[77] Unaussprechlich schmerzhaft war für mich der Abschied von meinem lieben Freunde Wilmans. Erst nach und nach erweckten mich die Gegenstände der Natur aus meinem tiefen Seelenschmerze, besonders als ich die großen Eichen und Lindenbäume in Ostfriesland sah. Auf einigen hatte man in den starken breiten Ästen drei Stockwerke mit Dielen angelegt, um Gesellschaften darauf zu halten.
Die Reise nach Holland durch Ostfriesland ist überhaupt im ganzen genommen unterhaltend. Man fährt zuweilen über große flache, öde Stellen, wo nichts als Heide ist; ja zuweilen sieht man weder Hügel noch Berge, nicht einmal in der Ferne, keinen Baum, kein Gebüsch. Man ist auf einer Erdfläche wie auf dem offenen Meere, wo der Horizont einen Zirkel macht, man glaubt auf der Mitte eines Erdtellers zu stehen, an dessen Rand sich rundum der Himmel anschließt. Wer da lange verweilen muß, dem mag es nicht gefallen; mir aber machte es Freude, weil es mir neu war. Die Heideblüten sind gar liebliche Blümchen, und die vielen Bienen, welche ihren Honig hier sammeln, beleben die Gegend mit Gesummse. Auch sieht man oft ganze Reihen Bienenkörbe in dieser Einsamkeit, zuweilen auch Hirten, die Herden von Heidschnucken hüten, eine Art kleiner Schafe, die sich von der Heide hier nähren. Da das Futter kärglich ist, so müssen die armen Tierchen immer eilen, den Ort zu wechseln; und weil, was sie abbeißen, nur kurz und wenig ist, so laufen sie fast immer mit den Knien gebogen,[78] mit dem Kopf am Boden. Doch trifft man auch einzelne Birken an, die der Sturmwind zerzaust hat wie abgepeitschte Ruten. Dann erfreuen auch einzelne Eichen, die allein und stark hinstehen und dem Sturmwinde trotzen, oder auch zwei, die wie Gebrüder oder Freunde mit Gelassenheit, ihrer Stärke sich bewußt, frei und groß dem kommenden Sturme sich entgegenstellen, mächtig, wie Fingal auf der Heide seinen Feinden begegnete, die in ihrer Wut wie nichtiger Nebel bei ihm vorbei zerflossen.
Wie gewöhnlich zeigte der Postillon seinen Reisenden den Wunderbaum, wie man ihn nannte, mit der Bemerkung, daß keiner wisse, was es für ein Baum sei. Es war eine Buche, an deren Stamme Katzenkraut durch alle Äste bis zum Gipfel hinaufgewuchert war und den ganzen Baum bis auf wenige Zweige so überzogen hatte, daß man nur an diesen den Baum erkennen konnte. In Ostfriesland gibt es sogar einzelne Stellen von üppiger Vegetation: Bäume von schönem Wuchs und herrlicher Größe, Männer wie Riesen, selbst das Vieh ist groß, besonders die Schweine mit den langen Hängeohren. So erfreut über manche ländliche Gegend, kam ich zu Lemmer an, wo ich den Abend zu Schiffe ging und über den Zuidersee fuhr. Ich ward seekrank und glaubte zu sterben; dennoch kroch ich auf das Verdeck, um die Wogen zu sehen, weil es heftig stürmte. Die Wellen rauschten am Schiffe in die Höhe, und der Staub davon wehte darüberhin. Den Kopf aufgestützt – ich konnte ihn kaum aufrecht halten – schaute ich so über das Meer hin, worin der Mond sich spiegelte, beobachtete, wie die Wellen liefen, sah, wie sie sich in ihrer Form veränderten und ebenso mannigfaltig wechselten in dem Wasser wie das blitzende Mondlicht. Indem schlug eine große Welle auf das Verdeck, und mir kam das Seewasser in den Mund. Dies erweckte mich aus meiner Seekrankheit. So elend ich war, wollte ich doch am folgenden Morgen früh wenigstens mit dem Kopfe auf dem Verdecke sein, um die Pracht der Sonne[79] auf dem Meere aufgehen zu sehen. Gegen Morgen legte sich der Sturm, und ich sah nun die sehnlichst gewünschte Sonne hinter dem Meere heraufsteigen; sie erschien vom Horizonte bis an unser Schiff wie eine Feuersäule.
Dann kamen wir der Küste immer näher und sahen endlich die reiche Stadt Amsterdam mit ihren hohen Häusern aus den Wellen hervorgehen. Im Hafen war ein Gewimmel von Schiffen aller Art; die vielen Masten sahen von weitem aus wie ein Wald im Winter. – Ich stieg aus; noch schien die Erde unter meinen Schritten zu wanken. Kaum hatte ich mich im Wirtshause umgekleidet, so ging ich, die Stadt zu besehen, wo man überall Fleiß und Wohlhabenheit, Ordnung und Emsigkeit der Bewohner wahrnahm, welche diese wässerige, morastige Gegend durch Mühe und Kunst zu einem angenehmen Wohnorte umwandelten. Erst gab ich meine Adreßbriefe ab, dann besah ich die Gemälde in dem Stadthause, der Anatomie usw.; darauf besuchte ich die Gemäldehändler, die Sammlungen der Kunstliebhaber, die Naturalienkabinette. Bei diesem Herumgehen arbeitete ich doch jeden Tag so viel, daß ich meinen Unterhalt verdiente, auch wohl noch mehr. Meine Kisten kamen erst nach vierzehn Tagen an, und als ich sie öffnete, waren mehrere Sachen durch das Seewasser verdorben, denn das Schiff, wie ich nun erst erfuhr, war bei der Einfahrt in den Texel leck geworden, und ich mußte sogar noch zu meinem Teil die Kosten der Havarie und der Ausbesserung des Schiffes mitbezahlen. Dies verlängerte Ausbleiben meiner Sachen veranlaßte mich, über meine Reise nach England anders zu denken als vorher. Auch hatte ich während der Zeit viele Bekanntschaften gemacht und malte Porträts und Familienbilder im kleinen sowie andere Bilder von eigener Erfindung und verschiedene zu meiner Übung. Bei diesem längeren Aufenthalte versäumte ich keine Gelegenheit, wo Gemälde zu sehen waren.
