wo man die meisten zusammengesetzten Figuren findet, sowohl auf den Gemälden aus den drei ausgegrabenen Städten Herkulaneum, Pompeji und Stabiä, als auch auf den vielen Gefäßen von gebrannter Erde, welche man in Gräbern findet. Von solchen Zeichnungen hatte ich einen beträchtlichen Vorrat, wobei ich immer Gelegenheit nahm, aufmerksam zu machen auf das Einfache, Stille, Gemütliche, Große derselben, und wie es ein Ganzes ist und wie sich die Handlung gleich beim ersten Blicke ausspricht.

Die Besten von der Akademie bildeten einen Verein unter sich, um sich im Komponieren zu üben. Sie kamen alle Sonntage bei mir zusammen, gaben sich ein Sujet auf, welches alle ausführten, und nach vierzehn Tagen brachten sie[338] die Zeichnungen mit. Diese wurden ausgestellt und beurteilt, das Verdienstliche gelobt und die Fehler getadelt. Alles ging mit der größten Ordnung zu, die sie selbst untereinander ausgemacht hatten. Wenn sich z.B. jemand fände, der ihre Studien stören würde, dem sollte der Zutritt verwehrt werden. Auch durfte keiner auf eine hämische Art den andern kritisieren. Wer Fehler bemerkte, mußte bescheiden seine Ansicht mit Gründen beweisen. Der Getadelte durfte nichts übelnehmen, er konnte seine Meinung zuletzt sagen, und man nahm seine Verteidigung an, warum er es so gemacht und was er sich dabei gedacht habe. War sein Wille gut gewesen und hatte nur die Darstellung dies nicht ausgesprochen, so ward er auf gelinde Weise eines Besseren belehrt. So wurde eine Zeichnung nach der andern aufgestellt und alles genau durchgegangen. Zuletzt stellte man sie zusammen in einer Reihe auf. Übrigens waren es lauter ausgewählte junge Leute von gutem Charakter und edlen Sitten. Es herrschte auch eine solche Freundschaft unter ihnen, daß, wenn es vorbei war und sie sich recht die Wahrheit über ihre Werke gesagt hatten, sie sich wohl einander umarmten und küßten und dankten für die Belehrung. Das wechselseitige Gespräch war auch oft sehr unterrichtend, denn von allen Zweigen der Kunst wurde etwas abgehandelt, und es waren Personen zugegen, die in dem einen oder dem anderen Fache Kenntnis oder die eine und die andere Kunst besaßen und sich hier gegenseitig die Hände reichten. Es nahmen auch verschiedene Gelehrte daran teil, welche ihr Urteil aussprachen und denkwürdige und malerische Begebenheiten aus der Geschichte erzählten. Selbst Kunstliebhaber wurden zugelassen, die aber nicht reden durften, um die Ordnung nicht zu unterbrechen. Auch Anfänger von der Akademie wurden als Zuschauer gewählt, damit sie sahen und hörten und daraus lernten. Brachten sie Versuche, die etwas versprachen, so wurden sie mit eingeschlossen.[339]

Abbate Bari, welcher ein Buch über die Schwimmkunst geschrieben hat, war ein eifriges Mitglied. Er liebte die studierende Jugend und war ihr sehr nützlich. Es waren auch poetische Talente darunter, die zuweilen von ihren Eingaben etwas vorlasen. Einige verfaßten auch Auszüge aus einer geschichtlichen Begebenheit, worin man die handelnden Personen in verschiedenen Fällen wirken sehen und ihren Charakter kennenlernen konnte, damit der Zeichner ihn recht auffasse. War das Beurteilen der Zeichnungen zu Ende, so wurde ein neues Sujet für das künftige Mal gewählt. Nach der Reihe hatte jedes von den Mitgliedern eins aufzugeben und nach Belieben einen bestimmten Moment einer Begebenheit festzusetzen oder jedem die Freiheit zu lassen, nach eigenem Willen einen daraus zu entnehmen. Zum Beispiel im Abschiede Hektors von seiner Gemahlin sind viele Momente, welche man darstellen kann: den, als sie ihn bittet, sich nicht soviel der Gefahr auszusetzen, auf daß sie nicht Witwe und ihr Kind eine Waise werde, oder als er das Kind auf seine Hände nehmen will und es erschrickt vor dem schattenden Helmbusch, oder als es der Vater auf den Händen in die Höhe hebt, um es den Göttern zu empfehlen. Wollte man nun jedem Freiheit lassen, zu nehmen, was ihm beliebte, so wurde das Ganze vorgelesen, sollte es aber ein bestimmter Moment sein, so mußte es auch bestimmt vorgelesen werden. Der große Vorteil hiervon war, daß jeder, der ein Sujet zeichnete, dasselbe so verschiedene Male anders aufgefaßt sah. Das muß den Verstand schärfen, das Vorstellungsvermögen erweitern und das Komponieren erleichtern. So wurden auch Bilder für den schönen Palazzo in Caserta entworfen, und die jungen Künstler wetteiferten, denn sämtliche Säle waren noch unverziert. – Auch die Architekten gaben sich Entwürfe zu Gebäuden auf und waren in dieser Versammlung von großem Nutzen, des Raumes wegen, worauf die Bilder stehen und wegen der architektonischen Hintergründe, welche der[340] Historienmaler zu studieren so nötig hat. Auch Landschaftsmaler waren dabei und Bildhauer. Einige leitete ich auch zu dem Studium der Tiere an und unterwies sie darin, die verschiedenen Gebärden und den Charakter kennenzulernen. Für die Kupferstecher sollte nach Gemälden gearbeitet werden. Das Bild wurde ausgesucht, wonach jeder eine Zeichnung machen durfte.

