Neapel

[286] Schon während meines Aufenthalts mit Goethe in Neapel äußerten der Cavaliere Venuti und mehrere seiner Freunde den Wunsch, daß ich dortbleiben und Direktor der Malerakademie werden möchte, mit deren besserer Einrichtung man eben umging. Der damalige Direktor Bonito war ein ziemlich geschickter Maler, aber ohne Kenntnis und gründliches Studium. Alle Kunstsachen, die hier und da zerstreut waren, sollten gesammelt und gehörig aufgestellt werden. Vom Cavaliere Venuti bekam ich nun häufig Briefe, in denen er mich aufs freundschaftlichste einlud, und mehrere Freunde schrieben mir das nämliche. Endlich kam er selbst nach Rom, um die Statue des Farnesischen Herkules abzuholen. Er ließ sie einschiffen, und als er selbst im Juli 1787 zu Lande nach Neapel zurückkehrte, ging ich mit ihm, in Gesellschaft der beiden Gebrüder Hackert.

Philipp Hackert, der sich in Neapel niederlassen wollte, ließ sich vorher in Rom Silberzeug machen. »Die Neapolitaner sollen nicht glauben«, sagte er, »daß ich's bei ihnen verdiene, sondern sehen, daß ich es hinbringe.« Er kam also nicht allein mit Anstand, sondern mit Pomp. Das machte die Neapolitaner aufmerksam, und sie waren darauf bedacht, für ihre Stadt und Künstler ehrenvolle Einrichtungen zu treffen. Im Grunde brachte auch ich mehr Geld hin, als ich von Neapel bekam, durch die Fremden, welche meine Sachen kauften. Zuerst logierte ich dort bei Hackert im Palast Francavilla; später nahm ich mir eine[287] Wohnung neben dem Palast des Gesandten Hamilton, weil ich doch den größten Teil des Tages dort zubrachte.

An Lord Hamilton hatte ich einen großen Gönner und Freund. Wie natürlich war dieser Liebhaber und Kenner der Künste für mich der vorzüglichste Mann in Neapel. Er war auch in jedem Betrachte ein seltener Mensch. Die Gabe, sich jedem gefällig zu zeigen, besaß er im höchsten Grade, und mit seiner offenen Geradheit zog er alle Menschen auf eine so einnehmende Art an sich, daß in der großen Zahl seiner Bekannten jeder sein bester Freund zu sein glaubte. Von Großen und Geringen wurde er geliebt und geschätzt, auch gehörte er wiederum jedem wirklich an und gab sich freundlich hin. Er war ein Weltmann, der sich die Annehmlichkeiten des Lebens zu verschaffen und sie zu genießen verstand, unbenutzt verstrich ihm kein Moment. Er war ein überaus guter, ein ausgezeichneter, auserlesener Mensch! Sein Haus, der Sammelplatz aller Leute von Geschmack, war mit Kunstsachen aller Art ausgeziert. Allgemein berühmt ist seine Sammlung von Vasen, an die er viel wendete, um die Kenntnis von dem guten Geschmack griechischer Zeichnung zu verbreiten. Anfangs hatte er nur wenige, die er mir oft mit großer Freude zeigte, indem er die Einfachheit und doch so große Innigkeit ihrer Darstellungen rühmte. Er hatte auch antike geschnittene Steine und Gemälde. Seine besten Gemälde waren eine »Venus mit dem Amor« von Campagnola und ein »Lachender Knabe« von Leonardo da Vinci; letzteres Bild hatte ihm eine Dame in ihrem Testamente vermacht, und es wurde von ihm sehr in Ehren gehalten. – Auf seiner Treppe hingen die Köpfe der beiden Philosophen, deren einer die Welt beweint, während der andere über sie lacht. Dazwischen ein Bild von Salvator Rosa, der manchmal Satiren schrieb und malte. Es stellte einen Mann dar mit einem Papagei und einem Affen auf den Schultern, neben ihm stand ein Schafbock mit großen Hörnern. Der Sinn[288] dieses Bildes war nach seiner Meinung: siamo pappagalli, scimie e becchi cornuti.