Bei einem portugiesischen Juden, einem alten, blind gewordenen[80] Manne, sah ich eine Sammlung Seestücke, alle von der Hand des van de Velde. Als ich zu ihm geführt wurde und in sein Wohnzimmer trat, stand der alte blinde Mann auf, kam mir entgegen und gab mir die Hand; kaum bemerkte ich, daß er blind war. Er sagte zu mir: »Da Sie ein Liebhaber von Gemälden sind, so sollen Sie etwas Seltenes sehen, was Sie nirgends finden. Unser Haus ist ein altes Handelshaus, das viele Schiffe bauen ließ und viele in allen Weltteilen herumschickte. Unsere Geschäfte gingen glücklich, und es war eine solche Emsigkeit, daß, wenn ein Schiff vorn ausgeladen wurde, man es hinten schon wieder mit Gütern zu einer neuen Fahrt befrachtete. Dies brachte bei uns Liebe für den Schiffbau hervor; mein Großvater und seine Brüder machten selbst mit eigener Hand Modelle zu Schiffen, woran auch nicht das geringste fehlte. Auch ich habe dergleichen kleine Schiffe gezimmert.« Er zeigte mir eins von den Modellen, die er selbst gemacht hatte. »Diese unsere Liebe für Schiffe veranlaßte die Bekanntschaft unserer Familie mit dem vortrefflichen Seemaler van de Velde. Er war ein Freund unseres Hauses und hatte freie Kasse, mit dem Beding, daß wir für alle Bilder, die er fertigte, den Vorkauf hätten. Auf diese Art bekamen wir die besten Stücke von diesem so großen Meister, der in der Kunst, stille Seen zu malen, einzig ist. Als er starb, kauften wir alle seine Handzeichnungen, so daß wir auch diesen Schatz allein besitzen.« – Nun traten wir in das Zimmer, wo die Gemälde hingen, lauter Seestücke von van de Velde. Der alte blinde Mann führte mich von einem Bilde zum anderen und drückte mit dem Finger auf die schönsten Stellen, so genau sie bezeichnend, als sähe er sie. »Hier«, sagte er, »sehen Sie, wie der König, von England geflüchtet, an der französischen Küste bei stillem Wetter ankommt. Sehen Sie den schönen Abend, wie windstill! Wie die Segel und Taue schlaff herunterhängen. Jenes Schiff dort in der Entfernung tut Freudenschüsse, und der Rauch kommt dick[81] aus der Kanone. Die andere Kanone ist schon abgefeuert, der Rauch weht schon davon, fliegt eben vor dem anderen Schiffe vorbei und bedeckt dies so, daß man es wie durch einen Flor sieht. Und hier auf diesem weit größeren Bilde sehen Sie, wie der König wieder nach England zurückfährt. Der Ort seiner Abfahrt ist Scheveningen; auf den Hügeln rings umher stehen die vielen Neugierigen, welche ihn wollen abfahren sehen. Van de Velde ging selbst in dem Gefolge mit nach England. Dies dritte Bild stellt vor, wie der König auf der Themse ankommt. Viele englische Schiffe segeln ihm entgegen, ein Gewimmel von Schiffen und Fahrzeugen, die alle durch die aufgesteckten Flaggen ihre Freude bezeigen. – Hier ist ein anderes schönes Bild, ein Hafen, wo Schiffe dicht gedrängt nebeneinanderliegen, eins wirft Schatten aufs andere; zwischen die dunklen Schiffe hinein scheint die Sonne, beleuchtet einige und reflektiert andere, und bei einigen gibt selbst der Glanz der Sonne im Wasser einen Schein auf die Schattenseite und macht eine Klarheit in dem Dunkeln, daß sich das Auge an der Betrachtung erfreut.« – Auf einem anderen Bilde war ein flaches Ufer von Sand und Kies, wo die anrollenden Wogen dünn heraufliefen, und man sah durch das Wasser den sandigen Boden. Dem blinden Greise waren die Bilder und ihre Vorstellungen so gegenwärtig, als sähe er sie noch mit seinen Augen, denn er hatte sie von Kindheit immer mit viel Liebe betrachtet, und seitdem war kein Bild von seiner Stelle gerückt. Es machte dem guten Alten großes Vergnügen, daß ich so viele Freude hatte an diesen ausgezeichneten Kunstschätzen.
In einer anderen Sammlung sah ich vortreffliche Seestücke von Backhuysen, der nur stürmische Seen malte, wo die Wellen hoch und wild übereinanderschlagen. In dieser Art hat er aber seinesgleichen nicht. Die Wellen sind vortrefflich gezeichnet, man sieht den Gang und die Ursache; und die Klarheit des Wassers hat er so nachgeahmt, daß man[82] glauben möchte, es sei wirkliches Wasser und man könne etwas zum Versinken hineinwerfen. Durch einige Wellen sieht man die Sonne scheinen und den Tag. Ebenso geschickt sind auch die Schiffe gemalt, und nicht das geringste ist dabei vergessen, was zu einem Schiffe gehört. Auch verstand er, wie die Schiffe gehen und liegen müssen, je nachdem der Wind weht. Seine Bilder machten mir Lust, die Wellen bei Sturmwind in der Natur zu sehen, und ich ging deshalb oft, wenn der Wind stark wehte, zu Schiff, fuhr nach Zaardam und sah, wie geschickt die Schiffer ihr Fahrzeug zu regieren wissen. Bei dem heftigsten Winde fuhren sie oft mit vollen Segeln zwischen den Pfählen, wo das Schiff kaum durchkommen konnte, und ohne einen zu berühren, pfeilschnell vorbei. Kam man dann in das hohe Wasser, da tobten die Wellen gewaltig gegen das Schiff; das aber durchschnitt sie oder hob sich darüber hinweg. Eine solche Fahrt machte man für weniges Geld und hatte dabei großes Vergnügen. In Zaardam genoß man gewöhnlich Tee, wozu statt des Zwiebacks eine Art kleiner Schollen gereicht wurde, die, an der Luft getrocknet, zum Genuß beim Tee in lange Streifen geschnitten wurden.
Auch machte ich eine Reise durch Holland, um die verschiedenen Städte zu sehen und vorzüglich die Bilder im Haag. Hier bewunderte ich den berühmten »Ochsen« von Potter; man kann nichts Natürlicheres sehen.
Sehr oft besuchte ich den Herrn van Gool, der eine außerordentlich schöne Sammlung von Originalhandzeichnungen besaß und selbst Landschaften zeichnete. So hatte er verschiedene Gegenden auf seiner Reise nach Wien aufgenommen, die ich auch bei ihm sah und zugleich die große herrliche Sammlung der Ridingerschen Handzeichnungen, welche er in Augsburg gekauft hatte. Sie waren leicht mit der Feder, mit schwarzer Kreide und Tusche und bunten Wasserfarben gezeichnet. Mit Vergnügen denke ich an die lehrreichen Abendunterhaltungen, wenn er Gesellschaft von[83] Kunstfreunden bei sich hatte und seine schönen Bilder um die Tafel herumgab, wo die Zeichnungen eines Ostade, Potter, Vischer und anderer Meister von Hand zu Hand gingen und im Gespräche beurteilt wurden. Hier sah ich auch die berühmte grüne »Papageienfeder« von Albrecht Dürer.
In der Familie der trefflichen Blumenmalerin Rachel Ruysch, die durch ihre Kunst ihr Geschlecht geehrt hat, sah ich auch sehr schöne Blumenstücke, welche man zu ihrem Andenken aufbewahrte. Darunter waren Blumen, die sie als siebenjähriges Mädchen, und ein Stück, welches sie in ihrem siebzigsten Jahre gemalt hatte. Beide Arbeiten waren sich gleich und zeigten die kindliche Seele der liebenswürdigen Künstlerin.
Bei Herrn Ploos von Amstel, welcher die Kunst er fand, Originalzeichnungen so täuschend nachzuahmen, daß sie kaum von dem Originale zu unterscheiden waren, sah ich ein seltenes Bild von Adrian Brouwer; es stellte ihn in seinem Gefängnis vor. Die Geschichte ist bekannt. Die Spanier fanden ihn, wie er im Freien zeichnete, sie hielten ihn für einen Spion und setzten ihn in ein Gefängnis, woraus Rubens ihn wieder befreite. Hier in dem Bilde saß er eben an der Staffelei und malte. Rubens besucht ihn und sitzt neben ihm mit einem Hündchen auf dem Schoß, van Dyck und Diepenbeeck stehen hinter ihm, Brouwer spricht mit Zorn über seine Gefangensetzung, und Rubens lächelt mit einer ruhigen Miene. An der Tür steht ein Italiener und musiziert, und ein Kerl singt dazu, ihm die Zeit im Gefängnis zu vertreiben.