Philipp Hackert hatte dem König vorgeschlagen, eine Kupferstecherschule zu errichten und seinen Bruder Georg, den Kupferstecher, als Lehrer anzustellen. Dieses erfuhren die Herren von der Sekretaria und legten dagegen den Plan vor, eine Kupferstecherschule von bekannten und angesehenen Professoren dirigieren zu lassen. Hierauf ging der König ein und bewilligte alles, was zur Beförderung der Sache dienen könnte. Vor allem hatte man sich nach einem Direktor umzusehen. Es wurde nach Bologna an Rosaspina geschrieben, der nach Lodovico Carracci den »Abraham, welcher die drei Engel bewirtet« in Kupfer gestochen hatte. Er nahm jedoch die Einladung nicht an. Ein anderer, dessen Name mir entfallen ist, lehnte sie gleichfalls ab. Der dritte, welchen man darum anging, war Porporati. Er hatte eine schöne Tochter, die lieber in Turin als in Neapel wohnen mochte, und ihr zu Gefallen, denn er liebte sie sehr, reiste er wieder nach Turin. Auch war er mit den Sekretären nicht zufrieden; ihre Versprechungen brachten sie nicht in Erfüllung, sein Logis und dessen Ausstattung fand er weit unter dem, was man ihm vorgespiegelt hatte. Auch mochte er sich von den unwissenden Sekretären nichts vorschreiben lassen. Sie wollten darüber entscheiden, welche Bilder aus der Galerie in Kupfer zu stechen wären. Kurz, er reiste sehr mißvergnügt wieder ab. In Paris, wo er seine Lehrjahre verlebt hatte, war er es ganz anders gewohnt gewesen. Dort wußte man ihn zu schätzen. Indessen war er nicht der Mann, der eine Schule dirigieren konnte, er war zu sehr Künstler für sich und zu[341] stolz auf seine Kunst allein. Er konnte sich auch etwas darauf einbilden, denn er war sehr geschickt, aber er glaubte, sich schon etwas zu vergeben, wenn er sich durch andere Sachen stören ließ. Mir tat es leid, daß die Sache so zerfiel, da der König doch zu kräftiger Unterstützung bereitwillig war. Auch hätte Porporati sich genug Ehre dabei erwerben können, wenn er als Kenner der Bilder sowohl wie auch als Kupferstecher das Ganze leitete. Guglielmo Morghen ward nun Direktor und bekam die Hauptaufsicht über die Schule. Er hatte schon früher einige Bilder aus der Galerie in Kupfer gestochen. Mehrere Zöglinge, die bisher die Malerei getrieben, wendeten sich nun zum Kupferstechen, weil der König die Kupferstiche bezahlte. Ich suchte, wie ich konnte, diese nützliche Anstalt zu unterstützen. Es fehlte an Blättern berühmter Meister, ich schenkte ihnen daher u.a. den großen Moseskopf von Edelinck, von Goltzius und Müller eine große Figur, worin die Striche halb so dick waren wie ein Strohhalm. Diese Blätter wurden hinter Glas und Rahmen an die Wand gehängt, damit die Schüler sie immer vor Augen hätten. Um dem Guglielmo Morghen fortzuhelfen, ermunterte ich ihn, eine Platte für sich zu stechen, welche Liebhaber und Käufer anlocke. Ich schlug ihm dazu ein Bild vor von Marco da Siena, »Eine fliegende Fortuna«, welche mit der einen Hand Reichtümer, Kronen und Ehrenkränze, mit der anderen Stacheln, Nägel, Fußangeln und Dornen ausstreut. Die Figur war sehr schön, leicht schwebend, der Leib nackend und nur der untere Teil von einem schönen Gewande umflattert. Ich ließ ihm von meinem besten Schüler die Zeichnung dazu machen, was ihm eine große Erleichterung war, obgleich er selbst gut zeichnete. Er hatte den Stich schon angefangen, und ich versprach mir viel davon. Aber unglücklicherweise riet ihm ein Pfaffe ab, das Bild zu vollenden, weil es eine rebellische, jakobinische Vorstellung sei, die darauf hindeute, daß allen Königen[342] und Fürsten die Kronen vom Haupte geworfen werden sollten, und was des dummen Zeuges mehr war. Aus Furcht vor diesem pfäffischen Geschwätze zerschnitt Morghen die schon ziemlich vollendete Platte.