Hamilton hatte auch in seinem Zimmer verschiedene sinnreiche Sprüche angeschrieben, u.a. »Wo es mir wohlgeht, ist mein Vaterland«. Das wollten einige seiner Landsleute ihm nicht gelten lassen. Er hatte seinen König aber gebeten, ihn als Gesandten immerwährend in Neapel zu lassen, weil ihm Italien und die Künste sosehr gefielen und er von da aus seinem Vaterland nützen zu können hoffte. Das tat er denn auch. Er war schon etliche dreißig Jahre dagewesen, als ich seine Bekanntschaft machte. Nie habe ich ein angenehmeres Kabinett gesehen als das, worin er wohnte und schlief. Die Gemälde an den Wänden waren nur Kleinigkeiten, aber alle von einem Sinn und Inhalt, der ihn erfreute und seinem Geiste manches auf eine angenehme Art wieder in Erinnerung brachte. So war darunter eine Zeichnung nur mit der Feder gekritzelt von einer Dame, seiner Freundin, die ihre Kinder im Momente, wie sie sich auf der Erde übereinander herumwälzten, in einer artigen Gruppe gezeichnet hatte. Mancher würde eine solche Zeichnung gar nicht aufbewahrt haben, aber er hielt sie in Ehren wegen der Naivität, womit sie aufgegriffen war und welche einem Maler, der immer die Kunstregeln im Sinne hat, vielleicht nicht so geglückt wäre. Alles hing hier durcheinander: die verschiedenen Eruptionen des Vesuvs und anderer benachbarter Vulkane auf den liparischen Inseln, daneben ein kleines Bild von Heinrich Roos, »Eine Hirtenfamilie«, die mit ein paar Schafen ruhig und genügsam beisammen sitzt, dann ein berühmter kriegerischer Pascha, ihm zur Seite eine Medaille mit dem Kopfe eines großen Gelehrten, sein Nachbar das Miniaturbild einer berühmten Schönheit. Das Ganze schien ein Chaos, aber wenn man es nur recht betrachtete, so erkannte man den gefühlvollen, sinnigen Bewohner dieses Kabinetts, der die verschiedenen Gegenstände mit Geschmack und Wahl angebracht hatte.[289] Die Wände zeigten sein Inneres. Ein anderes Balkonzimmer, das in der obersten Etage an der Ecke lag, von wo man die freie Aussicht auf den Meerbusen genoß, hatte er selbst auf eine sinnreiche und überraschende Weise gebaut und ausgeziert. Der Balkon war ganz um die Ecke herumgezogen, so daß man im Halbzirkel eine unermeßliche Aussicht umfaßte; den anderen Halbzirkel machten die inneren Zimmerwände. Diese und die Türen waren mit großen Spiegeln bedeckt, in welchen sich die Gegend darstellte. Saß man nun auf den Polstern, die rundherum angebracht waren, so glaubte man im Freien auf einer Felsenkuppe über Meer und Erde zu sitzen. Dies war Hamiltons Lieblingsort, wo er zu lesen pflegte. Eines Tages kam ich zu ihm und fand ihn allein auf dem Sofa ausgestreckt, mit einem Buche in der Hand im lauten Lachen. »Nein«, sagte er, als ich ihn um die Ursache des Gelächters fragte, »es ist zu toll, was für dummes Zeug die Leute machen. Seht, da habe ich ein kurioses Buch, wie ich deren viele kaufe. Was von seltenen Büchern in Neapel zu haben ist, müssen die Antiquare mir bringen, und ich schicke es nach England, wo dergleichen sehr gesucht wird. Da finde ich nun in diesem Buche die Beschreibung, wie man in Palermo einer Hexe den Prozeß gemacht und sie öffentlich verbrannt hat. Es ist alles auf das ausführlichste erzählt und unter anderem auch, wie auf dem Platze, wo die Exekution vor sich gegangen, die vornehmsten Damen der Stadt auf Gerüsten gesessen haben und mit Sorbet und Eis bedient worden sind. Stellt Euch nur die Szene vor: wie die Damen mit den Eisbechern in der Hand dasitzen, im vollen Putz, zu ihrer Kühlung Sorbet schlürfen und gemächlich zusehen, wie die arme Kreatur da im Feuer umkommt!«

Außer jenem Balkonzimmer, welches von allen Fremden bewundert wurde, und dadurch, daß er auf Bitten eines Freundes die ganze Aussicht in die Runde von dem geschickten Landschaftszeichner Don Tito Lusieri zeichnen[290] ließ, die Veranlassung zu den ersten Panoramen gab, welche kurz darauf in London erschienen, hatte er noch einen anderen Lieblingsaufenthalt auf einem kleinen Landhause am Posilipp. Dies war auf einem Felsen hart am Meer. Hier hielt er sich in der heißen Sommerzeit auf und holte mich gewöhnlich in Begleitung der Mylady ab, um mit ihm daselbst zu speisen und den Nachmittag zuzubringen. Oft versammelten sich dann unter den Fenstern Knaben, welche baten, man möchte, damit sie ihre Geschicklichkeit im Schwimmen und Tauchen zeigen könnten, Geld ins Meer werfen. Dies geschah. Sie rangen zusammen auf einer hohen Mauer, um einer den anderen ins Meer hinunterzustoßen. Oft hingen ganze Gruppen zusammen, die sich hinabstürzten. Da sah man wunderbare Stellungen und Wendungen und die schönsten Körper. Auch unter den Soldaten, welche des Sommers im Meere baden mußten und kompanieweise dazu kommandiert wurden, gab es die verschiedensten und trefflichsten Formen und Gestalten. Die Bäcker und Holzsäger in Neapel gehen, bis auf kurze Beinkleider von Leinen, nackend, die Lazzaroni sind kaum bekleidet. Man tut fast keinen Schritt, ohne der Menschengestalt frei von aller Hülle zu begegnen.

Des Sonntags veranstaltete Hamilton gewöhnlich nach Tische eine Spazierfahrt auf dem Meere; eine Barke mit Musikanten fuhr nebenher. Abends war Konversation bei ihm. Er erzählte sehr launig und lachte gern über die Verkehrtheit in den Meinungen und dem Betragen der Menschen. Was er sagte, war sehr kernig und fast immer im lustigen Gesellschaftston. Einst sagte er von sich selbst, in seiner Jugend habe er als Kadett den Krieg in Flandern mitgemacht; zu jener Zeit hätten die Offiziere noch Spontons geführt, und ihm hätte, als er in Reihe und Glied gestanden, eine Kugel das oberste Ende seines Spontons weggeschlagen. Da habe er gefunden, daß er eigentlich mehr Talent fürs Zivil- als fürs Militärwesen besitze.[291]