Da ich eben des Herrn Ploos von Amstel erwähnte, erinnere ich mich meiner Bekanntschaft mit dem berühmten Kobell aus Rotterdam, verwandt mit dem aus Mannheim. Schon in seinen Knabenjahren erwarb er großes Lob, denn da schon malte er große Seestücke für die Admiralität in London, und die Liebhaber wetteiferten, etwas von ihm zu haben; aber sein übermütiger, feuriger Geist war nicht[84] durch Bildung gezähmt. Er hatte soeben Zeichnungen mit Wasserfarben gefertigt, »Wie Orlow die türkische Flotte verbrennt«. Er hatte das russische Schiff, welches mit in Brand geriet, vorn hingelegt, wo es sich ganz im Dunkeln befand, weil das türkische schon in Flammen stand und dicht dahinter lag. Der Glanz der wütenden Flammen war trefflich ausgedrückt, und das Licht breitete sich von da auf die übrigen Schiffe, die in der Ferne lagen, und der Mond beleuchtete von der einen Seite die Schiffe. Das bläuliche schwache Licht mit dem roten Scheine des Feuers machte eine angenehme Wirkung und spielte auf dem Wasser in mancherlei Farben. Diese Zeichnungen sollten an die Kaiserin von Rußland geschickt werden; aber schade! Sie sind nicht hingekommen. Ein Mißverständnis zwischen ihm und dem Herrn Ploos von Amstel war daran schuld. Er hatte diesen um sein Urteil gebeten; als aber derselbe an den Wellen etwas tadelte und, um ihm zu bedeuten, wie die Wellen schärfer gezeichnet sein müßten, mit einer Feder in eine Welle zeichnete, brachte ihn dieser einzige Strich in so ungestümen Zorn, daß er sie alle zerriß. – Auch sah ich »Die zwölf Monate« von ihm in kleinen Zeichnungen mit Farben, die überaus schön waren, lauter Wassergegenden oder ganze Seestücke. Der Monat, wo die Stürme wehen, war ein aufbrausender, wilder Seesturm, wo Schiffe in Gefahr mit Wind und Wellen kämpfen; der Heumonat war allerliebst, und man freute sich der grünen Wiesen, mit Wasser durchschnitten, worauf Schiffe fuhren. Vorn war ein Schiff mit Heu beladen, es hatte ein rotes Segel, und das Sonnenlicht fiel gerade auf das Schiff und spiegelte sich im Wasser. Das Gemisch von Grün und Rot, das schwarzglänzende Schiff und das Wasser machten einen wahren Zauber für das Auge: in allem sah man den erfinderischen und dichterischen Geist. Einst fand ich ihn um Mittag noch im Bett schlafen. Er lag zusammengekrochen wie ein Bär, sein Kopf, wo die Füße liegen sollten, und die Decke war aufgerollt,[85] beide Laken in einen Ballen zusammengetreten. Ich weckte ihn und sagte: »Ist das recht, um die Mittagszeit noch im Bett zu liegen?« Er sah mich mit Verwunderung an: »Glaubt Ihr denn, daß ich nach der Uhr zu Bette gehe und danach aufstehe? Von der Sorte bin ich nicht, ich nutze meine Zeit. In der Nacht kommt einem oft das Beste; ich habe mein Licht erst ausgetan, als es Tag wurde.« Schade, daß er so früh starb; ein hitziges Fieber raffte ihn in der Phantasie weg.
Der Porträtmaler Quinkhard war vor kurzem gestorben. Ich sah in der Auktion seine Sammlung von Originalbildern alter Meister, darunter das schönste von Metsu »Ein Herr im Kriegskleide spielt einer Dame auf der Laute vor«. Das verliebte Gesicht und der feurige Blick, womit er die Dame ansah, war außerordentlich; ebenso das Wohlwollen, mit dem sie zuhörte – wie hingeschmolzen! Auch ein großes Bild von Hondecoeter, mit vielem Federvieh, ein Pfau stand in der Mitte und breitete seinen Schweif aus; ein anderes großes Bild, wo ein weißer Wolf tot lag, man konnte die einzelnen Haare zählen; eine Skizze von van Dyck, »Ein nacktes Kind«, war seinen ausgeführten Bildern vorzuziehen.
Von Kierings sah ich bei einem Liebhaber ein anmutiges Bildchen. Vorn stand ein reichbelaubter Baum, der wohl gezeichnet und leicht gemalt war, äußerst elegant von Form; die buschigen Zweige schienen zu schweben, die Ferne war eine wässerige Waldpartie. Von diesem Meister fand ich in meinen späteren Jahren ein größeres Bild mit einem Baume, den ich unter die bestgezeichneten Bäume zähle, die ich je gesehen: seine Form war reichbuschig und bei aller genauen Ausführung doch leicht und schwebend. Das Brett war mit Kreidegrund überzogen, worauf sich sehr reinlich malen läßt, die Farben stehen und erhalten ihren Glanz. Nur leider war das Brett eingeschrumpft, der Kreidegrund hatte sich auf einer Stelle gehoben und war geborsten.[86]
Von dieser Art vortrefflicher und ausgesuchter Bilder fand ich auch viele bei Herrn Lubeling. Da war ein van de Velde, »Eine Weide von Kühen, Pferden und Schafen«. Das Haarige und Wollige der Tiere war mit dem sanften Pinsel, der diesem Meister eigen ist, vortrefflich dargestellt. Auch der Widerschein im Spiegel des Wassers war wie hingezaubert. Ein Bild von Wouwerman in seiner ersten Manier, »Bauern zu Pferde, die ein Wettrennen halten«, wo der Preis darin besteht, einen Hecht, der an einem quer ausgespannten Seile hängt, im Unterdurchjagen herunterzureißen. Weil dieser aber glatt ist und schwer zu fassen, so gibt's dabei viel zu lachen, indem mancher vom Pferde herunterfällt. Wouwermans erste Manier besteht darin, daß er mit dicken, körperlichen Farben malte und diese wie einen Teig ineinander verschmolz oder, scharf hingesetzt, stehen ließ. Dieses gibt seinen Bildern ein markiges Ansehen, und sie scheinen wie bossiert. Die zweite Manier ist mit einem fließenden Pinsel und mit leichten, durchsichtigen Farben, wie getuscht, und es scheint dabei alles ineinandergeflossen zu sein. In dieser zweiten Manier war ein Bild »Gefecht zwischen Bauern und Reitern im Korn«. Viele waren versteckt im Getreide und schossen heraus, während die Reiter hineinsetzten. Der Rauch im Korn machte einen guten Effekt.