Fremde wunderten sich, eine solche Akademie in Neapel zu finden. Sie hatten geglaubt, so etwas sehe man nur in Rom. Unter meinen Schülern war Francesco Antonio Lapenga der, welcher das meiste Talent hatte. An einem Friese, den er in Wasserfarben zu malen bekam, waren die Figuren in einem so großen Stile, als hätte er ein Original von Polidoro vor sich gehabt. Er war eines Malers Sohn aus Puglien. Sein Vater starb früh, und er zog mit Mutter und Geschwistern nach Neapel, wo er nun für die ganze Familie zu sorgen hatte. In Neapel herrscht ein Gesetz, daß die Eltern von ihren Söhnen die Rückerstattung der Erziehungskosten fordern können. Die Beichtväter trieben an zur Erfüllung dieser Pflicht. Ich zog den jungen Menschen vor, weil ich sein Genie erkannte, und unterstützte ihn mit Geld, soviel ich konnte. Er gab alles an seine Mutter. Leider starb er zu früh für die Kunst und die Seinigen.

Laprano zeichnete von meinen Schülern am besten nach der Antike. Als er noch ein Knabe war, fragte er mich, welche Statue er zeichnen solle? Ich antwortete: »Die, welche dir am besten gefällt.« – »Der Apoll gefällt mir am besten.« – »Nun, so zeichne ihn.« Ich fand die Zeichnung nach dem Originale einigermaßen ähnlich, nahm mich des Knaben an, ließ mir alles zeigen, was er arbeitete, bemerkte ihm die Fehler und ermunterte ihn, Leben in seine Zeichnungen zu bringen. Schüler ohne Talent wissen das nicht zu erreichen, ihre Arbeiten sind steif und ohne Geist; er aber zeichnete die Antiken, als wären sie lebendig. Mein Freund, der Marchese Hauß, Erzieher des Kronprinzen, wollte einen jungen talentvollen Menschen auf der Akademie unterstützen. Wer war froher als ich. Ich empfahl ihm meinen Laprano. Er sollte ein monatliches Gehalt haben. Dagegen erwiderte[343] ich, eine Einnahme, worauf er sich verließe, könnte den jungen Menschen leicht nachlässig machen, der Marchese möchte daher lieber Zeichnungen bei ihm bestellen, um zugleich auf diese Weise eine schöne Sammlung zu erhalten. Lapranos Eltern waren aus Griechenland, hatten sich in Neapel niedergelassen und ein Kaffeehaus angelegt (die Griechen gelten für die besten Kaffeesieder). Der Knabe war schon in den ersten Kinderjahren verwaist. Sein Onkel, der auch aus Griechenland herübergekommen war und seines Bruders Geschäft betrieb, erzog ihn. Er starb früh. Ohne Zweifel wäre aus ihm, hätte er die Zeit der Reife erlebt, ein großer Künstler geworden.