Auch sah man bei ihm allerlei Naturprodukte; die Leute wußten, daß er ein Liebhaber alles Seltenen war. Einst zeigte er mir einen lebenden Meerpolypen, das Medusenhaupt, welches die Fischer ihm gebracht hatten. Die Langsamkeit, mit welcher dies Geschöpf Teil für Teil nacheinander regt, gibt einen wunderbaren Anblick. Die Bewegung seiner krummen Arme oder Fußspitzen gleicht dem allmählichen Vorrücken eines Uhrzeigers. Er hielt es lange in einem gläsernen Gefäße, wo man es beobachten konnte. Einmal brachten sie ihm auch einen Fisch mit sechs Füßen und zwei Papillonsflügeln, deren Ränder mit schönen violetten Streifen eingefaßt waren. Es verging beinahe kein Tag, an dem nicht etwas Neues bei ihm zu sehen gewesen wäre.

Ich malte damals ein Bild, worauf ich den Kopf der Mylady Hamilton verschiedenemal anbrachte. Sie hatte die Züge ihres Gesichts so in der Gewalt, daß sie die Leidenschaften und Empfindungen aufs deutlichste ausdrücken konnte. In Leid und Freude war die Lebhaftigkeit und Wahrheit der Darstellung gleich stark. Das Bild stellte den Orest dar, der am Opferaltare steht. Seine Sinne sind verwirrt, er sieht nichts mehr auf dieser Welt; in sich gekehrt, denkt er sich seine Ankunft in der Unterwelt, wo ihm seine Bekannten entgegenkommen. Er grüßt seinen Vater Agamemnon und seine Mutter. Die Priesterin Iphigenia erkennt in ihm den Bruder, sie fliegt zu ihm, umarmt ihn, den Gefundenen, lange Ersehnten; aber er ist kalt, fühlt nicht der Schwester Umarmung, hört und empfindet nicht, was die Stimme der Schwester sagt. Er drückt sie von sich, und so versunken er in seinem Geiste ist, so aufgeregt dagegen ist die Schwester. Die Gefühle der Seele sind in äußerster Bewegung, sie hat den Bruder gefunden und den Gefundenen verloren. Sie hält ihn im Arme und hat nichts, sie spricht mit ihm und er mit den Schatten. Hinter ihm zu beiden Seiten sind Furien. Die eine fliegt um ihn herum,[292] man sieht die Wendung ihres Fluges am rollenden Gewande; die andere hebt das lang herunterhangende Haar über das bedeckte Gesicht empor und schaut aus düsterem Nachtgrauen ihn mit hohlen Augen gräßlich an.

Zu allen diesen Köpfen hatte sie mir den Ausdruck von dem Seelenzustande einer jeden Person vielmals dargestellt, so daß ich ihr nur nachzubilden brauchte. Selbst beim Orest konnte mir ihr Gesicht die Gemütsbewegung zeigen, von welcher ein Mann in dieser Lage ergriffen ist. Ebenso bei den Furien, deren Gesicht immer schön sein kann, wie es die Kunst erfordert, und doch ist der Schreck und der Abscheu darin zu sehen. So in der Medusa das Kalte, Abgestorbene, und dabei hat das Gesicht die schönsten Formen. Auch zeigt sich in dem schönen Gesichte der Niobe der versteinerte Schmerz, so wie in dem schönen Kopfe der sterbenden Amazone. Der Dichter kann Furien als häßlich beschreiben, weil die Gedanken fortrücken, der Maler aber darf das nicht, weil beim Anschauen der Gegenstand immer vor Augen bleibt. – Das Gesicht der Lady Hamilton blieb immer schön, wie es war, und doch konnte sie mit der geringsten Bewegung, indem sie nur die Oberlippen ein wenig hob, eine Verachtung hineinlegen, welche vernichtete. Den Kopf der Iphigenia habe ich so treu als möglich nach ihr gemalt, denn da war nichts davonzunehmen noch zuzusetzen. Als ich daran malte, fügte es sich, daß eben Hamilton hereintrat und ihr einen Brief brachte, der ihr den Tod eines Freundes anzeigte. Sie wurde so ergriffen von Schmerz und Wehmut, daß sie in die heftigste Bewegung ausbrach. Die Stellungen, in welchen sie sich hin und her wandte, bald gebückt in tiefer Trauer, dann mit aufgehobenen Armen jammernd, dann hingesunken, den Freund beklagend, dann sich selbst betrauernd – dies alles zu sehen, war für einen Maler viel wert. – Das Bild von Orest und Iphigenia malte ich für den Prinzen Christian von Waldeck. Nach seinem Tode bekam[293] es sein Bruder, der regierende Fürst von Waldeck, bei dem es in Arolsen hängt.

Der beste Kopf, welchen ich nach ihr gemalt habe, war ein Studio zu einem Bilde, wo Andromache ihren Gemahl, den Hektor, bittet, sich für sie und ihr Kind zu schonen. Auch dieses Gemälde ist im Besitze des Fürsten von Waldeck. Den Kopf der Andromache habe ich sehr fleißig nach Lady Hamilton ausgeführt und mich bemüht, den Ausdruck des Flehens zu erhaschen, und genau die Form ihres Gesichts, vorzüglich den Mund, nachgeahmt, der in der Antike nicht schöner zu finden ist. Auch viele Zeichnungen habe ich nach Lady Hamilton gemacht, in allerhand Stellungen. Besonders des Abends in Caserta, wo wenig Gesellschaft war. Während Hamilton und andere sprachen, zeichnete ich. In welcher Stellung sie auch war, sitzend, stehend, liegend – sie war immer malerisch. Hamilton gefielen diese Zeichnungen, er bewahrte sie und schloß sie in seine Schatulle.