Als Herr Lubeling sah, daß ich die Meister der Bilder wie auch deren Manieren ziemlich genau kannte, zeigte er mir ein Bild, auf welchem ein dunkler, ganz mit Eisen beharnischter Ritter auf einem weißen Pferde saß und stark von der Sonne beleuchtet war. »Ich glaube nicht«, sagte er, »daß Sie erraten, von wem dies Bild gemalt ist.« Ich antwortete: »Das stark zusammengehaltene Licht, die großen Schatten mit der Klarheit und die fast fingerdick aufgetragenen Farben zeigen, daß es kein anderer gemacht hat als Rembrandt.« – »Dafür«, sagte er, »hält es auch ein jeder; aber es ist von Wouwerman, ein gar seltenes Bild! Schon[87] die Größe ist ungewöhnlich, da seine Figuren sonst kaum die Länge eines Fingers haben und diese hier wohl einen Fuß hoch sind, und dazu ist das Ganze in Rembrandtscher Manier gearbeitet.« Nun sah ich, daß Wouwerman wohl ein Bild machen konnte, das von Rembrandt zu sein schien; aber Rembrandt konnte kein Pferd malen wie Wouwerman. Dies war ein Meisterstück von vortrefflicher Zeichnung und das schönste Pferd, welches ich von ihm gesehen habe. Es scheint, daß er es ganz fertig nach der Natur gemalt hat, und weil ihm daran gelegen sein mochte, alle Tinten, wie auch schwache und starke Schatten, genau zu haben, daß er Farbe auf Farbe setzte, wodurch er gerade der Rembrandtschen Manier so ähnlich wurde.
Oft ging ich auch auf das Stadthaus, die Porträtgemälde von van der Helst zu beschauen. Das eine stellt einen »Friedensschluß zwischen den Spaniern und Holländern« vor. Männer von Rang, als Bürgermeister und Ratsherren, Generäle, Admiräle und Offiziere, sitzen da um eine Tafel. Der Bürgermeister hat ein großes, zierlich gearbeitetes, silbernes Friedenshorn in der Hand und scheint dem spanischen Gesandten zuzutrinken, während beide sich die Hand geben. Die Figuren sind so vortrefflich gemalt, daß sie lebende Menschen zu sein scheinen, es fehlt nur die Sprache; man wünscht, sie möchten sich umdrehen, um sie von allen Seiten betrachten zu können. Jede Person hat ihre eigene Gesichtsfarbe, und der Ausdruck ist nach ihrem Charakter, man erkennt die verschiedenen Gemütsarten schon in den Blicken ihrer Augen. Dem spanischen Gesandten sieht man es an, daß er viel Fastenspeise genossen hat, aber dem holländischen, daß er sich von gutem Fleisch nährte und oft sein Gläschen trank.
Auf dem Amsterdamer Rathause ist fast in jeder Stube ein Bild, welches anzeigt, was hier verhandelt wird, z.B. wo dem Volke Recht gesprochen wird, ist die Gerechtigkeit gemalt, wo über Bankerott gehandelt wird, eine Kiste, wo die[88] Ratten in den unordentlichen Büchern wühlen und anderes. Solche Bilder sind gleichsam Bücher, die im Titelblatte sogleich zeigen, wes Inhalts sie sind. Es war da auch ein großes Bild von Rembrandt, »Eine Bürgermeisterwache«, mit vielen Figuren. Ein ganz vorzügliches Bild von Rembrandt befand sich auf der Anatomie. Es stellt Doktoren vor, die einen Leichnam sezieren. Was Petrarca von der Laura sagte, daß der Schöpfer durch sie zeigen wollte, was er vermöchte, das, könnte man von Rembrandt sagen, zeigte dieser in diesem Bilde. Die Köpfe scheinen zu leben und wirklich erhaben und rund dazustehen. Man sieht die Aufmerksamkeit, mit der sie dem zuhören, der da redet, und einer schaut verwundert auf die Stelle, wo der andere seziert und erklärt; man entdeckt auf den Gesichtern die innerste Seele. Nur ein Kopf sieht aus dem Bilde heraus den Anschauenden an; es scheint, als hätte dies Rembrandt aus Spott auf van Dyck so gemacht, der mehr auf malerische Porträts sah, während Rembrandt malte, wie sie wirklich sind. – Als ich in die Judenstraße zu Amsterdam kam, begegneten mir die bärtigen Köpfe von Rembrandt; ich sah noch dieselbe Kleidung mit hangenden Röcken und Schärpen um den Leib, auch Tuch um den Kopf gewickelt. Hier ging ich oft spazieren, in dieser Judenstraße, wo Rembrandt seine Modelle holte mit den schimmeligen Bärten und der in Kummer genährten, kränklichen Farbe. Ein anderes ist es, einen Bart zu sehen von einem Bassa in Damaskus, das ist ein glänzendes Schwarz! – In dem »Roten Fuchs« zu Amsterdam kamen Bürger in ihren Schlafröcken und Pantoffeln zusammen und tranken Bier, rauchten Tabak und spielten Karten und Dame. Das Zimmer war so voll Rauch, daß man die Lichter kaum sehen konnte. Es ist, als hätte hier Rembrandt den Nebel seiner Hintergründe studiert, der sich magisch vor dem Lichte bald dunkel, dann heller vor dem Dunkeln herumwälzt.
Von dem Vorsteher eines Männer- und Frauenhospitals[89] ward ich einst in das Gebäude selbst geführt. Auch hier sah ich vortreffliche Bilder, besonders eins von van der Helst; der Kopf schien zu leben, und die Lippe war zum Anfassen natürlich. Jeder Vorsteher mußte sich für das Haus malen lassen, und so ließ sich der jetzige Vorsteher von mir malen.
Keine Nation hat im ganzen so viele treue Porträts ihrer Vorfahren aufzuweisen wie die Holländer in allen, auch den geringeren Ständen, ausgenommen die wenigen italienischen Bildnisse aus der hohen Klasse, als »Papst Leo X.« von Raffael, »Papst Farnese« von Tizian und einige Venezianer von Bellini und Moroni. Die Deutschen haben eine kleine Zahl der ausgezeichneten Männer aus den Zeiten des Luther. Da suchte man doch noch die Ebenbilder der vorzüglich geschätzten Menschen für künftige Zeiten zu erhalten.
Die Holländer haben aber nicht bloß Porträts, sie haben auch Gegenstände behandelt, worin ihnen keine andere Nation gleichkommt: Backhuysen stürmisches Meer, van de Velde stille Seen, Schalcken Nachtstücke mit Beleuchtung, Snyders wilde Tiere, Handecoeter Federvieh, besonders Enten, Weenix totes Wild.
Kein Land kann man auch, ohne selbst dagewesen zu sein, so gut durch Bilder kennenlernen wie Holland. Seine Künstler haben alles gemalt, wie es da ist, die Erde mit ihren Kräutern und was darauf reift, von dem geringsten Insekte an bis zu den vollkommeneren Geschöpfen; die Luft haben sie mit allen ihren Veränderungen sozusagen porträtiert, sogar den Dunst, welcher sich aus den sumpfigen Niederungen der flachen Gegend entwickelt, das Wasser in allen Bewegungen und Veränderungen, sowie auch das, was darin lebt. Kein Volk kann sich rühmen, Maler gehabt zu haben, welche die Fische, Vögel, Insekten, vierfüßigen Tiere von der Maus bis zum Elefanten, sowie alle Stände, das Benehmen und die Trachten der Menschen jener Zeit vom[90] Geringsten bis zum Größten, Bettler, Admiräle, Regenten, Narren und Gelehrte so treu dargestellt haben!