Ducro malte die besten Wasserfälle, Tito Lusieri die besten Prospekte, Sable malte Gesellschaftsbilder aus dem gemeinen Leben, die meisten moralischen Inhalts, Gangero fertigte Historienbilder, Wudki Solfataren mit einem Gewitter oder einer Eruption des Vesuvs. Als Philipp Hackert für den Admiral Orlow soviel zu tun hatte und u.a. den Hafen von Livorno malte, ließ er sich von Wudki helfen, welcher die Figuren geschickt malte und dieses Stück mit Türken ausstaffierte, was zum Hafen von Livorno paßt, weil sich dort immer Türken aufhalten. Hackert kam darauf zu, wie Wudki andere Figuren machte als die von ihm angegebenen. »Sie müssen machen, was ich vorzeichne«, sagte er, »meine Figuren und nicht, was Sie in Triest gesehen haben!« – »So schlecht wie Ihre Figuren sind«, gab Wudki zur Antwort, »kann ich keine malen, die machen Sie selber!« Damit legte er die Palette weg und ging von dannen.

Eines Tages kam einer von meinen Akademiezöglingen zu mir und bat mich um Beistand, er habe jemanden verklagt, der ein Porträt der Königin bei ihm bestellt habe und nun dasselbe, da es fertig geworden, nicht bezahlen noch annehmen wolle; ich sei der Vater aller jungen Leute auf der Akademie, und deshalb hege er zu mir das Vertrauen, ich[344] würde dafür sorgen, daß jener einen richterlichen Befehl erhielte, die bestellte Arbeit zu bezahlen. Ich versprach ihm, das meinige zu tun, indessen müßte ich erst das Bild sehen und auch die Ursache wissen, aus welcher der Signor Giovanni das Bild nicht annehmen wollte.

In Neapel ist es Gebrauch, in den Lotterie-Läden die Bilder des Königs und der Königin aufzuhängen. Für diesen Zweck hatte man beide Porträts bei ihm bestellt; den König hatte er schon früher abgeliefert und auch bezahlt erhalten.

Kaum war der Maler weggegangen, so kam der Verklagte. »Ich kann das Bild unmöglich annehmen«, sagte dieser, »denn es ist erbärmlich gemalt und nicht im geringsten ähnlich. Der junge Mann hat mich verklagt, und das Bild soll an die Professoren der Akademie geschickt werden, auf deren Gutachten die Richter dann ihr Urteil sprechen werden. Aber kein Mensch wird mir zumuten, solch ein Sudelstück in meinem Laden aufzuhängen und es zu bezahlen. Sie und die Herren Professoren«, setzte er lachend hinzu, »werden in der Akademie schon sehen, welch ein Farbenspiel er zurecht gerührt hat! Ich komme auch nicht, um Sie um Ihren Beistand zu bitten, denn Sie werden das Ding selbst kaum ansehen mögen, sondern ich wollte Sie nur im voraus benachrichtigen, damit die Sache Ihnen nicht fremd wäre.«

Am folgenden Morgen kam der junge Maler wieder mit der Bitte, ja dafür zu sorgen, daß jener zum Bezahlen angehalten würde. »Wenn ich kann«, versetzte ich, »was ich aber bezweifeln muß, denn da er das Bild nicht annehmen will, so ist es wohl nicht ähnlich, und dann muß ich nein sagen.« – »Wieso? Wir sind doch Eure Kinder, Ihr seid unser Vater und werdet dafür sorgen, daß Eure Kinder essen können!« – »Du weißt, daß ich für jeden tue, was nur möglich ist. Aber deine Sache scheint mir nicht rein; auch gefällt mir nicht, daß du auf solche Weise einen Prozeß[345] anfängst. Will dein Gegner das Bild nicht haben, so würde ich an deiner Stelle es zurückbehalten. Aber laß mich deine Arbeit sehen.« Er lief, holte es, und ich erstaunte über die unvergleichliche Häßlichkeit. Es war mir dergleichen in der Tat noch nicht vorgekommen. Ich sagte ihm, wie sehr ich mich wundern müsse, daß er selbst die abscheuliche Schlechtigkeit dieses Machwerks nicht einsehe, daß er sich nicht schäme, dafür nur einen Bajocco zu fordern, und noch dazu die Frechheit habe, diese Anmaßung gerichtlich durchfechten zu wollen. »Aber«, setzte ich hinzu, »das Ding soll weder in der Akademie noch vor den Gerichten erscheinen, sondern muß sogleich hier in meinem Hause vernichtet werden; ich lasse es nicht wieder heraus, zu deinem eigenen Heil. Denn wenn du es über die Straße trägst und dir begegnen Lazzaroni, welche es sehen wollen, und du sagst, es sei das Bild der Königin, so schlagen sie dich auf der Stelle tot, weil du ihre Königin so häßlich gemacht hast. Und beinahe möchte ich sagen, dir geschähe nach Verdienst. Ist das ein Mund? Ist das eine Nase? Die Löcher, welche du in die Stirn geschnitten hast, sollen wohl ein paar Augen vorstellen?«