Zum Hektor in dem eben erwähnten Bilde fiel mir ein Kopf ein, den ich gesehen hatte, wo Spanier mit den Stieren fechten. Unter den Zuschauern saß nämlich ein Hirt, der seinen Mut kaum halten konnte, in die Schranken zu springen, um besser mit dem wütenden Stiere zu kämpfen als die Kämpfer von Profession. Als ich nach Hause kam, zeichnete ich gleich den Kopf, so frisch, wie er mir vor der Seele stand. Darum soll man denn auch einen guten Gedanken in dem Augenblicke, wo er einem einfällt, niederzeichnen, denn er kommt so feurig und geistig nie wieder. Zu diesem Zwecke soll man immer Feder und Papier in Bereitschaft haben, und es ist sehr gut, wenn das Papier etwas einsaugt, damit es den Strich willig annehme, weil sonst leicht durch die Materie der Geist verlorengeht. So skizzierte ich die Zehen der Cassandra, und hätte ich dieselben bei der Ausführung nicht immer vor Augen gehabt, so würde mir der Fuß nicht gelungen sein. Auch hat mich die erste Skizze von dieser Gruppe immer bei der Ausführung[294] geleitet. So habe ich auch nach einem Schornsteinfeger, der vielleicht der schönstgewachsene Mensch hier war, die Beine des Achilles gemacht. Und wie vielen edlen Gestalten und Gesichtern begegnet man im gemeinen Leben, die verdienten, von jedem Künstler verewigt zu werden! Ich habe Männer gesehen, die schon mit einem Winke ihrer Augenbrauen geboten. Ein Abbate aus Puglien, der mir Vasen verkaufte, glich ganz einem indischen Bacchus, ein hannöverscher Kavallerieoffizier bei Göttingen hatte die majestätische Gestalt eines Gottes und den Kopf eines jungen Jupiter. So sah ich einen schönen jungen Polen in Neapel, er war blond mit goldenen, geringelten Locken, seine Gesichtsfarbe wie Rosen; ein Stallknecht in Rom glich dem Menelaus, er war weiß wie Elfenbein; der Pascha von Kairo, den ich hier in Neapel verschiedene Male in Gesellschaft traf, war ein überaus schöner Mann, den ich auch zeichnete. Er schien ein Jupiter, hatte dabei die zarteste weiße Frauenfarbe, wie Lilien und Rosen, einen schwarzen, glänzenden Bart und schöne Hände. So begegnete ich auch einem Straßenpflasterarbeiter von Kupferfarbe und der Gestalt des Herkules und einem jungen Mann aus Kiel, mit schöner Rosenfarbe, heiteren Augen, dunklem Haar, sein Backenbart lag zierlich auf den Wangen. Das schönste Frauengesicht sah ich auf einem Feste in Rom: schwarze Augen voll Anmut und Liebe, Wohlwollen und Sanftmut, Form und Farbe in höchster Vollkommenheit, und eine strotzende Blüte glühte in ihrem ganzen Wesen.

Hin und wieder beschäftigte ich mich auch mit dem Porträtieren. So malte ich einen jungen Engländer, Mylord Bristol, stehend in Lebensgröße, auch den Fürsten Aremberg, den Prinzen Schwarzenberg, Mad. Skawronsky und andere. Doch wich ich oft aus, wenn Personen mich darum angingen, von denen kein Bild zu machen war, das auch zugleich angenehm für das Auge sein mußte. Zuweilen aber[295] hatte ich Gelegenheit, welche zu malen, die sich der beste Künstler nicht vollendeter in seiner Phantasie denken konnte und die mit den schönsten Idealen wetteiferten. So ward mir dieses Glück mit der überaus schönen Charlotte Campbell, der Tochter des Herzogs von Argyle. Ich hörte von allen, daß man sie in England für die Schönste halte. Ich hatte sie schon einige Male in Gesellschaft und auf Spaziergängen gesehen, wo ich ihre schlanke Gestalt bewunderte, doch nie wie einmal im Freien aus der Entfernung, in welcher man die Figur recht übersehen konnte. Dies traf sich bei einem Vorfalle, der mir sehr günstig war.