Eines Tages sah ich ein kleines Bild, das nichts weiter enthielt als eine Maus, die an dem Kerne einer Walnuß nagt. Die Maus war in Gefahr, von den Klauen einer Katze ergriffen zu werden, die eben auf sie zusprang. – Man bewundert den Fleiß, das mühselige Bestreben, alles genau zu machen, wie es ist: den Schnabel eines Vogels, seinen Charakter, und was ihn Eigentümliches von anderen unterscheidet, die waldige Wüstenei mit allem ihrem Wild und so weiter. Dazu gehört viel Ausdauer. Die haben die Holländer gehabt, und man nennt sie mühsame Maler. Dennoch überstieg mancher Italiener sie an Genauigkeit, Geduld und Fleiß; man denke an das Auge des da Vinci!
Wie unterrichtend ist doch die Malerei für Welt- und Menschenkenntnis! »Die Malerei ist das stumme Buch für die, welche nicht lesen noch schreiben können«, sagt Leonardo da Vinci. Mir kam schon jetzt und noch mehr späterhin im gewöhnlichen Leben nicht leicht etwas vor, das ich nicht schon in der Malerei gesehen hätte; denn so wie sich andere aus Büchern belehren, so lernte ich durch Anschauen der Bilder, vorzüglich von holländischen Meistern, die Eigentümlichkeit der Länder und der Völker. So sah ich die hohen schroffen Gebirgsgegenden von Tirol mit ihren tiefen, sich weit in die Ferne hinschlängelnden Tälern in den Bildern von Paul Brill. Niemand gab vor ihm ein so ähnliches Abbild. Da türmen sich Felsen auf Felsen, die mit ihren Spitzen über die Wolken ragen, und Wasserfälle stürzen herab und eilen als wilde Waldströme ins Tal zum großen Flusse, der sich hinschlängelnd in der Ferne in glänzende Seen verliert. Das vollkommenste Bild dieser Art von ihm war eine gebirgige Schweizerlandschaft; ich sah sie in einem Gartenhause vor Hamburg, wo sie eine hohe und breite Wand einnahm. Hier hatte Brill alle seine Kunst ausgelassen. Auch waren Bäume und Büsche angebracht, die[91] sonst seinen Landschaften fehlen. Ebenso bewies er in diesem Bilde, wie vortrefflich er Figuren zeichnen konnte. Diese waren über anderthalb Schuh hoch und so wohl ausgeführt, als wären sie von den großen Zeichnern, welche zuweilen, wie man sagt, die Figuren in seine Landschaften malten, z.B. von Carracci. Aus Mangel an eigener Geschicklichkeit muß es also nicht geschehen sein. Die Hauptfigur dieses Bildes war Wilhelm Tell, wie er den Apfel vom Haupte seines Sohnes schießt, in Gegenwart des Landvogts Geßler und einer großen Volksversammlung. Er gab hier ein getreues Bild von der Schweiz und den Trachten ihrer Bewohner und zugleich einen Beweis seiner Meisterschaft in Landschaften und Figuren.
Man kann sich auch durch Kupferstiche belehren, aber durch Bilder sieht man besser. Die Landschaften von Vinkenboom ließen mich die schönen Stellen des Waldes auffinden und durch die anmutigen, schattigen Partien auf die fröhlichen Lichtstellen sehen; so brachte er das Vorhergesehene in mir wieder in Erinnerung und zu besserer Kenntnis. Mit Freude sah ich immer die Wahl der Bäume und die lieblichsten Waldgegenden, die treu nachgeahmt und fleißig ausgearbeitet waren. Selten vergaß er auch einen Blutfinken in einen Baum zu setzen. Wie man sagt, wollte er seinen Namen damit bezeichnen. Auf Bildern von Everdingen sah ich die norwegischen Gebirge mit Tannen bewachsen, und noch genauer in den Handzeichnungen mit Farben, so wie er sie in Norwegen selbst nach der Natur aufgenommen hatte. Von Huchtenburgs sah ich »Die Belagerung von Belgrad«: Prinz Eugen mit seinen Offizieren machte einen Angriff auf die Türken, die in Verwirrung waren und geschlagen wurden; von van der Meulen den »Feldzug des Königs von Frankreich«, der König selbst und seine Offiziere mit ihren schönen Pferden waren Porträts; von Thomas Wijck »Die mittelländischen Seehäfen« mit orientalischen Kaufleuten und vieles andere.[92]
Kann man doch selbst aus Bildern den gegenseitigen Verkehr unter den Nationen kennenlernen! Thomas Wijck ging zu Schiffe mit einem Levantefahrer und malte die dortigen Seehäfen, wie auch die spanischen und italienischen. Ich habe vortreffliche Bilder von ihm gesehen. Gemeiniglich sind seine Vordergründe Hallen mit Säulen, verfallene Ruinen, Portale und dergleichen, wo Kaufleute aller Nationen miteinander handeln, Türken, Italiener, Spanier, Holländer und andere.
Die verschiedenen Gesichter und Kleidungen hat er deutlich charakterisiert, besonders hat er sich Mühe gegeben bei den Türken. Sie sind mehrenteils die Hauptfiguren, mit ihren Sklaven, welche die schweren Schiffsballen wälzen. Ich sah ein paar Bilder von ihm, auf denen die Köpfe, als wären sie von Rembrandt, kräftig mit feurigem Kolorit ausgeführt und mit markigem Pinsel hingestellt waren, woraus man sah, daß er gründliche Kenntnis von der Sache hatte und sich auf Licht, Schatten und Perspektive verstand. – Auch Lingelbach malte oft levantische Seehäfen, so z.B. einen Hafen, wo die Galeerensklaven und andere Sklaven von der Arbeit ausruhen, sitzen, essen und einander erzählen. Man fühlte sich ganz in die Türkei versetzt. Herr Bürgermeister Gabe in Hamburg hatte zwei große Bilder von ihm, deren Figuren über zwei Fuß hoch waren. Da sah man sorgfältig ausgeführte Türken in ihrer Tracht, mit ihren Gewehren, Säbeln und Dolchen. Dies waren die schönsten Bilder, welche ich von ihm gesehen habe. Eigentlich war Lingelbach ein Deutscher aus Frankfurt am Main, aber er hat immer in der holländischen Manier gemalt. Seine meisten Vorstellungen sind italienische Gemüsemärkte, wie die des Momper.
So bereitete mir auch viel Freude die merkwürdige Sammlung von Handzeichnungen eines Malers aus der guten Zeit der Kunst, der nach Indien gereist war und dort die seltensten Vögel und Fische mit den schönsten Wasserfarben abgebildet[93] hatte. Die Fische besonders können wir hier nicht so zu sehen bekommen, wenn sie auch in Natur hergebracht würden; sie verlieren nämlich die schönen Farben, sowie sie aus dem Wasser kommen. Unter diesen Fischen waren mehrere so sonderbar von Zeichnung und schillernder Farbe, als hätte die Natur mit diesem Reichtume gespielt. Einige vom schönsten Blau mit Goldstreifen durchzogen, auch silberne mit blauen Streifen, auch solche mit Purpurrot, Gold und Silber, andere grün, kurz, von allen Farben. Es war eine Pracht, wie unter den Vögeln und Blumen und Metallen und Edelsteinen!