Ich scheue mich in der Tat zu beschreiben, wie es aussah. Die schöne Dame mit dem majestätischen österreichischen Gesichte so verunstaltet! Ich fragte, nach welchem Bilde er es denn kopiert habe? »Nach keinem, es ist aus der Idee gemalt.« – »Hast du sie denn gesehen?« – »Ja, im Vorbeifahren einmal; sie ist blond, und so habe ich sie gemalt.« – »Das sind ja aber keine Haare, du hast ihr ein altes Gewirre von Flachs über die Stirn hereingehängt.« – »Was soll ich aber nun anfangen? Ich habe meine Zeit auf diese Arbeit verwendet, habe gehofft, Geld dafür zu bekommen; wovon soll ich nun leben? Wie fortkommen, da ich weiter keine Bestellung habe und auch mir keine zu verschaffen weiß?« – »Daran hättest du früher denken sollen, du hättest suchen müssen, ein ähnliches, gut gemaltes Porträt von der Königin[346] zu bekommen, um danach zu kopieren.« – »Ich konnte keines auftreiben.« – »Was? In Neapel, wo es deren Tausende gibt? Warum hast du mir kein Wort gesagt? Ich selbst hätte dir eins zum Kopieren geliehen, und das ist auch das einzige, was dir jetzt zu tun übrig bleibt.« – »Das ist viel zu spät; in drei Tagen kommt es vor die Richter, und da muß ich mit meinem Advokaten erscheinen.« Er konnte bei diesen Worten die Tränen nicht zurückhalten. Ich hatte Mitleid mit dem armen Jungen. »Nun, ich will Rat schaffen«, sagte ich, »hier ist eine Leinwand, da hast du Palette und Farben, setze dich her und kopiere dies Bild der Königin, dann wirst du Zahlung erhalten. Du mußt aber keine Zeit verlieren, ich will dir auch etwas helfen, damit du fertig wirst.«

Wer war froher als er! Er setzte sich bei mir hin, fing gleich die Kopie an und wurde auch zur rechten Zeit damit fertig. Auf den angesetzten Tag erschien er nun mit seinem Advokaten vor dem Richter, der Gegner mit dem seinigen. Das mitgebrachte Bild blieb noch verdeckt, und der Advokat brachte die Klage vor, daß Signor Giovanni sich weigere, ein bestelltes Bild zu bezahlen und noch obendrein den Künstler kränke, indem er dessen Arbeit verachte und behaupte, das Porträt sei Ihrer Majestät der Königin nicht ähnlich. Nun erhob der Gegenanwalt seine Stimme und sagte, die Herren Richter würden selbst sehen, wie schlecht es gemalt wäre, so schlecht, daß Signor Giovanni es weder in seiner Bottega aufhängen noch bezahlen könne. »Zeigt das Bild vor«, sagte der Richter. Der Maler wendete sein Bild um, und indem er es gegen die Richter hielt, konnte Signor Giovanni es nicht sehen, da ihm die Rückseite zugedreht war. Die Herren Richter aber staunten, breiteten die Arme aus und schrien Wunder über die frappante Ähnlichkeit. »La Sua Maestà nostra regina! Als wenn sie dastände!« Der Verklagte und sein Advokat lachten und glaubten, das sei nur Scherz und Hohn. Der erste Richter[347] aber wandte sich zu dem Lotterie-Collecteur und sagte: »Wenn Ihr das Bild nicht wollt, so nehme ich es auf der Stelle und bezahle es mit Vergnügen. Ein so ähnliches Porträt von unserer Königin hab ich lange nicht gesehen.« Signor Giovanni stutzte, das Bild wurde gegen ihn und seinen Advokaten herumgewendet, und sie wunderten sich nicht wenig über die unbegreifliche Veränderung. Ja, nun, sagten sie, sähe es ganz anders aus, das wäre gar nicht mehr das vorige Bild. Woher denn das kommen könne, fragten sie den Maler.