Der König hielt eine Jagd. Viele Gesandte und Fremde waren eingeladen, um zuzusehen. Unter den Damen war auch Charlotte Campbell. Als die Jagd beendigt war, eilten alle nach ihren Wagen, die auf einem freien Platze im Walde im weiten Kreise durcheinanderstanden. Die meisten waren mit sechs Pferden bespannt. Man sah die Gesellschaft in einzelne Gruppen geteilt: Einige gingen, um ihre Wagen aufzusuchen, andere ließen diese zu sich heranfahren, die Bedienten und Läufer riefen die Kutscher, und nachdem König und Königin eingestiegen waren, ging alles wild durcheinander. Die Herren und Damen, welche zum Gefolge Ihrer Majestäten gehörten, schlossen sich gleich an, als die ersten Wagen fortrannten. Die Kutscher der Gesandten haben die Ambition, daß einer dem andern zuvorzukommen sucht. Jeder Kutscher sucht daher seine Herrschaft zuerst in den Wagen zu heben und fährt ihr entgegen, wo er sie erblickt. Ich war mit Hackert gefahren und wollte zu unserem Wagen gehen. Wie viele andere, geriet auch ich zwischen die hin und her jagenden Equipagen. Auch der Herzog von Argyle kam, seine Tochter am Arm führend, als eben ein Wagen gegen sie heranzufahren schien. Die Tochter erschrak, verließ den Arm und floh, um sich zu retten. Wohin sie gelaufen war, kam ihr ein anderer[296] Wagen in vollem Galopp entgegen. Sie kehrte wieder um, eilte diesem aus dem Wege, und als sie zu einem freien Platze geflohen war, kamen ihr wieder andere Equipagen entgegengerannt. So floh sie vor Angst von einem Ort zum anderen, zwischen den eilenden Wagen durch. Das Gefühl ausgenommen, welches man für sie empfand, weil sie ihr Leben in Gefahr glaubte, war es ein herrlicher Anblick für den, der Augen hat für die schnelle, angestrengte Bewegung einer schönen Gestalt. In einigen Tänzen sieht man wohl schöne Wendungen, aber was ist das gegen dieses natürliche Laufen, Drehen, Umkehren, Unentschlossene und Schnellentschlossene! Jede Wendung war ausdrucksvoll und zeigte deutlich sowohl ihr Inneres an wie auch die schlanke, jugendliche Gestalt, weil sich das Gewand durch den Druck der Luft, durch welche sie sozusagen durchfloh, dicht anschloß. Was ich sonst nur in der Kunst bewunderte, die schönen, jugendlichen, fliehenden Gestalten an den Basreliefs und die schwebenden Tänzerinnen auf den herkulanischen Gemälden, das sah ich hier in der Natur. Keine absichtliche Anordnung hätte so geschickt in Ausführung bringen können, was hier das Ungefähr tat. Alles trug mit dazu bei, Ort und Zeit, besonders der Wald mit dem grünen Rasen, wo ich die leichtgebauten Hirsche und Rehe und die Jäger zu Pferde hatte laufen sehen. Wie bei auserlesenen Festen, welche Eindruck hinterlassen sollen, das Vorzüglichste bis zum Ende aufgespart wird, so konnte ich alles Vorhergehende gleichsam nur als Vorbereitung ansehen zu dem, was dem Auge nun geboten wurde: die schönste, schlanke, menschliche Gestalt, welche floh, wie der erschrockene Hirsch leicht zwischen den Bäumen hindurcheilt. So schwebt Aurora vor dem Sonnenwagen her! – Einige Tage nachher malte ich sie, sitzend in einem Walde, eine Notenrolle auf dem Schoße, mit dem aufgehobenen Arme einen Zweig herniederbiegend und einen Hirsch lockend, der sich an den Blättern laben sollte.[297]

Hier fällt mir ein, daß ich noch einiger interessanter Bekanntschaften zu gedenken habe. Mir war schon längst von einem Manne gesagt, der große Einsichten und eine lebhafte Einbildungskraft besäße. Wir kannten uns von ferne. Beide hatten wir uns schon durch Freunde sagen lassen, daß wir einander bekannter zu werden wünschten. Da begegnete er mir einmal hinter der Schweizer-Kaserne. Er und ich waren gerade von Freunden begleitet, die mich ihm vorstellten. Dieses Begegnen von ungefähr und das glückliche Zusammentreffen begeisterte ihn. »Ich wollte Euch schon längst in Eurer Arbeitsstube besuchen«, sagte er, »um Euch da kennenzulernen; aber den rechten Mann erkennt man auf der Stelle.« Dieser exzentrische Mensch hielt sogleich eine ausschweifende Rede über die Stelle, wo wir standen. Wir hatten auf der linken Seite die Schweizer-Kaserne, welche die weite Aussicht auf das Meer versperrte, und rechts sah man den schönen Berg Posilippo hinauf, die Kartause und das Kastell St. Elmo. »Oh! Wenn die Menschen klug wären«, sagte er, »und täten, was sie sollten, wie leicht könnten sie sich die Welt zum Himmel schaffen! Hier« – indem er mit der Hand auf die Kaserne wies – »hier haben sie dem Auge das Herrlichste versperrt; wir stehen hier an einer der schönsten Aussichten der Welt, und doch sehen wir nichts als Scheußliches, dort aber« – hier zeigte er auf den Berg Posilippo –, »dort auf jener Höhe sollte das königliche Schloß stehen! Das wäre eine würdige Wohnung für den Regenten! Das schöne Gebäude würde ein prächtiger Anblick für die Anschauer sein, Achtung einflößen für den Herrscher und Genuß geben allen, die es sähen!« – Gleich machte er auch den Plan, wie auf der Höhe von Pancrazio der ausgebreitete Palast des Königs stehen sollte, die Seitengebäude für seine Dienerschaft. Die Anhöhe müßte mit Gärten bebaut werden, mit geschlungenen Wegen, wo er hinuntergehen könnte, wenn er frische Luft genießen wollte. Zur Auffahrt müßten Terrassen und[298] Lustgärten sein, die Gebäude aber herunter bis ans Meer gehen, dabei mit Kolonnaden und schwebenden Gärten versehen sein. Da stand denn nun der ins Meer gebaute Sommerpalast, immer mit kühlender Seeluft umgeben; hier ragten die schönen Seitengebäude hervor, dort lagen die Lustschiffe, dem Volke zum Vergnügen. Auf den Gipfel des Pancrazio setzte er einen Tempel und nahm den größten von Pästum, genau mit allen Maßen kopiert, von wo aus man denn nach allen Seiten sehen könnte, wenn der Feind von außen käme, und von wo aus man, er komme zu Lande oder zu Meere, ihn bekämpfen und vertreiben könnte. Auch für die Wachen waren Gebäude angebracht: »Das Kastell St. Elmo würde dann die Stärke und der Schutz der Länder und der Zaum des Volkes.« Darauf sorgte er für einen botanischen Garten und eine Menagerie. Die Gebäude der königlichen Regierung schlossen die Seite gegen die Stadt, wo in den Gerichtshöfen die Gerechtigkeit fürs Vaterland gehandhabt würde. Alle Häuser hatte er schon in Gedanken niedergerissen sowie die große Kaserne, wovor wir eben standen, aus welcher viele weißgefärbte Kleidungsstücke hingen. Sie dauerte mich auch nicht, da ich in der Phantasie diese Herrlichkeit schon bewunderte. Ich übersah von oben herab die prächtigen Gebäude und Gärten mit den schönen Gruppen von Bäumen, auch das Meer, die kostbaren königlichen Kriegs- und Lustschiffe, die weite Aussicht gegen den Vesuv, sah da die Sonne aufgehen, die sogleich mir ihre Strahlen hierher warf. – Nun wendete ihm einer ein: »Aber so majestätisch Euer königliches Gebäude ist, so kann es nur im Wunsche sein! Denn das Land könnte die Kosten nicht aufbringen und würde dadurch in Schulden kommen.« – »Nein«, sagte er, »im Gegenteil, es würde das Land beglücken und bereichern! Die Menschen sind nur darum arm, weil sie keine großen Werke unternehmen. Jetzt leben sie im Elende und sind den Reichen zur Last; hier müßten sie durch Lohn[299] zur Arbeit angewiesen werden! In kurzem kehrt das Geld doppelt wieder in den Kasten! In diesem Lande, welches die Menschen überflüssig hervorbringt, können sie ihrer angeborenen Neigung zum Schönen folgen; denn der Mensch hat zum Leben wenig nötig, die Natur gibt es ihm hier im Sommer und Winter von selbst!«