Man schätzt die holländischen Maler und ihre Werke, weil sie die Natur so treu nachahmten, und tadelt zugleich, daß sie ihre Kunst oft an geringe Sachen verschwendeten. Wer jedoch nur diese treue Nachahmung der Natur und den Fleiß rühmt, mit welchem sie ihre Bilder ausführten, und wem dies nur das einzige ist, das ihn anzieht, der hat ihre Werke nur oberflächlich betrachtet und den Geist und die Seelenwirkung unbeachtet gelassen. Was kann charakteristischer sein als ein Bild von Johann Steen! Das war ein Mann, der die Menschen bis auf den Grund ihrer Seele kannte und die verschiedenen Charaktere und Nationen deutlich voneinander unterschied. Bei ihm bedarf es keiner Auslegung; alles spricht sich von selbst aus. So sah ich »Eine Bauernhochzeit« von ihm, wo der Schmaus eben vorbei war; die Tische waren leer, die Bänke und Stühle wurden weggeräumt und Braut und Bräutigam in das Schlafzimmer gebracht. Das Lebendige, der Scherz und das Mutwillige war auf jedem Gesichte zu sehen, und von dem schalkhaften Munde der Umstehenden glaubte man witzige Worte zu hören, womit sie die Braut in Verlegenheit brachten, die sich sträubte, oder nur so tat, dem Bräutigam zu folgen, der schon voran einige Stufen der Treppe hinaufgegangen war und die Tür der Schlafkammer öffnete, mit der andern Hand der Braut winkte. Die ganze Gesellschaft[94] sprach ihr herzhaft zu; einige hatten sie umfaßt und wollten sie mit Gewalt hinaufschieben, einige zogen, andere drängten nach; sie war von vielen Armen umschlungen, davon sie sich nicht entreißen konnte; sie stemmte den Fuß gegen die Treppe und strengte alle Kraft an, um nicht in die Kammer zu kommen – und doch sah man in ihren verliebten Augen die Sehnsucht und das Verlangen nach ihrem Bräutigam, an dessen Augen ihr Blick gefesselt war. – Ein ähnliches Bild sah ich von Jan Steen, wo die Braut nach vollbrachtem Hochzeitsschmaus von den Gästen in die Kammer geführt wird. Sie sträubte sich, verschämt, mit niedergeschlagenem Auge, und in die Arme ihrer Führer gesunken, lag sie da wie einer Ohnmacht nahe. Und so sah ich mehrere Bilder von diesem Meister, die alle zeigen, daß er ein scharfer Beobachter und Kenner der Menschen war, der ihr Getreibe von der lustigen Seite nahm und daher gern lachenerregende Gegenstände darstellte.
Viele holländische Künstler beschäftigten sich auch damit, Sittenbilder zu malen. Einen feurigen Geist in der Erfindung und Ausarbeitung kann man ihnen nicht absprechen; man darf sie keiner Nation nachsetzen, nein, man kann sogar keinen Italiener an feurigem Geiste dem Rubens gleichstellen, und wenn von schneller Arbeit die Rede ist, keinen dem Frans Hals. Seine Porträts scheinen mit drei Strichen gemacht zu sein, und doch glaubt man lebende Personen vor sich zu haben. Lanfranco und Luca Fapresto würden sich wohl haben beeilen müssen, wenn sie mit ihm um die Wette gearbeitet hätten. Luca Giordano malte freilich in einer Nacht ein Altarbild, aber es war auch danach! Als van Dyck aus Italien wieder nach seinem Vaterlande kam, hörte er von dem schnellen Arbeiten des Frans Hals. Er besuchte ihn in Haarlem und gab sich für einen Kavalier aus, der sein Porträt geschwinde zu haben wünsche, weil er gleich weiterreise. Frans Hals fing auf Begehren sogleich an, und nachdem er kurze Zeit gearbeitet[95] hatte, stand er auf und sagte: »Mein Herr, Sie sind fertig.« Der Kavalier sah das Bild mit Verwunderung. »Ich glaubte nicht«, sprach er, »daß Ihr so schnell malen könntet; nun habe ich noch einige Zeit übrig, und da ich sonst auch etwas gemalt habe, will ich versuchen, Euer Porträt zu machen.« Der Kavalier nahm Leinwand und Palette, und nach kurzer Zeit sagte er: »Mein Herr, Sie sind fertig.« Frans Hals sah das Porträt, umarmte den Fremden und rief: »Ihr seid van Dyck oder der Teufel.«
Man muß auch den Geschmack der Holländer bewundern, wie sie aus einer armseligen, sterilen Gegend ein Bild haben schaffen können, das Anmut und Seele hat. Oft ist der Ort nichts anderes als ein flaches Sandufer und ein Strich See und Himmel; aber da haben sie eine Abwechslung von Licht und Schatten und Farben hineingebracht, daß es reizend ist. Sie wußten auszuschmücken mit Schatten der Wolken, die über das Wasser laufen und es hie und da schwärzen oder einen Sonnenstrahl durchschießen lassen, der einen Fleck der See beleuchtet und auf den gelben Sand fällt; und um die Ferne auf dem Wasser recht weit scheinen zu lassen, setzten sie auf die verschiedenen Flächen Schiffe, einige nahe, andere in den Mittelgrund und wieder andere hinten, einige in Schatten, andere ins Licht, wo ihre weißen Segel in der Beleuchtung glänzten, gaben auch den Segeln verschiedene Farben, graue, rote, gelbe – so wurden aus diesen einfachen Gegenden angenehme Bilder. Auch legten sie wohl, wo das Bild nur ein flaches Ufer und eine flache stille See darstellte, einen alten zerbrochenen Krebs- oder Fischkorb hin, den die Wellen an den Strand getrieben hatten, richteten eine Pilotenstange auf mit einem Korbe, zum Zeichen des Orts. Und was haben sie für angenehme Wassergegenden mit Gebüsch, Bäumen und Dörfern dargestellt! Wer sieht nicht gern ein ruhiges Örtchen, wo sich Enten in einem stillstehenden Wasser baden und in seinem Spiegel doppelt erscheinen! Man denke an Poelenburg, den[96] lieblichen Idyllendichter, an Vertangen, an Cuylenburg. Solche vortrefflichen Maler hatten die Holländer!