»Hab ich euch denn nicht gleich gesagt«, versetzte dieser, »daß mein Bild noch la vernice nicht hätte? Aber ihr machtet einen Lärm wie besessen, wolltet mich nicht hören und hättet mich fast aus dem Hause geworfen.« – »Kann denn la vernice solche Veränderung und solche Ähnlichkeit hervorbringen?« – »Allerdings; la vernice fa tutto! Damals waren alle Farben eingeschlagen, aber la vernice bringt sie wieder hervor, und dann sieht man erst, was ein Bild ist!« – »Was Ihr sagt! Ich hätte doch nie geglaubt, che la vernice facesse tanto effetto!« Alle Umstehenden bekräftigten mit lauten Worten, daß la vernice die Hauptsache sei. »Ah ja, freilich, la vernice, da sieht man es deutlich, la vernice! Hier ist das Exempel: la vernice fa tutto!«

»Nun, das habe ich nicht so gewußt«, sagte der Lotterie-Collecteur, »aber da es so ist, so freue ich mich, die Kraft della vernice kennenzulernen und nehme und bezahle das Bild mit Vergnügen.«

Der Prozeß war aus, und zwar zum unverhofften und unverdienten Ruhme des jungen Menschen. An diesen wendete sich der Vorsitzende mit den Worten: »Es ist mir sehr erfreulich, bei dieser Gelegenheit Eure Bekanntschaft gemacht zu haben; laßt es Euch nicht leid tun, wenn Eure Arbeit im ersten Augenblicke von unverständigen Leuten verkannt ward, welche nicht wissen, daß die letzte Hand und la vernice alles bei einem Bilde sind.« Dann wandte[348] er sich zu seinen Kollegen und sagte: »Nun seht, wie Se. Majestät, unser König, für die Auferweckung und Unterstützung der schönen Künste sorgt! Seitdem die Akademie errichtet ist, steigen in unseren jungen Leuten die Talente hervor; sie lernen die Farben gebrauchen und la vernice. Evviva Sua Maestà! Wir werden in ihnen valorosi pittori erhalten, come i nostri antichi. Wie gesagt, ich freue mich, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben und seid so gut, morgen Mittag bei mir zu essen. Ihr sollt mich und meine Familie malen.«

Zu Hause erzählte der Richter seiner Frau diesen Vorfall und sagte, er wolle von dem geschickten jungen Manne ein großes Familienbild malen lassen; deshalb habe er ihn eingeladen, daß er das ganze Haus beisammen sehe und seine Komposition entwerfen könne. Dies wurde ins Werk gerichtet und das Bild begonnen. Er malte und malte; die guten Leute wußten nicht, was sie aus dieser wunderlichen Arbeit machen sollten. Nachdem die ganze Familie einigemal durchgesessen, wollten die hübschen Töchter, welche sich vorher so sehr auf das Malen gefreut hatten, mit ihren Gesichtern nicht zufrieden sein. Die eine Schwester sagte zur anderen: »Mir deucht, du wärest gar nicht ähnlich; von mir selbst kann ich freilich nichts sagen, da ich mein Gesicht nicht kenne, aber ich sollte doch kaum glauben, daß ich so garstig wäre.« Die andere erwiderte: »Auch der Vater und die Mutter sehen ganz verwünscht aus!« Sie klagen es der Mutter. Die findet auch, daß ihr bitterlich Unrecht widerfahren; der verhaltene Zorn gegen den unglücklichen Maler bricht los: »Der Mensch ist ein Pfuscher!« heißt es, und sie wollen nicht mehr sitzen. Dieser Entschluß wird dem Vater mitgeteilt. Der lächelt, schüttelt den Kopf und sagt: »Ebenso war es im Gericht; aber, liebe Kinder, Ihr versteht nichts von der Malerei, gar nichts von der Behandlung der Farben. Seht einmal her, ich verstehe mich ein wenig darauf: Die Farben sind jetzt[349] alle eingeschlagen, und darum habt ihr so wüste Mäuler und schiefe Nasen, aber laßt nur erst la vernice darüber kommen, dann erscheint alles glänzend, richtig und zum Sprechen ähnlich. Das Bild der Königin – ich versichere euch, schön wie der Morgen! Und vorher soll es ausgesehen haben wie eine Eule; aber damals war es noch nicht fertig, und so ist es mit diesem auch. Wartet nur; denn la vernice, ah, la vernice fa tutto!«

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 319-350.
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