Als ich eines Tages nach Hause kam, erzählte ich der Gesellschaft, die bei mir versammelt war, daß ich schon mehrere Male einem Manne begegnet wäre, der ein Gesicht habe, das viel Gefühl und Phantasie zeige, aber auch zugleich etwas Kleinliches, als zerteile er mit Scharfsinn die geringste Münze und hüte sich vor jeder Ausgabe. Er sei mir mit seiner gebogenen Nase wie ein Schaf vorgekommen, doch vermischt mit etwas Wolfsnatur, die vorsichtig spart. Auch sein altmodischer, spaniolbrauner Rock und seine grünen Hosen zeugten von seiner Sparsamkeit. Ich äußerte den Wunsch, diesen Mann kennenzulernen und sein Gesicht zu zeichnen. Nach dieser Beschreibung sagte einer: »Nicolo Sale trägt einen solchen Rock und hat eine große Nase.« Ein anderer fiel ein: »Gewiß, das ist Sale, und er ist mein intimer Freund, den verschaffe ich Ihnen gleich zum Zeichnen.« Einige Tage nachher wurde er zu mir geführt, und ich sah einen herzensgutmütigen Menschen. Während des Zeichnens erzählte er mir, daß er einen Neffen habe, auf den er viel halte, der großes Talent besitze und dem er daher auch all das Seinige vermachen wolle, damit dieser der Erbe seiner Familienbesitzungen werde, die hauptsächlich in Wäldern von Kastanien beständen, deren Vortrefflichkeit er mich wolle kosten lassen. Mir schien, sein gutes Gemüt wolle mir dafür Erkenntlichkeit beweisen, daß ich ihn zeichnete; denn sein Freund hatte ihm gesagt, sein Porträt solle auch in Kupfer gestochen werden, und so im Andenken fortzuleben, schien ihm zu gefallen. Als ich mit der Zeichnung fertig war, sah ich, daß ich das, was in seinem Gesichte lag, nicht erreicht hatte, dieses Zwiefache[300] von Enthusiasmus und scharfer Besonnenheit, und bat ihn, so gefällig zu sein, noch einmal wiederzukommen. Ich bestimmte einen Tag, an dem er auch kam und mir einige Kastanien mitbrachte, die auf einen Faden gezogen waren wie ein Rosenkranz. Er bedauerte, daß sein Vorrat jetzt nicht groß sei, aber wenn die neue Ernte käme, wolle er mich reichlich damit versorgen. Sein Freund erzählte mir, daß Sales große, ergiebige Besitzungen in seiner lebhaften Phantasie lägen; die Familie habe zwar etwas Land, wovon sie leben könne, er aber sei in seiner Jugend so schwach an Geist und Körper gewesen, daß man ihn zu nichts habe brauchen können, auch nicht zu der geringsten Arbeit. In der Besorgnis, er würde sich den nötigen Lebensunterhalt nicht erwerben können, sei er in ein Institut gebracht worden, deren es zwei in Neapel gibt, wo Musik gelehrt wird und die Lehrlinge vom König unterhalten werden. Hier habe er nun ein Werk über den Kontrapunkt geschrieben, so daß, als er diese Arbeit dem großen Kapellmeister Paisiello vorgelegt, dieser die Hände aus Verwunderung zusammengeschlagen und ausgerufen habe: »Sale, was hast du gemacht? Du hast auf mannigfaltige Art zergliedert, was ich nicht möglich glaubte! Viel habe ich studiert, aber wie du die Töne versetzt hast, ist es mir nicht vorgekommen!« Dieses Werk soll auf königliche Kosten in Kupfer gestochen sein, aber ich glaube, daß es nicht zustande gekommen ist, denn ich habe einige Kupferplatten gekauft, welche auf der einen Seite geschliffen waren, auf der anderen gestochene Noten enthielten. Da ich den Kupferschmied deshalb befragte, sagte dieser, die Platten seien von einem Werk, welches auf königliche Kosten angefangen wäre, aber nun nicht fortgesetzt werden sollte, weshalb man die vorrätigen Platten habe verkaufen lassen.