Es liegt nicht im Klima, wie einige meinen, die warme Sonne schaffe nur den feurigen Geist; nein, es liegt am Geiste der Zeit. Damals war alles geistig belebt in Holland. Ihre Helden schlugen mit wenig Volk zahlreiche Feinde, ihre Admiräle waren die Beherrscher der Meere. Ich sah in Berlin einen toten Admiral in seiner Rüstung abgebildet, und er hatte solchen Ausdruck, daß man sich noch im Tode vor ihm fürchtete. Bei allen diesen kriegerischen Zeiten war der Geist in so hoher Kraft, daß Werke der Kunst geliefert wurden, die in Erstaunen setzen, ja, die Kunst war so ausgebreitet, daß Söhne von Tagelöhnern große Künstler wurden; und das rege Aufstreben des Geistes war so gewaltig, daß zu allen Ständen große Männer aus der geringeren Volksmasse aufwachten, Helden und Künstler und Kaufleute und Staatsmänner. Was für große Unternehmungen haben sie damals ausgeführt und was für weise Gesetze! Jener Sultan, der viel von den großen Taten der Holländer gehört hatte, verlangte, man solle ihm eine Landkarte bringen und ihm zeigen, wo dieses Volk wohne, welches so viele wunderswürdige Taten verrichte. Man brachte ihm die Karte von Europa. »Also diese ganze Fläche bewohnt das Volk?« fragte er – »Nein«, antwortete man ihm, »dieses Ländchen hier ist es.« – »Wie!« rief er aus, »ein Pünktchen, welches ich mit dem Finger bedecke; und hier wohnen die Gebieter von Europa und allen Meeren!«
Allein wie es denn geht, der menschliche Geist blüht nur eine Weile in Ländern und zeigt sich groß, dann sinkt er wieder und schläft ein wie eine Zikade, die des Morgens, eben aus der Erde geboren, sich schnell in die Höhe schwingt und auf dem Gipfel der Bäume singt! Mit Stolz nennen die Holländer die Namen ihrer Helden und mit eben der Achtung die ihrer Künstler. Ihre Bilder sind mit[97] einer Ruhe der Seele gemacht und mit einer Fröhlichkeit des Geistes, daß sie den Anschauer ermuntern, und doch wurden die meisten in den Zeiten des Krieges und Druckes geschaffen. Daraus läßt sich ersehen, wieviel Liebe sie zur Kunst hatten; nur Liebe zur Kunst und Ruhe der Seele kann so etwas Vollendetes hervorbringen. Die Kunst liegt im Menschen, und es kommt allein darauf an, daß sie geweckt wird. Adriaen Brouwer war der Sohn eines Torfträgers, van der Werff, der später seiner Kunst wegen zum Ritter erhoben wurde, eines Schneiders Sohn; der Spritzenmeister van der Heyden, was hat der für schöne Bilder geliefert! – Daß die Holländer so gut malten, ist ein Wunder, daß aber die Italiener nicht besser malten, ist auch ein Wunder und gereicht ihnen zum Vorwurf; denn sie hatten alles, was dazu gehört, die Holländer aber nichts. Die griechischen Kunstwerke hätten die Italiener schon früher auf bessere Wege bringen müssen, denn wo sie hinsahen, hatten sie diese vortrefflichen Modelle vor Augen. Wie lange hat nicht der Sturz von der schönen Gruppe »Menelaus, wie er den Leichnam des Patroklos aus dem Gefechte trägt«, der sogenannte »Pasquino«, wie man erzählt, als Block einem Schuster vor seiner Tür gedient, das Sohlenleder darauf zu klopfen, ehe man erkannte, daß es etwas Besseres wert sei. Und was für Vorzüge hatten die Italiener, daß ihre Werke zur Religion gehörten! Freilich wurden die herrlichen Anlagen, welche ihnen die Natur gegeben hatte und wodurch sie, wenn sie durch Erziehung gebildet worden wären, der Menschengesellschaft noch ehrenvollere Werke hätten hervorbringen können, durch ignorante Pfaffen nur zu oft zurückgehalten, durch Kasteien, Knien und Rosenkranzbeten unterdrückt, damit sie den geistlichen Herren nicht über den Kopf wüchsen. Aber ihre Bilder wurden doch in Tempeln und Kirchen aufgestellt, dem ganzen Volke zur Schau, das davor niederkniete und als ein Heiligtum sie anbetete! Welche Erhebung für den Künstler! Sie wurden[98] gebeten um ihre Werke und gut bezahlt, und man verschaffte ihnen alle Gelegenheit zur Arbeit. Was hatten hingegen die armen Holländer, wonach sie sich hätten bilden können? Und wie wenig Aufmunterung, wenn so ein unbemittelter Mensch – es waren häufig Leute ohne Rang und Vermögen – ein Bild fertig hatte und es nun herumtragen mußte, ehe er einen Liebhaber fand, der ihm ein Weniges dafür gab. Oft denke ich mit Verwunderung daran, wie und wo sie ihre Bilder gemalt haben, da sie gewiß nur kleine Zimmer mit niedrigen Fenstern bewohnten, wo sie ihr Modell kaum gehörig beleuchten konnten und schwerlich Raum und Licht genug hatten, um in der gehörigen Entfernung vom Modell zu arbeiten. Und doch haben sie Schatten und Licht so gut verstanden, und auch den Effekt. In Rembrandts Hintergründen ist eine Luftperspektive, die in das Unendliche geht. Viele holländische Maler gingen wohl darum nach Rom, um da die Historienmalerei zu studieren; aber das Glück war ihnen nicht günstig, sie in den Zirkel gebildeter Menschen zu führen. Sie blieben fremd in diesem Lande, und da ihnen die Unterstützung ihres Geistes zum Schönen und Erhabenen fehlte, so waren sie in diesem Felde, wo Fülle des Großen ist, doch verwaist, denn die lebendige Stimme und Hilfe muß dazukommen. Sie blieben in den Wirtshäusern, ihr herumschweifender Blick wurde nur von der Natur des Landes angezogen, und das Nationelle, das sie täglich sahen, reizte sie, selbiges zu malen; so wurden sie Landschafts-, Tier- und Bauermaler. Ähnlich ging es auch verschiedenen meiner Freunde. Sie kamen nach Rom, die Historienmalerei zu studieren, wählten aber die Landschaftsmalerei; ich selbst schwankte oft, was ich ergreifen sollte. So wurden Willem Romeyn, Both, Berghem ergriffen, Schäferhütten, an große Ruinen gebaut, zu malen; so entstand durch Potter, de Laar, Dujardin, Momper und Slingeland eine Art Bilder, welche man Genre nannte, Bilder aus dem gemeinen Leben.[99]
Man wirft den Holländern vor, daß sie in der Wahl und Darstellung der Gegenstände oft gegen die feinen Sitten gesündigt haben; man muß dies aber den damaligen Zeiten zuschreiben, wo alles derb und kräftig ausgedrückt wurde und man die Sachen schlechthin mit ihrem rechten Namen benannte; dagegen jetzt die Sitten so verfeinert sind, daß man oft aus einem langen Gespräche kaum herausfinden kann, was es eigentlich sagen will. Ich habe Briefe aus jener Zeit von Fürsten, Kaisern und Königen gelesen, die im nämlichen Stil als die holländischen Bilder waren und wo mit eben der kräftigen Deutlichkeit gesprochen wurde, wie die Holländer malten. – Die Italiener haben ja Sachen gemalt, vor denen das menschliche Gemüt zurückschaudert! Und solche Bilder sind in ihren Kirchen aufgehängt! In der Peterskirche in Rom haben sie ein Bild von Poussin sogar in Mosaik gesetzt, damit es unvergänglich wäre, ein Bild, wo Menschen ausgereckt sind, die man mit Stäben auf den Bauch schlägt und ihnen die Gedärme heraushaspelt!!