Auch machte ich Bekanntschaft mit Herrn von Schlangenbusch, dänischem Minister, und mit dem Ritter Italinski,[301] russischem Minister. Beide stellten Beobachtungen über die Meeresbewohner an, sie suchten nämlich die Lebensart der Fische im Wasser zu belauschen. Eine mühsame und kostspielige Unternehmung! Sie hielten beständig Wachen von Fischern auf dem Meere, um sich benachrichtigen zu lassen, wann sich die Fische sehen ließen. Das mochte nun bei Tag oder Nacht sein, so mußten sie schon eilen, am Orte zu sein, denn die scheuen Meeresbewohner sind schwer zu belauschen und im Husch weg. Die gefangenen Fische, das Äußere und Innere und die ganze Anatomie derselben zeichnete ihnen Kniep mit strenger Genauigkeit. Eine löbliche Unternehmung, weil wir noch sowenig von der Lebensart der Meeresbewohner kennen.

Dankbar erinnere ich mich auch noch der Güte und Aufmerksamkeit, womit mich der Hofmarschall Marchese del Vasto und sein Sohn, Prinz Monte Sanhio, überhäuften. Ich war oft in ihrem Hause, wo noch der Harnisch des Königs Franz I. und das Schwert aufbewahrt wurden, welches dieser dem feindlichen Feldherrn überreichte, als er in der Schlacht bei Pavia gefangen war. Auch befanden sich hier Hautelisse-Tapeten nach Tizian, Begebenheiten vorstellend aus jenen Kriegen der Franzosen und Spanier in Italien. Diese Tapeten wurden, damit wir sie recht besehen konnten, oben auf dem Lastrico des Hauses ausgebreitet. Mit dem Gesandten von Tripolis traf ich öfter in Gesellschaft zusammen. Einst besah er die physikalischen Instrumente beim Fiskal Vivenzio. Dieser zeigte ihm die Elektrisiermaschine und elektrisierte einen von seinem Gefolge, der sich auf seinen Befehl dazu hergeben mußte. Um diesem die Elektrizität klarzumachen, stieß ihn der Gesandte gerade ins Auge.

Auch sah ich hier einmal auf der Straße ein dichtes Gedränge um einen Mann, welcher vorgab, von St. Paulus das Geheimnis erhalten zu haben, die Menschen vor dem giftigen Schlangenbisse zu schützen. Dieser Heilige habe[302] nämlich auf der Insel Malta, um dem Volke zu zeigen, daß für ihn die Schlangen nicht giftig seien, eine Viper, die ihn gebissen, ins Feuer geworfen. Diese Macht gegen giftige Schlangen sei von Paulus damals vielen Gläubigen erteilt, von denen auch er sie erhalten habe. Zur Bestätigung, daß ihm keine Schlange schade, riß er dem Tiere den Mund auf und ritzte sich mit dessen Zahn Wange und Zunge. Auch versicherte er, daß ihn die Schlange liebe; er gebot ihr, ihm einen Kuß zu geben, führte den Kopf des Tieres gegen seinen Mund, und nun glaubte das Volk wirklich, sie küsse ihn. Viele griffen daher nach den letzten Bajocchi, um sich gegen den Schlangenbiß, der den Landleuten sosehr gefährlich ist, befestigen zu lassen. Er machte seine Formel und gab ihnen im Namen St. Pauli den Segen. Unterdessen griff ich in den Kasten und holte eine Schlange heraus, um sie genauer zu besehen. Auch wollte ich in der Hand fühlen, wie sie sich fortwinde, was wirklich etwas Angenehmes hat, weil man die Ringe spürt, wodurch sie sich fortschiebt. In diesem Augenblick stierte mich der Mensch an mit seinem Caracalla-Gesicht: »Habt Ihr«, rief er, »die Benediktion des St. Paulus erhalten, daß Ihr die Schlangen ohne Schaden berühren könnt?« – »Nein«, sagte ich, »aber ich kann sie ebensogut anfassen wie Ihr, weil sie kein Gift haben.« – »Beim St. Gennaro! In welcher Gefahr seid Ihr gewesen! Ein Glück, daß ich so nahe war! Ihr seid ein Engländer, die nichts glauben, aber ich rate Euch, laßt Euch gegen den Schlangenbiß befestigen!« Hierbei nickte er dem Volke zu, welches in höchster Begeisterung war über die Wunderkraft, die es vor Augen sah. Um mich daher keiner Mißhandlung auszusetzen, bezahlte ich lieber. Ich sagte ihm nun, daß ich ein Maler sei, wenn er besondere Schlangen finge, möchte er sie mir bringen, damit ich sie zeichnete. Er versprach mir einen Schlangenkönig, der eine ordentliche Krone auf dem Kopfe habe und durch den alle Schlangen in Verzweiflung kämen.[303]

Nicht lange nachher sah ich diesen selben Menschen in dem Parke zu Caserta. Er sprang in das Gebüsch, winkte mir, zurückzubleiben, indem er eben dem seltenen Tiere auf der Spur sei. Se. Majestät, sagte er, habe ihn zum Hofschlangenvertreiber ernannt, weil die Schlangen die Fasaneneier auffräßen. Nach einer kleinen Weile huschte er wieder aus dem Gebüsch hervor und tat unwillig auf mich, daß ich ihn durch mein Geräusch verhindert habe, jenes Tier zu finden. Kurze Zeit darauf jedoch brachte er mir diesen sogenannten Schlangenkönig. Mit Herzlosigkeit hatte er die Haut auf dem Kopfe der Schlange aufgeschnitten und eine Dornenspitze mit vielen Haken eingeleimt, so daß die Farbe der Dornenrinde von der Farbe der Haut nicht zu unterscheiden war. Ich verwies ihm die Unmenschlichkeit, daß er ein Tier, welches so gut Gefühle habe wie er, so quäle, und fragte ihn, wie ihm zumute sein würde, wenn man ihm die Haut auf dem Kopfe aufschneiden und eine vielzackige Krone hineinleimen wollte? Nun fuhr er mich wütend über meine Ungläubigkeit an, und da ihm das Beteuern noch leichter wurde als das Lügen, so rief er, unter den schauderhaftesten Schwüren, daß seine Seele ewig in der Hölle brennen solle, alle Heiligen zu Zeugen an, daß der Dorn nicht aufgeleimt sei! Später traf ich ihn noch einmal in dem Parke. Er sah ganz dunkelbraun und sehr elend aus, und ich fragte ihn, ob er krank sei? »Ach«, seufzte er, »ich weiß selbst nicht, was mir eigentlich fehlt!« – »Ihr habt wohl einmal«, erwiderte ich, »mit einer giftigen Schlange Euer Kunststück gemacht, und das ist Euch nicht gut bekommen?« – »Es kann sein!« antwortete er ganz kleinlaut.

Freilich erlaubte ich mir selbst einmal ein ähnliches Schelmenstück, aber doch unschuldigerer Art. Ich ließ mir auf dem Fischmarkte einen großen Krebs kaufen, dessen Schale die Zeichnung eines Menschengesichts hatte. Ich wickelte ihn in ein weißes Tuch, so daß nur der Kopf unbedeckt[304] blieb. Mondo hatte viele Töchter, und oft waren auch junge Herren dort, um zu musizieren, indem die Musik in dieser Familie recht zu Hause war. Ich trug den Krebs in die Gesellschaft, und weil er keine Fühlhörner bewegte, hielt man ihn für ein aus Holz geschnitztes Kind, welches durch ein Uhrwerk bewegt werde. Als sie aber anfingen, es für etwas Lebendes zu halten, drängten sie sich furchtsam in eine Ecke. Nur ein junger Herr hatte die Herzhaftigkeit, den Krebs mit einem Stocke unter dem Schwanze zu berühren. Ich hatte das Tier auf einen großen Flügel gelegt, und da ihm das Kitzeln unerträglich war, so schlug es mit dem Schwanze so auf den Flügel, daß alle Saiten erklangen, dann bewegte es sich rückwärts und fiel auf die Erde. Jetzt, da sie sich überzeugten, daß es ein lebendiges Wesen sei, drängten sich die Damen noch mehr zusammen, und selbst die beherzten jungen Herren erschraken.

Eines Tages fühlte ich Verlangen, die Gemäldegalerie auf Capo di Monte zu sehen, und da mich das heitere Wetter dazu einlud, wollte ich mich auch einmal ganz dem Genius großer Meister überlassen. Gewöhnlich spricht mich von der großen Menge einer Gemäldesammlung eins vorzüglich an, und so war es auch dieses Mal. Mich fesselte ein kleines Bild von Primaticcio, »Das Urteil des Paris« vorstellend, wie Merkur ihm den goldenen Apfel bringt, um diesen der Schönsten zu geben. Vor ihm stehen die drei Göttinnen entkleidet, jede in ihren Reizen. Man erkennt an der Arbeit, daß Primaticcio dieses Bild mit Liebe und mit Anwendung aller seiner Wissenschaft und Kunst machte und gerade diesen Gegenstand wählte, weil er Gelegenheit hatte, drei weibliche Figuren, jede von verschiedener Gestalt, anzubringen. Besonders ist der Rücken der einen Figur wunderschön gezeichnet und ausgeführt, mit aller der Kenntnis, welche er von Raffael, Giulio Romano und anderen großen Künstlern, mit denen er Umgang hatte, lernen konnte. Paris steht angelehnt, er hat die Form eines[305] Apollo, aber das Fleischige eines Schäfers, der in unschuldig-müßiger Ruhe ernährt ist. Diese Figur prägte sich mir besonders ein, so daß, als ich nach Hause kam, ich sie aus dem Gedächtnis zeichnete; daneben brachte ich zwei Mädchen an, welche ich vor meiner Tür auf dem Beischlage, mit anderen spielend, hatte sitzen sehen.

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 286-306.
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