Wie unterhaltend ist dagegen eine holländische Bildersammlung schon der vielen erfreulichen Gegenstände wegen, die aus der Natur, aus dem geschäftigen Leben der Menschen und ihrem Treiben herausgehoben sind. Leider aber fühlen sich holländische Sammler gewöhnlich nur von solchen Bildern angezogen, deren Meister eine vorzügliche Geschicklichkeit im Pinsel zeigen, während manches Bild, das ein empfängliches Gemüt wohl anspricht und den aus der Natur genommenen Gegenstand noch so wahr nachbildet, übersehen und wohlfeil verkauft wird. Das macht die Mode. So sah ich einst eine Landschaft vom alten Hackert, es war »Das Innere eines Dorfes mit Bäumen und Gärten«. Die Liebhaber bewunderten es wegen seiner Natürlichkeit, man glaubte wirklich darin umhergehen zu können; die Bäume, als könnte man sie abhauen und ihre Borke abschälen, und der alte Gartenzaun, als ließe sich Planke für Planke herausziehen, und die Sonne, wie sie[100] über das kurze moosige Gras hinstreifte! Und doch, weil das Bild von keinem der berühmten Meister war, die man gern in sein Kabinett nimmt, wurde es wohlfeil verkauft, dahingegen ein Blumenstück von van Huysum mit einem Vogelnest, wo die Haare mit Schatten und Licht gemalt waren, mit Tausenden bezahlt wurde, weil so eins zu einem Kabinett gehörte. – Nur einmal kam mir ein Kunstfreund auf einer Gemäldeauktion zu Amsterdam vor, der, nachdem die Bilder schon zu einem hohen Preise hinaufgetrieben waren, noch immer mehr bot, indem er sagte: »Wer kann das so wohlfeil fahrenlassen, es ist so geistig gemalt! Wenn man Liebhaberei haben will, muß man Mensch sein. De Beester hebben keene Liefhaberei.«
Zu einem guten holländischen Kabinett gehört: ein Kopf von Rembrandt, eine ausgeführte Skizze von Rubens, ein Bild von Gerard Dou, vom alten Mieris, Frans Mieris, zwei von Wouwerman, eins von seiner ersten Manier und eins von seiner letzten; eins von Berghem, A. Cuyp, Ostade, Teniers, Brouwer, Metsu und Terborch; das Innere einer Kirche von P. Neefs, ein Stilleben mit Früchten von de Heem, Blumen von Huysum, Ochsen von Potter, ein Viehstück von Adriaen van de Velde, eine stille See von Willem van de Velde, eine stürmische See von Backhuysen; ein Bild von Slingeland, eins von Schalcken, ein Porträt von van Dyck, ein Kopf von Lievens; ein Bruegel, Hondecoeter, van der Werff, Poelenburg, Elsheimer, Rottenhammer, Snyders, Both, Lairesse und andere. – Sieht man ein solches Kabinett, von einem Holländer gesammelt, der ein echter Kenner ist, so gerät man in Erstaunen; man kann sich nichts Angenehmeres vorstellen, und man muß die Kunst bewundern, welche diese Menschen besessen haben, die Natur so treu nachzuahmen. Der echte holländische Kenner nimmt nichts, als was vortrefflich ist, und dabei müssen die Bilder so sein, als wenn sie eben von der Staffelei des Malers kämen. Ein Bild, das verwaschen ist, nimmt er gar nicht, und ein ausgebessertes[101] Bild sieht er als verdorben an, das keinen Wert mehr hat: es soll so sein, daß es nur mit dem Dunste der Zeit bedeckt ist (»De Dost ligt der noch up«). Ein solches Bild zu sehen von einem großen Meister, welches das Glück gehabt hat, immer gut verwahrt worden zu sein, das ist eine Freude; denn die Harmonie, welche die Zeit vollendet, nachdem der wissenschaftliche Künstler sie seinem Bilde in den letzten Pinselstrichen gegeben hatte, und das Ganze mit ihrem Hauche zusammenschmilzt, das ist ein Zauber, der entzückt! Leicht ist dieser wegzuwischen; denn wenn ein Unkundiger mit Seife oder Lauge oder Spiritus darauf kommt, so geht nicht allein das Zarte weg, sondern auch alle Lasurfarbe, und es bleibt nichts übrig als das Skelett und ein verdorbenes Bild, das einen betrübt. Bald wird die Zeit kommen, wo man kein so wohlerhaltenes Bild mehr sieht, weil so viele Ungeschickte sich damit abgeben, sie zu vernichten – ein Gegenstand, über den man nicht genug eifern kann, da er uns Deutschen selbst das wenige Gute vertilgt, was man uns noch gelassen hat!
Auch versäumte ich nicht, Naturalienkabinette und Sammlungen von fremden lebenden Tieren zu sehen, die aus allen Weltteilen nach Amsterdam kamen: unter anderem auch das sogenannte indische wilde Boßschwein mit den großen krummen Zähnen. In Amsterdam im »Blauen Jan« hielt sich ein Mann auf, der mit ausländischen Tieren handelte, so daß da ein beständiger Wechsel war. Er führte mich einst in ein Zimmer, wo er mir ganz kleine Affen zeigte. Es war sein Staatszimmer; ich freute mich nicht wenig, als ich da einige Porträts fand – den »Prinzen von Oranien und dessen Familie« –, von meinem Onkel Valentin gemalt. Als der Mann meinen Namen auf den Bildern sah, wurde er mir noch mehr gewogen, und nun bekam ich jedesmal, wenn ich ihn besuchte, alles zu sehen, was er hatte; er führte mich bis auf den Boden, der voll von Papageien und anderen Vögeln war.[102]
Ich hatte auch Freundschaft mit Herrn Schep, der die Sammlung von Vögeln und Schmetterlingen herausgab. Aus Liebhaberei hatte ich das Werk der Vögel übernommen, und es sind einige der ersten Blätter von mir; aber es wurde mir zu weitläufig, und nachher hat es ein anderer fortsetzen wollen; seine Arbeiten sind aber nicht von sonderlichem Wert. – Auch besuchte ich einen Mann, der aus Amerika kam und eine große Anzahl Schlangen mitbrachte, worunter sonderbare Gestalten und manche von außerordentlich schöner Farbe waren; er hatte große Fässer voll Schlangen, alle wie die Heringe aufeinandergepackt.
Die Natur und ihre Geschöpfe kennenzulernen war mir neben der Malerei immer das liebste. So wechselte meine Arbeit mit verschiedenen Gegenständen ab, doch das Porträtmalen war meine Hauptbeschäftigung. Eines Tages kam ein Kaufmann aus Edinburgh zu mir, der sein Porträt in Miniatur von mir haben wollte. Während ich ihn malte, äußerte ich mein Verlangen, England zu sehen. Er riet mir zu, munterte mich sogar auf und versprach mir, daß ich eine Menge Porträts in seiner Familie malen sollte, wenn ich mit ihm in seine Vaterstadt reiste. Als ich aber Bedenklichkeit äußerte, ob ich so viel verdienen würde, wie ich gebrauchte, gelobte er mir eine namhafte Summe, wenn ich ein Jahr lang bloß für ihn Porträts malen wollte. Ich entschloß mich sogleich, mit ihm zu reisen. Bald aber erwachte in mir ein wehmütiges Verlangen, nach so vielen, Jahren meinen Vater und alle die Meinigen wiederzusehen, ehe ich mich weiter von ihnen trennte. Meine Mutter war bereits gestorben. Der Schmerz hatte mich fast vernichtet! Sie, die mich unter allen Menschen am meisten liebte! Ich war es meinem Vater schuldig, ihn noch einmal wiederzusehen. Ich entdeckte meinem Freunde meine Herzensempfindung und die Sehnsucht nach meinem Vaterlande. »Solchen Regungen muß man folgen«, sagte er; doch setzte er hinzu, daß er alle zwei bis drei Monate mit Waren nach Amsterdam komme und[103] daß ich dann, wenn ich die Meinigen besucht hätte, bei der ersten Rückfahrt – die erste sei ihm die liebste – mit ihm nach England zu seiner Familie reisen möchte, er werde mich dort anmelden, und ich solle schon Freunde finden.
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